Zusammenfassung: An
drei Arzneimittel-Beispielen aus der Gastroenterologie (Protonenpumpen-Hemmer,
Interferon/Ribavirin, Infliximab) lassen sich einige Gründe für hohe Kosten und
unterschiedliche Preisgestaltung zeigen. Protonenpumpen-Hemmer sind trotz
moderater Tagestherapiekosten kostenintensiv durch ungesicherte Ausweitung der
Indikationen. Die Kosten für die Therapie der chronischen Hepatitis C mit der
Kombination Peginterferon plus Ribavirin lassen sich nur mangels
therapeutischer Alternativen bei dieser ernsten Erkrankung durchsetzen. Der
Tumor-Nekrose-Faktor-Antikörper Infliximab ist zur Therapie bei M. Crohn
hinsichtlich Nutzen und Risiken noch nicht abschließend zu beurteilen, wird
aber schon jetzt als Innovation und unter dem Gesichtspunkt, daß eventuell
Operationen vermieden werden können, relativ unkritisch positiv bewertet.
Im Jahre 2000
gehörten zu den 200 am häufigsten verordneten Präparaten 15 aus dem Bereich
Gastroenterologie (1). Gegenüber 1999 stiegen erneut die Verordnungen von H2-Rezeptor-Antagonisten,
Protonenpumpen-Hemmern und Mitteln gegen chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
Die Verordnungshäufigkeit entspricht dem hohen Anteil gastroenterologisch
kranker Patienten in den Praxen der Allgemeinmediziner und Internisten. Obwohl
ein großer Teil dieser Patienten nicht klar einzuordnende bzw. funktionelle
Beschwerden hat, werden sie dennoch medikamentös behandelt. Aus dem Bereich
Gastroenterologie sollen an drei Beispielen für kostenintensive Behandlungen
exemplarisch Mechanismen der Preisgestaltung auf dem Arzneimittelmarkt
erläutert und gleichzeitig Möglichkeiten der Kosteneinsparung diskutiert
werden.
Protonenpumpen-Hemmer
(PPI): Die Verordnungen der PPI haben sich im vergangenen Jahrzehnt nahezu
verzehnfacht. Mit 256 Mio. Tagesdosen hat diese Medikamentengruppe im Jahre
2000 erstmalig die Verordnungen der bis dahin ständig ebenfalls weiter
angestiegenen H2-Antagonisten (217 Mio.) deutlich übertroffen. Die
PPI machten im Jahre 2000 einen Gesamtumsatz von 1,052 Mrd. DM aus. Sie haben
damit einen Anteil von 48% aller Medikamente in der Gastroenterologie erreicht
(1).
Bei Betrachtung der
Indikationen für PPI (Tab. 1) wird deutlich, daß nur eine sehr geringe Zahl der
Verordnungen Patienten mit den klassischen Indikationen dieser
Medikamentengruppe, Ulcus ventriculi und Ulcus duodeni, betrifft.
Aufgrund der hohen Inzidenz, aber auch der Prävalenz der gastroösophagealen
Refluxkrankheit, die zusammen mit einer beachtlichen Aufklärungskampagne der
interessierten Pharmahersteller noch häufiger diagnostiziert wird, ergibt sich
ein enormes Verordnungspotenzial für PPI (2, 3; s.a. AMB 1999, 33, 9;
1999, 33, 31; 2000, 34, 36; 2001, 35, 39 und 95). Eine
Konsensuskonferenz der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und
Stoffwechselkrankheiten hat geschätzt, daß es in Deutschland 7-10 Mio.
behandlungsbedürftige Patienten mit gastroösophagealer Refluxkrankheit gibt.
Bei einer Kostenschätzung von 400 € pro Patient und Jahr ergibt sich ein
jährlicher Gesamtaufwand von 3 Mrd. €.
Eine große, jedoch
nicht eindeutig zu schätzende Zahl von Verordnungen der PPI betrifft die
Prophylaxe und Therapie gastrointestinaler Läsionen unter Behandlung mit
nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAID), obwohl nur ein Präparat (Antra MUPS)
für diese Indikation zugelassen ist. Auch Patienten, die mit dyspeptischen,
vermutet säurebedingten, funktionellen Beschwerden den Arzt aufsuchen, erhalten
häufig einen PPI.
Der Spielraum für
die Preisgestaltung wird in Tab. 2 am Beispiel Omeprazol deutlich. Verschiedene
Markteinflüsse haben die anfänglichen Tageskosten von 5,28 DM in mehreren
Stufen auf zuletzt 3,33 DM reduziert. Wahrscheinlich haben neu eingeführte
Wirkstoffe aus der gleichen Gruppe oder - nach Ablaufen des Patentschutzes -
preisgünstigere Generika dies begründet.
Interferon und
Ribavirin bei Hepatitis C: Die Hepatitis C ist eine häufig chronisch verlaufende
Erkrankung, die im Mittel nach 20 Jahren in eine Leberzirrhose, nach 30 Jahren
in ein Leberzellkarzinom übergehen kann (s.a. AMB 2001, 35, 41 und 2002, 36, 4b). Die Übertragung erfolgt häufig bei i.v. Drogenkonsum und früher
- vor der Möglichkeit des serologischen Nachweises - durch Blutprodukte.
Während die Hepatitis B durch aktive Impfung und entsprechende Impfstrategien
stark zurückgedrängt werden konnte, ist dies bei der Hepatitis C aufgrund eines
fehlenden Impfstoffs bisher nicht möglich. Die Prävalenz der Erkrankung wird in
Deutschland auf 600000-800000 geschätzt. Bei Beachtung von Kontraindikationen
(fortgesetzter Drogenkonsum, soziale Situation des Patienten, spezielle
Kontraindikationen für die Medikamente) kann geschätzt werden, daß eine Gruppe
von ca. 400000 Patienten für eine solche Therapie geeignet ist. Die Basis der
Therapie mit dem Ziel einer dauerhaften Elimination des Virus besteht in der
Gabe von Interferon alfa. Die Therapieerfolge haben sich durch eine Verlängerung
der Therapiezeit, die zusätzliche Behandlung mit Ribavirin (Rebetol) und
schließlich den Ersatz des konventionellen Interferons durch längerwirkende,
pegylierte Interferone (Peginterferon alfa-2b = PegIntron, Peginterferon
alfa-2a = Pegasys) von 6% auf etwa 60% steigern lassen (Tab. 3). Die Dosierung
der beiden Behandlungskomponenten und die Therapiedauer richten sich nach
Körpergewicht und individuellen Risikofaktoren, so daß heute eine angepaßte
Therapie möglich ist (4; s.a. AMB 2002, 36, 4).
Im Jahre 2000 belief sich der Umsatz der Verordnungen für
Interferon alfa-2a, Interferon alfa-2b und Ribavirin auf 330 Mio. DM, wobei der
Umsatz an Peginterferon wegen der Einführung zur Jahresmitte noch nicht genau
bekannt war (1), schätzungsweise aber bei 50 Mio. DM lag. Setzt man diese
Umsätze in Beziehung zu den Behandlungskosten für einen Patienten, so läßt sich
errechnen, daß offenbar nur ein Bruchteil der behandlungsbedürftigen Patienten
tatsächlich eine solche Therapie erhalten hat.
Die Therapiekosten
bei chronischer Hepatitis C sind in Tab. 4 dargestellt: Bei durchschnittlichen
Kosten der Behandlung mit Peginterferon plus Ribavirin von 864 DM pro Woche
ergibt sich bei 6 Monaten eine Summe von 21000 DM und bei 12 Monaten von 42000
DM. Würde man alle 400000 Patienten behandeln, bei denen eine
Therapieindikation anzunehmen ist, so wäre bei dieser Kostenberechnung und
einer mittleren Behandlungszeit von 9 Monaten eine Summe von 13 Mrd. DM (6,65
Mrd. €) aufzuwenden. Allein die geschätzten 10000 Neuerkrankungen pro Jahr
würden angesichts der hohen Kosten eine Summe von 315 Mio. DM (161 Mio. €)
bedeuten. Aus den o.g. Verordnungsumsätzen läßt sich schließen, daß in
Deutschland aber lediglich eine Zahl von etwas mehr als den geschätzten
Neuerkrankungen pro Jahr behandelt wird.
Es muß die Frage
gestellt werden, ob und weshalb die Hersteller die immens hohen Tageskosten von
ca. 120 DM (61 €) für die Kombinationstherapie mit Peginterferon plus Ribavirin
verlangen können. Aus folgenden Gründen ist dies möglich:
·
Die
Therapie ist wirksam.
·
Es
existiert keine therapeutische Alternative.
·
Der
(z.B. auch über das Internet) aufgeklärte Patient fordert die Therapie.
·
Es
gibt keine Preisvereinbarung zwischen Herstellern, gesetzlicher
Krankenversicherung und Ärzten.
·
Kassenärztliche
Bundesvereinigung und gesetzliche Krankenversicherungen unterwerfen sich den
Preisen durch Anerkennung der Therapie als Praxisbesonderheit (10.02.1999).
Auch wenn man die
Mechanismen für die Preisgestaltung dieser Therapie anerkennt, bleibt die
Frage, ob der hohe Preis auch gesellschaftlich zu rechtfertigen ist (5). Denn
unabhängig von der Antwort auf diese Frage zeigen die Zahlen, daß einem
überwiegenden Teil der Patienten mit gesicherter Therapieindikation die
Behandlung vorenthalten bleibt, wofür mit Sicherheit auch der hohe Preis ein
verantwortlicher Faktor ist.
Infliximab bei M.
Crohn: Infliximab (Remicade) ist ein monoklonaler Antikörper gegen
Tumor-Nekrose-Faktor alpha, der zur Behandlung besonderer Formen des M. Crohn
zugelassen ist: 1. Schwere Formen des M. Crohn, die trotz adäquater Therapie
mit Kortikosteroiden und/oder Immunsuppressivum nicht angesprochen haben, 2. M.
Crohn mit Fistelbildung, die trotz adäquater Therapie auf eine konventionelle
Behandlung nicht angesprochen hat (6-8; s.a. AMB 1999, 33, 61; 2000, 34, 61b). Die Therapie ist bei beiden genannten Indikationen wirksam, verursacht
jedoch Gesamttherapiekosten bei zweimaliger Injektion von etwa 9000 DM (4600
€), bei dreimaliger Injektion von etwa 14000 DM (7158 €).
Ungeachtet der
hohen Kosten wird die Behandlung des M. Crohn mit Infliximab von der ”Fachwelt”
bereits stark propagiert, ohne daß Fragen zu zwei wesentlichen Problemen der
Therapie hinreichend beantwortet sind: 1. Der Erfolg der Behandlung ist bei
beiden Indikationen nicht über ausreichend lange Zeit gesichert. 2. Die
langfristigen unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) sind schwerwiegend und
waren in einigen Fällen fatal. So kommt es unter Infliximab zu einem
Zusammenbruch der Immunabwehr, wodurch, insbesondere bei ohnehin
abwehrgeschwächten Patienten, tödliche Infektionen (Viren, Pilze, Tuberkulose;
s.a. AMB 2002, 36, 6b) auftreten und maligne Lymphome entstehen können.
Somit ist die propagierte Therapie spezieller Formen des M. Crohn mit
Infliximab mit mehreren Problemen behaftet, die den Einsatz des Medikaments
stark einschränken. In dieser speziellen Situation könnten die hohen
Therapiekosten tatsächlich eine Barriere sein für eine unkritisch starke
Verbreitung dieser Therapie.
Schlußfolgerungen: In Tab. 5 sind die
hier besprochenen Beispiele für kostenintensive Therapieformen in der
Gastroenterologie gegenübergestellt. In allen Fällen handelt es sich um eine
für die zugelassenen Indikationen gesicherte Therapie. Bei den PPI sind
die täglichen Therapiekosten zwar moderat, aber die starke Ausweitung der
Indikationen ist für gewaltige Kosten verantwortlich. Bei Interferon und
Ribavirin geben die fehlenden therapeutischen Alternativen den Herstellern
große Freiheiten bei der Preisgestaltung, die auch zu Lasten der
Solidargemeinschaft ausgenutzt wird. Bei Infliximab hat die
unbefriedigende Therapiesituation beim M. Crohn zunächst für eine hohe
Akzeptanz gesorgt. Ob dies angesichts der bekanntgewordenen UAW so bleiben
wird, ist fraglich.
Durch die genannten
Beispiele soll nicht in Abrede gestellt werden, daß in speziellen Situationen
hohe Therapiekosten gerechtfertigt sind, wenn 1. die Herstellung des Wirkstoffs
aufwendig und teuer ist, 2. keine therapeutische Alternative besteht und 3. die
spezielle Indikation streng eingehalten wird. Diese Kriterien sind bei den o.g.
Beispielen aber nur teilweise erfüllt.
Zu den wichtigen
Ansätzen, die Kosten der Arzneitherapie zu reduzieren, gehört die gute
Information der Ärzte, damit die Grundsätze einer rationalen
Arzneimitteltherapie beachtet und gefördert werden. Die Information der Ärzte
darf aber nicht auf das Studium beschränkt bleiben, sondern muß durch
qualifizierte Weiterbildung, kontinuierliche strukturierte Fortbildung und
durch die Beachtung von anerkannten Leitlinien erfolgen. Zum anderen sind
Preisvereinbarungen zwischen Herstellern, Krankenkassen und Ärzteschaft
denkbar, bei denen sich der Preis kostenintensiver Arzneimittel nicht nur an
den Möglichkeiten des Markts, sondern auch an den Leistungsreserven der
Solidargemeinschaft orientiert.
Literatur
-
Holtermüller,
K.H.: Magen-Darm-Mittel und Laxantien. In: Arzneiverordnungs-Report 2001.
Hrsgb.: U. Schwabe und D. Paffrath. Springer, Berlin, Heidelberg 2002. S. 494.
-
Naunton, M., et
al.: J. Clin. Pharm. Ther. 2000, 25, 333.
-
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Bytzer, P.: Aliment. Pharmacol. Ther. 2001, 15, 765.
-
Manns, M.P., et
al. (IHIT = International Hepatitis Interventional Therapy
group): Lancet 2001, 358, 958.
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Gugler, R., und
Haustein, K.O.: Ribavirin. Arzneiverordnungen in der Praxis 2/2000, 6.
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Cohen, R.D., et
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Rutgeerts, P.,
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Ricart, E., und
Sandborn, W.J.: Gastroenterology 1999, 117, 1247.
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