Es kann erwartet werden, dass die regelmäßige
Einnahme von Medikamenten, die sich für eine bestimmte Indikation als nützlich
erwiesen haben, zu besseren therapeutischen Ergebnissen führt als schlechte
Compliance oder absichtliche Einnahme kleinerer Dosen eines Medikaments als vom
Arzt verordnet. Bei der Behandlung lebensbedrohlicher Erkrankungen sollte sich
die Compliance auch auf die Letalität der Patienten auswirken.
S. H. Simpson et al. aus Kanada (1) führten mit
dieser Fragestellung eine Metaanalyse durch. Sie berücksichtigten 21 Studien,
in denen sich die Letalität der Studienteilnehmer in Abhängigkeit von der
Compliance (meist mit einer scharfen Grenze zwischen „gut” und „schlecht”)
sowohl in den Verum- als auch in den Plazebo-Gruppen erkennen ließ. Acht der
Studien mit 37701 Teilnehmern waren prospektiv, randomisiert und
plazebokontrolliert, und bei 13 Studien mit 9146 Teilnehmern handelte es sich
um Kohortenstudien. 2279 der insgesamt 46847 Patienten starben. Die meisten
Therapiestudien betrafen Herzerkrankungen, HIV-Infektionen, Diabetes mellitus
und Hyperlipidämien. In einer Studie wurde nur die Letalität durch
Herzrhythmusstörungen registriert, in allen anderen die Gesamtletalität.
Verglichen mit Patienten schlechter Compliance hatten
solche mit guter Compliance eine um 44% niedrigere Letalität (Odds ratio = OR:
0,56; 95%-Konfidenz-Intervall = CI: 0,50-0,63). Das traf aber nicht nur für die
Verum-Gruppen zu. Auch in den Plazebo-Gruppen hatten Patienten mit guter
Compliance, verglichen mit solchen schlechter Plazebo-Compliance, den gleichen
relativen Überlebensvorteil (OR: 0,56; CI: 0,43-0,74).
In der Mehrzahl der berücksichtigten Studien hatte
das Studienmedikament die Letalität im Vergleich mit Plazebo mehr oder weniger stark
verringert (= nützliche Medikamente). In zwei Studien jedoch, einer zu
Antiarrythmika, einer zur Diabetestherapie, fand sich in den Verum-Gruppen eine
höhere Sterblichkeit (= schädliche Medikamente). Hier war die relative
Sterblichkeit der Patienten mit guter Compliance höher als bei denen mit
schlechter Compliance (OR: 2,90; CI: 1,04-8,11), d.h. was bei wirksamen
Medikamenten eine belohnte Tugend ist, kann bei schädlichen zum Verderben
führen.
Die Autoren schließen aus ihren Ergebnissen, dass eine
gute Compliance bei der Einnahme verschriebener nützlicher Medikamente
die Therapieergebnisse verbessert und das Letalitätsrisiko senkt. Da diese
Aussage (unter Abzug des gesundheitsfördernden Verum-Effekts) aber auch für
Patienten der Plazebo-Gruppen zutrifft, gibt es offenbar andere mit der
regelmäßigen Medikamenteneinnahme verbundene, persönliche Eigenschaften (Ordnungssinn,
regelmäßige Lebensführung, Fehlen von Depression etc.), die sich günstig auf
die Gesundheit und letztlich auch auf die Letalität auswirken. Dieses Phänomen
wird im Englischen „healthy adherer effect” genannt. Diese Ergebnisse werden in
einem Kommentar von B. Chewning aus Madison (USA) weiter erläutert (2).
Fazit: Nützliche
Arzneimittel wirken sowohl bei disziplinierten als auch bei weniger
disziplinierten Menschen. Eine gute Compliance der Patienten bei der Einnahme
von erwiesenermaßen nützlichen Medikamenten ist jedoch mit einer geringeren Letalität
im Vergleich mit schlechter Compliance assoziiert. Da dies aber auch auf
klinische Endpunkte bei der Einnahme von Plazebo zutrifft, ist ein Teil des
positiven Effekts guter Compliance auf den sogenannten healthy adherer effect
zurückzuführen.
Literatur
-
Simpson, S.H., et al.:
BMJ 2006, 333, 15.
-
Chewning, B.: BMJ 2006, 333,
18.
|