Detaillierte Angaben zur Zahl der Verordnungen von
rekombinantem humanem Erythropoietin (rhEPO) für onkologische Indikationen in
Deutschland liegen leider nicht vor. Die kürzlich von der Kassenärztlichen
Vereinigung Berlin mitgeteilten Zahlen zu den kostenintensivsten Arzneimitteln
(Epoetin alfa = Erypo und Epoetin beta = NeoRecormon an Position 2 bzw. 7; vgl.
AMB 2001, 35, 95) sprechen jedoch ebenso wie die im
Arzneiverordnungs-Report 2000 (1) für 1999 mitgeteilten Verordnungen von
Epoetin alfa und beta (definierte Tagesdosen = DDD, Steigerung gegenüber 1998:
19,6%) für einen deutlich gestiegenen Verbrauch auch für onkologische
Indikationen. In Österreich zählte rhEPO bereits 1998 zu den wachstumsstärksten
Arzneimittelgruppen, und der Umsatz von rhEPO für onkologische Indikationen
wurde auf 50-64 Mio. € geschätzt (2). In den USA beträgt der Umsatz von rhEPO
für onkologische Indikationen bei ca. 200000 jährlich behandelten Patienten
etwa 2,5 Milliarden $ (3).
Vor diesem Hintergrund sind unabhängige Analysen der
vorliegenden Studien zum Stellenwert des rhEPO für die Therapie der durch
Tumorerkrankungen oder deren Behandlung ausgelösten Anämie von großer Bedeutung
(vgl. AMB 1996, 30, 46; 1998, 32, 55a;
2000, 34, 77; 2001, 35, 55a). Eine kürzlich publizierte systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse
der bis 1999 publizierten randomisierten klinischen Studien zur Wirksamkeit der
rhEPO-Behandlung bei Patienten mit Tumortherapie-assoziierter Anämie ist
folgenden Fragen nachgegangen (4): a. Wie wirksam ist die Behandlung mit rhEPO
hinsichtlich Transfusionshäufigkeit und Verbesserung der
"Lebensqualität" bei Patienten mit Anämie, die durch Chemotherapie
oder Bestrahlung verursacht wurde? b. Können die Therapieergebnisse durch einen
frühzeitigen Beginn der Gabe von rhEPO, z.B. bei Hb-Werten ≥ 12,0 g/dl
oder als Prophylaxe, verbessert werden?
Insgesamt wurden 22 klinische Studien mit 1927
Patienten, von denen 1838 (95%) auswertbar waren, berücksichtigt. Alle diese
Studien verglichen eine Behandlung mit rhEPO plus zusätzliche Transfusion,
falls erforderlich, mit einer alleinigen Gabe von Erythrozytenkonzentraten.
Angaben zum Einfluß von rhEPO auf die Transfusionshäufigkeit fanden sich in 14
Studien und statistisch signifikante Unterschiede zugunsten der mit rhEPO
behandelten Patienten in 6 Studien. Klinische Studien, die höheren
Qualitätsansprüchen genügten (d.h. doppeltblinde Studien mit < 10%
Patientenausschlüssen) zeigten einen signifikant geringeren Effekt von rhEPO
auf die Transfusionshäufigkeit (Odds ratio: 0,45; Odds ratio: relative
Wahrscheinlichkeit, daß mit rhEPO behandelte Patienten transfundiert werden im
Vergleich zur Kontrollgruppe) als Studien mit schlechterer Qualität (Odds
ratio: 0,14). Die auf den Studien mit höherer Qualität basierende "Number
Needed to Treat" (NNT) beträgt 5,2. Dies bedeutet, daß etwa 5 Patienten
mit rhEPO behandelt werden müssen, um bei einem Patienten eine Transfusion zu
vermeiden. Insgesamt wurde in 9 klinischen Studien der Einfluß von rhEPO auf
die "Lebensqualität" analysiert, wobei jedoch nur in 7 Studien
statistische Vergleiche zwischen Kontroll- und rhEPO-Arm durchgeführt wurden. Ein
statistisch signifikanter Unterschied zugunsten des rhEPO-Arms fand sich nur in
2 klinischen Studien, in denen Patienten mit mittleren Hb-Ausgangswerten von
10,0 g/dl oder weniger behandelt wurden. Eine Metaanalyse hinsichtlich des
Einflusses von rhEPO auf die "Lebensqualität" war nicht möglich, da
in den Studien unterschiedliche Meßinstrumente zur Ermittlung der
"Lebensqualität" benutzt wurden. Prädiktive Faktoren für das
Ansprechen auf die Therapie mit rhEPO wurden in den kontrollierten klinischen
Studien nicht ermittelt, allerdings auch nicht systematisch analysiert.
Die Metaanalyse der randomisierten klinischen Studien
deckte zahlreiche Mängel auf, u.a. im Design der Studien sowie in der Analyse
und Interpretation der Ergebnisse. Zukünftige Studien sollten deshalb die
kürzlich revidierten CONSORT (Consolidated Standards of Reporting
Trials)-Richtlinien beachten (vgl. AMB 2001, 35, 46), den
Grenzwert für die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten genau festlegen und
Patienten prospektiv hinsichtlich klinischer Merkmale (z.B. Tumortyp,
vorausgegangene Behandlung, verabreichtes Therapieregime, prädiktive Faktoren
für Therapieansprechen) stratifizieren.
Fazit:
rhEPO reduziert den Transfusionsbedarf anämischer Tumorpatienten, die
Chemotherapie oder Bestrahlung erhalten. Etwa 5 Patienten müssen mit rhEPO
behandelt werden, um einem Patienten eine Transfusion zu ersparen. Nur solche
Studien, in denen Patienten mit Hb-Werten ≤ 10,0 g/dl mit rhEPO behandelt
wurden, ergaben signifikante Verbesserungen der "Lebensqualität".
Literatur
-
Arzneiverordnungs-Report 2000.
Hrsg. U. Schwabe und D. Paffrath. Springer, Berlin, Heidelberg 2001.
-
Wild, C.:
TA-Datenbank-Nachrichten 2001, 10, 50.
-
Rizzo, J.D.:
Hematology 2001. American Society of Hematology Education Program Book. S.
10-14.
-
Seidenfeld, J., et al.: J. Natl.
Cancer Inst. 2001, 93, 1204.
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