Zusammenfassung: Rhythmusstörungen vom Typ Torsade de
Pointes (TdP) sind eine potentiell lebensbedrohliche unerwünschte Wirkung (UAW)
von solchen Arzneimitteln, die das QT-Intervall im Oberflächen-EKG verlängern.
Nicht nur Kardiaka, sondern auch zahlreiche Substanzen mit nicht-kardialer
Indikation können dies bewirken. Die Besonderheiten dieser speziellen UAW
müssen jedem bekannt sein, der diese Arzneimittel einsetzt bzw. verschreibt.
Die Zulassungsbehörden sind derzeit bestrebt, die Sicherheit neuer und
etablierter Medikamente in dieser Hinsicht zu verbessern. Da es sich um eine
UAW handelt, die vermutlich oft unentdeckt bleibt und in ihrer Häufigkeit
erheblich unterschätzt wird, sollten Anwender und Verschreiber bei unklaren
plötzlichen Todesfällen an diese Möglichkeit denken und auch Verdachtsfälle
unbedingt der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft oder dem BfArM
melden.
Seit mehr als 40 Jahren ist bekannt, daß es im Zusammenhang
mit einer medikamentenbedingten überschießenden Verlängerung des QT-Intervalls
zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen vom Typ TdP kommen kann. Trotz
häufiger Berichte über derartige UAW wurde dieses Problem lange Zeit
vernachlässigt und von vielen sogar als klinisch unbedeutend angesehen. Diese Einschätzung
hat sich grundlegend geändert. Mehrere in dieser Hinsicht kritische Medikamente
wurden vom Markt genommen (Terodilin, Lidoflazin, Sertindol, Grepafloxacin,
Cisaprid, Droperidol), und die Liste der Medikamente mit nicht-kardialer
Indikation, die das QT-Intervall verlängern und TdP auslösen können, wird immer
länger. Darüber hinaus beschäftigen sich wissenschaftliche Untersuchungen
intensiv mit den genetischen und elektrophysiologischen Mechanismen der
myokardialen Repolarisation sowie deren Beeinflussung durch Medikamente und
angeborene Erkrankungen (angeborene QT-Syndrome; 1-3).
Zahlreiche Medikamentengruppen sind von dieser UAW betroffen
(s. Tab. 1); z.T. liegt sogar ein Klasseneffekt vor. Die Wahrscheinlichkeit
einer UAW vom Typ TdP ist substanzabhängig. Unter Sotalol, einem
Klasse-III-Antiarrhythmikum, erleiden immerhin 2-4% der Patienten
Rhythmusstörungen vom Typ TdP. Die Häufigkeit unter Medikamenten mit
nicht-kardialer Indikation liegt deutlich niedriger (1:100000 bis <
1:1000000; 3). Wie häufig TdP unter einzelnen Medikamenten auftreten, kann
nicht exakt angegeben werden; es muß jedoch von einer bedeutsamen Dunkelziffer
ausgegangen werden. Es wird geschätzt, daß ca. 10-20% der Patienten, die
medikamentenbedingt eine überschießende QT-Verlängerung entwickeln, in
Zusammenhang mit einer TdP sterben.
Mechanismen der TdP und Risikofaktoren: Die
Mechanismen, durch die Medikamente zur TdP führen, konnten in den letzten
Jahren weitgehend aufgeklärt werden. Durch das betreffende Arzneimittel werden
Ionenströme überschießend gehemmt, die am Zustandekommen der myokardialen
Repolarisation beteiligt sind. In erster Linie wird die schnell aktivierende
Komponente des so genannten verzögerten
Kalium-Gleichrichterstroms IKr gehemmt, dessen Kanalprotein
durch HERG (Human Ethere-a-gogo-Related Gene) kodiert wird (3). Auf zellulärer
Ebene wird die Dauer des Aktionspotentials und damit die QT-Intervalldauer im
Oberflächen-EKG verlängert; Nachschwankungen des Aktionspotentials (so genannte
frühe Nachdepolarisationen) lösen die Rhythmusstörung aus.
Das Medikament ist allerdings nur selten allein für die TdP
verantwortlich. Meist finden sich weitere Faktoren, die bei der Entstehung der
Rhythmusstörung mitwirken. Pathophysiologisch wichtig sind hier Bradykardien
und/oder Hypokaliämien, Faktoren, die auch unabhängig von Medikamenten zu einer
Verlängerung des QT-Intervalls führen und darüber hinaus die
repolarisationshemmende Wirkung von Medikamenten verstärken. TdP treten bei
Frauen häufiger auf (3). Daß Frauen physiologischerweise ein längeres
QT-Intervall als Männer haben, ist seit langem bekannt. Zu TdP kommt es vor
allem bei hohen Konzentrationen des Medikaments, die aus hohen Dosierungen
und/oder Störungen der Ausscheidung oder des Metabolismus resultieren.
Zahlreiche Pharmaka, die das QT-Intervall verlängern und TdP auslösen können,
werden durch das Zytochrom-P450-Enzymsystem metabolisiert (4). Eine besonders
wichtige Rolle spielen CYP3A4 und CYP2D6. Genetische Polymorphismen führen zu
unterschiedlichen Metabolisierungskapazitäten (langsame und schnelle
Metabolisierer). Bei Patienten, die wegen eines CYP2D6-Polymorphismus langsam
metabolisieren, können im Vergleich zu Schnell-Metabolisierern mehrfach höhere
Spitzenkonzentrationen des Medikaments auftreten. Der Zustand einer langsamen
Arzneimittel-Metabolisierung kann auch dadurch entstehen, daß zusätzlich eine
Substanz verabreicht wird, die das Zytochrom-P450-Enzymsystem hemmt. Hierzu gehören
unter anderen Proteaseinhibitoren und Azole. Eine solche Hemmung der
Metabolisierung des Medikaments durch andere Pharmaka ist häufig für die TdP
mitverantwortlich (4). Ein Faktor, der die TdP begünstigt, sich im Einzelfall aber
nicht abschätzen läßt, ist die individuell vorhandene Neigung mancher Menschen,
auf ein Medikament, das bekanntermaßen das QT-Intervall verlängern kann, abnorm
bzw. überschießend zu reagieren. In einem solchen Fall wird von einer verminderten
bzw. herabgesetzten Repolarisationsreserve gesprochen (1). Eine Ursache für
eine herabgesetzte Repolarisationsreserve sind Mutationen in Genen, die für
Ionenkanäle kodieren, die bei der Repolarisation eine Rolle spielen (z.B. IKr,
s.o.; 4, 10). Beim kongenitalen QT-Syndrom, bei dem ebenfalls solche
Genmutationen vorliegen, findet sich unabhängig von der Behandlung mit
repolarisationsverlängernden Pharmaka eine abnorme QT-Verlängerung und eine
erhöhte Neigung zu TdP (2).
Neue Auflagen von Zulassungsbehörden:
Berichte über das Auftreten von TdP im Zusammenhang mit nicht-kardial
eingesetzten Pharmaka haben bereits Mitte der 90er Jahre die Behörden
alarmiert. Eine erste Reaktion war eine 1997 publizierte Stellungnahme des Committee
for Proprietary Medicinal Products (CPMP) der EMEA, die sich mit der klinischen
Evaluierung neuer Pharmaka vor ihrer Zulassung hinsichtlich der Wirkung auf das
QT-Intervall beschäftigt (5). Neue Richtlinien legen ebenfalls fest, welche
Kriterien und Verfahren bei der präklinischen Evaluierung neuer
Medikamente einzusetzen sind (6). Besonders viel Aufmerksamkeit erregt derzeit
eine neue Richtlinie der Arbeitsgruppe der ICH (International
Conference on Harmonisation) zur medikamentenbedingten
QT-Intervall-Verlängerung (7). Wesentlicher Bestandteil dieser in ihrer
endgültigen Form noch nicht verabschiedeten Richtlinie ist die Forderung nach
einer so genannten gründlichen (thorough) QT-Studie, die für jedes neue
systemisch angewendete Medikament gefordert wird. An Design und Aussagekraft
einer solchen Studie werden hohe Anforderungen gestellt. Angestrebt wird ein
Mehrfach-Crossover-Design mit zwei unterschiedlichen Dosierungen (einer
therapeutischen sowie einer möglichst hohen, gerade noch verträglichen
Dosierung), einem Plazebo-Arm und einer so genannten Positiv-Kontrolle. Hinter
dieser Positiv-Kontrolle verbirgt sich ein Arzneimittel, von dem bekannt ist,
daß es das QT-Intervall verlängert. Bevorzugt wird derzeit Moxifloxacin
eingesetzt, das eine QT-Verlängerung von etwa 6-12 ms bewirkt. Ziel dieses
Prüfungsarmes ist es, die Sensitivität des Studiendesigns und der verwandten
Methodik zur QT-Intervall-Messung nachzuweisen. Neue Medikamente, die das
QT-Intervall in diesen Studien im Vergleich zu Plazebo um mehr als 5 ms
verlängern, werden als solche klassifiziert, die die myokardiale Repolarisation
signifikant verlängern und die ein Risiko in sich bergen, TdP zu induzieren. In
dieser neuen Richtlinie hat die frequenzkorrigierte Dauer des
QT-Intervalls eine zentrale Bedeutung. Da sich die Dauer der myokardialen
Repolarisation mit steigender Herzfrequenz verkürzt (und vice versa), muß eine
auf die Frequenz bezogene Korrektur des gemessenen QT-Intervalls (QTc)
erfolgen, um die Werte bei unterschiedlicher Herzfrequenz vergleichbar zu machen.
Hierfür muß eine Korrekturformel angewendet werden (Nomogramme, die die
Abweichung des gemessenen QT-Wertes von der Norm in Prozent angeben, sind
obsolet). Am häufigsten wird die Korrekturformel nach Bazett angewendet (s.
Abb. 1). Läßt man geschlechtsabhängige Unterschiede außer Acht, gilt als oberer
normaler Grenzwert ein QTc von 440 ms. Das auf die Herzfrequenz korrigierte
QT-Intervall ist als Surrogat-Parameter für ein erhöhtes TdP-Risiko aber
problematisch. Mit der Formel nach Bazett wird überkorrigiert, wenn die
Herzfrequenz zunimmt (8). Daraus kann eine QTc-Zunahme von mehr als 5 ms
resultieren, obwohl das Medikament die Repolarisation selbst gar nicht
beeinflußt, sondern nur die Frequenz steigert. In der neuen Richtlinie werden
daher komplexe Verfahrensweisen zur Frequenzkorrektur des QT-Intervalls
empfohlen. Insgesamt ist der Aufwand für eine solche QT-Studie erheblich, und
die Zahl der notwendigen EKG bewegt sich schnell im fünfstelligen Bereich. Die
Kosten betragen in der Regel mehr als 1 Mio. EUR. Ob die Häufigkeit Medikamenten-induzierter
TdP durch solche Maßnahmen verringert werden kann, bleibt abzuwarten.
Vorsichtsmaßnahmen in der Praxis
Hersteller und Zulassungsbehörden kümmern sich darum, die Bedeutung der
QT-Verlängerung als UAW zu erfassen. Im Bewußtsein der Ärzte ist jedoch die
Gefährlichkeit dieser UAW noch wenig verankert. Wer hätte schon daran gedacht,
daß Moxifloxacin einmal zum Standard-Vergleichs-Medikament für
QT-Verlängerungen werden würde? Studien zur Häufigkeit Medikamenten-induzierter
TdP sind dringend wünschenswert.
Es kann davon ausgegangen werden, daß wir mit dem Problem
der Medikamenten-bedingten QT-Verlängerung auch in Zukunft leben müssen. Es mag
sein, daß für einen Teil der heutigen Präparate therapeutisch gleichwertige
Alternativen gefunden werden, die keine QT-Verlängerung verursachen. Einen
vollständigen Ersatz wird es in naher Zukunft aber wohl nicht geben. Es geht
deshalb nicht darum, grundsätzlich QT-Zeit-verlängernde Medikamente zu
vermeiden. Das würde möglicherweise bedeuten, Patienten wertvolle Therapeutika
vorzuenthalten oder andere UAW billigend in Kauf zu nehmen. Werden Medikamente,
die das QT-Intervall verlängern können, jedoch eingesetzt, so ist an erster
Stelle zu fordern, daß der behandelnde Arzt mit dieser besonderen UAW vertraut ist (s.a. 9, 10). Hierdurch dürften sich
die Probleme, die sich oft ergeben, wenn bereits Rhythmusstörungen aufgetreten
sind, zumindest zum Teil vermeiden lassen, z.B. gleichzeitige Gabe ebenfalls
repolarisationsverlängernder Medikamente, Hypokaliämie und/oder
Medikamenteninteraktionen. Ein EKG vor Therapiebeginn und unter
Steady-state-Bedingungen ist zu fordern, auch wenn nicht klar ist, wie viele
TdP hierdurch zu verhindern sind. EKG-Kontrollen sollten auch während einer
Langzeittherapie durchgeführt werden. Dosierungsempfehlungen sollten strikt
befolgt und Überdosierungen vermieden werden. Bei Ausscheidungs- und
Metabolisierungsstörungen ist die Dosierung anzupassen. Auf Interaktionen muß
geachtet werden. Auf jeden Fall ist die Gabe mehrerer
repolarisationsverlängernder Substanzen zu vermeiden. Bei neu aufgetretenen
Beschwerden (Palpitationen, Schwindel, Synkopen oder Krampfanfälle) muß auch an
Rhythmusstörungen als Ursache gedacht werden. In solchen Fällen sollte ein EKG
registriert bzw. ein Internist oder Kardiologe kontaktiert werden. Bei
Erkrankungen (Diarrhö, rezidivierendes Erbrechen) bzw. Zuständen, die zu einem
Verlust von Kalium führen können (starkes Schwitzen, Mangelernährung bei
Alkoholabusus oder Anorexia nervosa), muß das Serum-Kalium kontrolliert werden.
Literatur
- Roden, D.M.:
Clin. Cardiol. 1993, 16, 683.
- Roden, D.M., et
al.: Circulation 1996, 94, 1996.
- Haverkamp, W.,
et al.: Cardiovasc. Res. 2000, 47, 219.
- Shah, R.:
Drug Safety 2004, 27, 145.
- Committee for
Proprietary Medicinal Product (CPMP). Points to consider: the assessment of the
potential for QT interval prolongation by non-cardiovascular drugs. The
European Agency for the Evaluation of Medicinal Products 1997.
- ICH Guideline
S7B. Safety pharmacology studies for assessing the potential for delayed
ventricular repolarization (QT interval prolongation) for human
pharmaceuticals. www.ich.org
- ICH
Preliminary Concept Paper: The clinical evaluation of QT/QTc interval prolongation
and proarrhythmic potential for non-antiarrhythmic drugs. Step 1 Draft 3
(November 12, 2003).
- Hodges, M.:
Cardiac Eletrophysiol. Rev. 1997, 3, 360.
- Al-Khatib, S.M.,
et al.: JAMA 2003, 289, 2120.
- Moss, A.J.: JAMA 2003, 289, 2041.
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