Zusammenfassung: Beim Aufenthalt in zeckenreichen
Gebieten (insbesondere in Hochstaudenfluren) schützt eine dicht abschließende
Kleidung vor Zeckenbefall und damit vor der Übertragung der Lyme-Borreliose und
auch vor anderen durch Zecken übertragbaren Erkrankungen. Werden die Zecken
innerhalb von 24 Stunden entfernt, wird eine Übertragung der Borrelien meistens
verhindert. Eine prophylaktische antibiotische Therapie nach Zeckenbiss ist
nicht sinnvoll. Treten Symptome einer Lyme-Borreliose des Stadiums 1 (Erythema
migrans) bzw. 2 (multiple Erytheme, Lymphadenitis benigna cutis) auf, reicht in
der Regel eine orale Therapie mit zweimal 100 mg Doxycyclin/d für 10 Tage aus.
Bei neurologischen Manifestationen (Meningitis, Meningoradikulitis), hierzu
zählen auch die seltenen Augenmanifestationen (Iritis, Chorioretinitis), hat
sich eine i.v. Therapie mit Ceftriaxon oder Penicillin G für mindestens 14 Tage
bewährt. Wegen kleiner Fallzahlen gibt es keine gesicherten Daten zur
Behandlung der Lyme-Karditis. Zurzeit wird ein ähnliches Vorgehen wie bei den
neurologischen Symptomen der Lyme-Borreliose empfohlen. Die chronische
Lyme-Arthritis und die chronische Akrodermatitis atrophicans sind schwierig zu
behandeln. Wahrscheinlich ist eine Therapie mit zweimal 100 mg Doxycyclin/d
oral für 30 Tage sinnvoll. Das Post-Lyme-Borreliose-Syndrom sollte nicht
antibiotisch behandelt werden.
Die Lyme-Borreliose ist den meisten Ärzten in
Deutschland gut bekannt. Trotzdem gibt es immer noch große Unsicherheiten
hinsichtlich Prophylaxe und Therapie dieser Erkrankung. Daher wollen wir zu
Beginn der Zecken-Saison auf gesicherte Erkenntnisse hinweisen.
Die Lyme-Borreliose ist eine durch Zecken (in
Deutschland vorwiegend durch Ixodes ricinus = Holzbock) übertragene Erkrankung
(s. Abb. 1). Der die Krankheit verursachende Erreger ist eine Spirochäte
(Borrelia burgdorferi sensu lato). Die Lyme-Borreliose ist in Europa und in
Nordamerika die häufigste durch Arthropoden (Gliedertiere = Insekten,
Spinnentiere etc.) übertragene Erkrankung. Sie wird in drei Stadien eingeteilt
und beginnt meist mit einer Hautläsion, die sich zentrifugal von der Bissstelle
ausbreitet (Erythema migrans = EM). In den darauf folgenden Wochen können sich
die Erreger in nahezu alle Organe ausbreiten. Bekannte Manifestationen des 2.
Stadiums sind neben der Haut (multiple EM, Lymphadenitis benigna cutis) das
Nervensystem (Meningitis, Meningoradikulitis), das Auge (Iritis,
Chorioretinitis), das Herz (Lyme-Karditis) und die Gelenke. Bei manchen
Menschen können sich nach Jahren oder Jahrzehnten, manchmal auch ohne dass sie
die ersten beiden Stadien durchgemacht bzw. wahrgenommen haben,
Spätmanifestationen meist an der Haut (Akrodermatitis chronica atrophicans
Pick-Herxheimer), den Gelenken (chronische Lyme-Arthritis) oder dem ZNS
(chronisch progrediente Enzephalomyelitis) entwickeln (3. Stadium).
Prophylaxe:
Dicht abschließende Kleidung und Entfernung der Zecken in den ersten 24h
vermeidet meistens die Infektion: Auf Grund der Aktivität der Zecken wird
die Erkrankung vorwiegend vom Frühjahr bis Herbst übertragen. Die Zecken fallen
nicht, wie gelegentlich angenommen, von den Bäumen herab, sondern befinden sich
in einer Höhe bis 1,50 m in der Stauden- und Busch-Vegetation. Von hier aus
gelangen die Zecken, die in drei Entwicklungsstadien (Larve, Nymphe, adulte
Tiere) vorkommen, an ihre Wirte, d.h. Tiere und manchmal eben auch den
Menschen. Haben die Zecken erst einmal ihren Wirt erreicht, krabbeln sie meist
mehrere Stunden auf ihm herum, um eine günstige Hautstelle zum Blutsaugen zu
finden. Die Blutmahlzeit wiederum dauert 1-3 Tage. Die Borrelien werden erst
zum Schluss, d.h. nach 24-72 Stunden, übertragen (1). Daraus kann man schon
ableiten, dass man durch eine an den Beinen und Armen dicht abschließende
Kleidung einen Befall und damit auch die Erkrankung vermeiden kann. Aber auch
noch dann, wenn man von Zecken befallen wurde,
kann man durch frühes Absuchen des Körpers und Entfernung der Zecken die
Infektion mit Borrelien meist verhindern.
Bei der Entfernung der Zecken sollte man alten
Ratschlägen nicht folgen und z.B. die Beträufelung des Tieres mit Klebstoff,
Öl, Benzin oder Ähnlichem unbedingt unterlassen. Auch sollte man den Hinterleib
der Tiere nicht quetschen oder mit der Pinzette erfassen. Alle diese Maßnahmen
führen nämlich zum Regurgitieren der Zecken, d.h. zur Entleerung ihres
Verdauungstrakts in die Blutbahn des Wirts. Dadurch wird die
Wahrscheinlichkeit, den Krankheitserreger zu übertragen, deutlich erhöht.
Stattdessen sollte man mit einer spitzen Pinzette immer die Basis der
Mundwerkzeuge oder den Kopf der Zecken erfassen und rasch herausziehen. Dabei
ist übermäßiges Drehen nicht sinnvoll, und auch die Richtung des Drehens ist
bedeutungslos. Besondere Werkzeuge, wie sie häufig angepriesen werden, sind
nicht erforderlich. Eine gute, vorne spitz zulaufende Pinzette ist zur
Zeckenentfernung am besten geeignet.
Insektizide nur für beruflich exponierte Personen: Personen, die sich berufsbedingt (Waldarbeiter, Förster,
Wildbiologen etc.) häufiger in Zeckengebieten aufhalten müssen, sollten ihre
dicht geschlossene Kleidung noch zusätzlich mit einem Insektizid bzw.
Repellent, wie z.B. DEET (N,N-Diethyl-m-toluamid = Autan®),
einsprühen (2).
Impfung:
Von 1999-2002 war in den USA ein wirksamer Impfstoff auf der Basis des OspA
(äußeres Hüllprotein A) auf dem Markt (3). Leider wurde dieser Impfstoff wegen
schlechter Verkaufszahlen 2002 wieder vom Markt genommen. Nach durchgemachter
Borrelien-Infektion besteht in der Regel kein Schutz vor einer erneuten
Infektion, d.h. keine Immunität.
Eine antibiotische Prophylaxe nach Zeckenbiss ist auch in
Lyme-Borreliose-Endemiegebieten nach den Ergebnissen mehrerer Studien nicht sinnvoll (4, 5).
Antibiotikatherapie: Stadium 1: Die Behandlungsdauer der
EM-Manifestation der Lyme-Borreliose war lange unklar, und meist tendierte man,
besonders in Deutschland, zu einer mindestens 2-3-wöchigen Therapie. Darüber
hinaus wurde über die Notwendigkeit einer i.v. Induktionstherapie mit einem Cephalosporin diskutiert. Diese Fragen wurden in einer
randomisierten plazebokontrollierten Doppeltblind-Studie untersucht (6). 180
Patienten mit EM wurden in drei Gruppen randomisiert. Die 1. Gruppe erhielt
eine Dosis Ceftriaxon i.v. am ersten Tag, gefolgt von zweimal 100 mg
Doxycyclin/d für 10 Tage (n = 60). Die 2. Gruppe bekam zweimal 100 mg
Doxycyclin/d für 10 Tage (n = 61) und die 3. Gruppe erhielt zweimal 100 mg
Doxycyclin/d für 20 Tage. Zwischen den Gruppen konnte zu keinem Zeitpunkt der
Nachbeobachtung (nach 20 Tagen sowie nach 3, 12 und 30 Monaten) ein Unterschied
im Therapieerfolg festgestellt werden. Es gab insgesamt nur einen Patienten,
der nicht auf die Therapie angesprochen hatte. Dieser war aus der
10-Tage-Doxycyclin-Gruppe und entwickelte am 18. Tag eine Meningitis. Die
Nebenwirkungen in Form von Diarrhö waren in der Cephalosporin/Doxycyclin-Gruppe
deutlich häufiger (p < 0,001).
Schlussfolgerung:
Im Stadium 1 der Lyme-Borreliose (EM) ist eine 10-tägige orale Behandlung mit
zweimal 100 mg Doxycyclin/d oral ausreichend.
Stadium 2-3: Stadium 2 ohne neurologische Symptome: Das frühe disseminierte Stadium der Lyme-Borreliose
(EM mit multiplen Läsionen, Lymphadenitis benigna cutis Bäfverstedt) ohne
neurologische Symptome (Meningitis, Bannwarth-Syndrom etc.; falls Zweifel
bestehen, Liquorpunktion erforderlich) kann effektiv mit zweimal 100 mg
Doxycyclin/d für 10 Tage behandelt werden (6). Diese orale, nebenwirkungsarme,
preisgünstige Therapie ist in diesem Stadium der Lyme-Borreliose einer gleich
langen i.v. Therapie mit Ceftriaxon gleichwertig, wie in einer prospektiven
randomisierten Multicenterstudie gezeigt werden konnte (7).
Lyme-Karditis (Stadium 2): Patienten mit einem durch die Infektion mit Borrelien
bedingten höhergradigen AV-Block sollten 2-4 Wochen lang i.v. mit Ceftriaxon
behandelt werden. Hierzu gibt es wegen der Seltenheit dieser Manifestation
keine Therapiestudien, sondern nur Expertenmeinungen. Möglicherweise ist orales
Doxycyclin genauso gut wirksam.
Neurologische Symptome (Stadium 2 und 3): Auf Grund der besseren Liquorgängigkeit von
Cephalosporinen gegenüber Doxycyclin werden Lyme-Borreliosen mit klar
nachgewiesenen neurologischen Manifestationen meist i.v. mit Ceftriaxon
behandelt. Penicillin G ist ebenso gut wirksam (8, 9). Eine Vergleichsstudie
zur oralen Doxycyclin-Therapie bei diesen Manifestationen gibt es nicht; auch
ist die Dauer der Therapie nicht geklärt. Zurzeit wird eine Therapiedauer bei
neurologischen Manifestationen der Lyme-Borreliose von 2-4 Wochen empfohlen.
Die Frage, wie und wie lange die seltene chronische progrediente
Enzephalomyelitis (Stadium 3) behandelt werden sollte, ist wegen der geringen
Fallzahlen und der deshalb fehlenden Therapiestudien unbeantwortet. Die
Expertenmeinungen gehen zurzeit dahin, diese Erkrankung ähnlich wie die anderen
neurologischen Manifestationen der Lyme-Borreliose zu therapieren; man tendiert
eher zu einer längeren Behandlungsdauer von drei Wochen mit Ceftriaxon oder
Penicillin i.v.
Lyme-Arthritis Stadium 3: Bei chronischer Lyme-Arthritis bzw. Akrodermatitis
chronica atrophicans wird eine orale Doxycyclin-Behandlung empfohlen. Die
Therapiedauer ist nicht geklärt. Zurzeit wird meist empfohlen, zweimal 100 mg
Doxycyclin/d für 30 Tage zu geben. Eine i.v. Cephalosporin-Therapie ist bei dieser
Manifestation nicht besser, aber teurer und sollte daher auf Patienten mit
Unverträglichkeit von Doxycyclin beschränkt bleiben (10).
Post-Lyme-Borreliose-Syndrom: Trotz adäquater Therapie haben einige Patienten
längerdauernde, meist diffuse Beschwerden, wie Schmerzen und Müdigkeit (Chronic
fatigue syndrome). Solche Patienten treten häufig mit dem Wunsch einer erneuten
Antibiotikatherapie an den Arzt heran. Mehrere sorgfältig durchgeführte Studien
haben jedoch gezeigt, dass diese Therapie nicht sinnvoll ist. In einer größeren
Studie wurden diese Symptome in einer Gruppe von Patienten, die eine
Lyme-Borreliose durchgemacht hatten, und in einer altersgleichen Gruppe, die
noch nie an einer Lyme-Borreliose erkrankt war, untersucht. Hierbei ergab sich
kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen (11). Das bedeutet, dass die
Symptome unabhängig von der durchgemachten Lyme-Borreliose waren.
Eine weitere Studie zu dieser
problematischen Patientengruppe hat gezeigt, dass eine i.v. Gabe von Ceftriaxon
über 30 Tage, gefolgt von einer 60-tägigen Doxycyclin-Behandlung im Vergleich
zu einer Plazebo-Gruppe die Symptome nicht besserte (12). Zum gleichen Resultat
kam eine Studie, die die kognitive Funktion bei Patienten mit
Post-Lyme-Borreliose-Syndrom untersucht hat. Auch hier profitierten die
Patienten nicht von einer zweiten, langdauernden antibiotischen Behandlung
(Ceftriaxon i.v. über 30 Tage, gefolgt von einer 60-tägigen
Doxycyclin-Behandlung im Vergleich zu einer Plazebo-Therapie; 13). Die
wirkungslose Langzeit-Antibiose hat bei solchen Patienten jedoch teilweise zu
schweren Nebenwirkungen (14) bis hin zu Todesfällen geführt (15).
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