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Meldungen von Nebenwirkungen als Geschäftsmodell?

Es könnte durchaus sein, dass Sie demnächst eine E-Mail erhalten, die versucht, Sie von den Vorteilen einer schnellen Bearbeitung unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) zu überzeugen. Dahinter verbirgt sich dann höchstwahrscheinlich ein Münchner Start-up-Unternehmen (Medikura Medical Health GmbH), das als „Postbote“ von UAW-Meldungen zwischen Patienten, Ärzten und pharmazeutischen Unternehmern (pU) agiert. Auf einer bereits fleißig durch eine deutsche Krankenkasse beworbenen, aber auch kritisierten Internetplattform (1, 2) können Patienten vermutete Nebenwirkungen (NW) – die Bezeichnungen UAW und NW werden heute synonym verwendet (vgl. 3) – in einem Online-Formular selbst schildern, die verordnenden Ärzte benennen und diese von ihrer Schweigepflicht entbinden. Laut Prozessbeschreibung auf der Webseite der Firma (4) erhalten die Ärzte dann per E-Mail eine Information über diese Meldung mit einem Link auf einen „persönlichen UAW-Manager“. In einem geschützten Bereich können sie die UAW-Meldung einsehen und ggf. ergänzen. Sie hätten auch die Möglichkeit, direkt mit den meldenden Patienten in Kontakt zu treten. Die Ärzte können festlegen, ob sie im weiteren Prozess namentlich erscheinen. Die (wie auch immer) „überprüften Informationen“ werden dann pseudonymisiert an den jeweiligen pU weitergeleitet. Dieser kann wiederum mit der meldenden Person oder deren Ärzten Kontakt aufnehmen und Rückfragen stellen. Die UAW-Meldung würde dann vom pU auf Grund dessen gesetzlicher Verpflichtung an die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) weitergeleitet. Offen bleibt, ob und wie das von Medikura auch kontrolliert wird.

Das Start-up-Unternehmen greift mit diesem Geschäftsmodell ein Problem auf, über das wir uns schon häufig beklagt haben: die mangelnde Meldefreudigkeit von UAW, vor allem durch die Ärzte. Ein systematisches Review kam 2006 zu dem Ergebnis, dass nur 6% der wahrgenommenen UAW gemeldet werden (5). Um dieses „Under-reporting“ zu verbessern, besteht seit 2013 in der EU die Möglichkeit, dass auch betroffene Patienten Nebenwirkungen direkt an die Bundesoberbehörden melden können. In Deutschland kann dies erfolgen auf den Seiten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI; 6), in Österreich auf den Seiten des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG; 7). Die Online-Formulare für Patienten orientieren sich allerdings formal stark an den bekannten Meldeformularen für Fachpersonal und dürften für die meisten Betroffenen eine (zu) hohe Hürde sein. Eine Geschäftsführerin von Medikura hat diese Erfahrung auch gemacht. Sie hatte 2015 selbst eine Nebenwirkung nach Einnahme eines Arzneimittels und wollte diese melden. Der Meldeprozess habe sich jedoch als so langwierig erwiesen, dass sie begann, nach Alternativen zu suchen. Da es diese nicht gab, habe man diese eben entwickelt (8).

Nationale Statistiken zur Häufigkeit von Direktmeldungen durch Patienten konnten wir nicht finden. Die EMA berichtet, dass sie im Jahre 2018 von rund 1 Mio. UAW-Meldungen aus dem europäischen Wirtschaftsraum insgesamt 172.762 von Patienten erhalten hat, entweder über die nationalen Behörden oder vom pU bzw. einem Sponsor klinischer Studien. Im Vergleich zu 2017 sei dies ein Zuwachs um 91% (9). Ob und wie häufig hierunter schon Meldungen aus solchen Online-Portalen erfolgt sind, wird nicht angegeben.

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) lehnt das Geschäftsmodell der Medikura strikt ab, auch aufgrund der „Verarbeitung und Vermittlung von sensiblen medizinischen Daten von einzelnen Patienten im Zusammenhang mit der Arzneimittelsicherheit durch ein gewinnorientiertes Unternehmen der Datenverarbeitung“ (10). Die Arzneimittelsicherheit sei ein Anliegen des öffentlichen Gesundheitswesens. Daher solle sie auch in den Händen öffentlicher, nicht gewinnorientierter und unabhängiger Institutionen verbleiben. Während die Aktivitäten von pU in der Arzneimittelsicherheit, beispielweise durch Auditierungen von Behörden gesetzlich geregelt sind und auch überprüft würden, seien Transparenz und Aufsicht über die Prozesse bei privaten Anbietern ungeregelt und daher unsicher (10). Patienten sollten sich bei Verdacht auf eine Nebenwirkung zuallererst an ihren Arzt oder Apotheker bzw. die oben genannten Bundesoberbehörden wenden. Auch die AkdÄ nimmt Meldungen von Patienten entgegen und bewertet sie, ggf. in Kooperation mit den jeweils behandelnden Ärzten. In einem aktuellen Leitfaden mit dem Titel „Nebenwirkungen melden“ informiert die AkdÄ Ärzte unter anderem darüber, welche Nebenwirkungen gemeldet werden und welche Daten eine Nebenwirkungsmeldung enthalten sollte (11).

Wir schließen uns dieser Einschätzung der AkdÄ an. Medikura will mit der Meldeplattform und den gewonnenen Informationen Geld verdienen. Neben Fördergeldern durch die Europäische Union, die deutsche Bundesregierung und den Freistaat Bayern hat das Start-up auch Kapital von Privatinvestoren erhalten (12). Derzeit bietet Medikura den pU, Krankenversicherungen und anderen Partnern beispielsweise UAW-Daten „zur datengetriebenen Arzneimittelforschung“ an. Außerdem könne der pU über die Plattform von Medikura direkt mit Patienten, Ärzten und Apothekern in Kontakt treten (13). Derzeit findet sich auf der Seite (noch?) keine erkennbare Werbung von der Industrie. Für die Zukunft ist dies jedoch nicht auszuschließen, denn schließlich soll sich das investierte Kapital ja vermehren.

Besser also, Sie hinterlassen Ihre privaten Daten nicht in dem „geschützten Bereich“ eines IT-Start-up-Unternehmens, das mit diesen Daten Geld verdienen möchte und raten den Patienten, sich mit einer Nebenwirkungsmeldung direkt an die zuständige Bundesoberbehörde oder in Deutschland an die AkdÄ zu wenden.

Literatur

  1. www.nebenwirkungen.de Link zur Quelle (Zugriff am 22.5.2019).
  2. https://www.akdae.de/Stellungnahmen/Weitere/20190405.pdf Link zur Quelle (Zugriff am 22.5.2019).
  3. AMB 2015, 49, 22. Link zur Quelle
  4. https://arzt.nebenwirkungen.de/ Link zur Quelle (Zugriff am 22.5.2019).
  5. Hazell, L., und Shakir, S.A.: Drug Saf. 2006, 29, 385. Link zur Quelle
  6. https://nebenwirkungen.pei.de/nw/DE/ home/home_node.html Link zur Quelle
  7. https://www.basg.gv.at/pharmakovigilanz/ meldung-von-nebenwirkungen/ meldung-fuer-patienten-und-angehoerige/ Link zur Quelle
  8. Informationsblatt der Medikura GmbH. Link zur Quelle (Zugriff am 24.5.2019).
  9. https://www.ema.europa.eu/en/ documents/report/ 2018-annual-report- eudravigilance-european-parliament- council-commission-reporting- period-1-january_en.pdf Link zur Quelle (Zugriff am 22.5.2019).
  10. https://www.akdae.de/Service/Newsletter/Archiv/News/ Archiv/2019-19.html Link zur Quelle (Zugriff am 22.5.2019).
  11. https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/ LF/PDF/Nebenwirkungen_melden.pdf Link zur Quelle (Zugriff am 22.5.2019).
  12. https://spotfolio.com/2018/12/04/ die-medikura-digital-health-gmbh-s ammelt-eine-hohe-sechsstellige-summe- von-privatinvestoren-ein/ Link zur Quelle (Zugriff am 24.5.2019)
  13. https://www.medikura.com/pharma/ Link zur Quelle (Zugriff am 22.5.2019).