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Leserbrief: Long-QT-Syndrom unter Behandlung mit Triptanen?

Fragen von Dr. M.W. aus W. (gekürzt): >> Haben Sie aktuelle Daten zum Risiko einer QT-Zeit-Verlängerung unter den verschiedenen Triptanen und dem damit verbundenen Risiko ventrikulärer Tachykardien vom Typ Torsade de Pointes (TdPT)? Bei einer knapp 30-Jährigen, sonst gesunden Patientin mit Migräne, die Zolmitriptan 2,5 mg seit 1,5 Jahren immer gut vertragen hatte, wurde unter einer etwas häufigeren, aber nicht überdosierten Einnahme und ohne andere erkennbare Risiko-/Einflussfaktoren extern eine vorübergehende QTc-Zeit-Verlängerung von > 500 msec festgestellt. Die Patientin war mit Palpitationen und präsynkopalem Schwindelgefühl wahrscheinlich auch symptomatisch. Hier stellt sich die Frage, ob alle Triptane bei dieser Patientin künftig kontraindiziert sind. <<

Antwort: >> Ein erworbenes Long-QT-Syndrom (LQT; Definition: QTc > 99. Percentile, entsprechend bei postpubertären Männern > 470 msec und bei Frauen > 480 msec; 1) kann bei strukturellen Herzerkrankungen (z.B. Herzinsuffizienz oder Kardiomyopathien), bei bestimmten Elektrolytstörungen (z.B. Hypokaliämie oder Hypomagnesiämie) und unter dem Einfluss bestimmter Medikamente (s.u.) und möglicherweise sogar bei einigen wenigen Lebensmitteln (Energy drinks, Nahrungsergänzungsmittel, bestimmte Pilze) auftreten (7).

Begünstigend für ein LQT sind bestimmte Genvarianten (z.B. KCNH2) und mehrere gleichzeitig bestehende potenzielle Auslöser (z.B. Herzinsuffizienz plus Hypokaliämie plus QT-Zeit-verlängernde Medikamente). Bei 70% der Menschen mit LQT finden sich mindestens zwei Auslöser, und bei 40% sind zwei QT-Zeit-verlängernde Medikamente beteiligt. Das LQT ist nicht selten. Nach aktuellen Beobachtungsstudien beträgt bei ca. 0,7% der Patienten, die neu in ein Krankenhaus aufgenommen werden, die QTc-Zeit ≥ 500 msec (2).

TdPT und plötzliche Todesfälle sind gefürchtete Komplikationen beim LQT. Sie sind selten und schwer vorherzusagen. In der Arbeit von Yu (2) fanden sich bei nur 6% der Patienten mit erheblichen LQT Hinweise auf TdPT (Synkopen, Tachykardien). Risikofaktoren für eine TdPT sind hohe Konzentrationen potenziell QT-Zeit-verlängernder Arzneimittel (LQT-Med), eine rasche Anflutung, z.B. durch i.v. Injektion, die gleichzeitige Einnahme mehrerer LQT-Med oder eine pharmakokinetische Interaktion mit Arzneimitteln oder Lebensmitteln (z.B. Grapefruitsaft), die die Elimination der LQT-Med verzögern und damit zur Akkumulation führen. Auch hochdosierte Diuretika und Elektrolytstörungen führen häufiger zu TdPT.

Frauen sind von TdPT häufiger betroffen als Männer, ältere Menschen häufiger als jüngere. Wer schon einmal eine TdPT hatte, ist besonders gefährdet, ebenso Menschen mit entsprechender Familienanamnese. Im EKG gelten als Risikofaktoren für TdPT: eine verlängerte native QTc-Zeit, eine besonders lange QTc-Zeit (> 500 msec), begleitende T-Wellen-Veränderungen, Bradykardien und früh einfallende ventrikuläre Extrasystolen.

Eine QTc-Zeit-Verlängerung durch Arzneimittel kommt durch Interaktionen mit bestimmten Elektrolytkanälen an der Membran der Myozyten zustande (IKr-, IKs-, Natrium-Kanäle), wodurch die Repolarisation während der Diastole (QT-Intervall) verzögert und die Vulnerabilität für ventrikuläre Extrasystolen gesteigert wird. Die Liste der LQT-Med ist in den letzten Jahren gewachsen. Es gibt viele Datenbanken, in denen sie aufgelistet sind (z.B. 3). Seit einigen Jahren werden auch alle neu zugelassenen Arzneimittel hinsichtlich ihrer Wirkungen auf die QT-Zeit getestet und ggf. unter Punkt 4.4. „Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung“ aufgeführt. Momentan finden sich auf der zitierten Liste 240 LQT-Med. Aber nur 25% dieser LQT-Med lösen auch nachweislich TdPT aus. Daher werden sie in 3 Risikoklassen unterteilt:

  1. Known Risk: LQT-Med mit dokumentierten TdPT (n = 62);

  2. Possible Risk: LQT-Med mit möglichem TdPT-Risiko, bei denen aber noch keine TdPT-Fälle dokumentiert sind (n = 127);

  3. Conditional Risk: LQT-Med mit erhöhtem TdPT-Risiko, wenn zusätzliche begünstigende Faktoren wie z.B. Hypokaliämie vorliegen (n = 51).

In keiner der drei Risikoklassen sind jedoch Triptane (5-HT1-Rezeptor-Agonisten) gelistet. Im Deutschen Ärzteblatt wurden 2001 Sumatriptan, Naratriptan und Zolmitriptan als LQT-Med aufgelistet und seither immer wieder zitiert (4). Diese Informationen gehen wohl auf ältere Packungsbeilagen in den USA zurück (5). In den aktuellen Fachinformationen in Deutschland finden sich bei den drei genannten Triptanen keine entsprechenden Warnhinweise.

Im Jahr 2013 wurde ein Fallbericht mit TdPT unter Sumatriptan publiziert und ausführlich diskutiert (6). Die dort geschilderte Patientin hatte im Rahmen einer hohen Sumatriptan-Exposition koronare Spasmen – eine wichtige Nebenwirkung der Triptane – und anschließend für mehrere Tage (!) eine QTc-Zeit-Verlängerung auf > 500 msec sowie eine TdPT. Zuvor und im weiteren Verlauf ohne Sumatriptan hatte sie in mehreren EKG eine unauffällige QTc-Zeit. Die Autoren erklären diese Beobachtung dahingehend, dass Sumatriptan das LQT und die TdPT nicht direkt durch pharmakologische Wirkungen an den Ionenkanälen, sondern indirekt durch die Koronarspasmen mit Myokardischämie ausgelöst hat.

Basierend auf unserer Recherche schätzen wir das Risiko hinsichtlich LQT und TdPT für Triptane als gering ein. Sie zählen nicht zu den Risikomedikamenten. Andere Ursachen für die Symptome (Palpitationen und präsynkopales Schwindelgefühl) müssen bedacht werden. Das LQT-Risiko in diesem Fall ist möglicherweise substanz- aber nicht gruppenspezifisch. Daher raten wir Ihnen, Zolmitriptan bei dieser Patientin nicht mehr zu verordnen. Es gibt keine Berichte zu Rizatriptan, Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan. Die Verordnung eines der anderen genannten Triptane erscheint uns – mit Kontrolle des 12-Kanal-EKG – als vertretbar. <<

Literatur

  1. Drew, B.J., et al.: Circulation 2010, 121, 1047. Link zur Quelle
  2. Yu, H., et al.: Heart Rhythm 2017, 14, 974. Link zur Quelle
  3. www.crediblemeds.org Link zur Quelle
  4. Haverkamp, W., et al.: Dtsch. Arztebl. 2002, 99, A-1972. Link zur Quelle
  5. Stillman, M.J., et al.: Headache 2013, 53, 217. Link zur Quelle
  6. Stillman, M.J., et al.: Headache 2013, 53, 208. Link zur Quelle
  7. Woosley, R.L.: Trends Cardiovasc. Med. 2019; S1050-1738(19)30116-1; published online ahead of print. Link zur Quelle