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Grippeimpfungen in Australien: simultane Mehrfachimpfungen haben mehr Nebenwirkungen

Im Zusammenhang mit einer Erkrankung an der saisonalen Grippe durch Influenzaviren sterben jedes Jahr vor allem ältere Menschen (1, 2). Nach Angaben des Robert Koch-Instituts schwankt die Zahl der Todesfälle bei den jährlichen Grippewellen stark, von mehreren hundert bis über 20.000 (3). Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt deshalb für alle Personen ab 60 Jahre sowie für Risikopatienten die jährliche Impfung (4). In der Bevölkerung und selbst bei exponiertem Klinikpersonal wurde die Impfung bisher noch wenig angenommen, wie eine Befragung des Robert Koch-Instituts 2018 zeigt (5). Wenig überzeugende Daten zur Wirksamkeit, über die wir mehrfach berichtet haben (6), sowie Zweifel an der Unbedenklichkeit und Sicherheit haben bisher zu Impfscheu und -zurückhaltung beigetragen (7). Das könnte sich nach den Erfahrungen mit der SARS-CoV-2-Pandemie, gegen die bisher kein Impfstoff existiert, möglicherweise ändern.

In Australien wurde nach einer Grippe-Epidemie 2017 mit > 1.200 Toten – die meisten davon waren > 65 Jahre – und einem Anstieg von knapp 300% im Vergleich zum Vorjahr (8), eine Untersuchung durch das Australian National Immunisation Program (NIP) veranlasst, um die Sicherheit von zwei neuen Impfstoffen gegen den Influenzastamm 2018 auf der Südhalbkugel zu evaluieren (9).

Studiendesign: Das NIP finanzierte eine Kohortenstudie mit trivalenter inaktivierter Influenza Vakzine (TIIV) mit einer Anwendungsempfehlung für Personen > 65 Jahre: entweder den hochdosierten TIIV-Impfstoff HD-IIV3 mit 60 µg Hämagglutinin pro Stamm oder den adjuvanten (verstärkten) TIIV-Impfstoff aIIV3 mit 15 µg Hämagglutinin pro Stamm und einer MF 59 Öl-in-Wasser-Emulsion als Adjuvans (10). Impfstoffverstärker können eine bessere Immunantwort erzeugen im Vergleich zu Standard-Impfstoffen (11-14), sind aber mit häufigeren lokalen Reaktionen an der Einstichstelle verbunden, wenngleich nach Datenlage ohne Zunahme systemischer Nebenwirkungen (NW; 11, 15-17).

Das Postmarketing Vaccine Safety Surveillance ist ein Kontrollinstrument in Australien (AusVaxSafety), um Impfreaktionen bei großen Impfprogrammen systematisch zu erfassen und frühzeitig Auffälligkeiten im Hinblick auf die Sicherheit eines Impfstoffs zu erkennen (18). Dabei wird eine unerwünschte Impfreaktion einfach über eine Handy-SMS vermittelt.

In der aktuellen Studie wurde 3-5 Tage nach einer Grippeimpfung über die Systeme SmartVax (19) oder Vaxtracker (20) automatisch eine SMS an die Geimpften versandt mit der Frage nach dem Auftreten unerwünschter Reaktionen, die nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden konnte. In einer zweiten SMS wurde abgefragt, ob der Betroffene wegen der unerwünschten Wirkung einen Arzt aufgesucht hatte. Dann wurde die NW über eine kleine Abfrage genauer differenziert: Fieber, Schmerzen an der Einstichstelle sowie Rötung und Schwellung, Müdigkeit, Kopfschmerz, Veränderung des Schlafverhaltens, Erregbarkeit, Hautausschlag, Erbrechen, Durchfall, Rigor, Bewusstlosigkeit, Krampfanfall.

Mehr als 220.000 Grippeimpfungen wurden auf diese Weise im Jahr 2018 über das AusVaxSafety nachverfolgt. In die aktuelle Analyse wurden nur Grippegeimpfte mit einer adjuvanten oder hochdosierten Vakzine, empfohlen für Personen > 65 Jahre, im Zeitraum vom 1. April bis 31. August 2018 in Australien eingeschlossen, die sich binnen 7 Tagen auf die Anfrage per SMS zurückgemeldet hatten.

Ergebnisse: In dem Beobachtungszeitraum wurden 72.013 dieser Impfungen bei > 65 Jährigen registriert. Insgesamt 50.134 Geimpfte (69,6%, medianes Alter 71 Jahre, 54% Frauen) antworteten auf die initiale SMS innerhalb von 7 Tagen. Von diesen hatten 28.003 Personen (55,9%) den trivalenten Impfstoff aIIV3 erhalten und 19.306 (38,5%) HD-IIV3; 4,4% erhielten eine quadrivalente inaktivierte Influenza-Vakzine (QIIVs). Von den Teilnehmern hatten 12,3% neben der Grippeimpfung mindestens eine weitere Impfung erhalten, wobei HD-IIV3-Geimpfte etwas häufiger mit mindestens einer weiteren Vakzine simultan geimpft worden waren als aIIV3-Geimpfte (13,2% vs. 11,6%), am häufigsten mit einer 23-valenten Pneumokokkenimpfung (70,5% vs. 67,2%). Etwa 22% in beiden Kollektiven hatten simultan eine Impfung gegen Herpes Zoster erhalten. Relevante klinische und demografische Daten waren in den Kollektiven gleich.

Insgesamt 3.684 aller Geimpften (7,4%) berichteten über NW, aber nur 0,3% suchten deshalb einen Arzt auf, unabhängig ob mit aIIV3 oder mit HD-IIV3 geimpft. Frauen waren häufiger betroffen als Männer (8,7% vs. 5,8%). Die hochdosierte Vakzine HD-IIV3 war im Vergleich zu adjuvanten aIIV3 und quadrivalenten QIIVs Impfstoffen häufiger mit NW verbunden (8,9% vs. 6,4% vs. 6,3%); Risk Ratio (RR) im Vergleich zu aIIV3: 1,1; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,05-1,08; p < 0,001. Die Inzidenz von NW nahm mit zunehmendem Alter der Patienten ab und mit fortschreitender Grippesaison zu. Zu Beginn der Saison war überwiegend der adjuvante Impfstoff aIIV3 verabreicht worden (67%) und erst im Verlauf zunehmend mehr HD-IIV3. Eine Abhängigkeit von klinischen oder anderen demografischen Daten der Teilnehmer fand sich nicht. Die Inzidenz von NW nach QIIVs-Injektion war etwa gleich wie nach der Vakzine aIIV3.

Die häufigsten NW waren: Schmerzen an der Einstichstelle (aIIV3: 1,3%; HD-IIV3: 2,1%, alle anderen 1,1%), Schwellung oder Rötung um die Punktionsstelle (0,9% vs. 1,4% vs. 0,7%), Müdigkeit (1,2% vs. 1,9% vs. 1,0%), Kopfschmerz (0,9% vs. 1,4% vs. 1,1%), Fieber (0,6% vs. 1,1% vs. 0,7%; p < 0,001 für alle); NW waren also insgesamt selten, unter HD-IIV3 aber häufiger. Kein signifikanter Unterschied zeigte sich in der Inzidenz von Übelkeit, Diarrhö, zerebralen Symptomen sowie der Zahl von Arztbesuchen im Vergleich der 3 Impfstoffe untereinander.

Nach zeitgleicher Injektion von zwei oder mehr Impfstoffen – unabhängig von der Impfstoffspezies – traten wesentlich häufiger NW auf, die mit einem Arztbesuch verbunden waren, als nach alleiniger Grippeimpfung (14,7% vs. 6,3%; p < 0,001). In Kombination mit der 23-valenten Pneumokokkenvakzine PPSV23 war die Rate für NW mit 18,0% besonders hoch (adjustierte RR: 2,8; CI: 2,58-3,00; p < 0,001). Die Zahl von Arztbesuchen im Gesamtkollektiv war nach einer Mehrfachimpfung viermal höher (0,8% vs. 0,2%), in der Kombination mit PPSV23 im Vergleich zur alleinigen Grippeimpfung verfünffacht. Eine simultan gegebene Zoster-Vakzine zeigte in dieser Hinsicht eine relativ bessere Verträglichkeit. In der multivariaten Analyse ergab sich für die Kombination von HD-IIV3 mit PPSV23 ein RR von 4,1 für den Bedarf an Arztkonsultationen (CI: 2,82-6,00; p < 0,001).

Die Autoren geben u.a. zu bedenken, dass die Dokumentation von NW anhand einer Vorschlagsliste erfolgte und auf einer Einschätzung von medizinischen Laien beruht, so dass es an Objektivierung der gemeldeten NW durch medizinisches Fachpersonal mangelt.

Fazit: Der hochdosierte trivalente Impfstoff HD-IIV3 gegen die saisonale Grippe 2018 zeigte in einer Nachbeobachtungsstudie aus Australien eine höhere Nebenwirkungsrate in der älteren Bevölkerung (> 65 Jahre) als ein adjuvant verstärkter trivalenter Grippeimpfstoff aIIV3 oder eine quadrivalente Vakzine. Insgesamt hatten aber nur 0,3% der Betroffenen deshalb einen Arzt aufgesucht. Am häufigsten waren lokale Impfreaktionen. Für simultane Impfungen gegen Pneumokokken oder Zoster zeigten sich viel häufiger Nebenwirkungen, wobei hier die Zosterimpfung in der Kombination vergleichsweise besser vertragen wurde. Allerdings wird in Deutschland für den neuen Zosterimpfstoff Shingrix seit dem 15. April 2020 wegen starker lokaler Impfreaktionen mit Bläschenbildung vom Paul-Ehrlich-Institut zur Teilnahme an einer Nachbeobachtungsstudie aufgerufen.

Literatur

  1. World Health Organization, Newsrelease December 17, 2017: Link zur Quelle
  2. Lang, P.O., et al.: Clin. Interv. Aging 2012, 7, 55. Link zur Quelle
  3. https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Influenza/FAQ_Liste.html Link zur Quelle
  4. www.rki.de Link zur Quelle
  5. Epidemiologisches Bulletin 2018, 32, 313. Link zur Quelle
  6. AMB 2012, 46, 10 Link zur Quelle . AMB 2012, 46, 09. Link zur Quelle
  7. Nagata, J.M., et al.: BMC Public Health 2013, 13, 388. Link zur Quelle
  8. Australian Bureau of Statistics: Link zur Quelle
  9. Pillsbury, A.J., et al.: JAMA Network Open 2020, 3, e204079. Link zur Quelle
  10. Australian Government Department of Health Therapeutic Goods Administration 2018 seasonal influenza vaccines. Accessed February 6, 2019. Link zur Quelle
  11. Della Cioppa, G., et al.: Hum. Vaccin. Immunother. 2014, 10, 1701. Link zur Quelle
  12. Van Buynder, P.G, et al.: Vaccine 2013, 31, 6122. Link zur Quelle
  13. Spadea, A., et al.: Vaccine 2014, 32, 5290. Link zur Quelle
  14. Diaz Granados, C.A., et al.: N. Engl. J. Med. 2014, 371, 635. Link zur Quelle
  15. Tsang, P., et al.: Vaccine 2014, 32, 2507. Link zur Quelle
  16. Falsey, A.R., et al.: J. Infect. Dis. 2009, 200, 172. Link zur Quelle
  17. Frey, S.E, et al.: Vaccine 2014, 32, 5027. Link zur Quelle
  18. Pillsbury, A.J., et al.: BMJ Open 2018, 8, e023263. Link zur Quelle
  19. Leeb, A., et al.: Med. J. Aust. 2014, 200, 416. Link zur Quelle
  20. Cashman, P., et al.: Vaccine 2014, 32, 5503. Link zur Quelle