Zusammenfassung: Pharmakogenetik ist ein Teilgebiet
der klinischen Pharmakologie. Sie untersucht erbliche Besonderheiten von
Pharmakokinetik und Pharmakodynamik. Mit ihren Forschungsergebnissen soll die
Arzneimitteltherapie entsprechend der genetischen Ausstattung eines Patienten
optimiert werden. In den letzten Jahren hat die Pharmakogenetik deutliche
Fortschritte in Richtung klinischer Anwendbarkeit getan, wobei über die
Kosten/Nutzen-Relation noch keine Aussagen gemacht werden können. In der
pharmazeutischen Industrie werden pharmakogenetische Aspekte verstärkt in die
Arzneimittelentwicklung eingebunden. Zukünftig werden Ergebnisse aus
pharmakogenetischen Untersuchungen auch häufiger als wichtige
Sicherheitskriterien für die Zulassung neuer Arzneistoffe herangezogen.
Was ist Pharmakogenetik? Die Pharmakogenetik untersucht, inwieweit angeborene
genetische Merkmale, z.B. Polymorphismen oder seltene genetische Varianten, die
die pharmakokinetischen und -dynamischen Prozesse eines Arzneimittels
kontrollieren, für die interindividuellen Unterschiede in Wirksamkeit und
Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) verantwortlich sind (1-6).
Die relativ neue Disziplin Pharmakogenetik vereint demzufolge Methoden der
klinischen Pharmakologie mit denen der modernen molekularen Genetik. Von der
Pharmakogenetik sollten solche genetischen Untersuchungen abgegrenzt werden,
die Mutationen in Genen analysieren, die als prädiktive bzw. kausale Faktoren
für das Auftreten von oder die Anfälligkeit für spezielle Erkrankungen gelten
(1). Ziel der Pharmakogenetik ist es, eine für den einzelnen Patienten
entsprechend seiner genetischen Ausstattung bzw. den genetischen Merkmalen
seiner Erkrankung maßgeschneiderte Arzneimitteltherapie („Right medicine for
the right patient”; 1) bereitzustellen und dadurch ihre Wirksamkeit und
Sicherheit zu verbessern. Neben Umwelteinflüssen, Zusammensetzung der Nahrung,
Lebensstil und leicht ersichtlichen Unterschieden in Körpergewicht, Alter,
Leber- und Nierenfunktion, die heute als wichtige nicht-genetische Faktoren für
die Wirksamkeit von Arzneimitteln bzw. UAW gelten, ist in den letzten Jahren
die Bedeutung vererbter, oft verborgener genetischer Merkmale besser
verständlich geworden, die für Variabilität pharmakokinetischer Eigenschaften
und Unterschiede in der Wirksamkeit eines Arzneimittels verantwortlich sind (2,
5, 6). Der Pharmakogenetik bzw. der Pharmakogenomik als systematischer Analyse
aller menschlichen Gene, die das Ansprechen auf ein Arzneimittel bestimmen,
kommt deshalb in Zukunft eine Schlüsselrolle in der individualisierten
Pharmakotherapie zu (2, 5, 6). Grundlage der Pharmakogenetik sind so genannte
vererbte Polymorphismen oder seltene genetische Varianten. Unter Polymorphismen
versteht man häufig vorkommende monogen vererbte Merkmale, die in der
Bevölkerung in mindestens zwei Phäno- bzw. Genotypen auftreten und deren
Allelhäufigkeit bei mindestens 1% der Bevölkerung vorkommt (4). Bei einer
Allelfrequenz von < 1% spricht man von seltenen genetischen Varianten.
Polymorphismen wurden zunächst in Arzneimittel-metabolisierenden Enzymen
identifiziert und hinsichtlich ihrer klinischen Relevanz untersucht. Inzwischen
ist jedoch deutlich geworden, dass auch andere für die Serumkonzentration,
Halbwertszeit und Wirksamkeit eines Arzneimittels wesentliche Vorgänge (z.B.
Absorption, Verteilung, Elimination sowie Transportproteine und therapeutische
Zielstrukturen für Arzneimittel) von Polymorphismen oder genetischen Varianten
betroffen sein können (2, 5-7). Dementsprechend können diese genetischen
Veränderungen sowohl Pharmakokinetik als auch Pharmakodynamik zahlreicher
Arzneimittel beeinflussen.
Klinische Bedeutung der Pharmakogenetik: Eine Vielzahl neuer Arzneimittel ist in den
vergangenen 30 bis 40 Jahren entwickelt worden, bei denen die Ursachen für
interindividuelle Unterschiede im therapeutischen Ansprechen und/oder UAW
weiterhin ungelöst sind. Die heute eingesetzten wichtigen Arzneimittel (z.B.
Betarezeptoren-Blocker, Beta2-Sympathomimetika, Statine,
Antidepressiva) sind in der Regel nur bei 25%-60% der Patienten wirksam (7).
Darüber hinaus können schwere UAW auftreten, die trotz guter Wirksamkeit eines
Arzneimittels zum Absetzen führen und nicht selten Anlass für
Krankenhausaufnahmen, Verlängerung stationärer Aufenthalte oder sogar
Arzneimittel-bedingte Todesfälle sind (8). Für eine Individualisierung der
Arzneimitteltherapie sind deshalb neben der Beachtung nicht genetisch bedingter
Faktoren (s.o.) insbesondere pharmakogenetische Analysen zunehmend wichtig.
Ziel dieser Untersuchungen ist es, die pharmakogenetischen Ursachen für
interindividuelle Unterschiede in Wirksamkeit und Toxizität von Arzneimitteln
besser zu verstehen und dadurch geeignete Arzneimittel in der richtigen
Dosierung rational auszuwählen (5, 6).
Anstelle der heute üblichen Dosierung von
Arzneimitteln nach Körperoberfläche, Körpergewicht und Lebensalter werden die
auf pharmakogenetischen Ergebnissen basierenden, individualisierten
Dosierungsempfehlungen voraussichtlich deutliche Vorteile bringen, insbesondere
für Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite, wie z.B. Zytostatika (2,
5, 6, 9). Neben den bei einigen Arzneimitteln bereits heute analysierten
Polymorphismen in Arzneimittel abbauenden Enzymen werden pharmakogenetische
Untersuchungen von Transportproteinen und/oder therapeutischen Zielstrukturen
hoffentlich bald bessere Voraussagen über Wirksamkeit und Risiken einer Über-
oder Unterdosierung von Arzneimitteln erlauben.
Verschiedene, kürzlich erschienene Übersichtsarbeiten
beschäftigen sich ausführlich mit der potentiellen klinischen Anwendung
pharmakogenetischer Ergebnisse und den Fortschritten in der Entwicklung neuer
molekulargenetischer Methoden zum Nachweis von Polymorphismen, seltenen
genetischen Varianten und molekularen Veränderungen von Zielstrukturen für
Arzneimittel (1, 5-7, 9). Gleichzeitig warnen diese Autoren jedoch vor
unrealistischen Erwartungen an den routinemäßigen klinischen Einsatz einer
Genotyp-basierten, individualisierten Arzneimitteltherapie, da eine klinische
Relevanz bisher nur für sehr wenige genetische Veränderungen eindeutig belegt
ist (3, 6). Im Folgenden sollen deshalb zunächst an ausgewählten Beispielen
klinische Einsatzmöglichkeiten der Pharmakogenetik dargestellt und anschließend
Probleme diskutiert werden, die der Umsetzung dieser Ergebnisse in die
klinische Praxis derzeit noch im Wege stehen.
Ausgewählte pharmakogenetische Beispiele: Die Auswirkungen von Polymorphismen in
Arzneimittel-metabolisierenden Enzymen sind bisher am längsten und intensivsten
untersucht. Die Genvarianten der Zytochrom-P450-Enzyme sind als häufigste
Ursachen interindividuell unterschiedlicher Arzneimittelreaktionen
identifiziert worden.
CYP2D6:
Dieses Enzym ist am Metabolismus von ca. 25% aller Arzneistoffe beteiligt. Vor
allem Neuroleptika und Antidepressiva gehören zu den typischen Substraten. Es
sind CYP2D6-Allele bekannt, bei denen die Enzymaktivität vermindert ist,
vollständig fehlt oder sogar gesteigert ist. Etwa 7% der weißen Bevölkerung
sind homozygote Träger des defizienten CYP2D6-Allels (13), besitzen also keine
entsprechende Enzymaktivität und werden deshalb als schlechte Metabolisierer
bezeichnet (PM = poor metabolizer). Übliche Dosierungen verursachen bei diesen
Patienten deutlich gesteigerte Arzneimittelreaktionen bis hin zur Toxizität.
Auf der anderen Seite haben 1,5%-5% der Bevölkerung eine Genduplikation des
CYP2D6. Individuen dieses Genotyps besitzen drei aktive Allele und haben
dementsprechend eine deutlich gesteigerte Enzymaktivität (ultraschnelle
Metabolisierer = UM; 14). Um einen therapeutischen Effekt zu erzielen, muss bei
UM die Dosierung einiger Pharmaka drastisch erhöht werden. Heterozygote Träger
nur eines Defektallels werden als intermediäre Metabolisierer (IM) und
homozygote Wildtypallel-Träger als extensive Metabolisierer (EM) bezeichnet.
Kürzlich konnten die Erkenntnisse einiger klinischer Studien zu
CYP2D6-Genotyp-basierten Dosisempfehlungen zusammengefasst werden (15; Abb. 1).
Am Beispiel der Antidepressiva zeigt sich für Imipramin ein Unterschied in der
für therapeutische Plasmakonzentrationen benötigten Dosierung zwischen langsamen
und ultraschnellen Metabolisierern um etwa den Faktor 6. Angesichts der
allgemein geringen therapeutischen Breite und der Kardiotoxizität von
Antidepressiva bieten sich hier gute Möglichkeiten für
pharmakogenetisch-basierte Dosierungen.
CYP2C19:
Protonenpumpen-Inhibitoren werden in der aktuellen Therapie gastroduodenaler
Ulzera häufig eingesetzt. Der Protonenpumpen-Inhibitor Omeprazol wird zu etwa
80% über CYP2C19 metabolisiert (16). Individuen mit dem defizienten CYP2C19
*2-Allel metabolisieren Omeprazol wesentlich langsamer über den alternativen
CYP3A4-Stoffwechselweg. Dadurch erhöht sich die Bioverfügbarkeit dieses
Protonenpumpen-Inhibitors um bis zu 10-fach im Vergleich mit homozygoten
Trägern des Wildtyp CYP2C19 *1-Allels (17; Abb. 2). Da die Toxizität von
Omeprazol auch bei diesen hohen Plasmakonzentrationen anscheinend gering ist,
sind bei Patienten mit CYP2C19 *2-Allel UAW nicht gehäuft beobachtet worden
(18). Mehrere klinische Studien aus Japan und Korea haben jedoch ergeben, dass
die Heilungsraten von Helicobacter-pylori-Infektionen bei homozygoten Trägern
des stoffwechseldefizienten CYP2C19 *2 höher sind, als bei Patienten mit
mindestens einem stoffwechselaktiven CYP2C19 *1-Wildtyp-Allel (19, 20, 21). Die
CYP2C19-Defizienz kommt in der asiatischen Bevölkerung, in der die Studien
durchgeführt wurden, mit 15-25% besonders oft vor und ist damit etwa fünfmal
häufiger als bei Europäern oder Nordamerikanern. Bei Kenntnis des
CYP2C19-Genotyps könnte die Dosierung von Omeprazol bei homozygoten Wildtyp-Trägern
entsprechend höher gewählt und damit die Eradikation von Helicobacter pylori
verbessert werden.
Genetische Varianten Zytostatika-metabolisierender
Enzyme bzw. Zielstrukturen neuer Therapiestrategien: Auch bei medikamentöser Therapie von Tumorpatienten
wurden pharmakogenetische Untersuchungen bisher nur selten eingesetzt.
Verschiedene Studien haben jedoch verdeutlicht, dass sowohl genetische
Polymorphismen in Enzymen, die eine wichtige Rolle in der Metabolisierung von
Zytostatika spielen, als auch molekulargenetische Ergebnisse von Zielstrukturen
neuer Therapien klinisch wichtige Informationen für eine individualisierte
Tumortherapie und diagnostische Vorselektion von Patienten-Subgruppen liefern.
Dies soll im Folgenden an einigen Beispielen illustriert werden.
Die Thiopurin-Methyltransferase (TPMT) spielt eine
Schlüsselrolle beim Abbau der Thiopurine Azathioprin, 6-Mercaptopurin (6-MP)
und Thioguanin. Diese Arzneimittel werden heute zur Prophylaxe von
Abstoßungsreaktionen nach Organtransplantationen und z.B. bei der Behandlung
autoimmuner Erkrankungen sowie akuter lymphatischer (ALL) und myeloischer
Leukämien eingesetzt. Die TPMT-Aktivität ist von genetischen Polymorphismen
abhängig (22). Etwa 10% der Patienten sind heterozygote Träger eines defekten Allels
mit einer mittleren Enzymaktivität, während 0,3% homozygote Defektallel-Träger
sind mit sehr geringer bis nicht messbarer Enzymaktivität (2, 5). Am Beispiel
von 6-MP, einem Purin-Analogon, das sowohl in der Induktions- als auch in der
Erhaltungstherapie der ALL eingesetzt wird, konnte gezeigt werden, dass
Unterschiede in der Aktivität der TPMT die therapeutische Wirksamkeit sowie die
Toxizität von 6-MP beeinflussen. Patienten mit ALL und nicht nachweisbarer oder
verminderter TPMT-Aktivität (homozygote Defektallel-Träger) hatten ein erhöhtes
Risiko für das Auftreten von z.T. lebensbedrohlicher Myelosuppression, zeigten
aber auch ein besseres Ansprechen auf die Chemotherapie (2, 5). Demgegenüber
war die Wirksamkeit von Thiopurinen bei Patienten mit hoher TPMT-Aktivität,
vermutlich auf Grund eines schnelleren Abbaus zu inaktiven Metaboliten,
vermindert. Die Assoziation zwischen TPMT-Genotyp und klinischer Wirksamkeit
von 6-MP konnte kürzlich auch anhand molekularer Untersuchungen zum Nachweis
minimaler Resterkrankung bei Kindern mit ALL gezeigt werden. Bei heterozygoten
Trägern eines defekten Allels (mittlere TPMT-Enzymaktivität) wurde in einer
großen prospektiven klinischen Studie aus Deutschland eine signifikant bessere
Reduktion der minimalen Resterkrankung nachgewiesen als bei Kindern mit hoher
TPMT-Aktivität (homozygoter Wildtyp; 10). Die Tatsache, dass TPMT in klinisch
leicht zugänglichen Zellen (z.B. Erythrozyten, lymphatischen Leukämiezellen)
exprimiert wird, hat die Einführung dieser pharmakogenetischen Bestimmung in
die klinische Praxis erleichtert. Darüber hinaus stehen heute bereits
kommerziell erhältliche pharmakogenetische Assays zur Verfügung, die die
wichtigsten genetischen TPMT-Defektvarianten erfassen (TPMT *2, *3A, *3C). Auch
für andere Zytostatika-metabolisierende Enzyme (z.B. Glutathion-S-Transferase,
Thymidilat-Synthetase) wurden inzwischen genetische Polymorphismen
nachgewiesen, die das Ansprechen auf die antileukämische Therapie beeinflussen
und in Zukunft möglicherweise eine individualisierte Dosierung entsprechender
Zytostatika ermöglichen (2, 9). Auch bei Gabe neuer Substanzen mit molekular
definierten Angriffspunkten („Targeted therapy”) zeichnet sich in der Onkologie
inzwischen ein wichtiges Einsatzgebiet für pharmakogenetische Untersuchungen
ab. Für einen oral verabreichbaren Tyrosinkinase-Inhibitor (Gefitinib), der
gegen den Rezeptor des Epidermal Growth Factor (EGFR) gerichtet ist, wurden
signifikante Korrelationen zwischen dem Nachweis heterozygoter somatischer
Mutationen innerhalb der Tyrosinkinase-Domäne des Gens für den EGFR, die zu
einer Zunahme der Funktion dieses Rezeptors führen, und einem besseren
Ansprechen beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom beschrieben (11). Für
weitere Fortschritte in der „Targeted therapy” von Tumorerkrankungen werden
deshalb dringend Wirkstoff-spezifische molekulare Techniken benötigt, die in
prospektiven klinischen Studien parallel zur klinischen Wirksamkeit und
Sicherheit auch genetische Veränderungen mit Einfluss auf die Pharmakodynamik
analysieren. Nur anhand dieser pharmakogenetischen Analysen von Zielstrukturen
für Arzneimittel wird es möglich sein, charakteristische molekulare Merkmale,
die mit dem Ansprechen auf eine neue Substanz korrelieren, in Tumorzellen von
Patienten frühzeitig zu identifizieren. Dadurch könnte ein ungezielter, häufig
sehr kostenintensiver und möglicherweise auch toxischer Einsatz von neuen
Wirkstoffen in der Onkologie vermieden werden (12).
Transmembran-Transporter: Nicht nur Enzyme können die Pharmakokinetik eines Arzneistoffes
beeinflussen. Die meisten Arzneimittel überwinden zelluläre Barrieren, um an
ihren Wirkort zu gelangen. Häufig geschieht dies nicht nur durch passive
Diffusion, sondern durch aktive Prozesse, die durch Transportproteine, die
integrale Bestandteile der Zellmembran sind, vermittelt werden. Vor allem für
die Gene (MDR1, auch ABCB1 genannt, und organic anion transporting polypeptide
C = OATP-C) der Transportproteine P-Glycoprotein (PGP) und SLCO1B1 sind
zahlreiche Polymorphismen beschrieben worden, die einen Einfluss auf die
Arzneimitteltherapie haben könnten. MDR1 ist hauptsächlich als wichtiger
Auslöser der so genannten Multiresistenz gegen Zytostatika in der Tumortherapie
bekannt geworden (23), wird jedoch auch in vielen normalen Geweben, wie z.B.
Leber, Niere und Darm exprimiert (24). MDR1 hat ein extrem breites
Substratspektrum, das von Digitalisglykosiden bis zu Röntgenkontrastmitteln
reicht (25). Ob Polymorphismen im MDR1-Gen tatsächlich therapeutisch relevant
sind, wird gegenwärtig uneinheitlich bewertet. Für einen nicht-kodierenden
single-nucleotide polymorphism (SNP) im Exon 26 an der Nukleotidposition 3435
ergaben sich Hinweise, dass homozygote Träger des T-Allels im Vergleich zu
Wildtypallel-Trägern signifikant höhere Digoxin-Plasmaspiegel hatten (26).
Einige Studien, in denen auch andere Wirkstoffe verwendet wurden, ergaben
jedoch diskrepante Ergebnisse. Deshalb sind weitere Untersuchungen zur Klärung
notwendig. Eindeutiger ist die Datenlage zu dem in der Leber lokalisierten
Transportprotein des OATP-C-Gens. Kürzlich veröffentlichte klinische Studien
haben gezeigt, dass genetische Varianten dieses Transporters einen Einfluss auf
die hepatische Clearance des Cholesterinsenkers Pravastatin haben (27-29).
Individuen mit OATP-C *5 und *15 zeigten eine verzögerte Aufnahme von
Pravastatin aus dem portalvenösen Blut in die Leberzelle (27, 28), während bei
Trägern des OATP-C *1b-Allels die Aufnahme beschleunigt war (28). Da
Pravastatin nahezu ausschließlich die Cholesterinsynthese in den Hepatozyten
hemmt, dürfte der Cholesterin-senkende Effekt bei Individuen mit OATP-C *5 und
*15-Allel vermindert sein, obwohl für die Pravastatin-Plasmakonzentrationen
genau das Gegenteil gilt. Für Auswirkungen dieses pharmakogenetischen Effekts
auf die Cholesterinsenkung bei Patienten gibt es erste Hinweise (29, 30).
Grenzen der Pharmakogenetik und Perspektiven für die
Entwicklung neuer Wirkstoffe: Im
Genom des Menschen, das ca. drei Milliarden Nukleotide umfasst, treten alle 100
bis 300 Nukleotide sogenannte SNPs („Snips” genannt) auf. Das bedeutet, dass
Hunderttausende bis Millionen von SNPs identifiziert und analysiert werden
müssten, um ein umfassendes Bild zu erhalten, welche SNPs
pharmakotherapeutische Relevanz besitzen. Dadurch kann der Aufwand für
molekulargenetische Analysen, bioinformatische Auswertung und Studiendesign
sehr groß werden. Um die Arbeiten einzugrenzen, ist es für die Pharmakogenetik
außerordentlich wichtig, zunächst diejenigen Gene zu identifizieren, die für
Arzneimittelreaktionen überhaupt wichtig sind. Hier gibt es noch ein großes
Entwicklungspotenzial für die pharmakogenetische Forschung.
Neben der großen Zahl an SNPs gibt es zahlreiche
weitere Hindernisse für die Umsetzung pharmakogenetischer Forschungsergebnisse
in die klinische Praxis (3, 6). So ist inzwischen deutlich geworden, dass für
die meisten Wirkungen von Arzneimitteln nicht einzelne Polymorphismen, sondern
Wechselspiele verschiedener Genprodukte mit Beeinflussung pharmakokinetischer-
und -dynamischer Eigenschaften von Arzneimitteln verantwortlich sind (6).
Weitere Schwierigkeiten betreffen die häufig noch unvollständigen Kenntnisse
über pharmakokinetische Eigenschaften und Wirkungsmechanismen einzelner
Arzneimittel. Nur in prospektiven klinischen Studien an gut charakterisierten und
einheitlich behandelten Patienten, die hinsichtlich pharmakogenetischer
Varianten systematisch analysiert werden, können in Zukunft genetische
Determinanten für das Ansprechen von Arzneimitteln und Auftreten von UAW
zuverlässig ermittelt werden (3, 6). In diesem Zusammenhang sei auch daran
erinnert, dass die klinische Bedeutung pharmakogenetischer Veränderungen auch
von der Zugehörigkeit zu verschiedenen Bevölkerungsgruppen (Ethnien)
beeinflusst wird (6).
Die pharmazeutische Industrie konzentriert sich seit
Jahren auf umsatzstarke Präparate für Massenmärkte, die so genannten
Blockbuster. Deshalb wäre eine möglichst frühzeitige Überprüfung der
Wirksamkeit und der Sicherheit neuer Wirkstoffe im Hinblick auf die z.T. sehr
hohen Entwicklungskosten innovativer Arzneimittel wünschenswert. Unklar ist, ob
bei der pharmazeutischen Industrie die Bereitschaft besteht, das Konzept der
Blockbuster zugunsten der Entwicklung von alternativen Arzneistoffen für
kleinere Patientengruppen zu ändern. Da Blockbuster jedoch für die Hersteller
immer wieder dramatische Auswirkungen haben, wie in den letzten Jahren anhand
einiger Marktrücknahmen beobachtet werden konnte, bietet die Pharmakogenetik
eine zukunftsweisende Strategie. Pharmakogenetische Analysen könnten z.B.
klären, ob bestimmte Patientengruppen erhöhte Risiken für UAW haben. Eine
entsprechend eingegrenzte Zulassung bzw. bessere Überwachung der UAW nach
Zulassung der teuren Blockbuster reduziert auch das Risiko einer späteren
Marktrücknahme. Auch die Arzneimittelentwicklung in der pharmazeutischen
Industrie profitiert von der Pharmakogenetik. Substanzen, die vormals nicht
zugelassen werden konnten oder die vom Markt genommen werden mussten, könnten
besser solchen Patienten zugeordnet werden, für die das Arzneimittel geeignet
ist. Darüber hinaus sollte es möglich sein, das Zulassungsverfahren für
Wirkstoffe mit pharmakogenetisch definierter Patienten-Subgruppe zu
vereinfachen. Kosten und Risiken in der Arzneimittelentwicklung könnten
möglicherweise reduziert werden. Eine anhand gezielter pharmakogenetischer
Untersuchungen erreichbare Verminderung von UAW, kürzere Behandlungsdauer und
möglicherweise Reduktion der für die Behandlung spezieller Krankheiten
notwendigen Zahl von Arzneimitteln wäre ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung
der Arzneimitteltherapie, Senkung der Kosten bzw. Förderung der Kosteneffizienz
im Gesundheitswesen.
Die zunehmende Anwendung der Pharmakogenetik im
klinischen Alltag bedeutet aber auch, dass die Verordnung von Arzneimitteln
noch verantwortungsvoller wird. Der Kliniker muss demnächst vor der Auswahl der
Medikation ggf. eine teure pharmakogenetische Diagnostik veranlassen, deren
Ergebnisse richtig interpretiert werden müssen. Es ist bereits ein DNA-Chip auf
dem Markt, mit dessen Hilfe Polymorphismen zweier wichtiger
Zytochrom-P450-Enzyme erfasst werden können. Für den gezielten Einsatz dieses
DNA-Chips und für die daraus abgeleitete Dosierung individuell geeigneter
Arzneimittel ist neben Kenntnissen der Pharmakokinetik bzw. -dynamik auch
pharmakogenetisches Wissen nötig. Dieses muss Ärzten während ihrer Aus- und
Weiterbildung besser als heute vermittelt werden.
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