Einleitung: Eine Übersichtsarbeit
zum Parkinson-Syndrom und seiner Therapie erschien im ARZNEIMITTELBRIEF zuletzt
im Jahre 1987 (AMB 1987, 21, 65). Es stellt sich die Frage, ob es
seitdem zu wesentlichen neuen Erkenntnissen und Therapiemöglichkeiten gekommen
ist. Die Ätiologie der Erkrankung ist weiterhin nicht bekannt. Die
pathogenetischen Vorgänge, die dem degenerativen Prozeß zugrunde liegen können,
sind aber erhellt worden durch Erkenntnisse an den seltenen Formen der
familiären Parkinsonschen Erkrankung (1), durch Studien über eine gestörte
mitochondriale Funktion beim M. Parkinson (2) sowie auch durch die
Untersuchungen beim durch MPTP (1-Methyl-4-Phenyl-1,2,3,6-Tetrahydropyridin)
induzierten Parkinsonismus (3, s.a. AMB 1987, 21, 65).
Im Vergleich zu
1987 bemüht man sich heute stärker, die Parkinsonsche Erkrankung von anderen
degenerativen Erkrankungen mit Symptomen des Parkinsonismus abzugrenzen, die
meist schlechter auf L-Dopa ansprechen (4). In die Therapie ist eine Reihe
neuer Substanzen eingeführt worden, die ihre Bedeutung in der Behandlung des
fortgeschrittenen Parkinson-Syndroms haben. Eine auf den Grundprozeß gerichtete
(neuroprotektive oder gar neurorestaurative) Therapie ist weiterhin nicht
gefunden. Auch im Hinblick auf die Probleme in der Therapie mit dem ”Goldstandard"
L-Dopa gibt es keine wesentlichen neuen Erkenntnisse. Die Diskussionen darüber,
ob L-Dopa schädlich ist und ob man es früh oder erst möglichst spät einsetzen
soll, sind noch auf dem selben Stand wie vor 15 Jahren (5-7). Hinweise auf eine
toxische Wirkung von L-Dopa in den beim Menschen angewandten Dosierungen fehlen
(8). Neue galenische Zubereitungen des L-Dopa wurden eingeführt. Der Einsatz
von Anticholinergika ist aus guten Gründen deutlich rückläufig; Amantadin
(PK-Merz u. a.) hat eine gewisse Renaissance erlebt. Selegilin ist wegen der
nicht bewiesenen Hypothese, es könne neuroprotektiv wirken, zwischenzeitlich
sehr favorisiert worden. Diese Substanz wird aber inzwischen realistischer
eingeschätzt. Weiterhin wurden neue Dopaminagonisten und Hemmer der
Catecholamin-Ortho-Methyl-Transferase (COMT) in die Therapie eingeführt.
Die
neurochirurgischen Verfahren, die mit der Einführung von L-Dopa zunächst in den
Hintergrund getreten waren, werden jetzt erneut und zunehmend eingesetzt. Dies
liegt an den verbesserten bildgebenden Techniken, den computergestützten
Stereotaxie-Verfahren und der Möglichkeit, außer dem Setzen von Läsionen auch
Stimulatoren implantieren zu können. Während früher die Indikation lediglich in
der Therapie des einseitig oder deutlich seitenbetonten Tremors lag, kann man
jetzt diese Verfahren für alle pharmakoresistenten fortgeschrittenen
Parkinson-Syndrome erwägen. Auf die Besonderheiten dieser Behandlung wird in
dieser Übersicht nicht eingegangen, auch nicht auf die intrazerebrale
Implantation fetalen Mittelhirn-Gewebes, ein noch experimentelles und auch nur
begrenzt wirksames Verfahren (weiterführende Literatur 9-12).
Diagnose und
Differentialdiagnose: In Tab. 1 sind die therapeutisch wichtigen
Differentialdiagnosen zur Parkinsonschen Erkrankung aufgeführt. Die
Parkinsonsche Erkrankung mit der individuell unterschiedlich ausgeprägten
Symptomen-Trias Akinese, Rigor und Tremor (sowie vegetative Störungen:
Hypersalivation, Hyperhidrosis, Seborrhö, orthostatische Dysregulation; Abnahme
der intellektuellen Leistungsfähigkeit) ist eine nur neuropathologisch durch
den Nachweis der charakteristischen Lewy-Körperchen eindeutig zu klärende
Diagnose. Folgende zusätzliche Charakteristika machen aber zu Lebzeiten die
Annahme dieser Erkrankung sehr wahrscheinlich:
- langsamer,
asymmetrischer Beginn
- Ruhetremor
(”Pillendrehen")
- initial gutes
und im allgemeinen mehrere Jahre lang gutes Ansprechen auf L-Dopa
Andere
ZNS-Erkrankungen mit Symptomen des Parkinsonismus sprechen meist nur
kurzfristig und weniger gut auf L-Dopa an. Dennoch sollte man an den Symptomen
orientiert auch bei diesen Patienten stets einen Versuch mit L-Dopa oder
Dopaminergika unternehmen, jedoch bei mangelnder Effizienz und schwer
tolerablen Nebenwirkungen auch wieder beenden.
Der essentielle
Tremor ist, besonders bei jüngeren Patienten, ein höherfrequenter
Haltetremor, der durch Betarezeptoren-Blocker (oder auch Primidon = Mylepsinum
u.a.) gut behandelbar ist, durch L-Dopa aber verschlechtert werden kann. Der senile
Tremor ist die meist erst später auftretende Variante mit höherer
Amplitude. Der normotensive Hydrozephalus ist charakterisiert durch die
Trias hypokinetische Gangstörung, Blasenstörung und Demenz. Die CT-Diagnostik
sowie probatorische Lumbalpunktionen führen zur Diagnose und zur
neurochirurgischen Therapie (Shunt-lmplantation). Das durch Pharmaka
induzierte Parkinson-Syndrom sollte bei sorgfältiger Anamneseerhebung nicht
schwer abzugrenzen sein. Man muß aber bedenken, daß Patienten häufig zu vielen
Ärzten gehen und insbesondere nur im Abstand von mehreren Wochen applizierte
Depot-Neuroleptika ”zur Nervenstärkung" manchmal nicht angegeben werden.
Nachdem Reserpin und Alpha-Methyl-Dopa zur Therapie der arteriellen Hypertonie
fast nicht mehr eingesetzt werden, hat diese Differentialdiagnose an Bedeutung
verloren. Hinzuweisen ist aber weiterhin noch auf die zerebralen Nebenwirkungen
der Kalziumantagonisten vom Flunarizin-Typ (Sibelium u.a.). In Frühstadien
werden Parkinson-Patienten ohne Tremor nicht selten wegen Bewegungsarmut und
ziehender Schmerzen als ”Weichteil-Rheumatiker" fehldiagnostiziert.
Oszillationen
der Beweglichkeit bei behandelten Parkinson-Patienten: Insbesondere bei länger
behandelten Parkinson-Patienten gibt es eine Reihe von Fluktuationen in der
Beweglichkeit, von denen die meisten eine Beziehung zur Behandlung haben, aber
auch unmittelbar krankheitsbedingt sein können. Um diese richtig einzuordnen,
bedarf es neben dem Beobachten der Phänomene einer gründlichen Anamnese, damit
die Beziehung zwischen Medikamenteneinnahme und Auftreten der Fluktuation
richtig erfaßt werden kann (13). Neben der (z.B. durch Schreck ausgelösten)
plötzlichen sog. paradoxen Kinesie gibt es plötzliche motorische Blockierungen
(”Freezing"), bei denen es nicht zu einer akuten Verschlechterung des
Rigors kommt. Beide Phänomene kommen auch bei unbehandelten Patienten vor. Im
Verlauf der Parkinsonschen Erkrankung verlieren die dopaminergen Neurone der
Substantia nigra ihre Fähigkeit, L-Dopa zu speichern und kontinuierlich
abzugeben, so daß der Patient im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung auf
eine möglichst kontinuierliche dopaminergeStimulation angewiesen ist. Hierin
liegt die Ursache für Änderungen des klinischen Status in Abhängigkeit von der
dopaminergen Stimulation mit Auftreten von unerwünschten Akinesen und
Hyperkinesen. Insbesondere schmerzhafte Dystonien in Stadien zu geringer
dopaminerger Stimulation werden oft nicht korrekt erkannt (insbesondere die
nächtliche und frühmorgendliche schmerzhafte Dystonie). Bei den Hyperkinesen
sind die sog. schmerzlosen Peak-of-dose-Dyskinesien mit choreatiformem
Bewegungsbild die häufigsten. Seltener kommt es auch im Rahmen des Anflutens
und Abflutens zu Dyskinesien (sog. diphasische Dyskinesien).
Therapeutisch
eingesetzte Substanzgruppen: L-Dopa (Dihydroxyphenylalanin,
Levodopa): L-Dopa ist seit der Einführung in den 60er Jahren auch heute
noch die wirksamste Substanz. Sie wirkt auf alle drei Kardinalsymptome. Auch im
Hinblick auf den Tremor ist sie den Anticholinergika überlegen (14). Der
Einsatz von L-Dopa ohne Decarboxylasehemmer ist obsolet; klinisch
bedeutsame Unterschiede zwischen den beiden verfügbaren Hemmern (Carbidopa und
Benserazid) existieren nicht. Die Dosierung von L-Dopa (in Kombination
mit einem Decarboxylasehemmer) liegt üblicherweise zwischen 200 und 800 mg/d.
Es ist anzustreben, mit einer möglichst niedrigen Dosierung auszukommen,
verteilt auf vier Tagesdosen. Wenn es zu einem oszillierenden Wirkungsverlauf
kommt, ist eine weitere Fraktionierung anzustreben, wobei mehr als 6
Einzeldosen täglich von den meisten Patienten nicht toleriert werden. Eine
Fraktionierung mit Einzeldosen < 50 mg ist oft klinisch nicht sehr wirksam,
da damit eine therapeutisch wichtige Konzentrationsänderung im Serum nicht mehr
erreicht wird. Insbesondere morgens brauchen die Patienten zunächst eine höhere
Dosis, um ”in die Gänge zu kommen". Die lösliche Form ist deshalb morgens
manchmal von Vorteil (Madopar LT). Es muß bedacht werden, daß man die volle
Wirksamkeit einer Dosissteigerung erst nach etwa 3 Wochen erkennen kann.
Eiweißreiche
Mahlzeiten können wegen der Zufuhr konkurrierender Aminosäuren die Resorption
von L-Dopa behindern. Dies bedeutet, daß man bei Patienten mit Oszillationen
L-Dopa möglichst eine halbe Stunde vor der Mahlzeit geben sollte.
L-Dopa kann mit
anderen Parkinson-Medikamenten kombiniert werden. Ohne gleichzeitige Reduktion
der L-Dopa-Dosis kann es dann aber vermehrt zu Hyperkinesen oder auch toxischen
Psychosen kommen. Bei der Kombination mit Anticholinergika muß bedacht werden,
daß durch die Verringerung der Darmmotilität die Resorption verändert werden
kann. Kombinationen mit Antidepressiva sind möglich und oft auch notwendig, da
depressive Verstimmungen beim Parkinson-Syndrom häufig sind. Trizyklische
Antidepressiva haben sich gut bewährt, aber auch die selektiven
Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer können eingesetzt werden. In Einzelfällen sind
darunter allerdings Verschlechterungen beschrieben worden (15). Die Kombination
mit unselektiven Monoaminooxidase(MAO)-Hemmern ist kontraindiziert, die
Kombination mit MAO-B-Hemmern und dem reversiblen MAO-A-Hemmer Moclobemid
(Aurorix) ist möglich. Kombinationen mit klassischen Neuroleptika sind sinnlos;
die Kombination mit atypischen Neuroleptika, insbesondere Clozapin (Leponex),
ist bei Dopa-induzierten Psychosen aber möglich und sehr wirksam (s.u.).
Direkte
Dopaminergika: Die direkten Dopaminrezeptor-Agonisten lassen sich nach den
Besonderheiten ihrer Rezeptor-Affinität, der Halbwertszeit und der Struktur in
Ergot-Derivat (= Mutterkorn) oder Nicht-Ergot-Derivat einteilen. Der am
längsten eingesetzte, klassische Vertreter ist Bromocriptin (Pravidel u.a.).
Für die Anti-Parkinson-Wirksamkeit ist ein Agonismus auf die Rezeptoren der D2-Familie
notwendig. Welche Bedeutung ein zusätzlicher modulierender Einfluß auf die D1-Rezeptoren
hat, ist nicht ausreichend bekannt. Derzeit sind in Deutschland 7 direkte
Dopaminagonisten zur Kombinationstherapie mit L-Dopa zugelassen (s. Tab 2A).
Lediglich Ropinirol (Requip) hat formal auch die Zulassung zur Monotherapie.
Abgesehen von
Ropinirol und Pramipexol (Sifrol) sind die anderen Dopaminagonisten
Ergot-Derivate und haben daher, wenn auch sehr selten, die substanzspezifischen
Nebenwirkungen (Wirkungen auf das Bindegewebe, insbesondere retroperitoneale
und Pleurafibrosen, Ödeme). Eine besondere Nebenwirkung von Pramipexol, die
erst kürzlich in ihrer Tragweite bekannt geworden ist und unbedingt beachtet
werden muß, ist plötzliches Einschlafen bei Alltagsaktivitäten (32). Patienten,
die mit Pramipexol behandelt werden, dürfen daher kein Kraftfahrzeug führen
oder Maschinen bedienen, bei denen eine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit
eine große Gefahr bedeutet. Im Hinblick auf mögliche psychotrope Nebenwirkungen
sind die Dopaminagonisten riskanter als L-Dopa. Auf die einzelnen
Nebenwirkungen kann aber hier nicht näher eingegangen werden. In der Behandlung
von Patienten mit oszillierendem Wirkungsverlauf sind aus prinzipiellen
Überlegungen Agonisten mit längerer Halbwertszeit zu bevorzugen. Kontrollierte
Studien, welche die verschiedenen Dopaminagonisten miteinander vergleichen und
die Grundlage für gut begründbare Präferenzen sein könnten, existieren nicht
(lediglich Ropinirol wurde mit Bromocriptin verglichen und erwies sich als
wirksamer (16). Ein Patient, der mit den ”alten" Dopaminagonisten
Bromocriptin oder Lisurid (Dopergin) gut behandelt ist, sollte nicht umgestellt
werden. Lassen sich bei einem solchen Patienten Oszillationen aber nicht
ausreichend behandeln, ist der Therapieversuch mit einem der erst kürzlich
zugelassenen Dopaminagonisten gerechtfertigt.
Die Tab. 2 A und 2
B geben eine Übersicht über die wesentlichen Charakteristika, die Dosierungen
und Preise der wichtigsten Parkinson-Medikamente. Die Dosierung von Pramipexol
und Amantadin muß bei Niereninsuffizienz angepaßt werden.
Hammer der
Monoaminoxidase Typ B (MAO-B): Selegilin (Deprenyl) ist der einzige
Vertreter dieser Substanzgruppe. Es ist gut verträglich und einfach zu dosieren
(mit 10 mg/d erfolgt eine weitgehend vollständige Blockade des Enzyms). Die
Substanz hat unbestritten ihren Wert, wenn es zu einem oszillierenden Verlauf
gekommen ist. Unter Reduktion von etwa 20% der L-Dopa-Dosis läßt sich das Wirkungsprofil
glätten. Die Hoffnung auf eine neuroprotektive Wirkung hat sich nicht sichern
lassen. Berichte über eine möglicherweise erhöhte kardiovaskuläre Letalität
sind bestritten worden (17-20).
Hemmer der
Catecholamin-Ortho-Methyl-Transferase (COMT): Durch Hemmung der
COMT wird der Abbau von L-Dopa und Dopamin sowohl in der Peripherie als auch im
ZNS gehemmt. Die periphere Hemmung der COMT ist aber das entscheidende
Wirkprinzip, da L-Dopa bereits in der Peripherie zu dem unwirksamen
3-Ortho-Methyl-Dopa abgebaut wird, welches seinerseits mit L-Dopa um die
Aufnahme durch die Blut-Hirn-Schranke konkurriert. Durch die Ko-Medikation
eines COMT-Hemmers erhöht sich die relative Bioverfügbarkeit von L-Dopa, ohne
daß die maximale Plasmakonzentration wesentlich beeinflußt wird (21). Tolcapon
und Entacapon sind zugelassen worden, Tolcapon wurde nach kurzer Zeit wegen
mehrerer Fälle mit schwerster Lebertoxizität aus dem Handel genommen (s. AMB
1998, 32, 96). Entacapon (Comtess) wird in einer Dosierung von 200
mg/100 mg L-Dopa dosiert (max. 10mal 200 mg/d). Eine Zunahme von Dyskinesien
ist durch L-Dopa-Anpassung auszugleichen. Gastrointestinale Nebenwirkungen
(insbesondere Diarrhö) und Verfärbung des Urins sind zu erwähnen. Die
Transaminasen bedürfen der Kontrolle.
Amantadin: Amantadin (PK-Merz
u.a.) ist eine lang bewährte Substanz mit unterschiedlichen Wirkmechanismen.
Seit mehreren Jahren ist bekannt, daß sie auch antiglutamaterg wirkt
(Antagonist des ionotropen Rezeptors, der durch N-Methyl-D-Aspartat = NMDA
stimulierbar ist). Das Interesse an dieser Substanz hat aus folgenden Gründen
wieder zugenommen: Glutamat kann in pathologischen Konzentrationen exitotoxisch
wirken und somit möglicherweise eine Neurodegeneration fördern. Untersuchungen
am Parkinson-Tiermodell haben gezeigt, daß der Dopaminmangel im nigrostriatalen
Bereich aufgrund eines Rückkopplungsmechanismus mit einer
Glutamat-Überaktivität assoziiert ist. Außerdem existieren Hinweise, daß es im
Rahmen der L-Dopa-Langzeitbehandlung zu einer Übersensibilisierung der
NMDA-Rezeptoren in Striatum kommt (22). Nach einer Studie (23) gibt es
Hinweise, daß die Ko-Medikation von Amantadin sich günstig auf die Entwicklung
L-Dopa-induzierter Dyskinesien auswirkt. Unter diesem Aspekt hat die Substanz
eine gewisse Renaissance erlebt. Sie ist zur Monotherapie in den Frühstadien
der Erkrankung geeignet, und es gibt die genannten Hinweise auf einen positiven
Einfluß auch in Spätstadien. Der vigilanzsteigernde Effekt ist noch
hervorzuheben. Bei Niereninsuffizienz muß die Dosierung angepaßt werden.
Amantadin kann als Infusion gegeben werden (bei akinetischer Krise und z.B.
perioperativ).
Anticholinergika: Anticholinergika
(genauer: Antimuscarinergika) sind die ersten Medikamente zur Behandlung der
Parkinsonschen Erkrankung gewesen. Sie haben inzwischen ihre Bedeutung
weitgehend verloren, da sie nur begrenzt wirksam sind und anticholinerge
Nebenwirkungen, insbesondere bei älteren Patienten, gefährlich sein können
(kardiale Nebenwirkungen, Verschlechterung der Symptome bei Prostatahyperplasie,
anticholinerge Delirien). Außerdem gibt es Hinweise auf Störungen kognitiver
Funktionen. Indiziert sind sie aber weiterhin beim durch Neuroleptika
induzierten Parkinson-Syndrom sowie bei fokalen und generalisierten Dystonien
(falls Botulinum-Toxin nicht oder nicht ausreichend wirksam ist). Auch eignen
sie sich zur Behandlung der bei Parkinson-Patienten gelegentlich auftretenden
Hyperhidrose (z.B. Bornaprin = Sormodren).
Budipin: Budipin (Parkinsan)
ist nicht nur dopaminerg, sondern hat auch antimuskarinerge, noradrenerge und
serotonerge Wirkungen; es ist zusätzlich ein NMDA-Rezeptor-Antagonist. Budipin
ist gegen alle Symptome des M. Parkinson wirksam, besonders jedoch gegen den
Tremor (24, 25).
Allgemeine
Therapieprinzipien: Die Abb. 1A und 1 B geben die Grundzüge und Strategien
eines Behandlungsplans wieder. Mit der Diagnosestellung sollte eine angemessene
Aufklärung des Patienten erfolgen. Diese beinhaltet auch die Mitteilung, daß
ein großer Teil der Patienten über viele Jahre hin gut behandelt werden kann.
Ältere Patienten mit einem tremordominanten Syndrom haben eine besonders gute
Prognose. Mit welcher Substanz die Behandlung begonnen werden soll, ist immer
noch Anlaß zu Kontroversen. Bei jüngeren Patienten wird im allgemeinen
empfohlen, zunächst mit einem Dopaminagonisten zu beginnen. Wenn diese
Behandlung aber zu nebenwirkungsreich ist bzw. nicht ausreichend wirkt, sollte
rasch mit L-Dopa begonnen werden. Dies gilt insbesondere, wenn die Krankheit
bereits zu einer alltagsrelevanten Funktionseinbuße geführt hat. Bei leichteren
Symptomen ist auch ein Beginn mit Amantadin gerechtfertigt. Bei älteren
Patienten sollte mit L-Dopa begonnen und erst später vorsichtig mit anderen
Medikamenten kombiniert werden. Der Beginn mit L-Dopa hat für den Patienten
auch den Vorteil, daß er nach einem möglichen Schock durch die Mitteilung der
Diagnose rasch erlebt, daß eine effektive Behandlung möglich ist. Neben der
medikamentösen Behandlung sollte eine krankengymnastische Übungsbehandlung erfolgen
(zunächst unter Aufsicht einer Krankengymnastin, später auch allein). Es
handelt sich hierbei in erster Linie um eine Schulung von Haltung und Gang mit
Einüben rascher Richtungsänderungen sowie um Lockerungsübungen. Der reduzierte
Eigenantrieb wird durch den Fremdantrieb der/des Krankengymnastin/en ergänzt.
Massagen und Fango-Packungen können die sekundären Beschwerden an Sehnen und
Gelenken lindern. Ist auch die Stimme betroffen, ist eine logopädische Therapie
hilfreich. Auf ausreichenden Schlaf sollte geachtet werden.
Behandlung der
motorischen Spätkomplikationen: Die Behandlung der motorischen
Spätkomplikationen geschieht nach zwei Prinzipien: eine stärkere Fraktionierung
der L-Dopa-Dosis und ein partieller Ersatz des L-Dopa durch Dopaminagonisten,
um damit eine kontinuierliche postsynaptische Stimulation zu erreichen. Auch
durch die zusätzliche Gabe von Selegilin und Entacapon läßt sich das
dopaminerge Wirkungsprofil glätten. Beim Umgang mit dem Patienten muß man
wissen, daß ihn leichtere Hyperkinesen meist wesentlich weniger stören als eine
auch nur geringe Hypokinese. Nächtliche schmerzhafte Dystonien lassen sich
durch abendliche Gabe retardierter L-Dopa-Präparate bessern. Insgesamt läßt
sich mit den genannten Maßnahmen der Zustand des Patienten zwar bessern, leider
ist aber ein wirklich befriedigendes Ergebnis oft nicht zu erreichen.
Behandlung der
akinetischen Krise: Die akinetische Krise kann durch Unregelmäßigkeiten in der
Medikamenteneinnahme hervorgerufen werden (z.B. durch Verwechslung der
Tablettenstärke). Oft wird die Krise auch ausgelöst durch zusätzliche
interkurrente Erkrankungen. Es handelt sich um eine bedrohliche Komplikation,
weil durch die Verschlechterung der Motorik die enterale Aufnahme der
Medikamente und eine angemessene Flüssigkeitszufuhr erschwert oder unmöglich
wird. Die Patienten bedürfen dann einer parenteralen Medikation. Die in dieser
Situation im allgemeinen eingesetzte Substanz ist Amantadin; geringe
Erfahrungen liegen auch mit Apomorphin s.c. vor (26). Zusätzlich sind gute
Pflege, Krankengymnastik und allgemein internistische Betreuung notwendig. Bei
der Sonderform des malignen L-Dopa-Entzugssyndroms kann es durch den Rigor zu
Muskelnekrosen (Rhabdomyolyse), CK-Anstieg und sekundärem Nierenversagen
kommen.
Behandlung
medikamentös induzierter Psychosen: Alle Anti-Parkinson-Medikamente haben das
Risiko psychiatrischer Nebenwirkungen. Dies gilt besonders für
Anticholinergika, gefolgt von Amantadin, den Dopaminagonisten und auch L-Dopa.
Frühsymptome einer medikamentös induzierten Psychose sind lebhaftere Träume,
besonders bei jüngeren Patienten auch mit sexuellem Inhalt. Es folgen hypnagoge
Halluzinationen (im allgemeinen szenenhaft optisch), bis es schließlich zu
einem schweren Verwirrtheitszustand kommt mit unterschiedlicher
produktiv-psychotischer Symptomatik. Es ist wichtig, diese Entwicklung
rechtzeitig zu erkennen und ihr durch eine langsame Reduktion der dopaminergen
Medikation entgegenzuwirken. Abruptes Absetzen kann zur akinetischen Krise
führen. Die Medikamente sollten in der genannten Reihenfolge vorsichtig
abgesetzt bzw. reduziert werden. Zwischen den beiden Therapiezielen ”gute
Beweglichkeit" und ”Psychosefreiheit" muß häufig ein Kompromiß
gefunden werden. Als Mittel der Wahl hat sich die zusätzliche Gabe niedriger
Dosen von Clozapin bewährt (27, 28). Einzelfallberichte über die günstige
Wirkung auch anderer atypischer Neuroleptika sowie von Ondansetron (Zofran)
liegen vor (29-31). Bei Gabe von Clozapin sind wegen möglicher Neutropenie
Blutbildkontrollen erforderlich.
Ausblick: Die bisherige
Therapie kann die Symptome bei der Mehrzahl der Patienten über viele Jahre
nahezu vollständig unterdrücken. Dennoch ist die Therapie, besonders in den
Spätstadien, oft nicht befriedigend. Optimierungen der Therapie sollten über
eine kontinuierliche dopaminerge Stimulation erreicht werden. Hier sind Studien
z.B. über den frühzeitigen kombinierten Einsatz von L-Dopa und COMT-Hemmern
wichtig. Medikamente mit neuen Wirkungsmechanismen wie z.B.
Dopamin-Wiederaufnahme-Hemmer und Adenosin-Antagonisten befinden sich in frühen
klinischen Studien. Letztlich muß es aber das Ziel einer Therapie sein, den
degenerativen Prozeß, der sich besonders im dopaminergen System bemerkbar
macht, kausal anzugehen. Ausgehend von der Tatsache, daß es zu abnormen
Eiweißablagerungen kommt (Lewy-Körperchen, bestehend aus Tau-Protein und
Alpha-Synuklein), wären Therapieverfahren denkbar, die der Ablagerung abnorm
konfigurierter Eiweißstoffe entgegenwirken. Ein derartiges Therapieprinzip ist
auch bei der Huntingtonschen Chorea und den autosomal dominanten
spinozerebellären Atrophien wünschenswert. Da der degenerative Prozeß sich auch
auf die Mitochondrienfunktion auswirkt, sind medikamentöse Eingriffe in den
mitochondrialen Energiestoffwechsel denkbar, wobei sich aber Vitamin E nicht
bewährt hat.
Wenn in
Zukunft praktisch anwendbare Erkenntnisse über die Beeinflussung der Apoptose
vorliegen, gibt es möglicherweise auch neue Therapieansätze für den M.
Parkinson, da der degenerative Prozeß vermutlich über einen apoptotischen
Zelluntergang läuft.
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Änderung der
Gebrauchsinformation (Packungsbeilage) von Sifrol. Rundschreiben der Boehringer
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(EPAR) der EMEA vom 19. Juli 1999.
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