Dickdarmkrebs ist in den westlichen Industrienationen
die häufigste Tumorerkrankung, bei der etwa die Hälfte der betroffenen
Patienten im Verlauf eine Metastasierung erleidet und schließlich daran stirbt.
Während über Jahrzehnte 5-Fluorouracil (5-FU) das einzige wirksame Zytostatikum
bei der Erkrankung war, sind in den letzten Jahren mehrere neue systemische
Behandlungsmöglichkeiten hinzugekommen. Oxaliplatin (Eloxatin®) und
Irinotecan (Campto®) wurden als nicht kreuzresistente Zytostatika
zunächst in der Zweitlinien-Therapie metastasierter kolorektaler Karzinome als
zusätzliche Option eingesetzt und sind inzwischen als Kombinationspartner,
insbesondere von 5-FU, auch in der Erstlinien-Therapie weit verbreitet (1-5,
s.a. 11, 12). Auf Cetuximab, einen monoklonalen Antikörper (moAk) gegen den
„Epidermal Growth Factor Receptor” (EGFR), sind wir kürzlich ausführlich
eingegangen (13). Bevacizumab (Avastin®) ist ein humanisierter moAk
gegen den „Vascular Endothelial Growth Factor” (VEGF), der die Tumorangiogenese
beeinflußt. Alle malignen Tumoren, bzw. deren Metastasen, benötigen ab einer
Größe von 1-2 mm ein eigenes Tumorgefäßbett, dessen Aufbau unter Vermittlung
von VEGF erfolgt. Neben der direkten antiangiogenetischen Wirkung kann
Bevacizumab vermutlich durch Veränderungen am Tumorgefäßbett auch die
intratumorale Verteilung von Zytostatika beeinflussen. Im Rahmen klinischer
Studien wurde Bevacizumab sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit
Chemotherapien untersucht, wobei die klinischen Studien zum Stellenwert dieses
moAk in Kombination mit Chemotherapie beim metastasierten kolorektalen Karzinom
am weitesten fortgeschritten sind (6). Bereits früher wurde Bevacizumab in
einer randomisierten Phase-II-Studie als Erstlinien-Therapie in zwei
unterschiedlichen Dosierungen in Kombination mit einer Folinsäure-modulierten
5-FU-Therapie (FS/FU) gegenüber der alleinigen Chemotherapie verglichen (7).
Bei Patienten, die die niedrigere Dosis des Antikörpers (5 mg/kg Körpergewicht
i.v. alle zwei Wochen) erhielten, fanden sich gegenüber der reinen
Chemotherapie eine verbesserte Ansprechrate (40% vs. 17%), verlängerte Zeit bis
zum Progreß der Erkrankung (9,0 vs. 5,2 Monate) und eine Verlängerung des
medianen Überlebens (21,5 vs. 13,8 Monate). Daraufhin wurde von Genentech
(Hersteller von Bevacizumab in den USA) eine Phase-III-Studie initiiert, die
plazebokontrolliert die Wirksamkeit der Hinzunahme des moAK zum IFL-Regime
(Irinotecan, Bolus-5-FU und Folinsäure, wöchentlich wiederholt) überprüfte.
Primärer Endpunkt der Studie war das Gesamtüberleben, sekundäre Endpunkte die
Ansprechrate, das progreßfreie Überleben, die Dauer des Ansprechens und die
Lebensqualität. IFL war inzwischen in den USA zugelassen worden und wird dort
als ein Standard in der Erstlinien-Therapie eingesetzt (1). Da die Sicherheit
der Kombination von Bevacizumab mit dem IFL-Schema noch nicht untersucht war,
startete die Studie zunächst dreiarmig mit IFL plus Plazebo, FS/FU plus
Bevacizumab (wie in der Phase-II-Studie) und mit einem Arm, in dem IFL und
Bevacizumab (5 mg/kg KG alle zwei Wochen) kombiniert wurde. Nach rund 100
Patienten pro Arm erfolgte eine Zwischenanalyse hinsichtlich Unbedenklichkeit
dieses experimentellen Arms, die ein akzeptables Sicherheitsprofil für IFL plus
Bevacizumab ergab. Daraufhin wurde der Arm ohne Irinotecan gestoppt, so daß
insgesamt 411 Patienten IFL plus Plazebo, 402 Patienten IFL plus Bevacizumab
und 110 Patienten FS/FU plus Bevacizumab erhielten. Ein Cross-over vom
Plazeboarm war in der Studie nicht erlaubt. Das Gesamtüberleben, das
progreßfreie Überleben und die objektive Ansprechrate wurden durch die
Kombination von Bevacizumab plus IFL signifikant verbessert (s. Tab. 1). IFL plus
Plazebo wurde im Median über 6,3 und IFL plus Bevacizumab über 9,3 Monate
appliziert. Schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) traten bei
Patienten, die den Antikörper erhielten, häufiger auf (84,9% vs. 74,0%; p =
< 0,01). Insbesondere wurde eine arterielle Hypertonie (22,4% vs. 8,3%), die
als Grad 3 UAW auch eine Behandlung erforderlich machte (11% vs. 2,3%),
signifikant häufiger beobachtet. Bei sechs der 402 Patienten, die IFL plus
Bevacizumab erhielten, kam es zu einer gastrointestinalen Perforation, die in
einem Fall sogar tödlich verlief. Ob ein kausaler Zusammenhang mit der
Antikörper-Therapie besteht, ist ungeklärt (9). Nicht signifikant häufiger als
unter Plazebo wurden in der Phase-III-Studie Blutungen, Thrombosen und
Proteinurie beobachtet, die in anderen Studien als Bevacizumab-assoziert
gedeutet worden waren (7, 8). Inzwischen wurden aber in den USA, wo Bevacizumab
für die Erstlinien-Therapie des kolorektalen Karzinoms bereits zugelassen ist,
Warnbriefe verschickt, da es unter dieser Therapie vermehrt zu schweren
arteriellen thromboembolischen Ereignissen (Myokardinfarkt, Angina pectoris,
Schlaganfall, transiente ischämische Attacke) gekommen war (10). Bei Patienten,
die ein arterielles thromboembolisches Ereignis unter laufender Therapie erleiden,
muß Bevacizumab abgesetzt werden. Auf Grund der bisher verfügbaren Daten aus
klinischen Studien geht der Hersteller von einer Verdoppelung des Risikos für
arterielle Thromboembolien durch Bevacizumab aus (auf ca. 5%), wobei eine
entsprechende Vorgeschichte, Alter über 65 Jahre und Bevacizumab als
Risikofaktoren gelten. In den USA wurde die Packungsbeilage entsprechend
geändert. Patienten, die in Deutschland im Rahmen von klinischen Studien
Bevacizumab erhalten, müssen über dieses Risiko gesondert aufgeklärt werden.
Die Zulassung für Bevacizumab wurde in den USA für die Erstlinien-Therapie in
Kombination mit 5-FU-basierter Chemotherapie ohne Festlegung auf ein bestimmtes
Chemotherapieregime erteilt. Das mediane Überleben der Patientengruppe, die in der
Zulassungsstudie IFL plus Bevacizumab erhielt, liegt mit 20,3 Monaten in einem
Bereich, der mit Kombinations-Chemotherapien, die Infusions-5-FU verwenden,
auch ohne VEGF-Antikörper erreicht wird (Tab. 1). Bisher liegen keine
Ergebnisse aus Studien vor, die Bevacizumab zusammen mit den in Europa
vorwiegend eingesetzten Chemotherapieschemata, z.B. Infusions-5-FU oder
Capecitabin (Xeloda®) plus Oxaliplatin oder Irinotecan,
untersuchten. Der Einsatz des moAk als Zweit- oder Drittlinien-Therapie alleine
oder aber kombiniert mit Chemotherapie ist bisher nicht untersucht worden. In
den USA fallen durch Bevacizumab aktuell etwa 4400 $ zusätzlich an Kosten pro
Monat an, so daß eine begleitende Therapie während der gesamten palliativen
Behandlungssequenz (medianes Überleben > 20 Monate) erhebliche finanzielle
Ressourcen beanspruchen würde. Mit einer Zulassung von Bevacizumab in Europa
durch die EMEA wird Anfang nächsten Jahres gerechnet.
Fazit: Bevacizumab ist ein humanisierter moAk gegen VEGF, der
vermutlich durch Beeinflussung der Angiogenese in einer Phase-III-Studie in
Kombination mit Chemotherapie zu einer Verbesserung der Therapieergebnisse bei
Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom geführt hat. Die in dieser
Studie für IFL plus Bevacizumab mitgeteilte Wirksamkeit in Bezug auf
Ansprechrate und medianes Überleben der Patienten entspricht den Ergebnissen
der in Europa verbreiteten palliativen Erstlinien-Therapieschemata ohne
Bevacizumab. In der Monotherapie hat der moAk keine antitumoröse Wirksamkeit.
Die z.T. schweren UAW (arterielle Hypertonie, thromboembolische Ereignisse) von
Bevacizumab müssen nach Zulassung durch die EMEA bei der Behandlung größerer
Patientenkollektive unbedingt sorgfältig analysiert und dokumentiert werden.
Der in der Laienpresse vielfach gefeierte Durchbruch in der Krebstherapie ist
für uns nicht zu erkennen.
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