Zusammenfassung:
Trotz des dringenden Bedarfs an wirksamen und sicheren Arzneimitteln
zur Behandlung von Patienten mit schwerem Verlauf von COVID-19 ist
der gegenwärtig weltweit herrschende Aktionismus mit seiner
Vielzahl klinischer Studien und geprüften Wirkstoffen kritisch
zu hinterfragen. Das Design der meisten klinischen Untersuchungen
erfüllt nicht die etablierten wissenschaftlichen Standards für
derartige Studien (2, 3). Darüber hinaus steht das große
Interesse der Öffentlichkeit an den Ergebnissen dieser Studien,
aber auch der Widerhall in den Medien, in keinem vernünftigen
Verhältnis zur eher schwachen Evidenz hinsichtlich Wirksamkeit
und Sicherheit der geprüften Wirkstoffe aus diesen
Untersuchungen.
Nur die –
derzeit noch nicht als Vollpublikation vorliegenden –
Ergebnisse einer randomisierten kontrollierten Studie zu Remdesivir
bei stationären COVID-19-Patienten sprechen für eine
gewisse Wirksamkeit dieses Wirkstoffs aufgrund einer Besserung der
klinischen Symptomatik und rascheren Entlassung aus dem Krankenhaus
(12, 13). Die vollständige Publikation dieser Studie muss
jedoch abgewartet werden, ebenso wie die noch ausstehenden Ergebnisse
anderer internationaler randomisierter kontrollierter Studien mit
einem Remdesivir-Arm und „adaptivem Design“ (vgl. 6).
Die vorschnell als „Wundermittel“ apostrophierten
Wirkstoffe Chloroquin und Hydroxychloroquin zeigen anhand der bisher
vorliegenden Ergebnisse keine überzeugende Wirksamkeit bei
SARS-CoV-2-Infektion, führen jedoch zu erheblichen
Nebenwirkungen. Dies gilt auch für die Kombination von Lopinavir
plus Ritonavir, für die in einer randomisierten kontrollierten
Studie erneut kein Nutzen gegenüber der Standardbehandlung von
COVID-19 gezeigt werden konnte (4; vgl. auch 7).
Auch Anfang Mai
2020 gibt es weltweit noch kein Medikament, das für die
Behandlung von Patienten mit COVID-19 von der Europäischen
Arzneimittel-Agentur (EMA) oder der Food and Drug Administration
(FDA) in den USA regulär zugelassen ist. Die aufgrund ihrer –
vorwiegend in Tierversuchen und/oder in
vitro
an Zellkulturen nachgewiesenen – antiviralen Aktivität
vermutlich wirksamen Arzneimittel werden deshalb momentan in einer
Vielzahl klinischer Studien hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit
geprüft (Stand 5.5.2020: 1.161 Studien; 1). Das Design und
die Qualität dieser klinischen Studien wurde in aktuellen
Übersichtsarbeiten zu Recht stark kritisiert, beispielsweise
unter der Überschrift: „Krisen sind keine Rechtfertigung
dafür, wissenschaftliche Standards zu vermindern“ (2).
Renommierte Pharmakoepidemiologen und Ethiker aus den USA haben
insbesondere beanstandet, dass frühe Phasen klinischer Studien
begonnen wurden, noch bevor solide Ergebnisse aus experimentellen
Untersuchungen zu der jeweiligen medikamentösen Intervention
vorlagen, die eine weitere Entwicklung bzw. Prüfung in
klinischen Studien gerechtfertigt hätten. Außerdem würden
vor allem Strategien in der klinischen Forschung verfolgt, die
einfach umzusetzen seien und bei denen bereits vorab feststeht, dass
sie nur eine verzerrte Schätzung der therapeutischen Effekte von
Wirkstoffen gegen COVID-19 erlauben würden (2, 3).
Wir konzentrieren
uns in dieser Ausgabe des ARZNEIMITTELBRIEFs auf aktuelle Ergebnisse
klinischer Studien zur Wirksamkeit von Remdesivir und Chloroquin (CQ)
bzw. Hydroxychloroquin (HCQ) in der Behandlung von COVID-19. Alle 3
Arzneimittel haben inzwischen eine „Emergency Use
Authorization“ (EUA) der US-amerikanischen FDA erhalten –
CQ und HCQ am 28.3.2020 (5) kurz nachdem diese Arzneimittel vom
Präsidenten der USA, Donald Trump, vorschnell als „Wundermittel“
bzw. „GameChanger“ apostrophiert wurden. Am 1. Mai
2020 wurde von der FDA eine EUA dann auch für Remdesivir
zuerkannt (6). Die EUA setzt voraus, dass in einer Notfallsituation
bisher keine Arzneimittel für die Behandlung bzw. Prävention
von schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten zur Verfügung
stehen und ermöglicht ausschließlich in Krankenhäusern
die Verordnung von Remdesivir. Zudem wird dadurch in den USA sogar
der Zugriff auf strategische Lagerbestände („Strategic
National Stockpile“) dieser Arzneimittel ermöglicht. Eine
EUA wurde bisher erst einmal
erteilt für den Neuraminidase-Inhibitor Peramivir während
des Ausbruchs der Schweinegrippe 2009-2010. Peramivir zeigte dann
später in einer randomisierten kontrollierten Studie
(„randomized controlled trial“ = RCT) keine bessere
Wirksamkeit als Plazebo bei schwerkranken Patienten mit Influenza
(3). Eine EUA bedeutet nicht eine reguläre Zulassung des
jeweiligen Arzneimittels durch die FDA.
Remdesivir:
Über erste klinische Ergebnisse bei Patienten mit COVID-19
(Fallberichte, unkontrollierte Studien) und Einsatz von Remdesivir,
einem Nukleotid-Prodrug mit in
vitro
breiter Aktivität gegenüber unterschiedlichen RNA-Viren bei
Patienten mit COVID-19, haben wir (7) und das BMJ (8) bereits
berichtet.
Inzwischen wurden
auch Ergebnisse publiziert zum „Compassionate Use“ von
Remdesivir bei 61 im Krankenhaus behandelten Patienten aus den USA,
Kanada, Europa und Japan mit durch Polymerase-Kettenreaktion
bestätigter SARS-CoV-2-Infektion, von denen allerdings nur
53 Patienten ausgewertet werden konnten (9). Vor Beginn der
Therapie mit Remdesivir (zur Aufsättigung 200 mg i.v. am
Tag 1, dann täglich 100 mg i.v. für 9 Tage)
erhielten 30 Patienten eine mechanische Beatmung (57%) und 4
(8%) eine extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO). Nach medianer
Nachbeobachtung von 18 Tagen zeigten 36 Patienten (68%)
eine Verbesserung ihrer Lungenfunktion und 17 der 30 beatmeten
Patienten konnten extubiert werden. Insgesamt wurden 25 Patienten
(47%) während der Nachbeobachtung aus dem Krankenhaus entlassen
und 7 Patienten (13%) starben. Bei mehr als der Hälfte der
Patienten traten unerwünschte Ereignisse auf, am häufigsten
eine Erhöhung der Transaminasen, Diarrhö, Verschlechterung
der Nierenfunktion, Hypotension und Hautveränderungen.
Die
Interpretation der Ergebnisse dieser unkontrollierten Studie wird
erschwert vor allem durch die kleine Patientenzahl, kurze und
unvollständige Nachbeobachtung und fehlende Daten zur Viruslast
vor und nach Behandlung mit Remdesivir. Es hat viele Leser des N.
Engl. J. Med. sicher überrascht, dass die Ergebnisse einer
derartigen Studie, die vom pharmazeutischen Unternehmer (pU) und
Anbieter von Remdesivir, Gilead, finanziell unterstützt wurde,
in dieser renommierten Fachzeitschrift publiziert wurden.
Die Ergebnisse
des ersten multizentrischen, doppelblinden RCT mit Remdesivir –
gesponsert von wissenschaftlichen Institutionen in China –
wurden online im Lancet publiziert (10). Diese klinische Studie wurde
in 10 Krankenhäusern der Provinz Hubei (China) durchgeführt
an insgesamt 237 erwachsenen Patienten mit bestätigter
SARS-CoV-2-Infektion, von denen nach 2:1-Verteilung 158 Remdesivir
i.v. (Dosierung siehe Studie zum „Compassionate Use“, 9)
und 79 Patienten Plazebo erhielten. Eingeschlossen wurden nur
Patienten mit radiologisch bestätigter Pneumonie, bei denen die
Symptome innerhalb der vorausgegangenen 12 Tage aufgetreten
waren und bei denen eine Sauerstoffsättigung (SpO2)
von ≤ 94% bei Raumluft vorlag. Die Behandlung mit Remdesivir
führte in dieser Studie nicht zu einer signifikanten Verkürzung
der Zeit bis zur klinischen Besserung. Unerwünschte Ereignisse
traten nach Verabreichung von Remdesivir bei 12% auf, gegenüber
5% bei Patienten mit Plazebo. In diese Studie sollten 453 Patienten
eingeschlossen werden. Sie wurde jedoch vorzeitig nach Einschluss von
237 Patienten beendet, da infolge der Abschwächung der Epidemie
in Wuhan keine Patienten mehr rekrutiert werden konnten (11). Die
Autoren betonen ausdrücklich, dass RCT mit größerer
Zahl an Patienten und klinisch schweren Verläufen von COVID-19
erforderlich sind, um den therapeutischen Stellenwert von Remdesivir
– möglichweise in Kombination mit anderen antiviral
wirkenden Arzneimitteln und/oder Wirkstoffen zur Vermeidung eines
Zytokinsturms – genauer zu ermitteln (10).
In einem
Kommentar zu dieser Studie im Lancet wird zu Recht darauf
hingewiesen, dass eine klinische Studie mit unzureichender
statistischer Trennschärfe („underpowered“)
zwangsläufig keine verlässlichen Ergebnisse liefert (11).
Unmittelbar nach
Veröffentlichung dieser Studie im Lancet wurden in
Pressemitteilungen – am 29.4.2020 von Gilead (12) und von den
National Institutes of Health (NIH) die Ergebnisse eines größeren,
vom „National Institute of Allergy and Infectious Diseases“
(NIAID) am NIH in den USA durchgeführten RCT („Adaptive
COVID-19 Treatment Trial“
= ACTT) mitgeteilt. Nach Einschluss von insgesamt 1.063 Patienten
aus den USA, Europa und Asien erfolgte auch in dieser Studie entweder
eine Behandlung mit Remdesivir oder Plazebo. Laut Pressemitteilungen
benötigten die mit Remdesivir behandelten Patienten im
Mittelwert 11 Tage, bis sich ihr Zustand deutlich besserte (u.a.
kein Bedarf an zusätzlichem Sauerstoff, Verlassen des
Krankenhauses), gegenüber 15 Tagen unter Plazebo. Nicht
signifikant unterschied sich allerdings zum Zeitpunkt der Auswertung
die Sterblichkeit (8% nach Remdesivir versus 11,6% nach Plazebo).
In
Pressemitteilungen wurde am 29.4.2020 auch auf zwei von Gilead
initiierte multizentrische, offene Phase-III-Studien hingewiesen, die
sog. „SIMPLE Trials“ (14). Darin wurden auch bereits
Ergebnisse des ersten „SIMPLE Trial“ mitgeteilt, in dem
untersucht wurde, ob eine kürzere Gabe von Remdesivir über
5 Tage eine ähnliche Wirksamkeit hat wie die Gabe über
10 Tage. Voraussetzung für den Einschluss in diese Studie
waren eine Pneumonie und erniedrigte Sauerstoffsättigung. Die
Patienten durften jedoch noch keine mechanische Beatmung erhalten.
Die Zeit bis zur klinischen Besserung („clinical improvement“)
um 50% unterschied sich nicht signifikant und betrug 10 Tage bei
Patienten, die über 5 Tage Remdesivir erhielten, bzw.
11 Tage bei Patienten, die über 10 Tage behandelt
wurden (14). Mehr als die Hälfte der insgesamt 397
eingeschlossenen Patienten aus 180 beteiligten Studienzentren in den
USA, Europa und Asien hatten am Tag 14 das Krankenhaus
verlassen. Eine explorative Analyse ergab laut Pressemitteilung des
pU, dass die Therapieergebnisse bei Patienten, die innerhalb von
10 Tagen nach Beginn der Symptome von COVID-19 Remdesivir
erhalten hatten, besser waren als bei Patienten mit späterem
Therapiebeginn. Die Aussagekraft einer derartigen Studie ohne
Plazeboarm ist naturgemäß gering. Unerwünschte
Ereignisse unter Gabe von Remdesivir traten bei etwa der Hälfte
der Patienten auf (z.B. Übelkeit, Erhöhung der
Transaminasen), moderate oder schwere unerwünschte Ereignisse
(≥ Grad 2) jedoch bei weniger als 10% der Patienten.
Geplant ist im Rahmen dieser Studien, weitere 5.600 Patienten
einzuschließen und auch an beatmeten Patienten Wirksamkeit und
Sicherheit von Remdesivir zu untersuchen (14).
Das zweite
„SIMPLE Trial“ vergleicht Remdesivir über 5 bzw.
10 Tage mit der Standardtherapie bei Patienten mit weniger
schwer verlaufender („moderate manifestations“)
COVID-19-Erkrankung. Die Ergebnisse der ersten 600 Patienten
werden Ende Mai 2020 erwartet (14).
Die Ergebnisse
des ersten „SIMPLE Trial“ waren ebenso wie die Ergebnisse
des vom NIAID durchgeführten RCT („ACTT“, s.o.)
Grundlage der am 1.5.2020 erteilten EUA durch die FDA. Bis Ende Mai
2020 plant Gilead 1,5 Mio. Dosen herzustellen, die für
210.000 Behandlungen mit Remdesivir (jeweils über 5 Tage)
ausreichen würden und vorläufig gratis zur Verfügung
stehen sollen (15). Die EMA hat inzwischen – basierend auf den
Ergebnissen der „ACTT“-Studie vom NIAID – ein sog.
„rolling review“-Verfahren begonnen und wird zunächst
die Ergebnisse dieser Studie gründlich analysieren und erst dann
beurteilen, ob das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Remdesivir
positiv ist (16).
Unterstützt
werden die Aussagen dieser Studien zur klinischen Wirksamkeit von
Remdesivir auch durch kürzlich publizierte experimentelle
Ergebnisse im J. Biol. Chem. (15). Sie konnten den Mechanismus der
Hemmung der für die Replikation von SARS-CoV-2 verantwortlichen
viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerase (RdRp) durch die aktive
Form von Remdesivir (Remdesivir-Triphosphat) zeigen.
Auch die
Ergebnisse aus tierexperimentellen Untersuchungen mit Remdesivir an
einem kürzlich etablierten Rhesusmakaken-Modell mit
SARS-CoV-2-Infektion (18, 19; vgl. auch 7) sprechen für
eine antivirale Wirksamkeit von Remdesivir, wobei möglicherweise
das Auftreten einer schweren Pneumonie verhindert wird, sofern es
frühzeitig nach der Diagnose appliziert wird.
Chloroquin
bzw. Hydroxychloroquin:
Im Gegensatz zu Remdesivir liegen für CQ oder HCQ auch Anfang
Mai 2020 keine Ergebnisse vor aus größeren RCT mit anderen
antiviralen Wirkstoffen oder Plazebo im Vergleichsarm. Es gibt jedoch
deutliche Hinweise für gravierende Nebenwirkungen. Mehrere
Wissenschaftler weisen deshalb am Beispiel der bisher durchgeführten
klinischen Studien zu CQ bzw. HCQ zu Recht auf die Probleme hin, die
aus den gelockerten Anforderungen an die Standards wissenschaftlicher
Datengenerierung und ihrer Interpretation in Zeiten einer Pandemie
resultieren (20-22). Ein Paradebeispiel hierfür ist die viel
diskutierte, offene, nicht randomisierte Studie aus Frankreich zur
Wirksamkeit von HCQ, auf die wir bereits ausführlich eingegangen
sind (vgl. 7). Derartige Studien eignen sich bestenfalls für
die Generierung von Hypothesen, nicht aber von solider Evidenz, die
dann klinische Entscheidungen beeinflussen kann (20-22).
Die vorschnelle,
häufig viel zu positive Interpretation der Ergebnisse klinischer
Studien hat dazu geführt, dass es zu versorgungsrelevanten
Engpässen von HCQ in der Behandlung von Patienten mit
systemischem Lupus erythematodes gekommen ist und Angehörige der
Gesundheitsberufe und ihre Familien HCQ für eine eventuelle
Selbstmedikation gegen COVID-19 gehortet haben (21). Das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat
deshalb aufgrund des vermehrten Off-Label-Gebrauchs von HCQ-haltigen
Arzneimitteln auch eine Anordnung erlassen, die vorsieht, dass
außerhalb von klinischen Prüfungen die Verordnung dieser
Arzneimittel nur im Rahmen eines individuellen Heilversuchs bei
stationär überwachten Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion
erfolgen sollte. Außerdem müssen Ärzte die
HCQ-haltige Arzneimittel ambulant verordnen, ab sofort die
zugelassene Indikation angeben, und HCQ sollte nicht auf einem
Privatrezept verordnet werden (23).
Derzeit sind
weltweit etwa 80 Studien registriert, in denen CQ oder HCQ,
teilweise sogar beide Wirkstoffe in Kombination mit anderen
Arzneimitteln, zur Behandlung von COVID-19 untersucht werden (22).
Auch die großen RCT (vgl. 7), die von der WHO („Solidarity
Trial“), INSERM („Discovery“) bzw. vom NIAID
initiiert wurden, untersuchen in einem Vergleichsarm CQ bzw. HCQ. Die
ersten Ergebnisse dieser Studien werden hoffentlich bald eine
endgültige Beurteilung des derzeit noch sehr fraglichen
therapeutischen Stellenwerts von CQ bzw. HCQ in der Behandlung von
COVID-19 erlauben.
Die auf einem
Preprint Server (medRxiv) Mitte April 2020 publizierten Daten einer
retrospektiven Analyse von insgesamt 368 Patienten, die mit
bestätigter SARS-CoV-2-Infektion in den „Veterans Health
Administration“-Krankenhäusern mit HCQ alleine oder in
Kombination mit Azithromycin behandelt wurden, lassen jedoch wenig
Optimismus hinsichtlich der Wirksamkeit und Sicherheit dieser
Wirkstoffgruppe aufkommen (24). Die Auswertung der Studie ergab, dass
weder HCQ alleine noch in Kombination mit Azithromycin das Risiko für
eine mechanische Beatmung senken konnte und die Gabe von HCQ alleine
sogar die Sterblichkeit erhöhte.
Eine kleine
doppelblinde, randomisierte Phase-IIb-Studie an 81 Patienten,
die wegen COVID-19 mit schwerer Pneumonie (SARS) in Brasilien
entweder mit CQ in hoher Dosierung (600 mg zweimal täglich
für 10 Tage) oder CQ in niedrigerer Dosis (450 mg
zweimal tägl. an Tag 1 und einmal täglich an den Tagen
2-5) behandelt wurden, ergab in einer vom „Data Safety and
Monitoring Board“ (DSMB) dieser Studie empfohlenen
Zwischenanalyse eine höhere Sterblichkeit in der Gruppe der
Patienten mit höherer CQ-Dosis. Sie wurde zumindest teilweise
durch Verlängerung des QTc-Intervalls auf > 500 Millisekunden
verursacht (25).
Eine Ende April
2020 im CMAJ publizierte Übersichtsarbeit hat, basierend auf
einer PubMed-Recherche von 1966-2020, die Nebenwirkungen von CQ, HCQ
und Azithromycin zusammenfassend dargestellt (26). Neben den häufiger
nach Einnahme von CQ und HCQ auftretenden Nebenwirkungen wie
Pruritus, Übelkeit und Kopfschmerzen werden demnach auch
vermehrt lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen infolge
Verlängerung des QTc-Intervalls mit
Torsade-de-pointes-Tachykardien beobachtet – insbesondere unter
höherer Dosierung. Diese lebensbedrohliche Nebenwirkung kann
durch gleichzeitige Einnahme von Azithromycin verstärkt werden
(26, 27). Weitere, eher selten auftretende, aber schwere
Nebenwirkungen sind Hypoglykämien, Unruhezustände,
Verwirrtheit, Halluzinationen und Wahnvorstellungen (26).
Sowohl die
„Pandemic Task Force“ der EMA (COVID-ETF; 28) als
auch die FDA (29) warnen inzwischen vor dem Risiko schwerwiegender
Nebenwirkungen bei der Anwendung von HCQ bzw. CQ zur Behandlung von
COVID-19.
Angesichts dieser
Ergebnisse und Nebenwirkungen erscheint die Ende März für
CQ und HCQ erteilte EAU durch die FDA (5) – obwohl zu diesem
Zeitpunkt überzeugende Evidenz für die Wirksamkeit und
Sicherheit dieser beiden Wirkstoffe aus klinischen Studien nicht
vorlag – als fahrlässig und erfolgte vermutlich aufgrund
des öffentlichen Drucks, ausgelöst durch die
COVID-19-Pandemie mit schweren Krankheitsverläufen und
zahlreichen Toten. Der Empfehlung US-amerikanischer Experten im
„Journal Watch“ des N. Engl. J. Med. vom 24. April 2020
schließen wir uns deshalb uneingeschränkt an (30):
„Angesichts der unzureichenden Ergebnisse zur Wirksamkeit
beider Wirkstoffe und Bedenken hinsichtlich ihrer Toxizität
sollten CQ oder HCQ zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 derzeit
nicht außerhalb kontrollierter klinischer Studien eingesetzt
werden“.
Eine sehr
informative Übersichtsarbeit zur medikamentösen Behandlung
von COVID-19, die auch acht häufig in diesem Zusammenhang
gestellte Fragen beantwortet, wurde kürzlich in JAMA publiziert
(31). Aktuelle Hinweise der derzeit in klinischen Studien geprüften
Arzneimittel mit Empfehlungen für ihren Einsatz in Abhängigkeit
vom Schweregrad von COVID-19 finden sich auf der Homepage des NIH
(32).
Insbesondere in
Krisensituationen wie der COVID-19-Pandemie sollten wir die
Studienergebnisse und die daraus sich ergebende Evidenz für die
Wirksamkeit von Medikamenten kritisch beurteilen. Dabei müssen
wir auch mögliche Verzerrungen (Bias) der Studien bedenken, die
unsere klinischen Entscheidungen beeinflussen (33, 34).
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