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Antiinflammatorische Therapie nach Myokardinfarkt: Wirksamkeit von Colchicin

Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist bekannt, dass Entzündungsprozesse eine Rolle in der Pathogenese der Arteriosklerose spielen, speziell bei der Koronaren Herzkrankheit (KHK; 1, 2). Statine und Acetylsalicylsäure, die in der Sekundärprophylaxe der KHK wirksam sind, haben neben ihrer primären Wirkung Lipidsenkung bzw. Hemmung der Thrombozytenfunktion auch eine entzündungshemmende Wirkung. Für Arzneimittel mit ganz überwiegend antiinflammatorischen Wirkungen ist aber bisher keine Wirksamkeit in der Sekundärprävention der Arteriosklerose nachgewiesen (3). In der CANTOS-Studie mit Canakinumab, einem monoklonalen Antikörper gegen Interleukin-1 beta, ergab sich zwar eine signifikante Senkung des hochsensitiven CRP (hsCRP), aber nur ein sehr geringer positiver Effekt auf klinische Endpunkte. Zudem waren schwere Infektionen signifikant häufiger (4). Wegen des ungünstigen Verhältnisses von Nutzen versus Risiken konnte sich dieser im Übrigen sehr teure therapeutische Ansatz nicht durchsetzen. Auch ein antiinflammatorischer Therapieversuch mit Methotrexat in niedriger Dosierung senkte weder das CRP noch ergaben sich positive Effekte bei klinischen Endpunkten (5). Damit bleibt weiterhin offen, ob eine primäre Entzündungshemmung ein aussichtsreicher Ansatz ist, die Sekundärprophylaxe arteriosklerotischer Erkrankungen weiter zu verbessern.

Nun wurde in einer Studie niedrig dosiertes Colchicin hinsichtlich des Nutzens nach einem akuten Myokardinfarkt untersucht, ein Gefäßereignis, bei dessen Entstehung die Inflammation des Endothels eine große Rolle spielt (6). Sie wurde mit Geldern des öffentlichen kanadischen Gesundheitssystems finanziert. Colchicin inhibiert als Zellgift die Mikrotubuli während der Mitose und hat zudem entzündungshemmende Wirkungen. Es ist wesentlicher Bestandteil in der Therapie des Familiären Mittelmeerfiebers, der Perikarditis (vgl. 9; für beide Indikationen in Deutschland nicht zugelassen) und – mit abnehmender Bedeutung – beim akuten Gichtanfall.

Methodik: Die randomisierte, plazebokontrollierte doppelblinde COLCOT-Studie schloss Patienten ein, die innerhalb von 30 Tagen nach einem akuten Myokardinfarkt rekrutiert werden konnten. Neben der üblichen Therapie nach den Leitlinien der kanadischen Gesellschaft für Kardiologie erhielt die eine Gruppe 0,5 mg/d Colchicin oral, die andere ein Plazebo. Zu Beginn der Colchicin-Therapie waren alle interventionellen Maßnahmen abgeschlossen. Die Gruppen waren hinsichtlich der Ausdehnung des Myokardinfarkts ähnlich. Ausgeschlossen wurden u.a.: Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz (linksventrikuläre Ejektionsfraktion < 35%), Schlaganfall in den letzten 3 Monaten, geplante oder innerhalb der letzten 3 Jahre erfolgte Bypass-OP, Patienten mit malignen Erkrankungen in den letzten 3 Jahren, chronisch entzündlichen Erkrankungen, Alkohol-Erkrankungen und Unverträglichkeit gegen Colchicin. Der primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus Tod durch kardiovaskuläre Ereignisse, Myokardinfarkt, Schlaganfall, Wiederbelebung bei Herzstillstand oder Aufnahme ins Krankenhaus wegen Angina pectoris mit koronarer Revaskularisation. Außerdem wurden alle unerwünschten Ereignisse (UAE) erfasst.

Ergebnisse: Insgesamt wurden 4.745 Patienten (Altersmedian 61 Jahre) eingeschlossen. Es erhielten 2.366 Colchicin und 2.379 Plazebo. Die Nachbeobachtung dauerte im Median 22,6 Monate. Die Patienten begannen die Therapie im Median 13,5 Tage nach dem Myokardinfarkt. Die mediane Einnahmezeit von Colchicin betrug 19,6 Monate und die von Plazebo 19,5 Monate. Der primäre Endpunkt wurde bei 5,5% der Patienten in der Colchicin- und bei 7,1% in der Plazebo-Gruppe erreicht (Hazard Ratio = HR: 0,77; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,61-0,96; p = 0,02). Die HR war für Tod durch kardiovaskuläre Ereignisse 0,84 (CI: 0,46-1,52), für Wiederbelebung bei Herzstillstand 0,83 (CI: 0,25-2,73), für Myokardinfarkt 0,91 (CI: 0,68-1,21), für Schlaganfall 0,26 (CI: 0,10-0,70; Number needed to treat = NNT: 166) und für Aufnahme ins Krankenhaus wegen Angina pectoris mit koronarer Revaskularisation 0,50 (CI: 0,31-0,81; NNT 100). Eine Reduktion der Gesamtletalität ergab sich nicht (1,8% in beiden Armen). Das positive Ergebnis hinsichtlich der kardiovaskulären Ereignisse resultierte im Wesentlichen aus der Reduktion der Zahl an Schlaganfällen und an interventionsbedürftiger Angina pectoris.

Bei den UAE wurden insgesamt keine wesentlichen Unterschiede beider Gruppen registriert. Zu Durchfall, einer typischen Nebenwirkung (NW) von Colchicin in höherer Dosierung, kam es bei 9,7% der Patienten in der Colchicin- und bei 8,9% in der Plazebo-Gruppe (p = 0,35). Pneumonie als schwere NW trat bei 0,9% in der Colchicin- und bei 0,4% in der Plazebo-Gruppe auf (p = 0,03). Fast jede/r Fünfte (18,5%) setzte die Studienmedikation ab (18,4% in der Colchicin- und 18,7% in der Plazebo-Gruppe).

Das hsCRP als Messgröße für entzündliche Aktivität wurde in dieser Studie nur bei einem kleinen Teil der Studienteilnehmer gemessen. Bei diesen war der nicht vordefinierte Wert in den beiden Gruppen nicht unterschiedlich. Die Ergebnisse bei den zugelassenen Indikationen für Colchicin zeigen aber, dass es auch entzündungshemmend wirkt, was die Reduktion ischämischer Schlaganfälle erklären könnte. In einem Kommentar zur COLCOT-Studie weist Kristin Newby darauf hin, dass in einer Metaanalyse zu randomisierten Studien mit Colchicin ebenfalls eine geringere Inzidenz von Schlaganfällen gefunden wurde (7, 8). Möglicherweise war die Colchicin-Dosierung zu gering, um bessere Ergebnisse zu erzielen (vgl. Übersicht bei 10).

Fazit: Colchicin in niedriger täglicher Dosis hatte in der aktuellen COLCOT-Studie einen günstigen Effekt in der sekundären Prophylaxe kardiovaskulärer Ereignisse (Schlaganfall, koronare Revaskularisationen) bei Patienten nach akutem Myokardinfarkt. Die Effekte sind jedoch klein und die Number needed to treat groß (≥ 100). Die Ergebnisse dieser Studie sind zwar interessant, bedürfen aber einer Bestätigung – auch mit höheren Colchicin-Dosierungen und Nutzen-Risiko-Abschätzungen – bevor sie in allgemeine Behandlungsempfehlungen übergehen können.

Literatur

  1. Ross, R.: N. Engl. J. Med. 1999, 340, 115. Link zur Quelle
  2. Alexander, R.W.: N. Engl. J. Med. 1994, 331, 468. Link zur Quelle
  3. Rymer, J.A., und Newby, L.K.: JACC Basic Transl. Sci. 2017, 2, 484. Link zur Quelle
  4. Ridker, P.M., et al. (CANTOS = Canakinumab ANti-inflammatory Thrombosis Outcomes Study): N. Engl. J. Med. 2017, 377, 1119. Link zur Quelle AMB 2017, 51, 78. Link zur Quelle
  5. Ridker, P.M., et al. (CIRT = Cardiovascular Inflammation Reduction Trial): N. Engl. J. Med. 2019, 380, 752. Link zur Quelle
  6. Tardif, J.-C., et al. (COLCOT = COLchicine Cardiovascular Outcomes Trial): N. Engl. J. Med. 2019, 381, 2497. Link zur Quelle
  7. Newby, L.K.: N. Engl. J. Med. 2019, 381, 2562. Link zur Quelle
  8. Khandkar, C., et al.: Clin. Ther. 2019, 41, 582. Link zur Quelle
  9. AMB 2013, 47, 91. Link zur Quelle
  10. Nidorf, S.M., und Thomson, P.L.: Clin. Ther. 2019, 41, 41. Link zur Quelle