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Akuter ischämischer Schlaganfall: keine Vorteile durch sehr strenge Blutzuckereinstellung

Hyperglykämien können die Prognose beim akuten Schlaganfall (1, 2) verschlechtern durch Progression der Ischämie im Infarktareal (3, 4) oder durch hämorrhagische Infarzierung (5, 6). Hyperglykämien treten bei etwa 40% aller Patienten mit ischämischem Insult auf (7). Die Empfehlungen der American Heart Association (AHA) und der American Stroke Association (ASA) hinsichtlich des Nutzens, den Blutzucker (BZ) in einen Zielbereich von 140-180 mg/dl (7,8-10,0 mmol/l) unter engmaschiger Kontrolle zur Vermeidung unerwünschter Hypoglykämien zu regulieren, sind bisher nicht ausreichend belegt (8, 9). Angesichts der großen Bedeutung und hohen Inzidenz von Schlaganfällen mit Hyperglykämie wurde in der SHINE-Studie eine strenge versus liberale BZ-Kontrolle in den ersten 72 Std. bei akutem ischämischem Insult untersucht (10). Das neurologische Ergebnis wurde nach Ablauf von 90 Tagen verglichen.

Studiendesign: In die multizentrische, randomisierte, verblindete Studie (11) wurden erwachsene Patienten mit akutem ischämischem Insult innerhalb von 12 Std. ab Beginn der Symptome eingeschlossen. Der BZ musste bei Einschluss > 110 mg/dl (> 6,1 mmol/l) liegen, wenn ein Diabetes mellitus bereits bekannt war, oder ≥ 150 mg/dl (≥ 8,3 mmol/l), wenn ein Diabetes zuvor nicht bekannt war. Zwischen 2012 und November 2018 wurden in 63 US-amerikanischen Zentren aufgrund strenger Einschlusskriterien nur 1.151 von insgesamt > 30.000 gescreenten Patienten eingeschlossen. Die Teilnehmer wurden in 2 Kollektive randomisiert: 1. strenge (intensive) BZ-Einstellung (IT) mit kontinuierlicher i.v. Substitution von Insulin über Computer-gestützte Dosierungsanweisungen (GlucoStabilizer) auf einen Zielwert von 80-130 mg/dl (4,4-7,2 mmol/l; n = 581) und 2. Kollektiv mit Standardtherapie (ST; n = 570). Diese beinhaltete die s.c. Injektion eines kurz wirkenden Insulins im 6-Stundenintervall auf einen Zielwert von 80-179 mg/dl (4,44-9,93 mmol/l). Die Patienten mussten bis zu dem Ereignis selbstständig und ohne Hilfe mobil gewesen sein oder durften nach einem vorausgegangenen Schlaganfall nur ein geringes neurologisches Defizit haben, d.h. einen „pre stroke modified Rankin Scale-Score“ von maximal 1 (Skala von 1-6). Ein weiteres Ausschlusskriterium war die Notwendigkeit einer Hämodialyse.

Patienten mit ST erhielten neben Insulin s.c. eine kontinuierliche NaCl-Infusion. Der BZ wurde unter IT alle 1-2 Std. gemessen, unter ST alle 3 Std. Die Kohlenhydratzufuhr wurde auf 60 g für jede der drei Mahlzeiten täglich festgelegt. Hypoglykämien < 80 mg/dl wurden in beiden Armen mit Dextrose-Infusion ausgeglichen. Bei Hyperglykämien > 179 mg/dl (9,93 mmol/l) wurde die kurz ggf. lang wirkende Insulin-Dosis erhöht, wenn über 24 bzw. 48 Std. der BZ-Zielbereich nicht erreicht wurde. Die Zuordnung zu den beiden Kollektiven war für die Behandelnden transparent. Nach ca. 6 Wochen wurden die Patienten aber durch einen verblindeten Interviewer telefonisch befragt, nach 3 Monaten persönlich einbestellt bzw. telefonisch kontaktiert, wenn ein Besuch nicht möglich war.

Der akute Schlaganfall wurde ansonsten nach den Leitlinien AHA/ASA behandelt (16-18). Zur Klassifizierung des neurologischen Defizits im Alltag wurde die modifizierte Rankin Scale (mRS) auf einer Skala von 0-6 herangezogen. Der National Institutes of Health Stroke Scale Score (NIHSS-Score) war Grundlage für die objektive neurologische Befunderhebung. Ein günstiges Ergebnis für die Effektivität der Behandlung wurde festgelegt für einen mRS-Score von 0 bei einem Ausgangs-NIHSS-Score von 3-7, ein mRS-Score von 0-1 für einen NIHSS-Score von 8-14 und ein mRS-Score von 0-2 für einen NIHSS-Score von 15-22. Sekundäre Endpunkte umfassten den 90-Tage-NIHSS-Score, den 90-Tage Barthel Index-Score (0-100), wobei die höhere Punktzahl ein geringeres Defizit abbildet, und den 90-Tage Stroke Specific Quality of Life-Score (1-5) zur Einstufung der Lebensqualität. Der primäre Sicherheits-Endpunkt war eine schwere Hypoglykämie mit Werten < 40 mg/dl (< 2,2 mmol/l) während der Behandlungsperiode.

Ergebnisse: Von den eingeschlossenen 1.151 Patienten waren 80% Diabetiker; das mittlere Alter betrug 66 Jahre, 46% waren Frauen. Beide Kollektive stimmten in demografischen und klinischen Daten weitgehend überein. Im Median wurden die Patienten 7 Std. nach Beginn der Symptome in die Studie eingeschlossen. Mehr als 90% hatten einen ischämischen Insult. Insgesamt hatten 50% der Patienten ein mildes neurologisches Defizit (NIHSS Score 3-7), etwa 30% ein mittleres (NIHSS Score 8-14) und etwa 20% der Patienten ein schweres (NIHSS Score 15-22).

Eine Reperfusionstherapie erhielten 68% der Patienten, davon 63% eine intravenöse Lysetherapie mit TPA (tissue plasminogen activator), 3% eine intraarterielle Lyse und 13% eine mechanische Thrombektomie.

Der mittlere Ausgangs-BZ betrug 188 mg/dl (10,4 mmol/l), der mittlere BZ während der Therapie lag bei 118 mg/dl (6,6 mmol/l) im IT-Kollektiv und bei 179 mg/dl (9,9 mmol/l) unter ST. Trotz dieses deutlichen Unterschieds gab es hinsichtlich des neurologischen Verlaufs zwischen den beiden Therapieregimen nach 90 Tagen statistisch keinen Unterschied, d.h. keine Unterschiede im NIHSS-Score, dem Barthel Index Score (residuale funktionelle Einschränkungen im täglichen Leben) sowie des Stroke Specific Quality of Life Score (s. Tab. 1). Neurologisch verschlechterten sich 17 Patienten unter ST und 7 unter IT. Schwere Hypoglykämien (< 40 mg/dl = < 2,22 mmol/l) traten trotz der Computer-gestützten Dosierung bei 2,6% der Patienten unter IT und bei keinem Patienten unter ST auf. Die Behandlung wurde wegen Hypoglykämien und anderer unerwünschter Ereignisse bei 11,2% unter IT und bei 3,2% unter ST vorzeitig abgebrochen. Eine Verschlechterung des neurologischen Defizits konnte aber ursächlich nicht mit den Hypoglykämien in Zusammenhang gebracht werden.

Fazit: Bei Patienten mit akutem ischämischem zerebralem Insult und Hyperglykämie hat sich in der SHINE-Studie eine strenge computergestützte Blutzuckereinstellung (Zielbereich 80-130 mg/dl) mittels kontinuierlicher i.v. Insulin-Infusion in den ersten 72 Std. nicht als besser erwiesen hinsichtlich der funktionellen neurologischen Befunde nach 90 Tagen verglichen mit einer s.c. Insulin-Standardtherapie (Zielbereich 80-179 mg/dl). Unerwünschte Ereignisse, auch Hypoglykämien (2,6% vs.0%), traten häufiger unter strenger Blutzuckereinstellung auf. Es wurden zwei Kollektive mit deutlich differenten BZ-Spiegeln analysiert mit einem Anteil an Diabetikern von 80%. Das war in früheren Studien selten der Fall.

Literatur

  1. Capes, S.E., et al.: Stroke 2001, 32, 2426. Link zur Quelle
  2. Desilles, J.P., et al.: Stroke 2013, 44, 1915. Link zur Quelle
  3. Baird, T.A., et al.: Stroke 2003, 34, 2208. Link zur Quelle
  4. Shimoyama, T., et al.: Eur. J. Neurol. 2014, 21, 402. Link zur Quelle
  5. Ahmed, N., et al. (SITS-ISTR = Safe Implementation of Treatments in Stroke International Stroke Thrombolysis Register): Arch. Neurol. 2010, 67, 1123. Link zur Quelle
  6. Masrur, S., et al.: J. Am. Heart Assoc. 2015, 4, e002193. Link zur Quelle
  7. Williams, L.S., et al.: Neurology 2002, 59, 67. Link zur Quelle
  8. Powers, W.J., et al.: Stroke 2018, 49, e46. Link zur Quelle
  9. Bellolio, M.F., et al.: Cochrane Database Syst. Rev. 2014, 2014(1): CD005346. Link zur Quelle
  10. Johnston, K.C., et al. (SHINE = Stroke Hyperglycemia Insulin Network Effort): JAMA 2019, 322, 326. Link zur Quelle
  11. Bruno, A., et al. (SHINE = Stroke Hyperglycemia Insulin Network Effort): Int. J. Stroke 2014, 9, 246. Link zur Quelle

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