Etwa
20% der weltweit 380 Mio. Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2
(DM2) haben eine eingeschränkte Nierenfunktion mit einer
glomerulären Filtrationsrate (GFR) < 60 ml/min/1,73 m2
(1). Entgegen geltender Leitlinien werden viele DM2-Patienten mit
moderater chronischer Niereninsuffizienz (CKD) bei reduzierter
errechneter glomerulärer Filtrationsrate (eGFR; 2) nicht
mit Metformin (Met) behandelt. Hierin spiegelt sich die Unsicherheit
wider, Met bei niereninsuffizienten Patienten einzusetzen wegen der
Akkumulation von Met und der gefürchteten Laktatazidose (3).
Nach den Ergebnissen einer großen Cochrane- und
MEDLINE-Datenbank-Analyse wurde 2014 eine Entwarnung formuliert:
Unter Met werden bei moderater Einschränkung der Nierenfunktion
im Bereich einer eGFR von 30-60 ml/min zwar höhere
Met-Spiegel gemessen, sie liegen aber meist noch im therapeutischen
Bereich (4). Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass mit einer
relevanten Laktatazidose nicht zu rechnen ist, solange die
Nierenfunktion bei reduzierter eGFR überwacht wird.
Die
amerikanische FDA hatte ihre aktuellen Empfehlungen dahingehend
überarbeitet, dass Met bei einer eGFR < 45 ml/min
nur nach gründlicher Abwägung von Nutzen und Risiken
eingesetzt werden sollte und bei einer eGFR < 30 ml/min
eine Kontraindikation besteht (5). Auch die Europäische
Arzneimittel-Agentur (EMA) hat die Grenzwerte der Nierenfunktion für
die Verordnung von Met im Jahr 2016 heruntergesetzt: Met kann jetzt
bis zu einer GFR von 30 ml/min in einer Dosierung von zweimal
500 mg/d verordnet werden (16). Met gilt wegen seines günstigen
Nutzen-Risiko-Profils mit Reduktion der Diabetes-Letalität
(6, 14), des im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen deutlich
geringeren Risikos für Hypoglykämien und kardiovaskuläre
Ereignisse (15) sowie der niedrigen Kosten weiterhin als
Erstlinientherapie für DM2 (7). Die Nationale
Versorgungs-Leitlinie Nierenerkrankungen bei Diabetes im
Erwachsenenalter der Bundesärztekammer wird derzeit überarbeitet
(13). Im JAMA erschien 2018 eine weitere bedeutsame, große
Studie zu diesem Thema (8).
Studiendesign:
In diese retrospektive US-amerikanische Kohortenstudie wurden
75.413 Patienten mit DM2 aus dem Geisinger Health System
(Pennsylvania) eingeschlossen, bei denen die Nierenfunktion im
Verlauf der Therapie mit Met während der Jahre 2004-2017
regelmäßig überprüft und dokumentiert worden war
(= Ausgangskohorte). Patienten mit unklarem GFR-Status oder einer GFR
< 15 ml/min wurden ausgeschlossen. Primärer
Endpunkt war die stationäre
Aufnahme wegen einer Azidose (ICD-9-CM-Code 276.2; dieser schließt
diabetische Ketoazidosen aus).
Die Ergebnisse dieser Ausgangskohorte
wurden mit einer zweiten Kohorte (Replikationskohorte) von
82.017 Patienten aus 350 weiteren US-amerikanischen privaten
Gesundheitssystemen der MarketScan-Datenbank verglichen. Aus dieser
wurden 67.578 Patienten rekrutiert, die Met neu und 14.439, die
ein Sulfonylharnstoff-Präparat neu verordnet bekommen hatten.
Das Risiko für eine Azidose unter Met im Vergleich zum
Sulfonylharnstoff wurde evaluiert unter Berücksichtigung von
Geschlecht, Alter, eGFR, kardiovaskulärer Erkrankung,
Herzinsuffizienz, arterieller Hypertonie sowie dem Gebrauch von
Insulin, Renin-Angiotensin-Inhibitoren, Diuretika und
nichtsteroidalen Antiphlogistika. Definierter Endpunkt war eine
stationäre Aufnahme mit Azidose, Beendigung oder Wechsel der
antidiabetischen Therapie unter Verzicht auf Met, Tod oder Erreichen
des zeitlich festgelegten Studienendes (31. Dezember 2014), je
nachdem welches Ereignis zuerst eintrat
Die Patienten der Ausgangskohorte
waren im Mittel 60 Jahre alt, 51% waren Frauen. Der
Ausgangs-Serumkreatinin-Wert wurde festgelegt als der Wert, der
innerhalb des jeweiligen letzten Jahres zeitlich dicht am
Studieneinschluss lag. Er wurde im Durchschnitt etwa zweimal im Jahr
kontrolliert. 14.662 Patienten hatten eine eGFR < 60 ml/min
und 1.765 < 30 ml/min. Der mittlere Body-Mass-Index
(BMI) betrug 34,1 kg/m2.
Es wurden 34.095 Patienten (45%) von Anfang an mit Met
behandelt, und 13.781 erhielten eine Met-Verschreibung im Verlauf der
Studie. Die Therapiedauer mit Met betrug im Median 2,8 Jahre
(Interquartile range = IQR: 0,9-6,2 Jahre).
Ergebnisse beider Kohorten:
In einer medianen Nachbeobachtung über 5,7 Jahre (IQR:
2,5-9,9 Jahre) wurden insgesamt 2.335 Patienten der
Ausgangskohorte stationär aufgenommen mit einer Azidose, die
keine Ketoazidose war (ICD-9-CM-Code 276.2). Im Vergleich zu anderen
Diabetestherapien konnte unter Met-Behandlung in dem
Beobachtungszeitraum keine erhöhte Inzidenz von Azidosen im
Gesamtkollektiv gefunden werden (adjusted Hazard Ratio = HR: 0,94;
95%-Konfidenzintervall = CI: 0,83-1,05). Unter Berücksichtigung
der unterschiedlichen CKD-Stadien waren die Ergebnisse wie in Tab. 1
wiedergegeben. Ein fast doppelt so hohes Azidoserisiko ergab sich bei
Patienten mit einer eGFR < 30 ml/min. Eine
Berücksichtigung der oben genannten Komedikationen als
Einflussfaktoren führte nicht zu abweichenden Ergebnissen
(HR: 2,21 für eGFR < 30 ml/min). Bei allen
Patienten nahm das Risiko für eine Azidose mit abnehmender eGFR
zu, unabhängig von der Medikation. Die Inzidenz stieg von
4 Ereignissen pro 1.000 Patientenjahre bei normaler
Nierenfunktion über die jeweiligen eGFR-Stadien auf 7, dann 10
bis schließlich 24 Ereignisse bei einer eGFR < 30 ml/min.
Gleiche Ergebnisse fanden sich bei
Patienten der Replikationskohorte, die neu auf Met eingestellt worden
waren im Vergleich zu einer Neueinstellung auf einen
Sulfonylharnstoff. Wurden Patienten mit Insulintherapie als
potenzieller Störfaktor zu Beginn der Studie ausgeschlossen,
ergab sich in der Ausgangskohorte bei einer eGFR zwischen 30 und
44 ml/min eine HR von 1,16 (CI: 0,87-1,57). In der
Replikationskohorte mit eGFR 30 bis 44 ml/min war die HR 0,86
(CI: 0,37-2,01). In allen Subanalysen bestätigte sich das
annähernd doppelt so hohe Azidoserisiko für Patienten mit
stark eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR < 30 ml/min).
Die Autoren weisen auf etliche
Einschränkungen in der Aussagekraft ihrer Studie hin, z.B. dass
der ICD-9-CM-Code 276.2, der auch in früheren Studien verwendet
wurde (9, 10), nicht differenziert zwischen einer Laktatazidose
und einer Azidose aus anderen Ursachen, z.B. im Rahmen von
Malnutrition, Lebererkrankungen, Sepsis oder medikamentös-toxisch.
Bei der Verschlechterung der Nierenfunktion wurde auch nicht
unterschieden zwischen einem möglichen Auslöser für
ein Akutes Nierenversagen bzw. dem Progress einer chronischen
Grunderkrankung.
Diskussion:
Die Studienergebnisse bestätigen ältere Studien, die keinen
signifikanten Einfluss von Met auf die Häufigkeit einer
Laktatazidose nachweisen konnten (11). Sie stimmen auch mit den
aktuellen Empfehlungen der FDA (5) zur Met-Therapie überein,
stehen aber im Widerspruch zu einer großen Kohortenstudie aus
England von 2014 (12). Hier waren 258.539 Patienten aus der UK
General Practice Database auf den Zusammenhang zwischen Azidose und
Met-Therapie bei reduzierter eGFR < 60 ml/min
untersucht worden. Die HR
für ein Laktat > 5 mmol/l (45 mg/dl) betrug
6,37 (CI: 1,48-27) für Met-behandelte DM2-Patienten im
Vergleich zu solchen, die nie mit Met behandelt worden waren.
Allerdings hat diese Studie Mängel, z.B. wurde die
altersbedingte oder eine eventuelle interkurrente Abnahme der eGFR
nicht berücksichtigt. Als besonderer Risikofaktor für eine
Laktatazidose wurde in dieser UK-Studie eine Met-Dosis > 2 g/d
identifiziert (HR: 13,0; CI: 2,36-72,0).
Fazit:
Nach den Ergebnissen dieser Beobachtungsstudie (8) besteht unter
Metformin (Met) bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und
chronischer Niereninsuffizienz erst dann ein relevantes Azidoserisiko
(diabetische Ketoazidose ausgeschlossen), wenn die eGFR einen Wert
< 30 ml/min
ergibt (HR: 2,21).
Diese Patienten dürfen nicht mit Met behandelt werden. Bei
Patienten mit einer eGFR im Grenzbereich oberhalb von 30 ml/min
sollte die Nierenfunktion
unter Met-Therapie eng überwacht werden, denn sie kann sich
durch interkurrente Erkrankungen, z.B. Dehydratation oder
Infektionen, rasch in den Risikobereich für eine Laktatazidose
verschlechtern. Auch Metformin-Dosierungen von > 2 g/d
sind mit einem höheren Risiko für Azidosen assoziiert (12).
Literatur
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- https://www.fda.gov/media/96771/download

- UK
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.
Vgl. AMB
2009, 43,
24 .
AMB
2008, 42,
94.

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F.F., et al.: Diabetes Care 2014, 37,
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W.L., et al.: Diabetes Care 2014, 37,
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- https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/nvl-001g.html

- Marcum,
Z.A., et al.: J. Gen. Intern. Med. 2018, 33,
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- Douros,
A., et al.: BMJ 2018, 362,
k2693.
. AMB
2018, 52,
62.

- https://www.ema.europa.eu/...

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