Zusammenfassung: In
der CREDENCE-Studie senkte der SGLT2-Inhibitor Canagliflozin in
Kombination mit einem ACE-Hemmer bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und
relevanter Proteinurie die Wahrscheinlichkeit für renale
Komplikationen. Dieser Effekt trat unabhängig vom Ausmaß
der Senkung von Blutzucker, Blutdruck und Körpergewicht auf.
Auch eine signifikante Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse war
nachweisbar. Gleichsinnige Ergebnisse gibt es auch für andere
SGLT2-Hemmer (Dapagliflozin,
Empagliflozin). Somit dürfte es sich bei der Reduktion
kardiorenaler Ereignisse um einen Klasseneffekt der SGLT2-Inhibitoren
handeln. Auch in der CREDENCE-Studie wurden vermehrt euglykämische
Ketoazidosen und Genitalinfektionen beobachtet. Während die
Nutzen-Risiko-Relation unter Studienbedingungen günstig
erscheint, könnte die breite Anwendung dieser Wirkstoffgruppe
bei
älteren und morbiden Patienten im „realen Leben“
wesentlich problematischer sein.
Eine gute Kontrolle von
Blutzucker und Blutdruck verlangsamt, aber verhindert nicht
Nierenschäden bei Diabetikern. Als evidenzbasierter
Behandlungsansatz zur Verzögerung einer diabetischen
Nephropathie (sog. „Nephroprotektion“) stehen bislang nur
Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) zur
Verfügung (1). Seit längerem gibt es Hinweise darauf, dass
auch das Inkretinmimetikum
Liraglutid und Inhibitoren des renalen
Natrium(Sodium)-Glukose-Cotransporters-2 (SGLT2-Inhibitoren) nicht
nur die kardiovaskulären, sondern auch die renalen
Komplikationen bei Typ-2-Diabetikern senken (2).
So
zeigte sich in der 2017 publizierten CANVAS-Studie (3) mit über
10.000 Typ-2-Diabetikern (primärer
Studienendpunkt kardiovaskulärer Tod, nicht tödlicher
Myokardinfarkt oder nicht tödlicher Schlaganfall), dass mit
Canagliflozin (Can) im Vergleich zu Plazebo signifikant seltener ein
vordefinierter kombinierter nierenspezifischer Endpunkt auftrat
(40%ige Minderung der GFR, Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie
oder Tod aus renalen Ursachen: Hazard Ratio = HR: 0,60;
95%-Konfidenzintervall = CI: 0,47-0,77) und dass die Albuminurie
seltener zunahm (HR: 0,73; CI: 0,67-0,79).
Diesen
positiven Effekten stehen jedoch bedeutsame Nebenwirkungen gegenüber:
Bei SGLT2-Inhibitioren betragen die Therapie-Abbruchraten 25-30%, und
es gibt Rote-Hand-Briefe und Risikosignale zu vermehrten genitalen
Infektionen, Fournier-Gangrän (4), euglykämischen
Ketoazidosen (5) sowie Amputationen im Bereich der unteren
Extremitäten (6). Deshalb war für uns die
Nutzen-Risiko-Relation weiterhin unklar (7).
Nun wurde im N. Engl. J.
Med. die multizentrische CREDENCE-Studie publiziert (8), in der die
Beobachtungen aus der CANVAS-Studie aufgenommen und speziell die
Wirkungen des SGLT2-Inhibitors Can auf die Nierenfunktion von
Typ-2-Diabetikern untersucht wurden. Die Studie wurde vom
Zulassungsinhaber Janssen Cilag finanziert. Die Bedeutung dieser
Studie für Patienten und ihre behandelnden Ärzte könne
laut der beiden Kommentatoren Julie
Ingelfinger von der Tufts University in Boston und Clifford Rosen vom
Center for Clinical and Translational Research in Scarborough nicht
überbewertet werden (9).
Can wurde 2014 von der
Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) als zweiter
SGLT2-Inhibitor nach Dapagliflozin zur Mono- und Kombinationstherapie
bei erwachsenen Patienten mit Typ-2-Diabetes zugelassen. Can
hat jedoch nach gültiger Beschlusslage des Gemeinsamen
Bundesausschusses (G-BA) keinen Zusatznutzen (10). Der
pharmazeutische Unternehmer (pU) Janssen Cilag konnte keine Belege
vorlegen, dass Can als Monotherapie gegenüber einer zweckmäßigen
Vergleichstherapie (Sulfonylharnstoffe) Vorteile hat. Dieser
Beschluss hat dazu geführt, dass der Janssen Cilag nicht den
erhofften Preis erzielen konnte und das Medikament in Deutschland
wieder vom Markt genommen hat. In Österreich befindet sich Can
in der gelben Box, d.h. es muss im Einzelfall bewilligt werden.
Andere SGLT2-Hemmer wurden in der Nutzenbewertung des G-BA ähnlich
eingestuft wie Can, jedoch haben sich deren pU mit einem um 40-50%
geringeren Preis abgefunden (11).
Can darf – wie alle
SGLT2-Inhibitoren – laut Fachinformationen nur bei Patienten
mit einer Kreatinin-Clearance (CrCl) > 60 ml/min und
somit bislang nicht bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz
angewendet werden. Bei Patienten, die bereits auf Can eingestellt
sind, dieses vertragen und deren CrCl auf < 60 ml/min
abfällt, soll die Dosis 100 mg/d nicht überschreiten.
Bei einer anhaltenden CrCl < 45 ml/min muss Can
abgesetzt werden. Bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz
oder Dialysepflicht ist auf Grund des Wirkmechanismus der
SGLT2-Inhibitoren keine blutzuckersenkende Wirkung mehr zu erwarten
(12).
Ein- und
Ausschlusskriterien:
In die CREDENCE-Studie wurden Typ-2-Diabetiker
(HbA1c-Wert: 6,5%-12,0%, in Deutschland 6,5%-10,5%) mit einer
reduzierten GFR (≥ 30 bis < 90 ml/min) und einer
Proteinurie (Albumin/Kreatinin-Ratio im Urin 300-5.000 mg/g)
eingeschlossen. Bei 60% der Patienten sollte die GFR < 60 ml/min
liegen. Ausgeschlossen wurden u.a. Patienten mit einer nicht
diabetischen Nephropathie, Typ 1-Diabetes, unkontrollierter
Hypertonie, Kaliumwerten > 5,5 mmol/l, > 2fach
erhöhter ALAT bzw. > 1,5fach erhöhter
Bilirubinwerte, einer Vorgeschichte mit diabetischer Ketoazidose,
Hämodialyse oder Nierentransplantation sowie einer
unzureichenden Arzneimitteladhärenz. Diese wurde in einer
2-wöchigen, einfach verblindeten Plazebo-Run-In-Phase getestet.
Alle Patienten mussten eine stabile Dosis eines ACE-Hemmers oder
Angiotensin-II-Rezeptorblockers einnehmen (maximal tolerierte Dosis
für mindestens 4 Wochen).
Intervention und
Endpunkte:
Die Studienteilnehmer erhielten doppelblind zu ihrer üblichen
Therapie entweder Can (einmal 100 mg/d oral) oder Plazebo. Die
Randomisierung erfolgte innerhalb von 3 Blöcken, je nach
Ausgangs-GFR (30-< 45 ml, 45-< 60 ml und
60-< 90 ml/min). Primärer Studienendpunkt war eine
Kombination von drei nierenspezifischen Ereignissen: 1. terminale
Niereninsuffizienz (definiert als GFR-Abfall auf < 15 ml/min,
Dialyse für mindestens 30 Tage oder Nierentransplantation),
2. Verdopplung des Serumkreatinins über mindestens 30 Tage
oder 3. Tod durch Nieren- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Darüber hinaus gab es mehrere kombinierte sekundäre
Endpunkte wie die kardiovaskulären Ereignisraten und
Sicherheitsendpunkte, darunter Amputationen im Bereich der
Extremitäten, Ketoazidosen, Harnwegs- und Genitalinfektionen.
Es sollten mindestens
4.200 Patienten eingeschlossen werden, um einen 20%igen Vorteil
von Can gegenüber Plazebo erkennen zu können. Die
Nachbeobachtung sollte so lange durchgeführt werden bis
844 Endpunkt-Ereignisse erreicht sind. Bei einer geplanten
Zwischenanalyse nach 585 Ereignissen wurde die Studie jedoch
durch ein unabhängiges Data Monitoring Committee vorzeitig
abgebrochen, da der Unterschied zwischen Can und Plazebo eine
vordefinierte Grenze überschritten hatte.
Ergebnisse:
Zwischen 2014 und 2017 wurden an 690 Standorten in 34 Ländern
insgesamt 12.900 Patienten gescreent und 4.401 Patienten
randomisiert (34,1% aller gescreenten).
Das
mittlere Alter betrug 63 Jahre, 33,9% waren Frauen. Der
durchschnittliche HBA1c-Wert betrug bei Studienbeginn 8,3%, die
mittlere GFR 56,2 ml/min, die mediane Albumin/Kreatinin-Ratio im
Urin 927 mg/g. Bei 29% lag die GFR zwischen 30-44 ml/min
(n = 1.313), bei weiteren 29% zwischen 45-59 ml/min
(n = 1.279) und bei 41% zwischen 60-89 ml/min
(n = 1.809). Die Grundrisiken waren in den beiden
Studienarmen gleich verteilt: die Diabetesdauer betrug
durchschnittlich 15,8 Jahre und der BMI 31,3 kg/m2;
eine arterielle Hypertonie hatten 96,8% und eine manifeste
kardiovaskuläre Erkrankung 50,4%. Die antidiabetische
Begleittherapie bestand aus: Insulin (65,5%), Metformin (57,8%),
Sulfonylharnstoffen (28,8%), Hemmern der Dipeptidylpeptidase 4
(DPP4-Inhibitoren = Gliptine; 17,1%), Glucagon-like
Peptid-1-Rezeptor-Agonisten (Inkretinmimetika; 4,2%) und anderen
oralen Antidiabetika (6,3%).
Bei Studienabbruch betrug
die mediane Nachbeobachtung 2,62 Jahre (Spanne 0,02-4,53), und
der Gesundheitsstatus war bei allen bis auf 6 Patienten bekannt.
Insgesamt 1.201 Patienten (27,3%) hatten die Studienmedikation
abgesetzt (Can: 24,7% vs. Plazebo: 29,9%), meist wegen unerwünschter
Ereignisse (12% vs. 13%) oder aus „persönlichen Gründen“
(7,5% vs. 9,1%).
Der primäre Endpunkt
trat mit Can signifikant seltener auf als mit Plazebo, die relative
Risikoreduktion wird mit 30% berechnet (s. Tab. 1). Der
Effekt war in allen Regionen und untersuchten Subgruppen ähnlich,
wenngleich nicht immer signifikant unterschiedlich. So war der Nutzen
bei den europäischen Patienten (n = 864) geringer (18%
Risikoreduktion) und das CI sehr weit (HR: 0,82; CI: 0,54-1,24).
Can war auch bei den Patienten mit der niedrigsten Ausgangs-GFR
(30-44 ml/min)
effektiv (Ereignisrate 72,2 vs. 95,4/1.000 Patientenjahre; HR: 0,75;
CI: 0,59–0,95).
Can führte auch bei
vielen untersuchten sekundären Endpunkten (alles kombinierte
Ereignisse) zu einem signifikant besseren Ergebnis. Nicht signifikant
unterschiedlich waren die beiden Behandlungsstrategien jedoch beim
Endpunkt Tod aus allen Ursachen: 29,0% vs. 35,0% (HR: 0,83;
CI: 0,68-1,02).
Weitere Unterschiede zu
Gunsten von Can fanden sich bei der Senkung des HbA1c-Werts
(Differenz: 0,25 Prozentpunkte), des systolischen (Differenz:
3,3 mm Hg) und des diastolischen Blutdrucks (Differenz:
0,95 mm Hg) und des Körpergewichts (Differenz: 0,80 kg).
Die pathophysiologisch vielleicht wichtigste Beobachtung ist, dass
die Proteinurie mit Can am Studienende um 31% niedriger war als zu
Beginn; mit Plazebo blieb sie gleich.
Unerwünschte
Ereignisse:
Diese wurden in der Can-Gruppe ähnlich häufig beobachtet
wie in der Plazebo-Gruppe (s. Tab. 1). Es zeigte sich weder
ein signifikanter Unterschied bei der Häufigkeit von
Harnwegsinfekten, von Amputationen im Bereich der Extremitäten
noch bei Frakturen. Diabetische Ketoazidosen und genitale Mykosen
waren mit Can jedoch deutlich häufiger. Jedes Jahr wäre
demnach bei 1 von 450 mit Can behandelten Patienten mit einer
lebensbedrohlichen Ketoazidose zu rechnen. Es ist zu befürchten,
dass dieser Wert im realen Leben noch höher ist als in Studien –
aufgrund der Behandlung älterer und sehr morbider Patienten
sowie nicht ausreichender Beachtung der Nebenwirkungen durch die
behandelnden Ärzte. Angaben über die Häufigkeit von
Ketoazidosen und anderen Nebenwirkungen in Abhängigkeit vom
Stadium der Niereninsuffizienz werden leider nicht mitgeteilt.
Diskussion:
Die Autoren berechnen auf der Basis dieser Ergebnisse, dass durch
eine 2,5-jährige Therapie mit Can bei 1.000 Patienten 47
primäre Endpunktereignisse verhindert werden können, was
einer Number Needed to Treat (NNT) von 22 entspricht, darunter 24
terminale Nierenerkrankungen (NNT: 43). Zudem könnten 22
Krankenhausaufenthalte wegen Herzinsuffizienz verhindert werden
(NNT: 46) und 25 weitere kardiovaskuläre Ereignisse
(NNT: 40). Da alle diese Effekte unabhängig vom Ausmaß
der Senkung von Blutzucker, Gewicht und Blutdruck auftreten, sei ein
eigenständiger Wirkmechanismus zu vermuten. Die Kommentatoren
diskutieren als wesentlichen Mechanismus eine Verringerung des
intraglomerulären Filtrationsdrucks (9). SGLT2-Hemmer erhöhen
die Glukose- und Natrium-Konzentration im distalen Nierentubulus.
Über einen intrarenalen Reflexbogen resultiere eine
Vasokonstriktion der afferenten Arteriolen der Glomeruli mit
konsekutiver Senkung des Filtrationsdrucks und Abnahme der
Proteinurie. Für diese These spricht, dass mit Can anfänglich
ein rascherer Abfall der GFR beobachtet wurde. Nach 12 Monaten
schneiden sich dann aber die Kurven, und nach 42 Monaten war der
GFR-Abfall mit Can etwas weniger ausgeprägt (-12 vs.
-17 ml/min).
Klasseneffekte?
Renale Funktionsverschlechterungen als
sekundäre Endpunkte wurden
auch in der im Januar erschienenen DECLARE-TIMI-58-Studie
mit Dapagliflozin (13) und in der EMPA-REG-Outcome mit Empagliflozin
(14) untersucht. In DECLARE-TIMI 58 zeigte sich bei > 17.000
Typ-2-Diabetikern eine Reduktion renaler Ereignisse um 24% (4,3% vs.
5,6%; HR: 0,76; CI: 0,67-0,87) und in EMPA-REG Outcome mit
> 7.000 Typ-2-Diabetikern um 39% (12,7% vs. 18,8%; HR: 0,61;
CI: 0,53-0,70). Ähnlich wie bei den kardiovaskulären
dürfte es sich als auch bei den renalen Wirkungen um einen
Klasseneffekt handeln. Derzeit
laufen bereits Studien, die eventuelle „nephroprotektive“
Effekte von SGLT2-Hemmern bei Nicht-Diabetikern untersuchen.
Literatur
-
AMB
2006,
40,
06
.
AMB
2008, 42,
35.

-
AMB
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-
Neal,
B., et al. (CANVAS = CANagliflozin
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Study):
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2017, 51,
75.

- Rote-Hand-Brief
vom 21.1.2019.
(Zugriff am 31.5.2019).
-
https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/
Pharmakovigilanz/DE/RHB/2016/info-sglt2.html

-
https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/
Pharmakovigilanz/DE/RHB/2016/info-canagliflozin.html

-
AMB
2016, 50,
52
.
AMB
2017, 51,
96.

- Perkovic,
V., et al. (CREDENCE = Canagliflozin
and Renal
Events
in Diabetes
with Established
Nephropathy
Clinical
Evaluation)
N. Engl. J. Med. 2019, Apr 14.
- Ingelfinger,
J.R., und Rosen, C.J.: N. Engl. J. Med. 2019 Apr 14.
- Beschluss
des GBA zu Invokana®
vom 4.9.2014.
(Zugriff am 22.5.2019).
-
Freichel,
M., und Mengel, K.: Antidiabetika. In: Schwabe, U., Paffrath, D.,
Ludwig, W.-D., Klauber, J. (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2018.
Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg. S. 359.
- EPAR
Invokana®.
(Zugriff am 22.5.2019).
-
Wiviott,
S.D., et al (DECLARE-TIMI 58 = Dapagliflozin
Effect
on CardiovascuLAR
Events-Thrombosis
In
Myocardial
Infarction
58): N. Engl. J. Med. 2019, 380,
347.
-
Wanner,
C., et al. (EMPA-REG OUTCOME =
EMPAgliflozin
cardiovascular outcome event trial in type 2 diabetes mellitus
patients):
N. Engl. J. Med. 2016, 375,
323
. Vgl. AMB 2017, 51,
75 . AMB 2015, 49,
82. 
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