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Metaanalyse zu Ivermectin bei milden bis mittelschweren Verläufen von COVID-19: keine Behandlungsoption

In Beantwortung einer Leserfrage, ob eine Behandlung mit Ivermectin (Ive) für Patienten mit COVID-19 vorteilhaft ist, haben wir über die Evidenz aus Studien berichtet (Stand Februar 2021; vgl. 1). Seinerzeit gab es einen weltweiten Hype um diese Behandlungsoption. Nach ersten Zellkultur-Ergebnissen einer australischen Arbeitsgruppe (2), in denen Ive in sehr hoher Konzentration die virale RNA von SARS-CoV-2 deutlich reduzierte, wurde Ive bereits von mehreren Arbeitsgruppen stark propagiert, obwohl viele klinische Studien noch nicht abgeschlossen waren und solche, die beendet waren, ohne „Peer review“ noch auf Preprint-Servern lagen (1). Evidenzbasierte gültige Aussagen zu Nutzen und Schaden von Ive konnten seinerzeit noch nicht gemacht werden. Ive ist derzeit weder von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) noch in den USA von der Food and Drug Administration (FDA) in der Indikation COVID-19 zugelassen (3, 4) und wird auch nicht von der WHO und der „Infectious Diseases Society of America“ empfohlen (5, 6).

Die Studien zu Ive, die jetzt teilweise vorliegen, sind hinsichtlich der untersuchten klinischen Situationen sehr heterogen: Prophylaxe, ambulante Behandlung, Therapie in frühen und späten COVID-19-Phasen, unterschiedliche Schweregrade sowie Behandlung des Post-COVID-Syndroms. Jetzt haben Arbeitsgruppen aus den USA, Brasilien und Peru ein methodisch sehr sorgfältiges systematisches Review und eine Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien (RCT) zu Nutzen und Schaden einer Behandlung mit Ive bei Patienten mit COVID-19 publiziert (7). Die Studie wurde finanziell nicht unterstützt, und die Autoren geben an, keine Interessenkonflikte zu haben.

Methodik: Für die Analyse wurden bis zum 22. März 2021 publizierte oder als „preprint“ vorliegende RCT (Plazebo oder Standardbehandlung) in 5 Suchmaschinen ausfindig gemacht. Studien zur Prophylaxe wurden ausgeschlossen. Als primäre Endpunkte wurden ausgewertet: Mortalität aller Ursachen, Dauer des Krankenhausaufenthalts und Nebenwirkungen. Sekundäre Endpunkte waren: virale Clearance in Abstrichen aus dem Respirationstrakt, notwendige mechanische Beatmung und schwere Nebenwirkungen. Das Risiko von Verzerrungen wurde mit Hilfe des Cochrane Rob 2.0 tools evaluiert (8). Inverse Varianz-Zufallseffekt-Meta-Analysen wurden durchgeführt (9) und die Qualität der Evidenz nach der GRADE-Methodik bewertet (10).

Wichtigste Ergebnisse: Insgesamt wurden 10 RCT (n = 1.173; Spanne: 24-398) in die Analyse einbezogen, wobei in 5 die Standardbehandlung und in 5 ein Plazebo als Kontrolle diente. Bei 8 RCT bestand ein hohes Risiko für Verzerrungen, bei einem gab es Probleme bei der Randomisierung, und nur bei einem war das Risiko für Bias gering. In 8 RCT waren alle Patienten mittels RT-PCR für SARS-CoV-2 positiv getestet; in einem nur bei 71%, und in einem weiteren waren auch Patienten mit positivem Antigen-Test eingeschlossen. Das mittlere Alter der Patienten reichte von 26 bis 56 Jahre, der Anteil der Frauen von 15% bis 78%. COVID-19 wurde in 8 RCT als mild, in einem als mittelschwer und in einem weiteren als mild und mittelschwer eingestuft. Die meisten Patienten hatten keine Hypertonie, keinen Diabetes oder kardiovaskuläre Erkrankungen. Die Gesamtdosierungen von Ive reichten von 12 mg bis 210 mg, die Behandlungsdauer von einem bis zu 5 Tagen.

Von den vielen Einzelergebnissen können hier nur die klinisch am meisten relevanten wiedergegeben werden. Ive reduzierte die Mortalität aller Ursachen nicht: Relatives Risiko = RR: 0,37; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,12-1,13 (sehr niedrige Qualität der Evidenz nach GRADE-Methodik = QoE). Auch die Dauer der Krankenhausaufenthalte wurde nicht signifikant verkürzt, im Mittel um 0,72 Tage (CI : -0,86 bis 2,29; sehr niedrige QoE). Nebenwirkungen, schwere Nebenwirkungen sowie die viralen Clearances waren in den RCT, in denen diese Endpunkte untersucht wurden, gleich zwischen Ive und Kontrollen; auch hier bestand eine niedrige QoE. Die Ergebnisse in den Subgruppen, die nach Schweregrad von COVID-19 klassifiziert waren, waren meist konsistent mit denen der Gesamtanalyse. In drei RCT war die Mortalität in der Ive-Gruppe signifikant geringer, jedoch fand sich in diesen ein hohes Risiko für Verzerrung. Informationen zur klinischen Besserung durch Behandlung mit Ive sowie zur Notwendigkeit mechanischer Beatmung waren den Studien nicht zu entnehmen.

Die beste derzeit erhältliche Evidenz zeigt also, dass Ive in allen Endpunkten keine statistisch gesicherten Vorteile gegenüber den Kontrollen hat. Zu den von den Autoren benannten Schwächen dieser Ergebnisse zählt die niedrige Qualität der Evidenz in allen untersuchten Endpunkten. Die Aussagekraft ist außerdem dadurch abgeschwächt, dass die Endpunkte selten eintraten – speziell Mortalität und Nebenwirkungen. Auch gibt es Unsicherheiten, die Ergebnisse auf COVID-19 zu verallgemeinern, weil nur Patienten mit milden bis mittelschweren Verläufen eingeschlossen waren.

Die Autoren kritisieren – aus unserer Sicht zu Recht – den vielerorts nicht rationalen Einsatz von Ive, die Desinformation und fehlende Transparenz auf mehreren Webseiten sowie die fehlerhafte wissenschaftliche Kommunikation. Sie fordern RCT mit gutem Design nach internationalen Standards.

Eine aktuelle argentinische Studie, die noch nicht in die Metaanalyse eingegangen ist, ergab, dass eine zweitägige, in der Dosierung gewichtsadaptierte Behandlung mit Ive bei ambulanten Patienten (Verum: n = 250; Plazebo: n = 251) mit positivem Nasenabstrich für SARS-CoV-2 notwendige Krankenhausaufenthalte nicht reduzierte. Mechanische Beatmung war in der Ive-Gruppe sogar häufiger erforderlich (11).

Fazit: Wir schließen uns der gut begründeten Schlussfolgerung der Autoren dieser Metaanalyse an: Ivermectin zeigte in 10 randomisierten kontrollierten Studien mit wichtigen klinischen Endpunkten bei Patienten mit mildem bis mittelschwerem COVID-19 keine Vorteile gegenüber Standardtherapie bzw. Plazebo. Noch laufende Studien sollten nach Plan weitergeführt werden. Ihre Ergebnisse könnten dann diese Metaanalyse ergänzen. Bis dahin ist Ivermectin keine praktikable („viable“) Option zur Behandlung von COVID-19.

Literatur

  1. AMB 2021, 55, 19. Link zur Quelle
  2. Caly, L., et al.: Antiviral Res. 2020, 178, 104787. Link zur Quelle
  3. European Medicines Agency: Link zur Quelle
  4. U.S. Food and Drug: Link zur Quelle
  5. World Health Organization: Link zur Quelle
  6. Infectious Diseases Society of America: Bhimraj, A., et al.: Link zur Quelle
  7. Roman, Y.M., et al.: Clin. Infect. Dis. 2021, June 28. Link zur Quelle
  8. Sterne, J.A.C., et al.: BMJ 2019, 366, l4898. Link zur Quelle
  9. Veroniki, A.A., et al.: Res. Synth. Methods 2016, 7, 55. Link zur Quelle
  10. Balshem, H., et al.: J. Clin. Epidemiol. 2011, 64, 401. Link zur Quelle
  11. Vallejos, J., et al. (IVERCOR-COVID19): BMC Infect. Dis. 2021, 21, 635. Link zur Quelle