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Wirksamkeit der Impfung gegen Gruppe-B-Meningokokken in Großbritannien

Neisseria meningitidis (Meningokokken) verursacht weltweit Meningitiden und Septikämien mit hoher Morbidität und Letalität. Man kennt 12 verschiedene Kapsel-Gruppen des Erregers, von denen 6 (A, B, C, W, X und Y) für die meisten Infektionen verantwortlich sind. In Europa sind die Meningokokken der Gruppe B bei den invasiven Meningokokken-Infektionen am häufigsten, wenn auch die Inzidenz der Erkrankung in den letzten Dekaden abgenommen hat (1). Gerade gegen diese Gruppe war es schwierig, einen Impfstoff zu entwickeln, weil das Gruppe-B-Polysaccharid wegen seiner strukturellen Ähnlichkeiten mit Polysialinsäure-Strukturen der humanen Neuronalzellen wenig immunogen ist und auch Autoimmunerkrankungen induzieren könnte (2). Im Jahr 2013 wurde ein Impfstoff aus mehreren Komponenten gegen Gruppe-B-Meningokokken in Europa zugelassen (4CMenB, Bexsero®). Der Impfstoff enthält drei rekombinante Proteine: Faktor-H-bindendes Protein Peptid 1, Neisseria Heparin-bindendes Antigen Peptid 2 und Neisseria Adhesin A Peptid 8 sowie außerdem noch einen Anteil der äußeren Zellmembran des Neuseeland-Ausbruchstamms. Der Impfstoff soll Babys dreimal verabreicht werden (in der 8., 12. und 16. Lebenswoche) und nach einem Jahr soll eine Auffrischimpfung (Boosterung) erfolgen. Er wurde zugelassen nur auf Basis der Ergebnisse von Immunogenitäts- und Sicherheits-Studien ohne Evidenz für seine Wirksamkeit im alltäglichen Einsatz.

Im September 2015 war Großbritannien das erste Land, das diesen Impfstoff frei für alle Kinder angeboten hatte. Die Impfung wurde für die 8. und 12. Woche angeboten und nach einem Jahr geboostert (also eine „Off-label“-Anwendung bezüglich der Impffrequenz). In einer durch öffentliche Mittel finanzierten Studie wurde nun untersucht, wie sich die Inzidenz invasiver Meningokokken-Infektionen mit Gruppe-B-Erregern bei 1- und 2-jährigen Kindern 3 Jahre nach Einführung der Impfung verändert hat (3).

Methodik: Für diese Studie wurden Daten aus dem nationalen Register verwendet, in dem alle invasiven Meningokokken-Fälle aus England registriert werden. Zur Berechnung des Effekts der Impfung wurde die Inzidenz von Meningokokken-Erkrankungen der ersten 3 Jahre nach Einführung des neuen Impfstoffs mit der Inzidenz im Zeitraum von 4 Jahren vor Einführung der Impfung verglichen. Außerdem wurden noch die Erkrankungen bei Kindern unter 5 Jahre berücksichtigt, die keine Impfung erhalten konnten. Für diese Untersuchung wurden nur Erkrankungen herangezogen, bei denen Meningokokken der Gruppe B als Auslöser bestätigt wurden.

Ergebnisse: Das Impfprogramm wurde in England sehr gut angenommen: 88% der Kinder erhielten während der ersten zwei Lebensjahre alle drei Impfungen. Von September 2015 bis August 2018 war die Inzidenz invasiver Erkrankungen mit Meningokokken der Gruppe B in England (jährliche Geburtsrate ca. 650.000) bei Geimpften signifikant niedriger als die erwartete Inzidenz (63 Fälle wurden registriert, 253 wurden erwartet; Inzidenz-Ratio: 0,25; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,19-0,36) mit einer 75%igen Reduktion in den Altersgruppen, die alle Impfungen erhalten hatten. Die berechnete “Effectiveness” des Impfstoffs war 59,1% (CI: -31,1 bis 87,2) bei zweimaliger Impfung und einer Boosterung nach einem Jahr. Auch wenn hier das Konfidenzintervall sehr weit ist und 0% einschließt, so zeigen die Ergebnisse insgesamt doch einen eindeutig positiven Effekt; dies wird auch von den Kommentatoren der Studie im selben Heft des N. Engl. J. Med. so beurteilt (4). Während des Beobachtungszeitraums von 3 Jahren traten bei Geimpften 169 invasive Erkrankungen mit Gruppe-B-Meningokokken auf. Unter Berücksichtigung der für diesen Zeitraum erwarteten Erkrankungen, zeigte sich, dass durch die Impfung insgesamt 277 Erkrankungen verhindert werden konnten (CI: 236-323).

Fazit: Der Impfstoff 4CMenB gegen invasive Infektionen mit Meningokokken der Gruppe B verhindert unter Alltagsbedingungen auch bei reduzierter Impffrequenz (dreimalig statt viermalig) Erkrankungen bei Kindern der Zielgruppe. Die Impfung wird in Deutschland von der STIKO nicht als Routineimpfung empfohlen.

Literatur

  1. Whittaker, R., et al.: Vaccine 2017, 35, 2034. Link zur Quelle
  2. Tan, L.K.K., et al.: N. Engl. J. Med. 2010, 362, 1511. Link zur Quelle
  3. Ladhani, S.N., et al.: N. Engl. J. Med. 2020, 382, 309. Link zur Quelle
  4. Harrison, L.H., und Stephens, D.S.: N. Engl. J. Med. 2020, 382, 376. Link zur Quelle