Mit Abschwächung der
ersten COVID-19-Welle steigen persönliche und epidemiologische,
aber auch wirtschaftliche und politische Interessen an der Erhebung
des SARS-CoV-2-Antikörperstatus vieler Menschen. Dabei sind zwei
unterschiedliche Arten von Tests grundsätzlich zu unterscheiden:
Labortests und Schnelltests.
Labortests:
Es handelt sich um Tests zum Nachweis von SARS-CoV-2-Antikörpern
(Ak) mittels Enzyme-Linked-Immunosorbent-Assay (ELISA) oder
Elektrochemolumineszenz (ECL)-Immunassay. Sie ermöglichen
Medizinlabors einen quantitativen
SARS-CoV-2-Ak-Nachweis („Titerbestimmung“) mit potenziell
hoher Sensitivität und Spezifität und können
automatisiert viele hundert Proben gleichzeitig untersuchen. Mehrere
sind bereits kommerziell verfügbar oder stehen kurz vor der
Zulassung.
Zuletzt erhielt im Mai ein
Ak-Test auf Elektrochemolumineszenz (ECL)-Basis (Elecsys®
Anti-SARS-CoV-2, Roche Diagnostics) eine CE-Zertifizierung sowie eine
FDA-Notfallzulassung („Emergency Use Authorization“; EUA)
und wird seither in geplanten Stückzahlen von mehreren Millionen
pro Monat ausgeliefert. Es handelt sich bei Elecsys®
um ein gebräuchliches immunologisches Labortest-Verfahren,
welches auf weltweit verbreiteten Standard-Laborplattformen rasch und
in großer Zahl durchgeführt werden kann. Nach
Herstellerangaben lag die Sensitivität des Nachweises von
SARS-CoV-2-Ak (> 14 Tage nach positiver PCR!) bei 100%
(n = 208) und die Spezifität bei 99,8% (n = 5.272; 1).
Die Ergebnisse bzw. die Aussagekraft dieses und anderer Ak-Tests sind
jedoch grundsätzlich mit Vorbehalt zu interpretieren (s.u.), da
sehr viele Faktoren zum SARS-CoV-2 und zu den immunologischen
Reaktionen noch unzureichend bekannt sind.
Schnelltests:
Seit einigen Wochen werden von einer zunehmenden Zahl kommerzieller
(Online-)Anbieter Kits für Schnelltests auf SARS-CoV-2-Ak
angeboten, die auch von Hausärzten, Apotheken und auch von
Einzelpersonen selbst durchgeführt werden können (Preislage
meist 150-200 €). Diese sogenannten „Point-of-Care
(POC)-Tests“ beruhen auf einer Kombination aus
Dünnschichtchromatographie und Immunassay. Durch Färbung
auf einem Teststreifen (wie z.B. auch bei Schwangerschaft- oder
Drogenschnelltests) erfolgt ein qualitativer
Nachweis (positiv/negativ) von IgG- und IgM-Ak, die gegen Antigene
von SARS-CoV-2 gerichtet sind.
Klinische Validierungen von
Anti-SARS-CoV-2-Schnelltests an Probandengruppen sind bisher nicht
vorhanden oder unzureichend (z.B. 2). In
den USA war die FDA zuletzt gezwungen vor deren Anwendung zu warnen
(3), nachdem der US-amerikanische Markt und in weiterer Folge der
globale Online-Handel von mangelhaft validierten Produkten –
überwiegend aus China – geradezu überschwemmt wurden.
Vorangegangen war eine sehr problematische Entscheidung der FDA, nach
der ca. 90 Herstellern die Vermarktung ihrer Antikörpertests
ohne die in solchen Situationen sonst übliche EUA erlaubt wurde
– unter der aus unserer Sicht nicht akzeptablen Auflage, die
Validierung eigenverantwortlich durchzuführen (4).
Eine vorerst als Preprint
(ohne Peer-Review-Verfahren) publizierte dänische Studie
untersuchte an sehr kleinen Stichproben die Sensitivität und
Spezifität neun verschiedener, CE-zertifizierter und in Europa
zugelassener (auch in Dänemark erhältlicher) Ak-Tests
unterschiedlicher Hersteller – sechs POC-Schnelltests und drei
ELISA-Tests (5). Die Tests wurden mit Seren von 30
intensivpflichtigen, durch positiven molekularen Virusnachweis
mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) bestätigten
COVID-19-Patienten durchgeführt. Als Kontrolle wurden Seren von
10 Gesunden (archiviert vor Ausbruch der Pandemie, keine
Reiseanamnese), Seren von insgesamt 50 Patienten mit anderen
respiratorischen Infekten (sowohl Corona- als auch Nicht-Coronaviren)
und Seren von insgesamt 20 Patienten mit Dengue-Fieber,
Epstein-Barr-Virus- oder Cytomegalievirus-Infektion untersucht.
Während die drei ELISA-Tests ganz überwiegend
zufriedenstellende Ergebnisse zeigten, waren die der neun POC-Tests
deutlich heterogener (s. Tab. 1). Im zeitlichen Verlauf der
COVID-19-Erkrankung nahmen die Testsensitivitäten
erwartungsgemäß tendenziell zu und lagen bei 40-86% in der
„frühen“ Phase (7-13 Tage nach Symptombeginn),
bei 67-100% in der mittleren Phase (14-20 Tage) und bei 78% in
der späten Phase (≥ 21 Tage). Die Testspezifitäten
lagen bei einem ELISA- und vier POC-Tests bei 100%, die übrigen
zeigten unterschiedliche Kreuzreaktionen mit anderen Viren (Adeno,
Dengue, CoV-HKU1).
Als Einschränkung der
Ergebnisse ihrer monozentrischen Studie führen die Autoren an,
dass als Positivgruppe Intensivpatienten getestet wurden und die
Ergebnisse nicht direkt auf Patienten mit milderem oder ganz
symptomlosem Verlauf übertragbar sind. Allerdings gäbe es
aus anderen Untersuchungen keine Hinweise darauf, dass bei diesen
Patientengruppen mit anderen Serokonversionsraten zu rechnen sei. Zu
bedenken ist auch, dass die beobachteten Zahlen der Sensitivität
und Spezifität nur für die untersuchte, sehr kleine
Population mit 30 positiv- und 80 negativ getesteten Patienten gelten
und in größeren Populationen naturgemäß mit
abweichenden Werten zu rechnen ist. Insbesondere ist nicht von einem
so hohen Anteil an 100%iger Spezifität auszugehen. Die
Ergebnisse sind als vorläufig zu betrachten, und die Bedeutung
der Publikation liegt besonders darin, dass sie erstmals in einer
Population mehrere kommerziell verfügbare
SARS-CoV-2-Antikörpertests vergleicht.
Für die klinische
Interpretation der Ergebnisse von Antikörper-Tests sind
grundsätzlich folgende allgemeine Zusammenhänge zu
beachten. Dies gilt insbesondere für POC-Tests:
Einflüsse auf die
Sensitivität: SARS-CoV-2-spezifische
Ak der Klasse IgM und IgG sind erst ab der 2. Erkrankungswoche
bei 40% der Patienten nachweisbar (IgA etwas früher). Etwa ab
der 3. Woche liegt dann die Nachweisbarkeit spezifischer Ak bei
> 90% – mit äußerst großen
interindividuellen Schwankungen. Bei Patienten mit Immunsuppression
ist zu bedenken, dass die Ak-Antwort trotz bestehender oder
abgelaufener COVID-19-Erkrankung unterhalb der Nachweisgrenze
bleiben kann.
Einflüsse auf
Spezifität: Da
die Struktur von SARS-CoV ausgeprägte Homologien zu anderen
Viren aufweist, insbesondere zu anderen humanpathogenen Coronaviren,
können Ak-Tests nach trivialen Erkältungserkrankungen
Kreuzreaktionen zeigen. Nur ein geringer Anteil der antigenen
Virusoberfläche ist SARS-CoV-2-spezifisch, z.B. ein Teil des
Spike-Proteins mit der „Receptor-Binding-Domain“ (RBD).
Ak, die gegen andere Regionen des Virus oder auch gegen andere Teile
des Spike-Proteins gerichtet sind, sind deutlich weniger spezifisch.
Für viele Ak-Tests – insbesondere für zahlreiche
POC-Tests – ist diese Kreuzreaktivität nur ungenügend
charakterisiert.
In
folgenden Fragestellungen könnten Ak-Tests auf SARS-CoV-2 nach
aktuellem Stand möglicherweise als sinnvoll angesehen werden
(6-9).
Voraussetzung
ist die Verwendung optimal validierter Tests und die an die jeweilige
Situation angepasste Interpretation unter Beachtung der Sensitivität
und Spezifität:
Symptomatische
Patienten: Aufgrund
der oben genannten Einschränkungen haben Ak-Tests keinen
Stellenwert in der Diagnostik der akuten COVID-19-Erkrankung.
Abschätzung
der individuellen Immunität und des Infektionsrisikos
asymptomatischer Personen:
Dies erscheint primär für Personen sinnvoll, die Kontakt
mit vulnerablen und/oder an COVID-19 erkrankten Personengruppen
haben, z.B. im Gesundheitswesen, in der Lebensmittelversorgung, im
familiären Umfeld. Eventuelle praktische, juristische und
ethische Konsequenzen („Immunitätszertifikat?,
COVID-Pass“?) sind vorerst jedoch noch völlig unklar und
unseres Erachtens kritisch zu sehen.
Seroepidemiologische
Untersuchungen und Abschätzung einer Herdenimmunität:
Die tatsächliche Zahl der aktuellen und abgelaufenen
symptomatischen und asymptomatischen Infektionen in der
Gesamtbevölkerung und damit wesentliche epidemiologische
Kennzahlen von SARS-CoV-2, wie Manifestationsindex und
Infektionsletalität, können erst durch große,
repräsentative Stichproben mit hochspezifischen Ak-Tests
(Spezifität deutlich > 99%) abgeschätzt werden
(„Serosurveys, Serosurveillance“). Derartige
Untersuchungen sind zurzeit an vielen Forschungsinstituten weltweit
im Gange.
Gewinnung
von Ak für therapeutische Zwecke: Ak-Tests
sind eine Voraussetzung, um potenzielle Spender von
Rekonvaleszentenseren zu identifizieren. Diese könnten für
die passive Immunisierung schwer kranker COVID-19-Patienten
herangezogen werden, wie sie derzeit an mehreren Zentren in ersten
Studien evaluiert wird (vgl. 11).
Aufgrund
der eingeschränkten Aussagekraft (Sensitivität/Spezifität)
und der teilweise fehlenden Validierung raten neben der FDA
mittlerweile auch die WHO (8) und das RKI (9) sowie
Gesundheitsministerien, Krankenkassen, Apotheker- und Ärzteverbände
(10) dringend von der Anwendung von POC-Tests („Schnelltests“,
„Selbsttests“, „Streifentests“) in allen
genannten Bereichen ab.
Fazit:
Die Durchführung serologischer SARS-CoV-2-Antikörpertests
sollte definierten klinischen und epidemiologischen Fragestellungen
vorbehalten bleiben und in Anbetracht verschiedener noch ungeklärter
Fragen außerhalb klinischer Studien mit Zurückhaltung
erfolgen. Von der Anwendung sogenannter „Point-of-Care“-Streifentests
(„Schnelltests“) – insbesondere in der Form von
Patienten-Selbsttests – ist dringend abzuraten. Diese sind
weder zur Diagnostik in der akuten Erkrankungsphase noch zur
verlässlichen Beurteilung der individuellen Immunität
geeignet. Eine aktuell publizierte Gegenüberstellung zeigt
beträchtliche Unterschiede bei Sensitivität und Spezifität
von neun CE-zertifizierten SARS-CoV-2-Antikörpertests.
Literatur
- https://diagnostics.roche.com/
global/en/products/params/ elecsys-anti-sars-cov-2.html

- Döhla,
M., et al.: Public Health 2020,182,170.
- https://www.fda.gov/news-events/
press-announcements/coronavirus-covid
-19-update-serological-test-validation -and-education-efforts

- https://www.nytimes.com/2020/04/19/
us/coronavirus-antibody-tests.html

- Lassaunière,
R., et al.:

- Abbasi,
J.: JAMA 2020.

- https://www.oeglmkc.at/corona.html

- https://www.who.int/news-room/commentaries/detail/
advice-on-the-use-of-point-of-care-
immunodiagnostic-tests-for-covid-19

- https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/
Vorl_Testung_nCoV.html

- https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4908825

- AMB
2020, 54,
30.

|