Zusammenfassung:
Ein unselektiertes Screening auf Vorhofflimmern in der gesunden
Bevölkerung ist
aus unserer Sicht abzulehnen, denn es führt zu vielen falsch
positiven Befunden, die unnötige Untersuchungen zur Abklärung
und Ängste nach sich ziehen. Es ist jedoch davon auszugehen,
dass durch
die zunehmende Anwendung implantierter oder tragbarer elektronischer
Geräte die Inzidenz erkannter asymptomatischer Episoden von
Vorhofflimmern künftig rasch steigen wird (sog. „device
detected atrial fibrillation“). Die klinische Relevanz so
erhobener Befunde ist noch unklar. Beobachtungsstudien weisen darauf
hin, dass die optimale Schwelle für den Beginn einer
Antikoagulation zur Prävention von Thromboembolien
möglicherweise deutlich höher liegt (z.B. Episodendauer
über 24 Std.) als bei symptomatischem Vorhofflimmern. Bis
laufende prospektive Studien dazu mehr Klarheit bringen, muss auch
bei einem relevanten CHAD2DS2-VASc-Score
individuell über eine Antikoagulation entschieden werden.
Die Apple Heart Study (AHS) fand vor
und nach ihrer Präsentation beim diesjährigen
Jahreskongress des American College of Cardiology (ACC) ein sehr
großes Medienecho. Wir haben bereits im Vorfeld das Ziel dieser
Studie erwähnt (1). Sie untersuchte, mit welcher Spezifität
eine Smartwatch (Fa. Apple) mittels Photoplethysmographie und
zusammen mit einer speziellen Softwareapplikation („AHS-App“)
in der Lage ist, Vorhofflimmern (Vofli) zu erkennen (2). Insgesamt
folgten 419.297 US-amerikanische Erwachsene (Alter > 22 Jahre;
mittleres Alter 40 Jahre; ca. 25.000 > 65 Jahre)
der Einladung des Herstellers, an dieser als „Proof-of-Concept“
angelegten, reinen Beobachtungsstudie ohne Kontrollgruppe
teilzunehmen. Es ergab sich ein positiv-prädiktiver Wert von 84%
für das korrekte Erkennen von Vofli durch die Smartwatch
(= primärer Endpunkt). Dies traf allerdings nur zu für
eine sehr selektierte Gruppe von 450 Teilnehmern, die –
wie im Studiendesign vorgesehen – gleichzeitig mit der
Smartwatch ein Langzeit-EKG-Gerät als Referenz für eine
Woche trugen. Zwar erhielten während der initialen 8-monatigen
Screeningphase 0,5% der gesamten Teilnehmer (n = 2.162)
Meldungen der Smartwatch über potenzielle Arrhythmien (bei den
ca. 200.000 Teilnehmern < 40 Jahre waren es 0,16%;
bei den ca. 25.000 Teilnehmern ≥ 65 Jahre 3,2%), aber
nur etwa die Hälfte von diesen nahm Kontakt mit einem
Studienarzt (Telemediziner) auf. Nach zusätzlicher Prüfung
wurden Langzeit-EKG-Geräte an 658 Teilnehmer versandt;
diese wurden nach der vorgesehenen einwöchigen Tragezeit aber
nur von 450 Teilnehmern zurückgeschickt. Die ab 2019
geplante randomisierte Studie HEARTLINE soll nun harte klinische
Endpunkte eines Vofli-Screenings mit Hilfe der Apple-Smartwatch bei
Menschen ≥ 65 Jahre untersuchen.
Der oben erwähnte positiv
prädiktive Wert von 84% wird zwar in Fach- und Laienmedien
ausgiebig kolportiert, jedoch wird die allgemeine praktische
Bedeutung dieses Befundes in der Prävention von Schlaganfällen
sehr kontrovers gesehen. Die Prävalenz und Inzidenz von Vofli
ist bei den eher jungen und gesunden Smartwatch-Trägern nämlich
gering. Deshalb sind diese grundsätzlich keine geeignete
Zielgruppe für ein solches Screening. Der positiv-prädiktive
Wert der initialen 2.162 Arrhythmie-Meldungen der Smartwatches
in der gesamten Studienpopulation bleibt unklar. Bei einem
unselektierten Screening der gesunden Bevölkerung ist jedenfalls
mit einer großen absoluten Zahl falsch-positiver Befunde zu
rechnen. Kritiker weisen darauf hin, dass unklare und falsche Alarme
zusätzliche Maßnahmen nach sich ziehen. Dadurch werden die
ohnehin schon knappen Ressourcen öffentlicher
Gesundheitssysteme, die in anderen Bereichen viel dringender benötigt
werden, unnötig verbraucht (3). Überdiagnostik kann zu
Übertherapie mit unnötigen Risiken führen: Etwa ein
Drittel aller AHS-Teilnehmer, die initial Meldungen über
potenzielle Arrhythmien erhielten, hatten einen CHAD2DS2-VASc-Score
≥ 2. Bei diesem Wert ist „paroxysmales Vofli“
grundsätzlich eine Indikation zur dauerhaften oralen
Antikoagulation (OAK; mit Vitamin-K-Antagonisten = VKA oder direkten
oralen Antikoagulanzien = DOAK). Die
aktuelle Empfehlung für eine OAK bei Vofli ist:
CHAD2DS2-VASc-Score
bei Männern
≥ 2; bei Frauen ≥ 3 (vgl. 4).
Von den AHS-Teilnehmern, bei denen
Vofli erkannt wurde, hatten 89% Episoden, die länger als eine
Stunde anhielten. Ab welcher „Vofli-Last“ (Dauer und
Häufigkeit der Vofli-Paroxysmen) eine OAK aber tatsächlich
eine positive Nutzen-Risiko-Relation hat, ist ebenfalls noch völlig
unklar (5). Die
European Heart Rhythm Association empfiehlt in einem aktuellen
Konsensusdokument – auf Basis von Beobachtungsstudien –
bei einem durch ein Gerät erkannten, subklinischen, also
asymptomatischem Vofli („device detected atrial fibrillation“)
einen Grenzwert von 5,5 Stunden Vofli-Dauer pro Tag, ab dem bei
einem CHAD2DS2-VASc-Score
≥ 2 bei Männern bzw. ≥ 3 bei Frauen eine
OAK eingeleitet werden sollte (6). Einer aktuell in Circulation
erschienenen Studie von Perino et al. (7) zufolge könnte dieser
Grenzwert aber auch deutlich höher liegen. In diese
bevölkerungsbasierte retrospektive Kohortenstudie auf Basis der
Veterans Affairs (VA) Datenbanken wurden 10.212 Patienten mit
elektronischen kardialen Implantaten (Schrittmacher, Defibrillatoren)
und folgenden Befunden eingeschlossen: erkannte Vofli-Last von
> 6 Min./24 Std. im Telemonitoring von 2011
bis 2014, CHAD2DS2-VASc-Score
≥ 2, keine Schlaganfallanamnese und ohne Antikoagulation
während der vergangenen 2 Jahre. Es wurde analysiert, wie
viele Patienten nach
einem „Device-erkannten“ neuen Vofli innerhalb von
90 Tagen eine Antikoagulation
erhalten hatten (primärer Endpunkt); außerdem wurden die
Assoziationen von OAK-Verschreibung, Schlaganfall und Vofli-Last
untersucht. Der Anteil von Patienten, bei denen Vofli erkannt wurde,
war hoch: So fand sich bei knapp der Hälfte der Patienten an
mindestens einem Tag eine kumulative Vofli-Last von > 6 Min.
innerhalb von 24 Std. und bei etwa einem Viertel mindestens ein
Tag mit durchgehendem Vofli (s. Tab. 1). Der Anteil der
Patienten, die von ihren behandelnden Kardiologen deshalb
antikoaguliert wurden, war hingegen verhältnismäßig
niedrig und lag – abhängig von der Vofli-Last –
lediglich zwischen 13% und 27%. Die Ergebnisse der multivariaten
Regressionsanalyse rechtfertigen vermutlich das in der Praxis
zurückhaltende Vorgehen bei einem Großteil der Patienten:
Sie zeigen eine statistisch signifikante Reduktion des
Schlaganfallrisikos durch eine OAK nur in der Subgruppe von
Patienten, die mindestens einen Tag mit durchgehendem Vofli hatten
(Hazard Ratio: 0,28; 95%-Konfidenzintervall: 0,10-0,81; p = 0,02).
Die
Populationen dieser beiden Studien sind nur eingeschränkt
vergleichbar. In der Studie von Perino et al. handelt es sich um
kardiologische Patienten, in der AHS-Studie wurden dagegen kaum
selektierte, weitgehend gesunde Teilnehmer untersucht. Möglicherweise
kann bei letzteren die Indikation zur OAK noch zurückhaltender
gestellt werden. Es sei auch daran erinnert, dass Allgemeinmaßnahmen,
z.B. das Management der klassischen kardiovaskulären
Risikofaktoren, sich auch bei Vofli positiv auswirken (8).
Ein
Vofli-Screening
bei asymptomatischen Menschen oder unselektierten Patienten
ist aus unserer Sicht nicht sinnvoll. Da sich durch ubiquitär
verfügbare, persönliche elektronische Geräte die
Grenzen zwischen Lifestyle und Medizin zunehmend verwischen werden,
stellt sich aber leider nicht die Frage ob, sondern wann und in
welchem Ausmaß Hausärzte, Kardiologen und Rhythmologen mit
einem solchen „Screening“ konfrontiert werden – und
wie darauf rational und im Sinne der Patienten reagiert werden kann.
Literatur
-
Turakhia,
M.P., et al. (AHS
= Apple
Heart
Study):
Am. Heart J. 2019, 207,
66.
AMB
2018,
52,
39. 
- Turakhia,
M.P., et al. American
College of Cardiology 68th Annual Scientific Session & Expo;
March 16-18, 2019; New Orleans, Louisiana. Abstract 401-07.
- https://www.medscape.com/viewarticle/910509

- AMB
2019, 53,
17.

- AMB
2017,
51,
85.

- Gorenek,
B., et al.: Europace 2017, 19,
1556.
- Perino,
A.C., et al.: Circulation 2019, Epub
ahead of print.
- AMB
2014, 48,
55.

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