Wir haben mehrfach in
Hauptartikeln (1) und Kleinen Mitteilungen zu unerwünschten
Folgen der postmenopausalen Therapie mit Östrogenen und Östrogen
plus Gestagen wegen klimakterischer Beschwerden Stellung genommen.
Die erste umfangreiche prospektive Studie der Women’s Health
Initiative Study Group (WHI) bestätigte den Verdacht, dass
mehrjährige Einnahme von kombinierten Östrogenen/Gestagenen
das Brustkrebs-Risiko steigert. Bei alleiniger Applikation von
Östrogenen (Frauen nach Hysterektomie) ist das Brustkrebsrisiko
geringer (1, 2). Eine „Collaborative Group on Hormonal
Factors in Breast Cancer“, die in den 1990er Jahren gegründet
wurde, veröffentlichte jetzt im Lancet Ergebnisse prospektiver
(ca. zwei Drittel) und retrospektiver Langzeitstudien (bis zu
> 10 Jahren) zum aktuellen und früheren Gebrauch
von Hormonersatz-Therapie (HET) bei Frauen mit Brustkrebs und bei
umfangreichen vergleichbaren Kontrollpersonen ohne Brustkrebs. Viele
Details der Studienergebnisse können neben den mitgeteilten
Tabellen und Grafiken dem Supplement des Artikels entnommen werden
(3). Die berücksichtigten publizierten und die noch nicht
publizierten Daten umfassen einen Zeitraum von Januar 1992 bis Januar
2018.
Die wichtigsten
Ergebnisse:
Während der prospektiven Beobachtungszeit erkrankten
108.647 Frauen im mittleren Alter von 65 Jahren an
Brustkrebs. In irgendeiner Form hatten insgesamt 55.575 (51%)
HET-Präparate angewandt. Bei Frauen mit vollständig
bekannten Daten war die Dauer der noch aktuellen Einnahme von HET
10 ± 6 Jahre, bei Frauen, die früher HET
angewandt hatten 7 ± 6 Jahre. Mittleres Alter
bei Menopause und bei Beginn mit HET war 50 ± 5 Jahre.
Jede Art von HET (außer vaginal angewendete Östrogene) war
mit mehr oder weniger höherem Risiko von Brustkrebs assoziiert.
Je länger die Dauer der HET, desto größer das Risiko.
Am größten war das Risiko bei kombinierter HET mit
Östrogenen und Gestagenen. Wurde das Gestagen nicht täglich,
sondern intermittierend eingenommen, war das Risiko etwas geringer.
Bei noch aktueller Anwendung von kombinierter HET war, selbst bei
relativ kurzer Anwendungsdauer (1-4 Jahre), im Vergleich mit
Kontrollpersonen das Relative Risiko (RR) mit 1,6 (Konfidenzintervall
= CI: 1,52-1,69) signifikant erhöht, d.h. um ca. 60%. Bei HET
nur mit Östrogen war in diesem Zeitraum das Brustkrebs-Risiko
nur gering erhöht (RR: 1,17; CI: 1,10-1,26). Bei
kombinierter Einnahmedauer über 5-14 Jahre war das RR für
Brustkrebs mit 2,08 (CI: 2,02-2,15) etwa verdoppelt. Bei
Östrogen-Anwendung allein war das RR 1,33 (CI: 1,28-1,37).
Bei Frauen mit Östrogen-Rezeptor-positivem Brustkrebs war das
errechnete RR für jede Art der HET deutlich größer
als bei Frauen mit Rezeptor-negativen Tumoren. Beispiel: 5-14 Jahre
HET mit Östrogen/Gestagen, Tumor Östrogen-Rezeptor-positiv:
RR: 2,44 (CI: 2,35-2,54); Tumor Östrogen-Rezeptor-negativ:
RR: 1,42 (CI: 1,30-1,55). Für die Altersstufen bei
HET-Beginn im Alter von 40-44 Jahren (z.B. Zustand nach
Ovarektomie oder früher Menopause), sowie 45-49, 50-54 und
55-59 Jahre waren die jeweiligen Risiken bei gleicher Art und
Dauer der HET nicht signifikant verschieden. Die Risiken waren
generell etwas geringer bei Frauen, die erst jenseits des
60. Lebensjahres mit der HET begonnen hatten und bei höherem
Körpergewicht. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass
das absolute
Risiko
für Brustkrebs ab diesem Alter zunimmt. Nach Beendigung einer
HET bleibt das Risiko für Brustkrebs – sogar bis 10 Jahre
nach Ende der HET – zeitabhängig etwas erhöht. Selbst
mehrere Jahre nach HET-Ende war das Risiko noch abhängig von der
Dauer der früheren HET.
Schlussfolgerungen der
Autoren:
Falls die beschriebenen Assoziationen auch die Kausalität
belegen (d.h. HET begünstigt Entstehung von Brustkrebs, was
wahrscheinlich ist), dann würde bei einer Frau, die ab dem
50. Lebensjahr für 5 Jahre HET mit Östrogen plus
täglich Gestagen anwendet, die Inzidenz von Brustkrebs bis zum
Alter von 69 Jahren um 1 Erkrankungsfall bei
50 Anwenderinnen zunehmen. Das Gleiche träfe zu für 1
von 70 Anwenderinnen mit Östrogen plus intermittierender
Gestagen-Anwendung sowie für 1 von 200 Frauen, die nur
Östrogene angewendet haben. Da die Inzidenz von Brustkrebs
abhängig ist von der Dauer der HET, ergaben die Analysen, dass
sich die Zahl der Erkrankungen bei 10 Jahren Anwendungsdauer des
jeweiligen HET-Typs verdoppelt.
Daten zur Letalität:
Gleichzeitig mit der Untersuchung zur Inzidenz von Brustkrebs
veröffentlichten die Autoren Ergebnisse einer großen,
prospektiven Beobachtungsstudie zum Einfluss einer HET auf die
Brustkrebsletalität (5). Für die Studie wurden im Jahr 1998
mehr als 900.000 postmenopausale Frauen aus der
britischen Million Women
Study rekrutiert (vgl. 6), die zu diesem Zeitpunkt keinen
Brustkrebs hatten. Alle Teilnehmerinnen wurden bis zum 1. Januar
2018 über ungefähr 20 Jahre nachverfolgt. Frauen, die
zum Zeitpunkt der Rekrutierung eine HET durchführten, hatten ein
signifikant erhöhtes Risiko an Brustkrebs zu sterben. Dies war
umso größer, je länger die HET durchgeführt
worden war. Auch nach Beendigung der HET hielt die Erhöhung des
Risikos an. Nur bei Frauen, die < 5 Jahre eine HET
anwendeten, zeigte sich kein erhöhtes Risiko. Die Ergebnisse
dieser Studie passen zu den Ergebnissen der Untersuchung zur
Brustkrebsinzidenz.
Fazit:
Obwohl es nicht einfach ist, die statistische Methodik der
Veröffentlichung zur Brustkrebsinzidenz mit der Zusammenführung
vieler Studien und der Berücksichtigung von Störfaktoren
(„confounders“) bei Patientinnen und Kontrollpersonen
genau nachzuvollziehen, wurde hier eine sehr sorgfältige
umfangreiche Untersuchung vorgelegt. Es ist wichtig, alle Frauen, die
eine HET erwägen, über die Risiken hinsichtlich Brustkrebs
und kardiovaskulärer Komplikationen zu informieren (1). Das
trifft auch zu für Frauen, die über viele Jahre kombinierte
hormonale Kontrazeptiva einnehmen (4). Eine HET mit Östrogenen
plus Gestagen sollte nur bei erheblichen postmenopausalen Beschwerden
erwogen, nur für wenige Jahre durchgeführt und dann
„ausgeschlichen“ werden.
Literatur
-
AMB 2001, 35,
17
.
AMB 2006,
40,
57.

-
Rossouw,
J.E., et al. (WHI
= Women’s
Health
Initiative):
JAMA 2002, 288,
321.
-
Collaborative
Group on Hormonal Factors in Breast Cancer: Lancet, published
online, 29. August 2019.
-
AMB 2018, 52,
05.

-
Beral,
V., et al.: Lancet, published online, 29. August 2019.
-
AMB
2008, 42,
69b
.
AMB
2005,
39,
53b .
AMB
2003, 37,
77b.

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