Zwei Konzepte der pulmonalen Insulinapplikation
sind bisher weit fortgeschritten und in mehreren Studien untersucht worden:
1. „Exubera” wurde durch Kooperation der
Pharmafirmen Pfizer und Sanofi-Synthelabo mit der Biotechnologie-Firma Nektar
Therapeutics entwickelt. Es handelt sich um ein schnell wirksames
pulverisiertes Insulin, das unter Verwendung eines Blisters dosiert wird. Der
1-mg-Blister entspricht ca. 3 I.E. sc. injiziertem Insulin. Ein Inhalator
zerstäubt mit Hilfe von Druckluft das Trockenpulver mikrofein. Die Pulverwolke
gelangt in ein transparentes Reservoir und kann dann inhaliert werden.
2. Das „AERx insulin Diabetes Managament
System” (Aradigm Corp., NovoNordisk), gibt gelöstes Humaninsulin als Aerosol ab.
Die Abgabe wird durch das Applikatorsystem überprüft.
Generell erreicht inhalatives Insulin,
ähnlich wie die kurzwirksamen Insulin-Analoga, schneller als sc. injiziertes
Normalinsulin das Maximum seiner Wirkung. Die Wirkdauer ist jedoch dem sc.
injizierten Normalinsulin ähnlich. Die erforderliche Dosis ist bei der geringen
Bioverfügbarkeit von etwas über 10% aber deutlich höher (1, 2).
Untersuchungen mit „AERxiDMS” an gesunden
Probanden haben im Cross-over-Studiendesign gezeigt, dass die erzielte Wirkung
(Area Under the Curve = AUC Insulin) von der Dauer der Atempause nach der
Inhalation unabhängig ist und dass Raucher dieses Insulin besser und rascher
absorbieren als Nichtraucher. Die intraindividuelle Variabilität der Insulin-Aufnahme
unterscheidet sich bei Rauchern und Nichtrauchern nicht (3, 4). Ein Vergleich
der Insulinwirkung bei Asthmatikern und gesunden Probanden zeigte bei Asthmatikern
eine geringere AUC und eine größere intraindividuelle Variabilität. Eine
unkomplizierte Infektion der oberen Luftwege hatte im intraindividuellen
Vergleich keinen Einfluss auf die Aufnahme und Wirkung des Insulins während und
nach der Erkrankung (5, 6).
Untersuchungen zur intraindividuellen
Variabilität der Insulinaufnahme zeigten in Studien bei Typ-2-Diabetikern (7, 8)
und Typ-1-Diabetikern (2, 9) im Cross-over-Design für die inhalative und die
sc. Insulingabe ähnliche Ergebnisse.
Die umfangreichste randomisierte Studie
bei Typ-1-Diabetikern (n = 335) verglich die präprandiale Gabe eines sc.
Normalinsulins mit der des inhalierbaren Insulins bei zusätzlicher Therapie mit
Verzögerungsinsulin über die Dauer von sechs Monaten. Die metabolische
Kontrolle, gemessen am HbA1C, war nicht unterschiedlich. Hypoglykämien
waren unter inhalativem Insulin etwas seltener. Die Patienten waren unter inhalierbarem
Insulin zufriedener, aber es wurde vermehrt über Husten berichtet (27% vs. 5%;
10). Die Ergebnisse der metabolischen Kontrolle wurden in einer neueren Studie
(n = 328) bestätigt. Schwere Hypoglykämien waren bei inhalativem Insulin jedoch
häufiger (11).
Auch bei Typ-2-Diabetikern (n = 299) ist
die präprandiale Gabe von inhalierbarem Insulin und zusätzlicher Gabe von
Verzögerungsinsulin mit der von sc. verabreichtem Mischinsulin über sechs
Monate verglichen worden. Bei geringerer Häufigkeit von Hypoglykämien war die
metabolische Einstellung (HbA1C) unter inhalierbarem Insulin
gleichwertig. Die Patienten waren zufriedener. Als UAW trat vermehrt Husten auf
(12). Die zusätzliche Gabe von inhalierbarem Insulin zu einer vorbestehenden
Therapie mit oralen Antidiabetika im Vergleich zur Weiterbehandlung mit der
oralen antidiabetischen Therapie führte bei 309 Typ-2-Diabetikern innerhalb von
drei Monaten zu einer stärkeren HbA1C-Senkung, aber auch zu
häufigeren Hypoglykämien sowie zu einer Gewichtszunahme (13).
In allen Studien wurde besonderer Wert
darauf gelegt, die „Patientenzufriedenheit” bis zu einer Therapiedauer von
einem Jahr zu ermitteln (14). Das ist verständlich, denn der wichtigste Grund
für eine Umstellung von injizierbarem auf inhalierbares Insulin ist das Vermeiden
der Injektion. Der Stich in den Finger für die Blutzuckermessung entfällt
natürlich nicht. Da das inhalierbare Insulin pro Dosis (zehnfache Insulinmenge!)
sicher teurer sein wird als injizierbares, ist es interessant zu lesen, dass
die Mehrheit der befragten kanadischen Diabetiker, die inhalatives Insulin bevorzugen,
bereit wären, Zuzahlungen zu leisten. Das galt besonders für bislang noch nicht
mit Insulin behandelte Diabetiker (15). Wie lange diese Bereitschaft zur
Zuzahlung jedoch bestehen könnte, ist spekulativ.
Im Brit. Med. J. vom 11. Februar 2006
(16) wird nun mitgeteilt, dass sowohl die US-amerikanische Food and Drug
Administration (FDA) als auch die European Agency for the Evaluation of
Medicinal Products (EMEA) „Exubera” für erwachsene Nichtraucher zugelassen
haben, nachdem bei beiden Behörden der Antrag schon vor längerer Zeit
eingegangen war. „Exubera”, das erst in einigen Monaten auf den Markt kommen
wird, wird als das erste neue Insulin-Applikationssystem seit der Entdeckung
des Insulins im Jahr 1920 bezeichnet. Patienten mit Asthma oder COLD wird
empfohlen, das inhalierbare Insulin nicht zu verwenden. Zwei Mitglieder des
unabhängigen Beratergremiums der FDA, einschließlich des Chairmans, haben gegen
die Zulassung gestimmt. Sie waren der Meinung, dass das inhalierbare Insulin
die Effektivität der Diabetestherapie nicht verbessert. Außerdem bestehen sehr
verständliche Bedenken hinsichtlich negativer Langzeit-Effekte auf die Lungen-
und Bronchialfunktion, denn „Exubera” wird als Staub inhaliert. Auch sei die
Konstanz der Wirkung bei der geringen Bioverfügbarkeit von nur 10% nicht
ausreichend garantiert. Diese Bedenken sind gut begründet. Zudem ist die FDA
wegen zu schneller Zulassung neuer Medikamente in letzter Zeit erheblich in die
Kritik geraten. Auf jeden Fall bedarf das inhalierbare Insulin nach der
Zulassung einer sehr genauen Beobachtung hinsichtlich bisher unbekannter oder
unterschätzter UAW.
Fazit: Trotz vieler Sicherheitsbedenken wurde mit „Exubera”
kürzlich das erste inhalierbare Insulin zugelassen. Seine Bioverfügbarkeit ist
nur etwa 10% im Vergleich mit injiziertem Humaninsulin. Da es genauso schnell
anflutet wie halbsynthetische Insulin-Analoga, aber die Wirkdauer von humanem
Normalinsulin hat, müssen Patienten, die auf das neue Insulin wechseln wollen,
vermutlich neu „eingestellt” werden. Dies dürfte auch die nur gelegentliche
Anwendung, z.B. im Restaurant oder auf Reisen, nicht ganz einfach machen. Für
insulinpflichtige Diabetiker, die, aus welchem Grund auch immer, große Probleme
mit der sc. Injektion haben, ist „Exubera” vermutlich eine neue Option. Da inhalative
Insuline pro Wirkungseinheit sicher teurer sein werden als injizierbare, werden
Patienten die Preisdifferenz vermutlich selber zahlen müssen.
Literatur
-
Rave, K., et al.:
Diabetes Care 2005, 28, 1077.
-
Brunner, G.A., et al.:
Diabetologia 2001, 44, 305.
-
An, B., et al.: Clin.
Therapeutics 2003, 25, 2233.
-
Himmelmann, A., et al.:
Diabetes Care 2003, 26, 677.
-
Henry, R.R., et al.:
Diabetes Care 2003, 26, 764.
-
McElduff, A., et al.: Br.
J. Clin. Pharmacol. 2005, 59,
546. Erratum 2005, 60, 114.
-
Perera, A.D., et al.:
Diabetes Care 2002, 25, 2276.
-
Kim, D., et al.: Diabetes
Care 2003, 26, 2842.
-
Kapitza, C., et al.:
Diabetes Technol. Ther. 2004, 6, 466.
-
Quattrin, T., et al.:
Diabetes Care 2004, 27, 2622.
-
Skyler, J.S., et al.:
Diabetes Care 2005, 28, 1630.
-
Hollander, P.A., et al.:
Diabetes Care 2004, 27, 2356.
-
Rosenstock, J., et al.: Ann.
Intern. Med. 2005, 143,
549.
-
Rosenstock, J., et
al.: Diabetes Care 2004, 27, 1318.
-
Sadri, H., et al.:
Pharmacoeconomics 2005, 23, 1215.
-
Lenzer, J.: Brit. Med. J. 2006, 332,
321.
|