Der vermutliche
Pathomechanismus der sehr selten nach der Impfung von Vaxzevria
(AstraZeneca) gegen SARS-CoV-2 beobachteten Gerinnungsstörungen
wurde inzwischen von Wissenschaftlern aus Deutschland, Österreich
und Kanada aufgeklärt. In einer derzeit nur als Preprint auf
Research Square publizierten Untersuchung wird die Entwicklung einer
prothrombotischen Erkrankung nach Impfung mit Vaxzevria genau
beschrieben und auf einen ähnlichen klinischen Verlauf wie bei
der Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) hingewiesen (1;
vgl. 2). Gleichzeitig werden praktische Empfehlungen gegeben für
eine rationale Diagnostik und geeignete therapeutische Maßnahmen,
die auf einer genauen Analyse der klinischen Symptome und
Laborbefunde von 9 Patienten aus Deutschland und Österreich
basieren, die nach Impfung mit Vaxzevria Thrombosen und eine
Thrombozytopenie entwickelten (1). Zusätzlich konnte das Serum
von 4 dieser Patienten auf Antikörper gegen Plättchen-Faktor 4
(PF4) und Heparin untersucht werden. Die 9 Patienten (8 Frauen
und ein Mann im Alter von 22-49 Jahren; Median: 36 Jahre)
entwickelten eine Thrombose im Zeitraum von 4-16 Tagen nach der
Impfung, darunter 7 eine Hirnvenenthrombose („cerebral venous
sinus thrombosis = CVST) und jeweils ein Patient eine Lungenembolie
und eine Venenthrombose im
Splanchnikusgebiet
plus CVST.
Indexpatientin war eine
zuvor gesunde 49-jährige Krankenschwester, die Mitte Februar
2021 ihre erste Impfung mit Vaxzevria erhalten hatte (1). Sie klagte
in den folgenden Tagen über leichte Beschwerden wie Müdigkeit,
Myalgien und Kopfschmerzen und ab Tag 5 nach der Impfung
zusätzlich über Schüttelfrost, Fieber, Übelkeit
sowie Schmerzen im Epigastrium. Sie wurde daraufhin am Tag 10
nach der Impfung ins Krankenhaus eingewiesen. Die Laboruntersuchungen
ergaben eine ausgeprägte Thrombozytopenie (17/µl) sowie
deutlich erhöhte Werte der D-Dimere (352 µg/ml). Eine
PCR-Untersuchung auf SARS-CoV-2 aus einem Nasopharyngealabstrich
ergab ein negatives Ergebnis. Die computertomographische Untersuchung
(CT) zeigte sowohl eine Thrombose der Pfortader als auch periphere
pulmonale Embolien. Die Patientin wurde deshalb mit Antibiotika
(intravenös), Analgetika und niedermolekularem Heparin
(Enoxaparin s.c.) behandelt. Da sich die Laborwerte am folgenden Tag
nicht besserten und die abdominellen Schmerzen zunahmen, erfolgte
erneut eine CT-Untersuchung des Abdomens, die eine Zunahme der
Thrombose in der Pfortader und den Venen im
Splanchnikusgebiet
sowie den oberen Mesenterialvenen ergab. Aufgrund dieser Befunde, dem
Nachweis diffuser gastrointestinaler Blutungen sowie Aszites in
CT-Untersuchungen und einem Laktatwert von 3,7 mmol/l wurde die
Patientin auf die Intensivstation verlegt. Ihr Zustand
verschlechterte sich trotz Transfusionen von Erythrozyten und
Thrombozyten, Gabe von Prothrombinkomplex (PPSB) sowie rekombinantem
Faktor VIIa. Sie starb an Tag 11 nach der Krankenhausaufnahme.
Auch die anderen 8 Patienten entwickelten eine oder mehrere
thrombotische Komplikationen, u.a. zerebrale Venenthrombosen,
pulmonale Embolien, und jeweils eine venöse Thrombose im
Splanchnikusgebiet bzw. arterielle Thrombose. Alle Patienten hatten
eine Thrombozytopenie (Median: 29/µl), und bei 2 der
9 Patienten war zuvor eine Autoimmunerkrankung
(demyelinisierende Erkrankung des Nervensystems) bzw.
Gerinnungsstörung (Antiphospholipid-Syndrom) diagnostiziert
worden. Keiner der Patienten hatte vor Auftreten der Thrombosen
Heparin erhalten. Zum Ausschluss einer Heparin-induzierten
Thrombozytopenie (HIT) wurden Seren bei 4 der 9 Patienten
hinsichtlich des Nachweises von Plättchen-aktivierenden
Antikörpern gegen PF4/Heparin untersucht (3, 4). Die Seren
der 4 Patienten zeigten eine starke Aktivierung der
Thrombozyten, sowohl in Anwesenheit von PF4 als auch von Vaxzevria,
die durch monoklonale IgG-Antikörper blockiert werden konnte.
Dies wurde als Hinweis auf eine Plättchenaktivierung über
den Fcγ-Rezeptor
gewertet,
wie bei einer HIT. Eine Aktivierung der Thrombozyten konnte
demgegenüber in keinem Serum von 20 ebenfalls mit Vaxzevria
geimpften Kontrollpersonen nachgewiesen werden (1).
Bei Auftreten der o.g.
Symptome, Thrombozytopenie und/oder Nachweis einer Thrombose sollte
zunächst, unabhängig von einer vorherigen
Heparinexposition, eine Testung auf pathophysiologisch relevante
Antikörper veranlasst werden. Als erster Screeningtest auf HIT
wird heute der immunologische Nachweis von Antikörpern gegen den
Komplex aus PF4 und Heparin durchgeführt (5, 6). Ist dieser
Test negativ, kann eine HIT-ähnliche spezifische immunologische
Genese der Thrombose/Thrombozytopenie ausgeschlossen werden. Dabei
muss allerdings beachtet werden, dass ein schwach bzw. mäßig
positiver PF4/Heparin-Antigentest keineswegs bedeutet, dass
potenziell pathogene, durch die Impfung induzierte Antikörper
vorhanden sind. Bei dieser Laborkonstellation sollte ggf. eine
Blutprobe an ein Labor gesendet werden, in dem spezielle
Untersuchungen auf eine Aktivierung von Thrombozyten durchführt
werden. Darüber hinaus muss auch an andere Trigger gedacht
werden, die ebenfalls ähnliche Symptome wie bei HIT auslösen
können, z.B. Pentosanpolysulfat, antiangiogene Wirkstoffe,
Chondroitinsulfat und virale bzw. bakterielle Infektionen (1). Die
Frage, ob es sich nach Injektion von Vaxzevria um Autoantiköper
gegen PF4 handelt (z.B. ausgelöst durch einen
antiinflammatorischen Stimulus der Impfung) oder der Impfstoff selber
die Bildung Plättchen-aktivierender Antikörper induziert,
kann anhand der bisher vorliegenden Untersuchungen noch nicht
beantwortet werden (1). Wichtig ist jedoch, dass bei Auftreten
thrombotischer Komplikationen an eher ungewöhnlichen
Lokalisationen im Körper (z.B. Gehirn, Abdomen) etwa 5-14 Tage
nach Impfung – häufig verbunden mit einer Thrombozytopenie
– gedacht wird an die Möglichkeit einer sehr seltenen,
durch die Impfung ausgelösten Nebenwirkung, die bisher
allerdings vor allem nach Vaxzevria beobachtet wurde (vgl. 11).
Obwohl sich diese nach
Impfung gegen SARS-CoV-2 aufgetretene Nebenwirkung anamnestisch meist
eindeutig von einer HIT unterscheiden lässt, empfehlen die
Autoren zur Behandlung der prothrombotischen Störung anstelle
von Heparin eine Therapie mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK)
und evtl. bei lebensbedrohlichen Komplikationen (z.B. CVST) die
Gabe hochdosierter intravenöser Immunglobuline, ähnlich wie
bei der sog. autoimmunen HIT. Für diese neue Entität einer
Gerinnungsstörung schlagen die Autoren die Bezeichnung „vaccine
induced prothrombotic immune thrombocytopenia“ (VIPIT) vor,
auch um eine Verwechslung mit der HIT zu vermeiden (1).
Die Gesellschaft für
Thrombose- und Hämostaseforschung e.V. (GTH) in Deutschland
beschäftigt sich in einer aktualisierten Stellungnahme vom
1.4.2021 zur Impfung mit Vaxzevria ausführlich mit der Inzidenz,
dem zuvor dargestellten Pathomechanismus und dem klinischen Verlauf
dieser prothrombotischen Störung (5). Darüber hinaus
enthält die Stellungnahme der GTH auch einen informativen
diagnostischen und therapeutischen Algorithmus zum Vorgehen bei
Patienten mit Thrombozytopenie/Thrombose nach Impfung mit Vaxzevria.
Bis zum Ausschluss einer (autoimmunen) HIT sollte nach Einschätzung
von erfahrenen Hämostaseologen auf eine Antikoagulation mit
Heparinen verzichtet und auf alternative, HIT-kompatible Wirkstoffe
wie DOAK, Danaparoid, Argatroban oder ggf. Fondaparinux ausgewichen
werden. Bei Patienten mit VIPIT bzw. bestätigter (autoimmuner)
HIT und Nachweis kritischer Thrombosen (z.B. CVST oder Thrombose
im Splanchnikusgebiet) sollten – in Übereinstimmung mit
den o.g. Empfehlungen – intravenös Immunglobuline
hochdosiert (z.B. 1 g/kg Körpergewicht pro Tag) verabreicht
werden. Für den Nutzen einer prophylaktischen Gabe von z.B.
Acetylsalicylsäure oder niedermolekularem Heparin zur Vermeidung
thrombotischer Komplikationen nach Impfung mit Vaxzevria gibt es aus
unserer Sicht derzeit keine Evidenz.
Bis zum 4.4.2021 wurden
„EudraVigilance“ (Europäische Datenbank gemeldeter
Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen) insgesamt
169 Fälle von CVST und 53 Fälle einer Thrombose
im Splanchnikusgebiet berichtet. Der bei der EMA zuständige
Ausschuss für die Überwachung der Sicherheit von
Arzneimitteln bzw. Impfstoffen („Pharmacovigilance Risk
Assessment Committee“ = PRAC) hat am 7.4.2021 die o.g.
Nebenwirkungen nach Vaxzevria erneut analysiert und entschieden, dass
diese sehr seltenen Nebenwirkungen (Thrombosen, Thrombozytopenie) in
die Fach- und Gebrauchsinformation zu Vaxzevria aufgenommen werden
sollen (6). Außerdem sollten Ärzte und mit Vaxzevria
geimpfte Personen darüber informiert werden, dass diese
Nebenwirkungen meist innerhalb von 2 Wochen nach der 1. Impfung
auftreten, vorwiegend Frauen im Alter unter 60 Jahren betreffen
und eindeutige Risikofaktoren hierfür vom PRAC bisher nicht
identifiziert werden konnten. In der Information für
Gesundheitsberufe wird auf den o.g. Mechanismus (Immunantwort mit
atypisch verlaufender HIT) hingewiesen (6, 12). Mit Vaxzevria
geimpfte Personen sollten deshalb bei Auftreten von Symptomen einer
Gerinnungsstörung (Atemnot, Brustschmerz, Beinschwellung,
persistierende abdominelle Schmerzen), neurologischen Symptomen
(schwere und anhaltende Kopfschmerzen, Sehstörungen) und
Petechien (jenseits der Injektionsstelle am Oberarm) sofort ihren
Arzt aufsuchen.
Trotz dieser sehr
seltenen Nebenwirkungen hält die EMA an ihrer ursprünglichen
Entscheidung (Nutzen überwiegt eindeutig die Risiken) fest und
empfiehlt weiterhin die Impfung mit Vaxzevria – anders als die
Ständige Impfkommission (Empfehlung: Impfung nur noch für
Personen im Alter ab 60 Jahren; 7) – ohne Altersbeschränkung
für alle Personen ab 18 Jahren.
Im Unterschied zu
Deutschland werden in Großbritannien (GB) derzeit nur 2
Impfstoffe (BioNTech/Pfizer und Vaxzevria) verwendet, die beide von
der „Medicine and Healthcare products Regulatory Authority“
(MHRA) nach gründlicher Analyse der Ergebnisse klinischer
Studien zu Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität des Impfstoffs
zugelassen wurden. Neben der Überwachung der Sicherheit der
beiden Impfstoffe durch die MHRA gibt es in GB das sog. „Yellow
Card scheme“, das den geimpften Personen ermöglicht,
vermutete Nebenwirkungen einer Impfung freiwillig zu melden (8). Bis
zum 31.3.2021 wurden in GB ca. 20,2 Mio. Dosen von Vaxzevria
verimpft. Die weit überwiegende Zahl der mittels „Yellow
Card“ berichteten Nebenwirkungen bezog sich auf bereits
bekannte lokale und systemische akute Nebenwirkungen dieses
Impfstoffs. Bis einschließlich 31.3.2021 wurden 44 Fälle
von CVST und 35 Fälle von venösen Thrombosen in
anderen Körperregionen mit Thrombozytopenie berichtet, die alle
nach der 1. Impfung mit Vaxzevria aufgetreten waren (8). Diese
schweren Nebenwirkungen traten bei 51 Frauen auf, die in GB
häufiger mit Vaxzevria geimpft wurden, und bei 28 Männern.
An diesen Komplikationen starben 19 Personen (13 Frauen und
6 Männer), darunter 11 Personen im Alter unter
50 Jahren und 3 unter 30 Jahren (9). Das „Joint
Committee on Vaccination and Immunisation“ (JCVI) in GB
berichtete am 7.4.2021 über insgesamt etwa 4 Mio.
Infektionen mit SARS-CoV-2 in GB, an denen mehr als 120.000 Menschen
gestorben sind (9). Auch aus Sicht des JCVI überwiegt der Nutzen
der Impfung mit Vaxzevria deutlich die Risiken bei Personen im Alter
von ≥ 30 Jahren und bei Personen < 30 Jahren
mit Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19. MHRA und
JCVI empfehlen ausdrücklich, alle mit Vaxzevria geimpften
Personen gründlich über diese sehr seltenen Nebenwirkungen
zu informieren und bei Auftreten der oben genannten Symptome nach der
Impfung sofort einen Arzt aufzusuchen (10).
Redaktionsschluss: 6.4.2021
Literatur
-
Greinacher, A., et al.:
-
AMB 2021, 55,
21.

-
Warkentin,
T.E., et al.: Blood 2014, 123,
3651.
-
Rice,
L.: Hematology Am. Soc. Hematol. Educ. Program 2017, 667.
-
https://gth-online.org/wp-content/uploads/
2021/04/GTH-Stellungnahme-AstraZeneca_ 4-1-2021.pdf

-
https://www.ema.europa.eu/en/news/
astrazenecas-covid-19-vaccine-ema-finds-possible-link-very-
rare-cases-unusual-blood-clots-low-blood

-
https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/
Empfehlungen/AstraZeneca-Impfstoff-2021-03- 30.html;jsessionid=
EA73A50CCC3DFA49DADEF59333FE392B.internet082

-
https://www.gov.uk/government/publications/coronavirus
-covid-19-vaccine-adverse-reactions

-
https://www.gov.uk/government/news/mhra-issues-
new-advice-concluding-a-possible-
link-between-covid-19-vaccine-astrazeneca-and-
extremely-rare-unlikely-to-occur-blood-clots

-
https://www.gov.uk/government/publications/
use-of-the-astrazeneca-covid-19-vaccine-
jcvi-statement/jcvi-statement-on-use-of-
the-astrazeneca-covid-19-vaccine-7-april-2021

-
AMB
2021, 55,
24.

-
https://www.ema.europa.eu/en/documents/
rmp-summary/vaxzevria-previously-covid-19-vaccine-
astrazeneca-epar-risk-management-plan_en.pdf

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