Kürzlich berichteten drei Publikationen im N. Engl. J. Med. über
den klinischen Verlauf von 10 Patienten mit Progressiver
Multifokaler Leukenzephalopathie (PML), die mit Pembrolizumab
(Keytruda®) oder Nivolumab (Opdivo®)
teilweise erfolgreich behandelt wurden (1-3). Pembrolizumab und
Nivolumab sind monoklonale Antikörper, die durch die Bindung an
den Programmed-Death-1-Rezeptor (PD-1) die Interaktion des Rezeptors
mit den Liganden PD-L1 und PD-L2 hemmen. Die physiologische Aufgabe
des PD-1-Signalweges ist es, eine dauerhafte T-Zell-Aktivierung und
damit eine überschießende Immunreaktion zu verhindern. Der
transmembranär exprimierte PD-1-Rezeptor fungiert als negativer
Regulator der T-Zell-Aktivität, da die Bindung an seine Liganden
die T-Zell-Proliferation sowie die Zytokinsekretion und damit die
Immunantwort hemmt. Er wird auf CD4+- und CD8+-Lymphozyten, aber auch
auf B-Lymphozyten und Natürlichen Killer(NK)-Zellen exprimiert.
Beide monoklonalen Antikörper werden im Rahmen der
Immuntherapie, vor allem bei Krebserkrankungen, als sog.
Checkpoint-Inhibitoren eingesetzt.
Die PML ist eine opportunistische Infektion des zentralen
Nervensystems mit dem JC-Virus (vgl. 4, 14; JC steht für
die Initialen des ersten Patienten). Zumeist handelt es sich um eine
Reaktivierung des Virus unter Immunsuppression, z.B. früher bei
AIDS, in letzter Zeit besonders unter der Behandlung mit Zytostatika
und monoklonalen Antikörpern (z.B. Rituximab) von
hämatologischen Systemerkrankungen sowie mit
Integrin-Inhibitoren (z.B. Natalizumab = Tysabri®),
die bei Multipler Sklerose und chronisch entzündlichen
Darmerkrankungen eingesetzt wurden (14). Bei der HIV-Infektion ist
die PML seltener geworden, denn durch die heutige antiretrovirale
Therapie wird ein Absinken der CD4-Zellen verhindert. Darüber
hinaus hat man bei einigen HIV-Patienten mit PML und niedriger
CD4-Zellzahl beobachtet, dass unter antiretroviraler Therapie und der
damit verbundenen Immunrekonstitution die PML ausheilen kann
(Übersicht bei 5). Die PML verläuft in der Regel fatal, und
es existiert bisher keine gut wirksame spezifische Therapie. Das o.g.
Wirkprinzip der Checkpoint-Inhibitoren erklärt auch teilweise
die mitunter lebensbedrohlichen und sogar tödlichen
Nebenwirkungen der PD-1-Checkpoint-Inhibitoren, die zunehmend häufig
zur Behandlung solider Tumore (z.B. beim Melanom; vgl. 6) und
hämatologischer Systemerkrankungen eingesetzt werden. Solche
Nebenwirkungen sind autoimmune Reaktionen, die an allen Organen
auftreten können. Zu diesen zählen Hautausschläge,
Pneumonitis, Kolitis, Hepatitis, Funktionsstörungen der
Schilddrüse bis hin zu tödlich verlaufenden Myokarditiden
(vgl. 7, 15, 16). Bereits vor einigen Jahren wurde
darüber berichtet, dass bei Patienten mit PML die
PD-1-Expression auf CD4- und CD8-Zellen verstärkt ist, besonders
auch auf den JC-Virus-spezifischen zytotoxischen CD8-Zellen, die
eigentlich die JC-Virus-Infektion kontrollieren sollten. Durch eine
Blockade des PD-1 könnte möglicherweise die Immunantwort
dieser spezifischen CD8-Zellen verstärkt werden. Dies konnte bei
einem HIV-Patienten mit PML tatsächlich nachgewiesen werden (8).
Die Antikörper Pembrolizumab und Nivolumab erkennen
unterschiedliche Epitope auf dem PD-1-Protein, jedoch sind ihre
präklinischen und klinischen Wirkungen sehr ähnlich. Beide
sind IgG4-Moleküle, die klein genug sind, die Blut-Hirn-Schranke
zu passieren (s. Kommentar bei 9). Sie haben eine Halbwertszeit von
26 Tagen und erreichen eine Sättigungskonzentration nach
6 Dosen. Beide Antikörper werden intravenös
verabreicht, Pembrolizumab üblicherweise in einer Dosierung von
2 mg/kg alle 3 Wochen, Nivolumab 3 mg/kg alle
2 Wochen. Die optimale Dosierung ist bisher unbekannt.
In den o.g. Publikationen wird über 8 (1) und in zwei weiteren
Fallberichten (2, 3) über je einen Patienten berichtet. Die
Patienten hatten unterschiedliche Grunderkrankungen (darunter
5 Patienten mit malignen Lymphomen) und zuvor verschiedene
immunsuppressive Therapien (überwiegend Chemotherapie und
Rituximab) erhalten oder andere Ursachen für Immunsuppression
(2 HIV und 3 mit Immundefizienz unklarer Ursache). Auch war der
Zeitraum seit dem Auftreten der PML und dem Beginn der Behandlung
(9 Patienten erhielten Pembrolizumab, einer Nivolumab) sehr
unterschiedlich (1-12 Monate). Das Alter der Patienten lag
zwischen 31 und 78 Jahren. Entsprechend den Kasuistiken konnte
man bei 4 eine klinische Besserung erkennen, bei 2 eine
Stabilisierung und bei 4 insgesamt eher eine Verschlechterung.
Nicht überraschend ist, dass die zwei HIV-positiven Patienten
unter denen mit dem besten klinischen Ansprechen waren, da bei ihnen
mit der antiretroviralen Therapie die Grunderkrankung gleichzeitig
wirksam behandelt wurde. Wie zu erwarten senkte die Behandlung mit
den PD-1-Inhibitoren den Anteil PD-1-bindender CD4- und CD8-Zellen im
Blut, etwas weniger ausgeprägt auch im Liquor. Bei 6 Patienten
waren Informationen über das Vorhandensein von
JC-Virus-spezifischen CD4- und CD8-Zellen vorhanden. Bei vier von
ihnen waren wenige spezifische Zellen nachweisbar, bei zwei keine. Es
profitierten nur Patienten von den Checkpoint-Inhibitoren, bei denen
die JC-Virus-spezifischen T-Zellen schon vor der Therapie vorhanden
waren. Ihre Zahl stieg durch die Behandlung weiter an, und der
klinische Verlauf war besser. Die beiden anderen Patienten starben.
Leider werden keine Ergebnisse mitgeteilt zum wichtigsten Parameter
für die immunologische Kontrolle der PML – den
Auswirkungen der PD1-Blockade auf die JC-Virus-spezifischen
zytotoxischen CD8+T-Lymphozyten.
Die MRT-Befunde bei diesen Patienten müssen mit Vorsicht
interpretiert werden, denn eine Verkleinerung der zerebralen
PML-Herde kann nicht immer als Erfolg der Therapie gewertet werden
(vgl. 9). Bei manchen Patienten können sich nämlich
die Herde auch durch eine weitere PML-verursachte Atrophie der weißen
Hirnsubstanz verkleinern. Das Fehlen einer vermehrten
Kontrastmittelaufnahme um die PML-Herde auch unter Therapie spricht
gegen ein starkes (lokales) inflammatorisches
Immunrekonstitutions-Syndrom (IRIS). Dies könnte auch mit der
zum Teil späten Behandlung der PML zu erklären sein. So
trat bei einem Patienten mit Hodgkin-Lymphom – außerhalb
der hier berichteten Fallserien – 24 Stunden nach
Injektion von Nivolumab eine schwere Form der PML im Bereich um die
zerebralen Herde auf (10). Die Hirnbiopsie zeigte eine Infiltration
mit CD4- und CD8-Zellen, vermutlich als Folge eines IRIS. Offenbar
muss man auch mit solchen unerwünschten Reaktionen rechnen.
Die Hoffnung, mit diesen Checkpoint-Inhibitoren eine gut wirksame
Immuntherapie der PML gefunden zu haben, wird außerdem dadurch
gedämpft, dass PML-Reaktivierungen auch unter regelmäßiger
(alle 2 Wochen) Therapie mit Nivolumab bei Hodgkin-Patienten
aufgetreten sind (11-13).
Fazit: Die Behandlung der Progressiven Multifokalen
Leukenzephalopathie (PML) mit PD-1-Inhibitoren ist ein interessanter
neuer Therapieansatz. Es sind aber noch viele Fragen offen. Eine
solche Therapie sollte prinizpiell derzeit nur bei solchen Patienten
mit PML erwogen werden, bei denen JC-Virus-spezifische T-Zellen
nachweisbar sind. Außerdem müssen Wirksamkeit und
Sicherheit der Checkpoint-Inhibitoren in kontrollierten Studien
überprüft werden.
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Erratum: JAMA Oncol. 2018, 4,
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