Zusammenfassung: Bisher
gibt es keine offensichtlichen Hinweise für Sicherheitsbedenken
einer Impfung gegen SARS-CoV-2 mit mRNA-Impfstoffen im 3. Trimenon.
Im Rahmen des US-amerikanischen Impf-Surveillance-Systems gab es in
der Nachbeobachtung von fast 4.000 Schwangeren seit Impfbeginn
Mitte Dezember insgesamt 712 Lebendgeburten zum Stichtag 28. Februar
2021. Die Impfungen wurden von mehr als 35.000 Schwangeren innerhalb
der gesamten Kohorte des Surveillance-Systems und in
unterschiedlichen Stadien der Schwangerschaft gut vertragen. Alle
unerwünschten Ereignisse entsprachen bisher der Inzidenz in der
gleichaltrigen „Normalbevölkerung“. Die weitere
Überwachung, besonders der Ereignisse in frühen Stadien der
Schwangerschaft, ist von großem globalen Interesse. Die
vorliegenden Daten können eine Hilfe sein in der Beratung
Schwangerer mit Impfwunsch unter Einbeziehung des individuellen
Infektionsrisikos. Weitere Ergebnisse werden dringend benötigt,
denn das Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 und die
Letalität ist in der Schwangerschaft erhöht. Elf
Fachgesellschaften der Gynäkologie und Geburtshilfe kommen
deshalb, gestützt durch Daten des deutschen CRONOS-Registers, zu
dem Schluss, dass Schwangere und Stillende priorisiert mit
mRNA-basierten Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 geimpft werden sollten.
Für Impfungen im Zeitraum der Konzeption und frühen
Schwangerschaft ist die Datenlage noch unklar. Die STIKO ist
gegenüber einer generellen Impfung in der Schwangerschaft ab dem
2. Trimenon weiterhin zurückhaltend. Das Risiko für
den Säugling durch die Impfung einer stillenden Mutter hält
sie für gering.
Im Dezember 2020 erhielten die beiden
SARS-CoV-2-Impfstoffe BNT162b2 (Tozinameran = Comirnaty®,
Pfizer-BioNTech) und mRNA-1273 (Moderna) eine Notfall-Zulassung in
den USA und danach eine beschleunigte Zulassung in weiteren Ländern.
In den Zulassungsstudien waren Schwangere ausgeschlossen worden.
Untersuchungen haben aber ergeben, dass Schwangere mit
SARS-CoV-2-Infektion, verglichen mit Nicht-Schwangeren im
reproduktionsfähigen Alter, ein höheres Risiko für
einen schweren Verlauf von COVID-19 haben – d.h. Aufenthalt auf
der Intensivstation mit invasiver Beatmung, ggf. extrakorporaler
Membranoxygenierung (ECMO) wegen Lungenversagens, sowie eine höhere
Sterblichkeit (1) und ein erhöhtes Risiko für Frühgeburten
(2). Neben den amerikanischen Centers for Disease Control and
Prevention (CDC) haben sich auch die Food and Drug Administration
(FDA) und weitere Fachgesellschaften in den USA dafür
ausgesprochen, dass Schwangeren die Impfung nicht vorenthalten werden
sollte (3-5). Für eine solche Empfehlung ist das
Sicherheitsprofil dieser Impfstoffe von entscheidender Bedeutung, und
jede Anwendung in dieser Indikation muss besonders sorgfältig
nachverfolgt werden. Auch der Herstellungsprozess dieser mittels
neuer Technologien hergestellten Impfstoffe, die neben der mRNA auch
Lipid-Nanopartikel enthalten, bedarf einer strengen Überwachung.
Die Daten zur Anwendung von
mRNA-Vakzinen in der Schwangerschaft sind bislang noch spärlich.
Vorläufige Auswertungen hinsichtlich der Sicherheit dieser
Impfstoffe in der Schwangerschaft wurden jetzt aus drei
US-amerikanischen Impfstoff-Überwachungssystemen veröffentlicht
(6): “v-safe after vaccination health checker” (7),
„v-safe pregnancy registry“ (8) und „Vaccine
Adverse Event Reporting System“ (VAERS; 9).
Methodik:
V-safe ist ein freiwilliges Smartphone-basiertes Abfragesystem, das
zur Erfassung der Nebenwirkungen von Impfungen gegen SARS-CoV-2
etabliert wurde. Bis 12 Monate nach der 2. Impfdosis können
Geimpfte mittels eines Fragenkatalogs ihre Beschwerden nach der
Impfung online dokumentieren. Innerhalb der 1. Woche nach jeder
Impfung können Lokalreaktionen und systemische Nebenwirkungen
(NW) gemeldet werden, wobei diese als leicht, mittel oder schwer
eingestuft werden. Die Abfrage erfolgt täglich. Wird wegen der
NW eine Ärztin oder ein Arzt konsultiert, wird dies über
VAERS in einem Telefongespräch genauer geklärt.
Teilnehmerinnen, die als Schwangere
> 18 Jahre identifiziert werden, können nach einem
persönlichen Telefoninterview einwilligen, im „v-safe
pregnancy registry“ weiter begleitet zu werden. Die
Nachverfolgung erfasst sowohl Frauen, die bei der Impfung bereits
schwanger waren, als auch solche, die während des Impfzeitraums
schwanger wurden. Details zu Schwangerschaft, Geburt und Gesundheit
des Kindes werden erfasst mit allen Besonderheiten und
Komplikationen. Dazu dürfen entsprechende medizinische Befunde
bei den behandelnden Ärztinnen und Ärzten (Gynäkologie,
Neonatologie, Pädiatrie) eingeholt werden. Neugeborene werden
über 3 Monate nachbeobachtet. Die Entscheidung zur Impfung
wurde von den Schwangeren freiwillig getroffen.
Ergebnisse:
Vom 14. Dezember 2020 bis zum 28. Februar 2021 konnten von allen
registrierten „v-safe“-Teilnehmerinnen im Alter von
16-54 Jahren insgesamt 35.691 als Schwangere identifiziert
werden; davon waren > 60% im Alter von 25-34 Jahren.
Mehr als 85% waren zum Zeitpunkt der 1. Impfung bereits
schwanger. Beurteilt wurde die Reaktogenität der Impfstoffe
BNT162b2 und mRNA-1273.
Lokale Impfreaktionen, besonders
Schmerzen an der Injektionsstelle, wurden von Schwangeren etwas
häufiger berichtet als von nicht schwangeren Frauen. Systemische
Nebenwirkungen, wie Kopfschmerz, Fieber, Schüttelfrost und
Myalgie, waren bei Schwangeren dagegen seltener. Fieber > 38°C
war bei < 1% nach der 1. Dosis und bei 8% nach der
2. Dosis aufgetreten, ähnlich wie bei nicht schwangeren
Frauen gleichen Alters und unabhängig vom Impfstoff. Auch bei
schweren NW ergab sich kein Unterschied. Bei > 97% verlief
die Schwangerschaft ohne Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion. Der Tag
der 1. Impfung lag bei 2,3% zeitnah um die Konzeption, bei 28,6%
im 1. Trimenon, bei 43,3% im 2. und bei 25,7% im 3. Trimenon.
Von den 35.691 als schwanger
identifizierten Frauen erklärten sich 3.958 (14,7%) bereit, am
„v-safe pregnancy registry“ teilzunehmen. Von ihnen
gehörten 94% zum medizinischen Personal aus der Gruppe mit der
höchsten Priorisierung für die Impfung. Bei 827 war die
Schwangerschaft zum Stichtag bereits beendet. Bei diesen Frauen
zeigten sich keine auffälligen Ereignisse: Fast 14% hatten ihre
Kinder verloren (12,6% Spontanaborte, > 93% vor der
13. Schwangerschaftswoche; eine Totgeburt). Insgesamt 712 (86%)
Kinder wurden lebend geboren; bei diesen war bei > 98% die
1. Impfung im 3. Trimenon erfolgt. Zu den unerwünschten
Verläufen gehörten Frühgeburten vor der
37. Schwangerschaftswoche (9,4%) und niedriges Geburtsgewicht
(3,2%) unterhalb der 10. Perzentile des entsprechenden
Gestationsalters nach der INTERGROWTH-21st
Tabelle (10). Bei den
Neugeborenen waren keine Todesfälle innerhalb der ersten 28 Tage
aufgetreten. Insgesamt lagen alle Ereignisse im Bereich üblicher
Inzidenzen in vergleichbaren Studien vor der Pandemie (11-14). Das
betrifft auch kongenitale Anomalien (2,2%). Von diesen hatte
angesichts des kurzen Beobachtungszeitraums keine Frau die Impfung im
Zeitfenster der Konzeption oder im 1. Trimenon erhalten. Von 221
in VAERS registrierten unerwünschten Schwangerschaftsereignissen
wurden Spontanaborte (insgesamt 46) am häufigsten gemeldet,
überwiegend im 1. Trimenon. Die meisten eingegangenen
Meldungen standen nicht im eigentlichen Zusammenhang mit einer
Schwangerschaft.
Diskussion:
Bei der Interpretation der Ergebnisse geben die Autoren zu bedenken,
dass das „v-safe pregnancy registry“-System der
Bevölkerung nicht flächendeckend bzw. nicht in allen
Impfzentren zur Verfügung stand. Die erfassten Daten beruhen
außerdem auf subjektiven und nicht grundsätzlich
validierten Angaben der Teilnehmerinnen und sind deshalb
störanfällig.
Die Ergebnisse sind also vorläufig
und betreffen fast nur Schwangere, die im 3. Trimenon geimpft
wurden. Bei fortlaufender Erhebung bestehen Chancen, auch seltenere
Ereignisse bzw. Aussagen zu Impfungen in früheren Stadien der
Schwangerschaft zu erfassen. Fehlgeburten waren auch während der
H1N1-Pandemie 2009 die am häufigsten gemeldete NW in zeitlichem
Zusammenhang mit der Impfung (15). Es gibt zunehmend Hinweise dafür,
dass bei im 3. Trimenon geimpften Schwangeren Antikörper
gegen SARS-CoV-2 über die Plazenta auf das Kind übergehen
und es nach der Geburt zu einem gewissen Grad schützen
(Leihimmunität; 16-19). Keine Daten existieren allerdings dazu,
wann nach der Impfung von einem Schutz auch des Kindes auszugehen
ist. Die FDA und die CDC werden dieser Frage intensiv weiter
nachgehen und speziell auch die Auswirkungen einer Impfung in
früheren Stadien der Schwangerschaft sowie rund um den
Konzeptionstermin untersuchen.
Auf der Basis aktueller Ergebnisse
haben jetzt insgesamt 11 Fachgesellschaften der Gynäkologie und
Geburtsmedizin in Deutschland eine Empfehlung für die Impfung
von Schwangeren und Stillenden mit einem mRNA-Impfstoff
ausgesprochen, nachzulesen z.B. auf der Homepage der Deutschen
Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtsmedizin (20).
Bisher galt die STIKO-Empfehlung, dass nur Schwangere mit
Vorerkrankungen und daraus resultierendem Risiko für einen
schweren Verlauf von COVID-19 nach Abwägung der individuellen
Vorteile und Risiken im Einzelfall geimpft werden können; eine
generelle Impfempfehlung wurde aber nicht ausgesprochen (21). Daten
aus dem deutschen CRONOS-Register, in dem im April 2021 bereits 1.905
SARS-CoV-2-positive Schwangere eingeschlossen waren, bestätigen
aber das hohe Risiko dieser Frauen: Demnach verläuft bei einer
von 25 Schwangeren eine SARS-CoV-2-Infektion mit einem
Intensivaufenthalt und eine von 2000 Erkrankten stirbt (22). Aus
den zahlreichen zitierten Quellen, die dem Positionspapier zugrunde
liegen, kommen die Autoren zu folgenden Aussagen:
Bei SARS-CoV-2 positiv getesteten
Schwangeren ist im Vergleich zu Nicht-Schwangeren das Risiko erhöht
für
intensivmedizinische
Betreuung (6-fach),
Beatmung
(23-fach),
Tod
(bis zu 26-fach),
Frühgeburt
(bis zu 80%), nach schwerem Verlauf 4-fach,
Totgeburt
(2-fach),
Präeklampsie
(80% höher), bei schwerem Verlauf bis 4-fach,
thromboembolische
Ereignisse (4,5-fach),
die
Notwendigkeit einer neonatologischen Intensivbehandlung (3-fach).
Die
Impfung von Schwangeren mit mRNA-Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 führt
dagegen:
nicht
häufiger zu schwangerschaftsspezifischen Komplikationen.
nicht
zu einem erhöhten Morbiditäts- oder Mortalitätsrisiko
für die Schwangere oder den Feten.
zu
keinem unterschiedlichen Nebenwirkungsprofil im Vergleich zu
nichtschwangeren Frauen.
zu
einem potenziellen Infektionsschutz (Leihimmunität) für
das Neugeborene durch die nach Impfimmunisierung gebildeten und
transplazentar übertragenen mütterlichen Antikörper.
Die Impfung stillender Mütter mit
mRNA-Impfstoffen:
zeigt
eine gleichwertige Antikörperbildung und ähnlich geringe
Nebenwirkungen wie in der Schwangerschaft und bei nichtschwangeren
Frauen.
kann
eine Nestimmunität (= Immunität des gestillten Kindes)
hervorrufen, da impfinduzierte Antikörper in der Muttermilch
nachgewiesen wurden.
erfordert
keine Stillpause oder -verzicht, da die mRNA des Impfstoffs nicht in
der Muttermilch nachgewiesen werden konnte.
Die
STIKO hält es demzufolge aktuell auch für sehr
unwahrscheinlich, dass eine Impfung der Mutter während der
Stillzeit ein Risiko für den Säugling darstellt. Eine
generelle Impfung in der Schwangerschaft empfiehlt sie derzeit aber
nicht (23). Schwangeren mit Vorerkrankungen und einem daraus
resultierenden hohen Risiko für eine schwere COVID-19-Erkrankung
oder mit einem erhöhten Expositionsrisiko aufgrund ihrer
Lebensumstände kann nach Nutzen-Risiko-Abwägung und nach
ausführlicher Aufklärung eine Impfung mit einem
mRNA-Impfstoff ab dem 2. Trimenon angeboten werden. Eine
akzidentelle Impfung in der Schwangerschaft ist aber keine Indikation
für einen Schwangerschaftsabbruch.
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media/publikation/neuigkeiten/ 2021-05-03_COVID-19-
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- STIKO.
Beschluss der STIKO zur 4. Aktualisierung der
COVID-19-Impfempfehlung. Epidemiologisches Bulletin 16/2021.
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M.P.U., und Rüdiger, M. CRONOS = COVID-19
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Obstetric
and Neonatal
Outcome
Study
in Germany-Network): Anesthesia & Analgesia 2021, eingereicht.
- STIKO.
Beschluss der STIKO zur 5. Aktualisierung der
COVID-19-Impfempfehlung. Epidemiologisches Bulletin 19/2021.
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