Frage von
Dr. P.O. aus Konstanz: >> In Gesprächen mit insulintherapierten
Diabetikern kommt immer wieder die Frage nach dem Zusammenhang zwischen einer
Therapie mit Insulinanaloga und Tumorwachstum auf. Können Sie bitte darstellen,
worauf sich dieser Zusammenhang genau bezieht? Handelt es sich um statistische
Daten aus klinischen Untersuchungen oder um tierexperimentelle bzw. in vitro
erhobene Daten? Aus meiner klinischen Erfahrung kann ich sagen, dass
diesbezüglich eine erhebliche Verunsicherung unter Patienten und auch Ärzten
besteht. <<
Antwort: >>
Die Diskussion, ob Insulinanaloga das Tumorwachstum fördern, geht auf das Insulinanalogon
B10 Aspart zurück, das bei Ratten vermehrt zu Mammakarzinomen geführt hat (1).
Diese Substanz kam deshalb nie auf den Markt. Die Folge waren aber
Befürchtungen, dass Insulinanaloga grundsätzlich das Wachstum von Tumoren
induzieren oder fördern könnten. Verstärkt wurden die Befürchtungen durch eine
Studie, in der an einer humanen Osteosarkom-Zelllinie Saos-2 eine vermehrte
Mitogenität des Insulinanalogons Insulinglargin (Lantus®) in vitro
gezeigt wurde, die der Mitogenität des Insulinanalogons B10 Aspart gleichkam
(2).
Außer diesen in-vitro-Daten gibt es jedoch weder für
Insulinglargin noch für die anderen drei auf dem Markt befindlichen
Insulinanaloga - Insulinlispro (Humalog®), Insulinaspart (NovoRapid®)
und Insulindetemir (Levemir®) - in Tierexperimenten oder beim
Menschen Hinweise auf eine vermehrte Tumorbildung, obwohl diese Insuline mit
einem Marktanteil von ungefähr 30% eingesetzt werden. Sie sind aber noch nicht
sehr lange im Handel (s.a. 3, 4). Das Analog Insulinlispro, das am längsten auf
dem Markt ist und mit dem die meiste klinische Erfahrung besteht, ist
inzwischen für jedes Alter zugelassen worden, und mittlerweile gibt es
zahlreiche Hinweise, dass der Einsatz während der Schwangerschaft zu keiner
Gefährdung des Kindes führt (5, 6).
Die Tumorgefahr wurde wegen einer erhöhten Bindung an
den Insulin like growth factor(IGF)-1-Rezeptor von Insulinglargin
vermutet. Der IGF-1 vermittelt unter anderem die Wachstumswirkung von
Wachstumshormon. Deshalb wurde auch eine Verschlimmerung einer bestehenden
Retinopathie befürchtet und eine retrospektive Analyse mehrerer klinischer
Studien, in denen NPH-Insulin mit Insulinglargin verglichen wurde, mit
insgesamt 2207 Patienten durchgeführt. Dabei zeigte sich in einer Studie eine
klinisch eher leichtgradige, aber signifikante Verschlimmerung der diabetischen
Retinopathie, während in den anderen Studien keine Unterschiede gezeigt wurden
(7). Eine Metaanalyse dieser Studien, die bislang nur als Kongressbeitrag
veröffentlicht ist, zeigte keine Verschlimmerung der Retinopathie unter
Insulinglargin (8). Allerdings hat die Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft im Jahre 2002 darauf hingewiesen, dass im Spontanerfassungssystem auffällig
häufig Glaskörper- und Retinablutungen unter Insulinglargin gemeldet worden
waren. Das Ergebnis einer Phase-IV-Untersuchung, die von der FDA veranlasst
worden ist, sollte im Jahre 2004 zur Verfügung stehen (9). Die Firma Aventis
führt angeblich auch eine Vergleichsstudie mit 1000 Teilnehmern über fünf Jahre
durch, die genau diese Frage untersucht. Die Ergebnisse werden erst im Jahr
2006 vorliegen. Das Problem ist also noch nicht abschließend geklärt.
Zusammengefasst liegen bislang keine gesicherten
Kenntnisse vor, ob Insulinanaloga beim Menschen die Bildung oder das Wachstum
von Tumoren fördern. Andererseits muss man bedenken, dass es aber auch keine
Studien gibt, die eine Unbedenklichkeit beweisen. Ob es diese für die
Tumorentstehung jemals geben wird, bleibt Spekulation. Zu einer möglichen
Progression der diabetischen Retinopathie unter Insulinglargin wird 2006 eine
Antwort erwartet.
Natürlich müssen bei den Insulinanaloga nicht nur
Wirkungen und Nebenwirkungen bedacht werden, sondern auch der Preis, der um
etwa 30% über dem der Humaninsuline liegt (s.a. 10). <<
Literatur
-
Vajo, Z., und Duckworth,
W.C.: Pharmacological Reviews 2000, 52, 1.
-
Kurtzhals, P., et al.:
Diabetes 2000, 49, 999.
-
AMB 2002, 36, 9.
-
AMB 2003, 37, 1.
-
Masson, E.A., et al.:
Diabetic Medicine 2003, 20, 46.
-
Buchbinder, A., et al.: J.
Matern. Fetal Neonatol. 2002, 11,
232.
-
McKeage, K., und Goa, K.L.: Drugs
2001, 61, 1599.
-
Forjanic-Klapproth, J.,
und Home, P.: Diabetologia 2001, 44 Suppl. 1, A287.
-
Arzneimittelkommission der
deutschen Ärzteschaft: Dtsch. Ärztebl. 2002, 99, C680.
- AMB 2001, 35, 95.
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