Ob auch ältere Menschen zur Prävention
kardiovaskulärer Ereignisse Statine einnehmen sollten und wenn
ja, bis zu welchem Alter, wird immer wieder kontrovers diskutiert.
Das liegt u.a. daran, dass in den meisten randomisierten
kontrollierten Studien (RCT) der Anteil der Patienten > 75 Jahre
sehr gering war bzw. dass diese erst gar nicht in die Studien
eingeschlossen wurden, obwohl sie ja einen wesentlichen Teil der
Zielgruppe ausmachen. Wir hatten kürzlich über
Register-Daten aus Spanien berichtet, die gezeigt haben, dass eine
Primärprävention mit Statinen bei Menschen > 75 Jahre
ohne Typ-2-Diabetes unterbleiben sollte, da sie kardiovaskuläre
Ereignisse und Letalität nicht reduziert (1). Es gibt bis heute
nur ein RCT, das die Wirksamkeit von Statinen speziell bei älteren
Patienten getestet hat. In der PROSPER-Studie waren 9% der
Studienteilnehmer zwischen 65-70 Jahre alt, und bei 51% lag das
Alter zwischen 70-75 Jahre und bei 41% > 75 Jahre
(2). Der primäre Endpunkt (kombinierter Endpunkt: Todesfälle
infolge Koronarer Herzkrankheit (KHK), nicht-tödlicher
Herzinfarkt und Schlaganfall) wurde nach durchschnittlich 3,2 Jahren
mit Pravastatin gegenüber Plazebo um 2,1% reduziert (14,1% vs.
16,2%; vgl. 3). Die Studie wurde allerdings im Jahr 1997
begonnen und entspricht nicht mehr der heutigen Behandlungsrealität.
Derzeit läuft ein australisches RCT mit dem Akronym STAREE, in
dem Atorvastatin vs. Plazebo in der Primärprävention bei
gesunden Menschen > 70 Jahre getestet wird (4).
Studienendpunkte sind neben kardiovaskulären Ereignissen auch
neu auftretende Behinderungen sowie Demenz. Ziel ist es,
18.000 Patienten einzuschließen; erste Ergebnisse werden
Ende 2022 erwartet. Bis dahin müssen wir unsere
Therapieentscheidung hinsichtlich Verordnung von Statinen an den
Studienergebnissen orientieren, die publiziert sind.
Die Cholesterol Treatments
Trialists’ (CTT) Collaboration ist eine internationale Gruppe,
die periodisch Metaanalysen von großen und langfristigen RCT zu
lipidsenkenden Therapien durchführt (5). Die Collaboration wurde
1994 gegründet und wird durch öffentliche Gelder
finanziert. Sie hat Zugriff auf die Daten von 187.000
Patienten aus 28 RCT mit Statinen. In 23 RCT wurden Statine
mit Plazebo bzw. „usual care“ und in 5 RCT eine
Statin-Behandlung in hoher Dosis vs. Standard-Dosis verglichen. Nun
wurde im Lancet eine Metaanalyse dieser Daten zu den
Behandlungseffekten von Statinen in Abhängigkeit vom Lebensalter
publiziert (6). Es wurde die relative Risikominderung für
vaskuläre Ereignisse durch eine Statin-Behandlung in
6 Altersgruppen berechnet (≤ 55; 56-60; 61-65; 66-70;
71-75 und > 75 Jahre). 14.500 Studienteilnehmer (8%
aller) waren zu Studienbeginn > 75 Jahre alt.
Ergebnisse: Die mediane
Nachbeobachtung in der Metaanalyse betrug knapp 5 Jahre. Die
> 75-Jährigen waren im Mittel 78,8 Jahre alt. 55%
erhielten das Statin wegen einer manifesten KHK, die übrigen
wohl zur Primärprävention. Über alle Altersklassen und
Indikationen führte die Statin-Behandlung pro mmol/l LDL-Senkung
(entsprechend 38 mg/dl) zu einer relativen Reduktion des Risikos
(RR) für ein klinisch bedeutsames vaskuläres Ereignis
(Primärer kombinierter Endpunkt: klinisches KHK-Ereignis,
koronare Revaskularisation oder Schlaganfall) von 21% pro Jahr
Behandlung. Ein Nutzen wurde in allen fünf untersuchten
Altersgruppen gefunden. Die Effektstärke nimmt jedoch mit
zunehmendem Alter ab: bei den ≤ 55-Jährigen beträgt
die Risikoreduktion pro mmol LDL-C-Senkung 25% (RR: 0,75;
95%-Konfidenzintervall = CI: 0,70-0,81) und bei den
> 75-Jährigen 13% (RR: 0,87; CI: 0,77-0,99).
Nach Ausschluss von 4 RCT, in denen Statine bei Patienten mit
chronischer Herzinsuffizienz oder dialysepflichtiger
Niereninsuffizienz getestet wurden – bei diesen Patienten ist
kein Nutzen nachgewiesen (7) – beträgt die Risikoreduktion
bei den > 75-Jährigen pro mmol LDL-Senkung 19%
(RR: 0,81; CI: 0,66-0,99).
Der Nutzen bei den > 75-Jährigen ist
jedoch nur in der Sekundärprävention (RR: 0,74), nicht
in der Primärprävention (RR: 0,92) nachweisbar, und
Todesfälle werden bei 1 mmol/l LDL-Senkung nicht verhindert
(RR: 0,95; CI: 0,83-1,07; s. Tab. 1). Gelingt mit
Statinen eine LDL-Senkung um 2 mmol/l (65 mg/dl), dann
verdoppeln sich die berechneten Effektstärken. Dies erfordert
jedoch eine Hochdosis-Statin-Behandlung, die bei älteren
Patienten oft an den Nebenwirkungen und/oder Wechselwirkungen
scheitert. Auf dieses Problem weisen auch die beiden Kommentatoren
der Metaanalyse hin (8). Wegen Multimorbidität, Multimedikation
und vermehrter Anfälligkeit für Nebenwirkungen setzten
ältere Menschen die Statine häufig ab. Die in die
Metaanalyse eingegangenen älteren Studienpatienten seien zudem
stark selektiert, mit geringer Komorbidität, weniger
Begleitmedikation und wahrscheinlich hoher Motivation und Adhärenz.
Daher sei eine Verallgemeinerung auf alle älteren Menschen
generell problematisch. Auch habe sich das Management der häufigsten
Komorbiditäten in den letzten Jahren erheblich gewandelt. Daher
sei es denkbar, dass die gleichen Studien heute zu geringeren
Effekten führen.
Fazit: Die Behandlung mit
Statinen reduziert auch bei Menschen > 75 Jahren
signifikant die kardiovaskuläre Mortalität (insgesamt
-13% pro Jahr und mmol/l LDL-C-Senkung), nicht aber die Letalität.
Der Nutzen in der Primärprävention ist minimal und bei
Patienten mit Herz- und terminaler Niereninsuffizienz nicht
nachweisbar. In der Sekundärprävention sind Statine dagegen
auch bei älteren Menschen empfehlenswert – vorausgesetzt,
ihnen wird der Nutzen gut erklärt und sie vertragen Statine bzw.
nehmen sie auch regelmäßig ein (Adhärenz).
Literatur
- AMB 2018,
52, 77.

- Shepherd, J., et al.
(PROSPER = PROspective
Study of
Pravastatin in
the Elderly at
Risk): Lancet
2002, 360, 1623.

- AMB 2002,
36, 91
. AMB 2003, 37,
15b. 
- STAREE =
A clinical trial of STAtin
therapy for Reducing
Events in the Elderly:
ClinicalTrials.gov. NCT02099123.
- https://www.cttcollaboration.org/

- CTT = Cholesterol
Treatment
Trialists’
collaboration: Lancet 2019, 393,
407.

- Catapano, A.L., et al.:
Eur. Heart J. 2016, 37,
2999.

- Cheung, B.M.Y., und Lam,
K.S.L.: Lancet 2019, 393,
379.

|