Zusammenfassung: Insulinanaloga
wurden entwickelt, um die physiologische Insulininkretion therapeutisch besser
nachzuahmen. Dadurch soll eine bessere Einstellung der Glukose im Blut erreicht
werden. Derzeit befinden sich zwei kurzwirksame Insulinanaloga, Insulin aspart
(NovoRapid) und Insulin lispro (Humalog), und ein langwirksames
Insulinanalogon, Insulin glargin (Lantus), auf dem Markt. Die beiden
kurzwirksamen Insulinanaloga sind gleichwertig. Der einfache Austausch von
Normalinsulin durch kurzwirksame Insulinanaloga ergibt keine bessere
Einstellung der Blutglukose. Um dies zu erreichen, müssen auch die NPH-Insuline
zu den Hauptmahlzeiten gegeben werden, was zu einer komplizierten Therapie mit
7-8 Injektionen/d führt und diabetologisches Fachwissen voraussetzt. Hinweise auf
ein zunächst vermutetes erhöhtes Tumorrisiko haben sich nach über 5 Jahren
Therapie mit Insulin lispro nicht ergeben. Das langwirksame Insulin glargin
wird nur einmal am Tag injiziert, während NPH-Insuline meist zweimal am Tag
gegeben werden. Es führt zu keiner besseren Einstellung der Blutglukose im
Vergleich mit NPH-Insulinen. Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und
rezidivierenden Hypoglykämien ist Insulin glargin jedoch eine sinnvolle
Alternative. Die Frage nach einem erhöhten Tumorrisiko unter Insulin glargin
ist noch nicht geklärt. Die höhere Flexibilität in der Therapie und die etwas
selteneren Hypoglykämien unter Insulinanaloga müssen gegen die 30% höheren
Therapiekosten abgewogen werden. Fast alle bisher publizierten klinischen
Studien über Insulinanaloga wurden durch die Hersteller mitfinanziert, wodurch
das Abschätzen praktischer therapeutischer Vorteile erschwert wird.
Die
Grundkomponenten der Insulintherapie, sowohl der intensivierten konventionellen
Insulintherapie (ICT = intensivierte konventionelle Insulintherapie,
Basis-Bolus-Therapie) als auch der konventionellen Insulintherapie mit
Mischinsulin (CT) sind die kurzwirksamen (Wirkdauer 3-6 h) und die langwirksamen
Insuline (Wirkdauer 10-24 h).
Die konventionellen
kurzwirksamen Insuline haben jedoch die Eigenschaft, daß ihre Wirkung
verzögert eintritt und daß sie länger wirken, als dies zum Abdecken einer
Mahlzeit nötig ist. Deshalb wird ein Spritz-Eß-Abstand und eine
Zwischenmahlzeit empfohlen. Die konventionellen langwirksamen NPH-
(neutrales Protamin Hagedorn) oder zinkverzögerten Insuline haben das
Problem, daß sie einen deutlichen Wirkungsgipfel haben und ihre Wirkung in der
späten Phase abfällt. Die Folge können nächtliche Hypo- und morgendliche
Hyperglykämien sein. Somit ist die Wirkungskinetik der herkömmlichen tierischen
oder humanen Insuline weit von der physiologischen Insulinkinetik beim Gesunden
entfernt.
Das Ziel der
Entwicklung von Analoga der Insuline ist es, der physiologischen Kinetik der
Insulininkretion näher zu kommen. Dadurch sollen der Stoffwechsel besser
eingestellt und Folgeschäden verringert werden. Mit der Umstellung auf die
gentechnologische Produktion von Insulin, die mittlerweile von fast allen
Insulinherstellern genutzt wird, ist es einfach geworden, Aminosäuren des
Insulinmoleküls zu modifizieren und sogenannte Insulinanaloga herzustellen.
In Deutschland gibt
es mindestens 4 Millionen Diabetiker, was einer Prävalenz von 5% entspricht.
Davon werden über 800000 Patienten mit Insulin behandelt. Der Anteil aller
Insulinanaloga am gesamten Insulinmarkt (nach verkauften Einheiten) beträgt in
Deutschland derzeit rund 19%. Bei den kurzwirksamen Insulinen liegt der Anteil
der Insulinanaloga (nach Einheiten) bei 36%, bei den langwirksamen Insulinen
bei 22% und bei den Mischinsulinen bei 5%.
In Deutschland sind
derzeit drei Insulinanaloga erhältlich. An kurzwirksamen Insulinanaloga sind
Insulin lispro (s.a. AMB 1997, 31, 9) seit 1996 und Insulin aspart seit
1999 auf dem Markt. Insulin lispro ist zur Diabetes-mellitus-Therapie für alle
Altersgruppen und für die Pumpentherapie (CSII = kontinuierliche subkutane
Insulininfusion) zugelassen. Für die Therapie während der Schwangerschaft
besteht keine Zulassung. Insulin lispro wird auch als Mischinsulin Mix 25 oder
Mix 50 angeboten, wobei es sich beim langwirksamen Anteil ebenfalls um Insulin
lispro handelt, das an Protamin gebunden ist. Eine Mischung von Insulinanaloga
und normalem NPH-Insulin ist nicht sinnvoll. Insulin aspart ist für die
Diabetes-mellitus-Therapie ab dem 6. Lebensjahr und für die Pumpentherapie
zugelassen. Eine Zulassung für eine Therapie während der Schwangerschaft
besteht derzeit noch nicht. Das langwirksame Insulin glargin ist seit Juni 2000
auf dem Markt und zur Therapie des Diabetes mellitus bei Erwachsenen zugelassen.
Eine Zulassung zur Therapie während der Schwangerschaft besteht nicht.
Studien, die den
Einfluß einer Therapie mit Insulinanaloga auf die klinisch relevanten
Endpunkte, nämlich die diabetischen Folgeschäden, zeigt, liegen nicht vor.
Jedoch gibt es zahlreiche Arbeiten, die die Wirkung der Insulinanaloga auf
postprandiale Glukosewerte, HbA1C, Hypoglykämien, Lipidwerte,
”Lebensqualität” und in der Pumpentherapie untersucht haben.
Kurzwirksame
Insulinanaloga: Die Moleküle der beiden kurzwirksamen Insulinanaloga haben
eine verminderte Eigenbindung im Vergleich zum Normalinsulin. Beim Insulin
lispro sind in der B-Kette an den Positionen 28 und 29 Lysin und Prolin
vertauscht. Beim Insulin aspart ist in der B-Kette an Position 28 Prolin durch
Asparaginsäure ersetzt. Durch diese Modifikationen zerfallen die
Insulinhexamere sofort nach s.c. Injektion in Di- bzw. Monomere, die schnell
resorbiert werden. Die Folge ist ein rascher Wirkungsbeginn (nach 10-15
Minuten), ein schnelles Erreichen des Wirkungsmaximums (nach einer Stunde) und
eine Gesamtwirkungsdauer von ca. 3 Stunden. Das Wirkungsprofil läßt eine
genauere Einstellung der Blutglukose, insbesondere niedrigere postprandiale
Werte, erwarten. Aufgrund dieser Kinetik ist kein Spritz-Eß-Abstand notwendig,
und bei unvorhersehbarer Eßmenge eine postprandiale Gabe genauso effektiv wie
eine präprandiale Injektion von Normalinsulin (1). Dadurch scheint eine
flexiblere Lebensführung möglich. Ebenso sind keine Zwischenmahlzeiten
notwendig, auf die gerne bei übergewichtigen Patienten verzichtet wird.
Insulin lispro: Insulin lispro ist
am längsten in der praktischen Anwendung. Mittlerweile liegen auch zahlreiche
klinische Studien vor. Eine davon war sogar verblindet, was die Aussagekraft
erhöht (2).
Wirkung auf die postprandiale
Blutglukose: In zahlreichen Studien mit Typ-1- und Typ-2-Diabetikern
waren die Blutglukosewerte 2 Stunden postprandial zwischen 15 und 40 mg/dl
niedriger als in der Normalinsulin-Gruppe. Die Blutglukosewerte lagen zwischen
150 und 250 mg/dl (2, 3).
Chronisch hohe
postprandiale Blutglukosewerte sollen das Risiko für Todesfälle durch
kardiovaskuläre Ereignisse erhöhen (7, 8, 33). Die These, daß tödliche
Myokardinfarkte bei Diabetikern durch kurzwirksame Insulinanaloga verhindert
werden könnten, ist bisher nicht bewiesen.
Wurde die Injektion
von Basalinsulin in der Insulin-lispro-Gruppe nicht verändert, waren die
spät-postprandialen (5-7 Stunden) Blutglukosewerte aber gegenüber der
Normalinsulin-Gruppe um 5-30 mg/dl höher (2, 4, 5). Die höheren spät-postprandialen
Blutglukosewerte konnten durch häufigere Gaben von NPH-Insulin (zu jeder
Hauptmahlzeit) vermieden werden (4, 6). Eine über den ganzen Tag währende
bessere Einstellung der Blutglukose mit Insulin lispro erfordert 3-4 mal
tägliche Gaben von NPH-Insulin, so daß insgesamt 7-8 Insulininjektionen/d
notwendig sind. Ergebnisse über die Kombination des 24 Stunden lang wirkenden
Insulin glargin mit Insulin lispro liegen noch nicht vor.
Wirkung auf HbA1C-Wert,
Hypoglykämien und Lipidwerte: In allen Arbeiten, in denen nur die
kurzwirsamen Insuline ausgetauscht wurden und die NPH-Insulin-Dosis nicht
verändert wurde, ist die Senkung des HbA1C unter Insulin lispro und
Normalinsulin gleich (2, 3, 9). Dies ist durch die höheren spät-postprandialen
Blutglukosewerte und die selteneren Hypoglykämien (s.u.) unter Insulin lispro
zu erklären. Wurde die Dosis von NPH-Insulin angepaßt, dann zeigte sich eine
stärkere Senkung des HbA1C mit Insulin lispro (um 0,4%-Punkte über 1
Jahr; 6).
Hypoglykämien, die
die "Lebensqualität" stark beeinträchtigen können, traten unter
Insulin lispro um 10-30% seltener auf, vor allem nachts (2, 9, 10). Auch wenn
die Therapie mit NPH-Insulin angepaßt wird und der HbA1C-Wert
stärker sinkt, ist die Hypoglykämierate unter Insulin lispro um 25% geringer
(6). Eine Verbesserung der postprandialen Blutglukosewerte unter Insulin lispro
besert nicht die Lipidwerte (3, 11).
”Lebensqualität”: Da die
Stoffwechseleinstellung unter Insulin lispro nicht grundlegend besser ist als
unter Normalinsulin, stellt sich die Frage, ob mit dem nicht erforderlichen
Spritz-Eß-Abstand und den selteneren Hypoglykämien die Lebensqualität steigt.
Die Flexibilität der Therapie und die Zufriedenheit mit der Behandlung wird
unter Insulin lispro höher bewertet (12, 13). Die allgemeine
"Lebensqualität" wurde unter Insulin lispro und Normalinsulin gleich
bewertet.
Postprandiale
Injektion von Insulin lispro: Wegen der rasch einsetzenden Wirkung von
Insulin lispro ist auch eine postprandiale Injektion noch sinnvoll. Die postprandialen
Blutglukosewerte sind bei postprandialer Gabe von Insulin lispro genauso hoch
wie bei präprandialer Gabe von Normalinsulin (1, 14). Eine postprandiale
Insulingabe ist dann sinnvoll, wenn die Eßmenge vorab nicht eingeschätzt werden
kann. Bei Kindern zeigte sich kein Nachteil, aber auch kein Vorteil bei
postprandialer Gabe von Insulin lispro gegenüber der präprandialen Gabe von
Normalinsulin (14).
Insulinpumpen-Therapie
(CSII) mit Insulin lispro: Die Pumpentherapie Insulin lispro ergab eine etwas verbesserte
Diabeteseinstellung. Der HbA1C-Wert war um 0,1%-0,5%-Punkte
niedriger als bei Therapie mit Normalinsulin (15, 16). Hypoglykämien waren
nicht häufiger. Bei der kürzeren Wirkungsdauer von Insulin lispro wäre bei
einem Defekt des Katheters eine schnellere Stoffwechselentgleisung zu erwarten.
Dies hat sich in einer Untersuchung, bei der die Insulinpumpen um 3 Uhr nachts
abgestellt wurden, jedoch nicht bestätigt (17).
Mischinsulin-Therapie
mit Insulin lispro: Viele Typ-2-Diabetiker werden mit Mischinsulinen therapiert.
Insulin lispro ist auch als Humalog Mix25 und Mix50 erhältlich. Im Vergleich
mit normalem Mischinsulin sind die postprandialen Blutglukosewerte niedriger.
Der HbA1C-Wert war nach 6 Monaten jedoch nicht verschieden (18). Es
stellt sich daher die Frage, ob bei konventioneller Insulintherapie der Einsatz
von Insulinanaloga überhaupt sinnvoll ist, denn es handelt sich hierbei um eine
Therapie ohne Anspruch auf eine genaue Einstellung der Blutglukose.
Unerwünschte
Arzneimittelwirkungen (UAW): Die früher geäußerten Befürchtungen, daß
unter Insulin lispro Tumore induziert werden könnten, haben sich bislang nicht
bestätigt.
Insulin aspart: Insulin aspart ist
ebenfalls ein kurzwirksames Insulin-Analogon. Im Vergleich zu Normalinsulin
wirkt Insulin aspart wie Insulin lispro. Bei genauer Betrachtung ist die
Wirkungskinetik im Vergleich zu Insulin lispro etwas verzögert (19).
Es gibt zwei große
Studien, die Insulin aspart bei Typ-1-Diabetikern mit Normalinsulin verglichen
haben. Beide Studien sind zwar nicht verblindet, aber durch ihre große
Patientenzahl (714 bzw. 1070) aussagekräftig (20, 21). Die postprandialen
Blutglukosewerte waren um 10-20 mg/dl niedriger als in der
Normalinsulin-Gruppe, die späten postprandialen Werte lagen unter Insulin
aspart jedoch höher (20). Die HbA1C-Senkung war in der Insulin
aspart-Gruppe signifikant stärker, wobei der Unterschied bei 0,12%- (20) bzw.
0,14%-Punkte (21) bei absoluten HbA1C-Werten um 7,9% lag. Die
klinische Relevanz dieser Unterschiede, insbesondere eine positive Auswirkung
auf diabetische Folgeschäden, ist eher fraglich.
Das Risiko schwerer
Hypoglykämien war in einer Arbeit vor allem nachts und spät-postprandial etwas
geringer (Relatives Risiko bei Insulin aspart: 0,83; 20). Die andere Studie
zeigte keinen Unterschied in der Häufigkeit von Hypoglykämien (21). Die
Zufriedenheit mit der Therapie war in der Insulin-aspart-Gruppe höher. Auch
wenn erst wenige Studien zu Insulin aspart vorliegen, zeichnet sich ab, daß
beide kurzwirksamen Insulinanaloga etwa gleiche Therapieeffekte haben. Studien,
in denen die beiden Insulinanaloga direkt verglichen werden, liegen nicht vor.
Fazit für die
Praxis: Insulin aspart und Insulin lispro sind gleichwertige kurzwirksame
Insulinanaloga. Mit beiden sind um 10-40 mg/dl niedrigere postprandiale (2
Stunden) Blutglukosewerte zu erreichen; jedoch sind die spät-postprandialen
Werte höher als unter Normalinsulin, wenn die NPH-Insulin-Dosis oder die Zahl
der NPH-Insulin-Injektionen nicht erhöht wird. Hypoglykämien sind bei beiden
Insulinanaloga um 10-30% und vor allem nachts seltener. Eine Senkung des HbA1C-Wertes
durch Umstellung auf Insulinanaloga ist nur zu erwarten, wenn gleichzeitig
NPH-Insulin zu jeder Mahlzeit zusätzlich gegeben wird. Ein einfacher Austausch
von Normalinsulin durch Insulin aspart oder Insulin lispro bringt keine
Verbesserung des Glukosestoffwechsels. Die Patienten sind aber mit dieser
Therapie zufriedener. Die Pumpentherapie mit Insulinanaloga bringt eine gering
verbesserte Stoffwechseleinstellung und birgt keine größeren Risiken einer
Ketoazidose.
Mit den
kurzwirksamen Insulinanaloga kann also keine deutlich bessere
Stoffwechseleinstellung erreicht werden. Die Unterschiede sind nur minimal, und
mit Normalinsulin ist eine gleich gute Diabeteseinstellung möglich. Deshalb
wird gerne in der Werbung auf die höhere Zufriedenheit der Patienten verwiesen.
Ob dies 30% höhere Therapiekosten und einen Marktanteil von 36% rechtfertigt,
muß bezweifelt werden.
Langwirksame
Insulinanaloga: Das langwirksame Insulinanalogon Insulin glargin hat an
Position 21 der A-Kette Glycin anstatt Asparagin und am Ende der B-Kette zwei
zusätzliche Argininmoleküle, was eine Verschiebung des isoelektrischen Punkts
von pH 5,6 auf pH 6,7 zur Folge hat. Nach s.c. Injektion kommt es zur
Präzipitation der Insulin-glargin-Hexamere. Aus den Präzipitaten werden die
Moleküle relativ konstant abgegeben. Dadurch kommt es zu einer gleichmäßigen,
nahezu linearen Wirkung ohne Wirkungsgipfel. Die Wirkung beginnt nach 1-1,5
Stunden, und die Wirkdauer beträgt nahezu 24 Stunden. Im Vergleich mit
NPH-Insulin und dem sehr langwirkenden, zinkverzögerten Insulin Ultralente, die
beide einen deutlichen Wirkgipfel haben, hat Insulin glargin die geringste
intra- und interindividuelle Variabilität der Insulinkonzentration im Plasma
(22).
Als wesentliche
Vorteile von Insulin glargin gegenüber NPH-Insulin werden die nur einmal
tägliche Gabe, die gleichmäßige Wirkung ohne Gipfel und eine geringere
Absorptionsvarianz hervorgehoben. Letztere ist auch dadurch bedingt, daß
Insulin glargin eine klare Lösung ist, die nicht durchmischt werden muß.
Da das Präparat
noch nicht lange auf dem Markt ist, liegen erst wenige Studien vor, die sich
über 4-32 Wochen erstrecken und in denen die Endpunkte HbA1C,
Nüchtern-Blutglukose, Hypoglykämien und Lebensqualität untersucht wurden. Die
Studien waren randomisiert, aber nicht verblindet. Es wurden 300-600 Patienten
pro Studie untersucht.
Wirkung auf
Nüchtern-Blutglukose: Bei Typ-1-Diabetikern wurde die morgendliche
Nüchtern-Blutglukose durch Insulin glargin im Vergleich zu NPH-Insulin um 12-35
mg/dl stärker gesenkt. Es ist jedoch zu bemerken, daß die Nüchternwerte der
Blutglukose zu Beginn der Studie sehr hoch lagen, nämlich zwischen 200 und 220
mg/dl. Eine Senkung um 35 mg/dl ist in dieser Situation noch kein
befriedigendes Therapieergebnis (23-26). Bei Typ-2-Diabetikern gab es keinen
Unterschied zwischen den Nüchternwerten, wenn Insulin glargin oder NPH-Insulin
um 22 Uhr (Bed-time-Insulin) gegeben wurde (27, 28). Eine Studie mit über 400
Typ-2-Diabetikern zeigte, daß die abendlichen postprandialen Blutglukosewerte
unter Insulin glargin signifikant niedriger lagen (178 vs. 192 mg/dl). Dieses
Ergebnis war zu erwarten, da NPH-Insulin bzw. Insulin glargin nur einmal (um 22
Uhr) gegeben wurde und somit die Wirkung des NPH-Insulins am nächsten Abend
längst abgeklungen war.
Wirkung auf den HbA1C-Wert: Durch Insulin
glargin konnte in einer Studie mit Typ-1-Diabetikern, die zuvor NPH-Insulin
injiziert hatten, eine etwas stärkere Senkung des HbA1C (von 7,96%
auf 7,80%) erreicht werden als bei Fortsetzung der Therapie mit NPH (von 7,85
auf 7,79%; 23). Diese minimalen Unterschiede haben keine klinische Relevanz.
Alle anderen Studien mit Typ-1- und Typ-2-Diabetikern zeigten keine stärkere
HbA1C-Senkung unter Insulin glargin als unter NPH-Insulinen (24,
26-28).
Hypoglykämiehäufigkeit
und "Lebensqualität": Bei Typ-1-Diabetikern sind die Ergebnisse
hinsichtlich der Hypoglykämiehäufigkeit unter Insulin glargin uneinheitlich.
Die Studie mit dem längsten Beobachtungszeitraum (28 Wochen) ergab eine
Reduktion der Hypoglykämien um 40% (24). Andere Studien zeigten beim Vergleich
von Insulin glargin mit NPH-Insulin keinen Unterschied (26), oder nur nachts
(23). Bei Typ-2-Diabetikern, die nur um 22 Uhr Insulin spritzten, konnte die
nächtliche Hypoglykämierate von 24% in der NPH-Insulin-Gruppe auf 10% in der
Insulin-glargin-Gruppe (27) bzw. von 35% auf 26% gesenkt werden (28).
Eine Studie mit
über 500 Patienten zeigte eine höhere Therapiezufriedenheit mit Insulin
glargin, während das psychische Wohlbefinden bei Insulin glargin und
NPH-Insulin gleich war (29).
UAW von Insulin
glargin: Für viel Aufregung hat eine Arbeit gesorgt, die eine 7,8fach höhere
mitogene Potenz von Insulin glargin gegenüber Normalinsulin zeigte (30). Die
erhöhte Mitogenität wird über die hohe Bindungsaffinität von Insulin glargin an
den Rezeptor von Insulin-like growth factor 1 (IGF-1) erklärt. Das Modell, bei
dem die mitogene Potenz geprüft wurde, ist eine humane Osteosarkom-Zelllinie
mit sehr vielen IGF-1- und wenig Insulinrezeptoren. Eine andere Untersuchung
mit Rattenfibroblasten, die viele Insulin- und wenig IGF-1-Rezeptoren haben,
zeigte ebenfalls die erhöhte IGF-1-Rezeptor-Affinität von Insulin glargin, aber
keine höhere Mitogenität (31). Eine Übertragung dieser In-vitro-Ergebnisse auf
den Menschen ist schwierig. Eine stärkere mitogene Wirkung von Insulin glargin
in vivo ist unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen. Ähnliche Befürchtungen
wurden bei der Einführung von Insulin lispro geäußert, haben sich aber bis
jetzt nicht bestätigt.
Eine andere
Untersuchung zeigte eine Zunahme der diabetischen Retinopathie unter der
Therapie mit Insulin glargin (32), was über die Wirkung auf den IGF-1-Rezeptor
erklärt wird. Ein unabhängiges Expertengremium, das von der Herstellerfirma
beauftragt wurde, sah keinen Zusammenhang zwischen der Progredienz der
Retinopathie und der Gabe von Insulin glargin. Bei der Arzneimittelkommission
der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) sind jedoch in den vergangenen Monaten mehrere
Meldungen über ein Fortschreiten der diabetischen Retinopathie und über
Glaskörperblutungen unter Therapie mit Insulin glargin eingegangen, die zur
Vorsicht mahnen.
Fazit für die
Praxis: Mit Insulin glargin steht ein pharmakokinetisch interssantes, über 24
Stunden konstant wirkendes Insulinanalogon zur Verfügung. Trotz der idealen
linearen Kinetik konnte der HbA1C-Wert bei Typ-1- und Typ-2-Diabetikern
nicht stärker gesenkt werden als mit NPH-Insulin. Deutlich erhöhte morgendliche
Blutglukosewerte (um 200 mg/dl) können bei Typ-1-Diabetikern mit Insulin
glargin um 15-35 mg/dl stärker gesenkt werden als mit NPH-Insulin.
Bei Typ-2-Diabetikern sind nächtliche Hypoglykämien unter
Insulin glargin seltener; dies ist bei Typ-1-Diabetikern noch nicht eindeutig
gezeigt. Patienten sind mit der Insulin-glargin-Therapie zufriedener, was durch
seltenere Hypoglykämien und durch die nur einmal tägliche Injektion erklärt
werden kann. Eine deutlich bessere Stoffwechseleinstellung ist nach einem
Wechsel von NPH-Insulin auf Insulin glargin nicht zu erwarten. Bei
rezidivierenden nächtlichen Hypoglykämien unter NPH-Insulin ist die Umstellung auf
Insulin glargin sinnvoll. Die einmal tägliche Gabe von Insulin glargin wird
immer als Vorteil angepriesen, kann aber auch die Flexibilität einschränken.
Typ-1-Diabetiker, die vor körperlicher Aktivität auch die Dosis von
Basalinsulin reduzieren, müssen bei Insulin glargin länger vorausplanen.
Alle Insulinanaloga
sind nur als U100-Insuline (100 Einheiten Insulin/ml) erhältlich. Deshalb
sollten speziell graduierte Einmalspritzen oder - besser - Insulin-Pens zur
Injektion verwendet werden. Alle Insulinanaloga kosten gleich viel, sind aber
30% teurer als die herkömmlichen Normal- und NPH-Insuline.
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