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Pharmakotherapie beim frühen idiopathischen Parkinson-Syndrom

Zusammenfassung: Zur Therapie des idiopathischen Parkinson-Syndroms (IPS) im frühen Stadium stehen drei Wirkstoffgruppen zur Verfügung. Bei geringen motorischen Einschränkungen sind die MAO-B-Hemmer Selegilin und Rasagilin zur initialen Monotherapie geeignet. Bei relevanten motorischen Symptomen sollte die Behandlung mit Levodopa oder einem Dopamin-Agonisten begonnen werden, ggf. in Kombination. Levodopa ist weiterhin als wirksamstes Arzneimittel der Goldstandard in der Therapie des IPS. Eine vermutete neurotoxische Wirkung von Levodopa hat sich in klinischen Studien nicht bestätigt. Levodopa ist in höherer Dosierung in der Langzeittherapie mit einem erhöhten Risiko für motorische Wirkungsfluktuationen und Dyskinesien assoziiert. Die Therapie mit Dopamin-Agonisten (Ropinirol, Pramipexol, Piribedil, Rotigotin) reduziert das Risiko motorischer Fluktuationen und Dyskinesien, ist jedoch wegen deutlich häufigeren anderen unangenehmen Nebenwirkungen eingeschränkt, insbesondere Impulskontrollstörungen. Die medikamentöse Therapie des IPS erfordert einen individualisierten Ansatz.

Das IPS ist nach der Alzheimer-Demenz die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Eine protektive Therapie des IPS, die den Progress der Neurodegeneration günstig beeinflussen könnte, existiert bisher nicht.

Levodopa wurde vor 50 Jahren zur Therapie des IPS eingeführt und gilt bis heute als der effektivste Wirkstoff zur Behandlung der motorischen Kardinalsymptome Rigor und Bradykinese (vgl. Tab. 1). Levodopa wird stets in fixer Kombination mit den Decarboxylase-Hemmern Benserazid oder Carbidopa verabreicht, um periphere Nebenwirkungen zu vermeiden, insbesondere Übelkeit. Im Verlauf der Erkrankung wird Levodopa praktisch von allen Patienten benötigt, zumeist nach 2-3 Jahren (1). Kontrovers diskutiert wird allerdings der optimale Zeitpunkt des Beginns der Therapie mit Levodopa (2). Seit mindestens 30 Jahren wird von vielen Experten empfohlen, Levodopa möglichst spät im Krankheitsverlauf einzusetzen und initial andere Wirkstoffe zu verordnen, die auch die Symptome des IPS bessern, insbesondere Dopamin-Agonisten (3, 4). Diese Empfehlung basiert auf der Beobachtung, dass unter einer längerfristigen und hoch dosierten Therapie mit Levodopa im Verlauf der Erkrankung motorische Fluktuationen mit Wechsel zwischen guter und schlechter Beweglichkeit (On- und Off-Phasen) sowie Dyskinesien (unwillkürliche Bewegungen der Extremitäten und des Rumpfs) häufiger auftreten können (5). Nachdem in-vitro-Experimente auf einen neurotoxischen Effekt von Levodopa hinwiesen (6), der allerdings in therapeutischen Dosen und in vivo nicht nachweisbar ist (7), entwickelten manche Ärzte und Patienten eine „Levodopa-Phobie“ (8).

Befürworter einer frühen Therapie mit Levodopa argumentieren dagegen mit der besseren Wirksamkeit und Verträglichkeit von Levodopa im Vergleich zu anderen Wirkstoffen (9, 10), dem geringen Risiko von Dyskinesien unter moderater Dosierung von Levodopa (< 600 mg/d; 1) und der Beobachtung, dass eher die Krankheitsdauer als die Dauer der Levodopa-Therapie mit motorischen Fluktuationen assoziiert ist (11). Zudem kann Levodopa erheblich rascher in einen wirksamen Bereich aufdosiert werden als Dopamin-Agonisten. Die Kosten einer Therapie mit Levodopa sind deutlich niedriger als mit Dopamin-Agonisten.

Der potenzielle Nutzen einer verzögerten Therapie mit Levodopa wurde in mehreren klinischen Studien untersucht. Die ELLDOPA-Studie war eine große doppelblinde randomisierte kontrollierte (4-armige) Studie, die die Progression des frühen IPS unter verschiedenen Dosierungen von Levodopa (150 mg/d, 300 mg/d, 600 mg/d) versus Plazebo über 40 Wochen verglich. Primärer Endpunkt war die Schwere des Parkinson-Syndroms, gemessen anhand der UPDRS-Skala (Unified Parkinson’s Disease Rating Scale) am Studienende, d.h. zwei Wochen nach Absetzen der Medikation. Die Studie sprach – wenn überhaupt – für eine neuroprotektive und gegen eine neurotoxische Wirkung von Levodopa, da in allen drei Verumgruppen der Schweregrad des Parkinson-Syndroms nach Absetzen der Medikation geringer war als in der Plazebogruppe (1).

Die bisher größte Therapiestudie beim IPS (PD MED) ist eine multizentrische, unverblindete, pragmatische Studie, in der 1.620 Patienten in drei Behandlungsarme (Levodopa, Dopamin-Agonist, MAO-B-Hemmer) randomisiert wurden (12, 13). Die Dosierungen konnten individuell angepasst und im Verlauf zusätzliche Wirkstoffe verordnet werden. Der primäre Endpunkt, die durch das Parkinson-Syndrom beeinflusste Lebensqualität – gemessen mittels eines validierten Fragebogens (PDQ-36) nach durchschnittlich 3 Jahren – war in der Levodopa-Gruppe wenig, jedoch signifikant besser als unter Dopamin-Agonisten bzw. MAO-B-Hemmern. Nebenwirkungen führten bei Dopamin-Agonisten (28%) und MAO-B-Hemmern (23%) viel häufiger als bei Levodopa (2%) zum Therapieabbruch. Dyskinesien traten unter Dopamin-Agonisten und MAO-B-Hemmern geringfügig seltener auf als unter Levodopa; hinsichtlich motorischer Fluktuationen ergab sich kein Unterschied.

Die LEAP-Studie ist eine doppelblinde randomisierte, kontrollierte Studie mit „delayed-start design“. Patienten mit frühem IPS wurden 1:1 entweder über 80 Wochen mit 300 mg/d Levodopa (n = 222) oder zunächst 40 Wochen mit Plazebo und anschließend für 40 Wochen mit 300 mg/d Levodopa (n = 223) behandelt. Der primäre Endpunkt, die Differenz des UPDRS-Score zwischen Studienbeginn und Studienende, unterschied sich nicht zwischen den beiden Studienarmen. Ein negativer Effekt von Levodopa auf den Krankheitsverlauf konnte somit nicht belegt werden (14).

Als Alternative zu Levodopa stehen im sehr frühen Stadium des IPS die MAO-B-Hemmer Selegilin und Rasagilin zur Verfügung (s. Tab. 1). Beide hemmen den Abbau von Dopamin im ZNS, sind jedoch bei relevanten motorischen Symptomen oft nicht ausreichend wirksam (9). Der MAO-B-Hemmer Safinamid ist als Zusatztherapie zu Levodopa bei Patienten mit motorischen Fluktuationen zugelassen, also nicht für die initiale Therapie. Als Levodopa-sparende Therapie werden vorrangig die nicht-ergolinergen Dopamin-Agonisten Pramipexol, Ropinirol, Rotigotin und Piribedil eingesetzt. Pramipexol und Ropinirol stehen auch als Retardpräparate zur Verfügung und ermöglichen eine einmal tägliche Einnahme. Rotigotin wird als Pflaster täglich appliziert. Die Verordnung ergolinerger Dopamin-Agonisten (z.B. Bromocriptin, Pergolid) ist aufgrund des Risikos für fibrotische Veränderungen an Herzklappen, Retroperitoneum und Lunge erheblich eingeschränkt. Dopamin-Agonisten haben gegenüber Levodopa in der Therapie des IPS zahlreiche Nachteile: eine geringere Wirksamkeit und häufigere Nebenwirkungen, insbesondere Übelkeit, orthostatische Hypotension, Beinödeme, Einschlafattacken und psychiatrische Störungen mit Verwirrtheit, Psychosen und Impulskontrollstörungen (15). Impulskontrollstörungen manifestieren sich typischerweise in Form von exzessivem Einkaufen, Essen, Spielen oder in Hypersexualität und können für die Betroffenen erhebliche psychosoziale, finanzielle und juristische Folgen haben (1). In einer großen Longitudinalstudie mit Parkinson-Patienten betrug die kumulative Inzidenz von Impulskontrollstörungen nach 5 Jahren Behandlung mit bzw. ohne Dopamin-Agonisten 51,5% versus 12,4% (16). Nach Absetzen des Dopamin-Agonisten verschwindet die Impulskontrollstörung häufig. Allerdings entwickeln 15-19% der Patienten bei einer Dosisreduktion der Dopamin-Agonisten Entzugssymptome mit psychiatrischen (Unruhe, Angst, Panikattacken) und autonomen Symptomen (Schlafstörungen, Übelkeit, Schwitzen; 17). Leider ist bei einem solchen Entzugssyndrom ausschließlich eine Dosiserhöhung des Dopamin-Agonisten wirksam, mit dem erneuten Risiko der Verschlechterung von Symptomen, die ursprünglich die Dosisreduktion erforderlich machten (17).

Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie empfahl bis 2016, die Wahl des geeigneten Wirkstoffs bei Behandlungsbeginn des IPS primär nach dem Erkrankungsalter zu treffen: Patienten mit frühem Erkrankungsalter (< 70 Jahre) sollten einen Dopamin-Agonisten erhalten, Patienten mit höherem Erkrankungsalter dagegen Levodopa. Dieser simple Algorithmus hat in Deutschland eine Generation von Neurologen geprägt und unterscheidet sich von britischen, europäischen und US-amerikanischen Leitlinien, die die Wahl des geeigneten Wirkstoffs zur initialen Therapie des IPS mit Levodopa, Dopamin-Agonisten oder MAO-B-Hemmern in Abhängigkeit von individuellen Faktoren empfehlen (9, 18, 19). Die aktuelle S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie hat den bevorzugten Einsatz von Dopamin-Agonisten relativiert und empfiehlt die Therapie mit Levodopa, Dopamin-Agonisten oder MAO-B-Hemmern in frühen Stadien des IPS. Bei der Wahl des Wirkstoffs sollen die unterschiedlichen Effektstärken, Nebenwirkungen, das Lebensalter, Komorbiditäten und die psychosozialen Anforderungen berücksichtigt werden (20).

Literatur

  1. Parkinson Study Group (ELLDOPA): N. Engl. J. Med. 2004, 351, 2498. Link zur Quelle
  2. Olanow, C.W., et al.: Mov. Disord. 2004, 19, 997. Link zur Quelle
  3. Montastruc, J.L., et al.: Mov. Disord. 1999, 5, 725. Link zur Quelle
  4. Kieburtz, K.: J. Neurol. 2008, 255 (Suppl. 4), 42. Link zur Quelle
  5. Fahn, S.: Ann. Neurol. 2000, 47 (4 Suppl. 1), S2. Link zur Quelle
  6. Fahn, S.: Neurology 1996, 47, S184. Link zur Quelle
  7. Agid, Y., et al.: Lancet 1998, 351, 851. Link zur Quelle
  8. Titova, N., et al.: NPJ Parkinsons. Dis. 2018, 4, 31. Link zur Quelle
  9. https://www.nice.org.uk/guidance/ng71 (Zugriff am 4.8.2019). Link zur Quelle
  10. Holloway, R.G., et al.: Arch. Neurol. 2004, 61, 1044. Link zur Quelle . Erratum Arch. Neurol. 2005, 62, 430.
  11. Cilia, R., et al.: Brain 2014, 137, 2731. Link zur Quelle
  12. PD Med Collaborative Group: Lancet 2014, 384, 1196. Link zur Quelle . Erratum Lancet 2014, 384, 1186.
  13. AMB 2014, 48, 93. Link zur Quelle
  14. Verschuur, C.V.M., et al. (LEAP = Levodopa in EArly Parkinson’s disease): N. Engl. J. Med. 2019, 380, 315. Link zur Quelle
  15. Weintraub, D., und Mamikonyan, E.: Am. J. Psychiatry 2019, 176, 5. Link zur Quelle
  16. Corvol, J.-C., et al. (DIGPD = Drug Interaction with Genes in Parkinson’s Disease): Neurology 2018, 91, e189. Link zur Quelle
  17. Yu, X.X., und Fernandez, H.H.: J. Neurol. Sci. 2017, 374, 53. Link zur Quelle
  18. Miyasaki, J.M., et al.: Neurology 2002, 58, 11. Link zur Quelle
  19. Ferreira, J.J., et al.: Eur. J. Neurol. 2013, 20, 5. Link zur Quelle
  20. https://www.dgn.org/leitlinien/3219-030-010 -idiopathisches-parkinson-syndrom (Zugriff am 4.8.2019). Link zur Quelle

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