Die Entwicklung von Proteaseinhibitoren für die
Behandlung der HIV-Infektion war eine herausragende pharmakologische Leistung
in den letzten Jahrzehnten. Dies wurde mittels moderner „Drug-Design”-Methoden
erreicht, nachdem die Aufklärung der genauen räumlichen Struktur der
HIV-Protease gelungen war. Dieser Fortschritt hat dazu beigetragen, dass
HIV-Patienten in Ländern, die sich eine solche kostenintensive HAART (Highly
Active AntiRetroviral Therapy) leisten können,
heute mit einer etwa gleich langen Lebenserwartung rechnen können wie ohne
HIV-Infektion. Die Therapie besteht in der Regel aus der Kombination zweier
Nukleosidanaloga und einem Proteaseinhibitor. In den Jahren 1993-1995 war die
HIV-Infektion die häufigste Todesursache bei Männern zwischen 25-45 Jahren
sowohl in Nordamerika wie in Europa - von Afrika ganz zu schweigen. Ein Patient
mit der Diagnose AIDS hatte eine mittlere Lebenserwartung, die unter einem Jahr
lag. Die Entwicklung der Proteaseinhibitoren hat dazu beigetragen, dass sich
dies verbessert hat (1, 2). Trotz unbestreitbarer Vorteile der
Proteaseinhibitoren bei der HIV-Therapie zeigten sich unter der Behandlung eine
Reihe unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW). Die wichtigsten sind:
Metabolisches Syndrom (Hyperlipidämie, Glukoseintoleranz, Insulinresistenz,
Fettverteilungsstörungen) und gastrointestinale Störungen (Diarrhö,
Hepatotoxizität). Insbesondere die mit Proteaseinhibitoren assoziierten
Fettstoffwechselstörungen könnten die Lebenserwartung der Patienten auf lange
Sicht verkürzen, weil hierdurch das Risiko für vaskuläre Ereignisse
(Herzinfarkt, Schlaganfall) möglicherweise erhöht wird (3). Proteaseinhibitoren
haben zwar den Vorteil einer seltenen Resistenzentwicklung (4); war jedoch eine
solche Resistenz aufgetreten, bestand sie in der Regel gegen die ganze Gruppe
(also auch gegen alle anderen älteren Proteaseinhibitoren; 5). Ein weiterer
Nachteil der Therapie mit Proteaseinhibitoren war die hohe Tablettenzahl. Eine
Übersicht über die zurzeit zugelassenen Proteaseinhibitoren mit der in der
Regel nötigen Tablettenzahl gibt Tab. 1.
Die neue Generation der Proteaseinhibitoren beginnt
mit der Substanz Atazanavir (Reyataz®). Sie ist in Deutschland als
„Second-line”-Medikament, pharmakodynamisch „geboostert” mit 100 mg Ritonavir
(Norvir®), zur Kombinationstherapie zugelassen (s.a. 8). Die
Boosterung mit einem zweiten Proteaseinhibitor (in diesem Fall Ritonavir) in
niedriger Dosierung bringt einen länger anhaltenden höheren Wirkspiegel des
ersten Proteaseinhibitors (in diesem Fall Atazanavir). Dieses Prinzip ist auch
in dem Präparat Kaletra® (Lopinavir geboostert mit Ritonavir) in
einer Kapsel vereinigt. Auch die beiden anderen neuen Proteasehemmer haben ein
ähnliches Profil, führen aber seltener zu Bilirubinerhöhungen.
Die neuen Proteaseinhibitoren, wie Atazanavir,
zeigen eine deutlich geringere Kreuzresistenz gegenüber anderen
Proteaseinhibitoren; sie sind also auch dann noch wirksam, wenn die HI-Viren
eines Patienten gegen einen Proteaseinhibitor resistent geworden sind (6). Es
müssen auch weniger Tabletten eingenommen werden (s. Tab. 1). Atazanavir
erhöht, verglichen mit den bisher gebräuchlichen Proteaseinhibitoren, deutlich
weniger die Lipide (7). Auch Diarrhö ist seltener. Atazanavir hat gegenüber
anderen Proteaseinhibitoren jedoch den Nachteil, dass bei einigen Patienten das
Serum-Bilirubin ansteigt. Wie gefährlich dies ist, muss geklärt werden. Bei
sehr hohen Bilirubinwerten muss die Therapie geändert werden.
Fazit:
Proteaseinhibitoren sind nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der HAART.
Neuere Proteaseinhibitoren haben bei ähnlich guter Wirksamkeit deutliche
Vorteile hinsichtlich unerwünschter Arzneimittelwirkungen, Resistenzentwicklung
und Einnahme-Compliance. Atazanavir ist der erste zugelassene Vertreter dieser
neuen Generation.
Literatur
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Palella, F.J., et al.: N. Engl.
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Antimicrob. Agents Chemother.
2003, 47, 1324.
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Havlir, D.V., und
O’Marra, S.D.: Clin. Infect. Dis. 2004, 38, 1599.
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AMB 2006, 40, 2.
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