Zahlreiche Artikel haben
sich in den letzten Jahren sehr pointiert mit den Problemen
auseinandergesetzt, die aus kommerziell motivierten
Fehl-/Desinformationen in Fachzeitschriften resultieren, aber auch
aus der Beeinflussung klinischer Studien und Leitlinien durch
finanzielle Interessenkonflikte (1-4). Die Verbreitung von durch
Interessenkonflikte beeinflusste Information kann zu einem zu
häufigen oder zu seltenen Einsatz medizinischer Maßnahmen
führen , vermeidbare unerwünschte Wirkungen bei Patienten
auslösen und den rationalen Einsatz vorhandener diagnostischer
und/oder therapeutischer Optionen für eine gute medizinische
Versorgung verhindern. Zahlreiche Forschungsergebnisse in der Medizin
sind nicht vertrauenswürdig oder hinsichtlich ihrer Aussagekraft
nicht durch gute Evidenz belegt. Dadurch können medizinische
Entscheidungsprozesse in eine falsche Richtung gelenkt werden.
Angehörige der Gesundheitsberufe sind sich dieser Probleme nicht
immer ausreichend bewusst bzw. ihnen fehlen die erforderlichen
Kenntnisse für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit und
Nützlichkeit der aus klinischen Studien vorliegenden
medizinischen Evidenz (1).
Auf einen wesentlichen
Grund für diesen Missstand hat das Institute of Medicine bereits
2009 in seinem Bericht zu „Conflict
of Interest in Medical Research, Education and Practice“
hingewiesen und betont, dass der extensive Einfluss der Industrie die
Integrität wissenschaftlicher Untersuchungen, die Objektivität
medizinischer Fort- und Weiterbildung, die Qualität der
Patientenversorgung und auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in
ärztliche Entscheidungen gefährdet (5). In diesem, auch
10 Jahre nach seinem Erscheinen noch lesenswerten und sehr
informativen Buch wurde ausführlich eingegangen auf die
Bedeutung von Interessenkonflikten in der Medizin und den korrekten
Umgang mit ihnen in der biomedizinischen Forschung, medizinischen
Fort- und Weiterbildung, ärztlichen Tätigkeit sowie bei der
Erarbeitung evidenzbasierter klinischer Leitlinien.
Ein aktuell im BMJ
erschienener Artikel beschäftigt sich mit dem unverändert
vorhandenen kommerziellen Einfluss auf Entscheidungsprozesse in
unserem Gesundheitswesen und verdeutlicht die Probleme der
Abhängigkeit von Forschung, Fort- und Weiterbildung sowie
medizinischen Entscheidungen von finanzieller Beeinflussung, vor
allem durch pharmazeutische Unternehmer (pU) und Hersteller von
Medizinprodukten. Wissenschaftler, Mediziner, Experten auf dem Gebiet
der Regulierung von Arzneimitteln sowie Vertreter von Health
Technology Assessment- und Patientenorganisationen haben diese
wichtige Analyse unter dem Titel: „Pathways to independence:
towards producing and using trustworthy evidence“ verfasst (6).
Eingangs betonen die
Autoren zu Recht, wie schwierig es heute mitunter sein kann,
nützliche und sinnvolle Kooperationen zwischen Angehörigen
der Gesundheitsberufe und der Industrie von Beziehungen abzugrenzen,
die nicht den Patienten dienen und auch nicht im Interesse der
Öffentlichkeit liegen. Ausdrücklich unterstützt werden
deshalb Forderungen nach mehr Forschung zu den Auswirkungen der von
der Industrie finanzierten klinischen Studien, Fort- und
Weiterbildung und Marketingstrategien. Voraussetzung hierfür ist
jedoch eine deutlich größere Transparenz hinsichtlich der
Geldleistungen, die von pU bzw. Herstellern von Medizinprodukten an
diejenigen geleistet werden, die Arzneimittel bzw. Medizinprodukte
bewerten oder sie verordnen bzw. einsetzen. Eine gute Grundlage für
diese Transparenz bietet beispielsweise das „Open
Payments“-Programm, das seit 2012 im Rahmen des in den USA per
Gesetz eingeführten „Physician Payment Sunshine Act“
zur Verfügung steht und der Öffentlichkeit einen
detaillierten Einblick gibt in alle Geldzahlungen oder Zuwendungen
(≥ 10 US-$) der Industrie an Ärzte, andere
Gesundheitsberufe und Lehrkrankenhäuser (7). Diese bis 2012 in
den USA nicht vorhandene Transparenz hat die empirische Evidenz
deutlich verbessert hinsichtlich der Auswirkungen von Geldflüssen
sowie der damit verbundenen finanziellen Interessenkonflikte auf
ärztliche Verordnungen von Arzneimitteln, Interpretation
klinischer Studienergebnisse und Empfehlungen in Leitlinien (8-12).
Erstmals konnten Ergebnisse zu den Geldleistungen an individuelle
Ärzte systematisch erhoben, bezüglich Ihrer Auswirkung auf
ärztliche Entscheidungen ausgewertet und interpretiert werden.
Auch in Europa konnte
inzwischen, zumindest in einigen Ländern, die Transparenz
bezüglich der Geldzahlungen von pU an Angehörige der
Gesundheitsberufe verbessert werden (13, 14). Es fehlen jedoch
weiterhin klare Vorgaben für die Offenlegungspflichten –
beispielsweise der Ärzte – für die von der Industrie
erhaltenen Zahlungen. Dies verdeutlicht auch der im Juni 2019 in
Deutschland vom Verein Freiwillige Selbstkontrolle für die
Arzneimittelindustrie e. V. (FSA) und dem Verband forschender
Arzneimittelhersteller e. V. (vfa) veröffentlichte
Transparenzkodex, der für das Jahr 2018 Zahlungen in Höhe
von ca. 639 Mio. € an Ärzte, Fachkreisangehörige,
medizinische Organisationen bzw. Einrichtungen angibt, darunter
allein ca. 413 Mio. € für Forschung und
Entwicklung, Durchführung von klinischen Studien und
Anwendungsbeobachtungen (15). Einer individualisierten Nennung der
erhaltenen Zahlungen haben allerdings nur 21% der Ärzte bzw.
Angehörigen der medizinischen Fachkreise zugestimmt. Auch in
Österreich ist die Transparenz über die Geldflüsse von
pU zu Ärzten, medizinischen Institutionen und
Patienteninitiativen, wie kürzlich von uns berichtet, noch
unzureichend (16). Deshalb hat die Arzneimittelkommission der
deutschen Ärzteschaft auch Anfang 2019 die Einführung einer
gesetzlichen Transparenzverpflichtung – im Sinne eines
„Physician Payment Sunshine Act“ für Deutschland –
gefordert und auf weitere Aktivitäten hingewiesen, die das
Vertrauen der Bevölkerung in die Ärzteschaft und in ein
integres Gesundheitswesen stärken sollen (17).
Die aus der finanziellen
Abhängigkeit resultierenden Probleme werden in der Analyse im
BMJ an Beispielen aus Forschung, Fort- und Weiterbildung sowie
medizinischer Praxis verdeutlicht (6). Auch DER
ARZNEIMITTELBRIEF
hat in seinen Artikeln (18) immer wieder darauf hingewiesen, welche
Auswirkungen finanzielle Verbindungen zwischen Prüfärzten
und der Industrie in den von pU gesponserten klinischen Studien haben
bzw. wie häufig Autoren von Leitlinien finanzielle
Interessenkonflikte aufweisen und dadurch ein indirekter Einfluss von
pU auf die Inhalte dieser Leitlinien ausgeübt wird –
zuletzt am Beispiel der neuen Leitlinien der European Society of
Cardiology und European Atherosclerosis Society zum Management von
Dyslipidämien (19). Die Analyse im BMJ weist auch ausdrücklich
auf ein weiteres Problem hin, nämlich die ganz überwiegende
Finanzierung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) bzw.
der US-amerikanischen „Food and Drug Administration“
(FDA) durch pharmazeutische Unternehmer, deren Produkte im Rahmen der
Zulassungsentscheidungen von EMA und FDA hinsichtlich Nutzen
(„benefit“) und Sicherheit beurteilt werden (20).
Die im BMJ-Artikel in
einem Textkasten dargestellten Lösungsansätze für mehr
finanzielle Unabhängigkeit von kommerziellen Interessen können
wir an dieser Stelle nicht ausführlich diskutieren. Sie sind
größtenteils nicht neu (21), jedoch als Denkanstöße
gut geeignet, um eine intensive Debatte zu führen, wie wir zu
mehr Unabhängigkeit von kommerziellen Einflüssen in der
Medizin kommen und dadurch auch medizinische Entscheidungen häufiger
auf fundierter und vertrauenswürdiger Evidenz basieren (6). Die
Kernaussagen dieses Artikels unterstützt DER ARZNEIMITTELBRIEF
uneingeschränkt (6). Sie lauten:
Vertrauenswürdige
Evidenz wird benötigt, um informierte Entscheidungen in der
Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.
Die
weitverbreitete finanzielle Abhängigkeit von der Industrie
führt zu Verzerrungen der in der Forschung erhobenen Evidenz,
der medizinischen Fort- und Weiterbildung sowie den Entscheidungen
im klinischen Alltag.
Derartige
Verzerrungen bewirken, dass der Nutzen von Maßnahmen in der
Gesundheitsversorgung übertrieben positiv dargestellt wird und
deren Nachteile bzw. Schaden verharmlost werden.
Eine
größere finanzielle Unabhängigkeit von klinischer
Forschung, Entscheidungen regulatorischer Behörden (z.B. EMA,
FDA) und Leitlinienkomitees von der Industrie ist wünschenswert
und auch möglich, sofern empfohlene Reformen in Forschung,
Fort- und Weiterbildung und klinischer Praxis umgesetzt werden.
Die
vorgeschlagenen Schritte hin zu mehr finanzieller Unabhängigkeit
von kommerziellen Interessen erfordern auch Veränderungen in
der Unternehmenskultur von pharmazeutischen Unternehmern.
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