Die
Entwöhnung von Rauchern gelingt nur, wenn die Motivation dazu vorhanden ist. Sie
muss geweckt und unterstützt werden im ärztlichen Gespräch und gegebenenfalls
zusätzlich mit strukturierter Verhaltenstherapie. Individualisierte Kurse
werden heute in vielen Praxen und engagierten Krankenhäusern angeboten (1, 2).
Zur Raucherentwöhnung gehört in der Regel als pharmakologische Unterstützung die
so genannte Nikotinersatz-Therapie. Die Erfolgsquote dieses Konzepts ist etwa
20% (3, 4). Als Alternative zum „Nikotinersatz” würde sich zur Behandlung der
Nikotinsucht Bupropion (Zyban®) anbieten. Es kommt aber wegen der
unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) kaum in Frage (5). An weiteren
Alternativen besteht durchaus Interesse.
Die Firma Pfizer hat nun zur Behandlung der
Nikotinsucht Vareniclin entwickelt, das von der FDA im Schnellverfahren im Mai
2006 für den US-Markt zugelassen worden ist und dort unter dem Handelsnamen
Chantix® vertrieben wird. Von der EMEA wurde die Substanz im August
2006 auch in der Europäischen Union freigegeben. In Deutschland ist es unter
dem Namen Champix® erhältlich.
Vareniclin ist ein partieller Agonist des nikotinergen
alpha4-beta2-Acetylcholin-Rezeptors. Gegenüber der konventionellen
Nikotinersatz-Therapie bietet dieser Therapieansatz theoretisch den Vorteil,
dass die Nikotinsucht behandelt wird, indem Entzugssymptome durch die
agonistischen Eigenschaften der Substanz einerseits gemildert werden, über
Zigaretten zugeführtes Nikotin jedoch wegen der antagonistischen Eigenschaften
von Vareniclin am Rezeptor keine Wirkung entfalten kann.
In zwei Multicenterstudien mit identischem
Studienprotokoll wurde die Wirksamkeit von Vareniclin zur Raucherentwöhnung im
Vergleich mit Plazebo und Bupropion getestet (6, 7). Man hätte die beiden
Studien auch zusammengefasst veröffentlichen können. Darauf hat man sicher im Hinblick
auf die größere publizistische Wirksamkeit von zwei Veröffentlichungen
verzichtet. Zur orientierenden Information fassen wir die Ergebnisse allerdings
zusammen. Auch eine dritte Studie im gleichen Heft von JAMA mit einer um zwölf
Wochen verlängerten Behandlungsdauer mit Vareniclin stammt von der gleichen
Forschergruppe (8)!
Insgesamt wurden in den ersten beiden Studien 2052
Probanden untersucht. Voraussetzungen für den Einschluss waren Alter zwischen
18 und 75 Jahren, Motivation zur Nikotinkarenz und Konsum von mindestens zehn
Zigaretten täglich. Ausgeschlossen wurden u.a. Patienten mit schwerer COPD oder
anderen signifikanten Begleiterkrankungen. Nach Randomisierung erhielten die
Probanden entweder Plazebo, 150 mg Bupropion zweimal täglich oder 1 mg
Vareniclin zweimal täglich über 12 Wochen. Die Zeit der Nachverfolgung betrug
52 Wochen.
Ergebnisse:
Der primäre Endpunkt in beiden Studien war die Rate der Abstinenz zwischen
Woche 9 und 12. In beiden Studien waren zu diesem Zeitpunkt die meisten
Probanden in der Vareniclin-Gruppe abstinent (44% vs. 30% Bupropion vs. 18% Plazebo).
Auch in der Langzeit-Nachverfolgung über 52 Wochen war die Abstinenzrate in der
Vareniclin-Gruppe am höchsten (23% vs. 16% Bupropion vs. 9% Plazebo). Der Unterschied
zwischen Vareniclin und Bupropion war in einer Studie signifikant, in der
anderen grenzwertig. Die Entzugssymptome wurden insgesamt durch Vareniclin
deutlicher gelindert.
In beiden Studien klagten Patienten unter Vareniclin
deutlich häufiger über Übelkeit (28% bzw. 29% vs. 8% bzw. 10% unter Plazebo).
Die Intensität der Beschwerden war meist leicht bis mäßig und nahm im Verlauf
der Behandlung ab. Die Abbruchraten in den beiden Studien waren: Vareniclin 10%
bzw. 9%, Bupropion 12% bzw. 15% und Plazebo 7% bzw. 9%.
In
verschiedenen Studien zur Raucherentwöhnung ist beobachtet worden, dass die
Rückfallquote unmittelbar nach Beendigung einer pharmakologischen
Begleittherapie besonders hoch ist. Eine weitere randomisierte Studie der
gleichen Forschergruppe ging deshalb der Frage nach, ob sich durch eine
Verlängerung der Therapie mit Vareniclin über 12 Wochen hinaus die
Abstinenzrate erhöhen lässt (8). Von 1927 Probanden, die 12 Wochen lang mit
Vareniclin behandelt wurden, waren in der 12. Woche 1236 (64%) abstinent, und
1210 wurden nach Randomisierung entweder für weitere 12 Wochen mit Vareniclin
oder mit Plazebo behandelt. Die Abstinenzraten waren sowohl im Zeitraum
zwischen Woche 13 und 24 als auch zwischen Woche 13 und 52 unter der
verlängerten Vareniclin-Therapie höher als unter Plazebo (Woche 13-24: 71% vs.
50%; Woche 13-52: 44% vs. 37%).
Kommentar:
Die in den Studien erzielten Abstinenzraten sind in der Praxis kaum erreichbar.
Die eingeschlossenen Probanden waren sicher hoch motiviert, wurden intensiv
überwacht und erhielten individuelle Beratungen zur Raucherentwöhnung. Die
relativ strengen Ausschlusskriterien führten zu einem mit durchschnittlich 42
Jahren relativ jungen und gesunden Probandenkollektiv. Patienten mit schwerer
obstruktiver Lungenerkrankung, Diabetes oder signifikanten kardiovaskulären
Erkrankungen wurden von der Teilnahme an der Studie ausgeschlossen. Ein
weiterer Schwachpunkt sind die unterschiedlichen Abbruchraten in den Gruppen.
Diese war in der Vareniclin-Gruppe am höchsten. Da bei vorzeitigem Ausscheiden
aus der Studie von einem Rückfall der Nikotinsucht ausgegangen wurde, wird dieses
Präparat bei der Bewertung der Wirksamkeit bevorzugt.
In den beiden ersten Studien wurde Vareniclin nicht
nur mit Plazebo, sondern auch mit Bupropion verglichen. Die Popularität von
Bupropion ist in den USA, wo das Medikament auch zur Behandlung von Depressionen
zugelassen ist, deutlich größer als in Deutschland, wo sein Einsatz zur
Nikotinentwöhnung sehr kritisch bewertet wird (5). Dies ist vor allem auf das
relativ ungünstige Nebenwirkungsprofil zurückzuführen. Etwa jeder tausendste
Patient erleidet unter der Behandlung Krampfanfälle, und etwa jeder fünfte
Patient berichtet über Schlafstörungen. Bupropion ist daher eine schlechte
Vergleichssubstanz. Wichtig wäre es gewesen, Vareniclin im Vergleich zur
Nikotinersatz-Therapie zu untersuchen. Nikotinersatz ist derzeit die häufigste
und kostengünstigste Option bei der medikamentösen Begleittherapie zur
Raucherentwöhnung. Im indirekten Vergleich liegen die beobachteten
Abstinenzraten bei Nikotinersatz-Therapie mit 17% nach einem Jahr (gegenüber
10% unter Plazebo; 3) etwas niedriger als in den hier besprochenen Studien
unter Vareniclin oder Bupropion. Diese Differenzen könnten jedoch auch auf
Unterschiede im Studiendesign zurückzuführen sein.
Die Ergebnisse der Studie (8), in der gezeigt wurde,
dass sich durch eine Verlängerung der Therapiedauer mit Vareniclin auf 24
Wochen höhere Abstinenzraten erreichen lassen, sind ebenfalls mit einer
gewissen Vorsicht zu betrachten. Etwa ein Drittel der Probanden war nach 12
Wochen Vareniclin-Behandlung rückfällig und wurde von der weiteren Teilnahme an
der Studie ausgeschlossen. Das waren wahrscheinlich die weniger Motivierten.
Insofern sind die erzielten Abstinenzraten nach Woche 24 und darüber hinaus
sicher zu optimistisch. Potenziell problematisch sind auch die relativ häufigen
UAW unter Vareniclin. Fast ein Drittel der Probanden klagte über Übelkeit unter
der Behandlung.
Die Kosten der medikamentösen Begleittherapie bei der
Raucher-Entwöhnung werden in Deutschland nicht von den Krankenkassen
übernommen, so dass für den Verbraucher neben der Wirksamkeit auch der Preis
einer solchen Behandlung persönlich von Bedeutung ist. Vareniclin wird aus den
USA importiert. 56 Filmtabletten des verschreibungspflichtigen Champix®
à 1 mg kosten zurzeit 100,59 EUR (UVP). Zum Vergleich: 100 Tabletten Bupropion
(Zyban® 150 mg; verschreibungspflichtig) kosten 131,60 EUR und 28
Nikotinpflaster (Nikofrenon® 30; die Dosisstärke entspricht bis zu
20 Zigaretten täglich) 71,90 EUR. Die Kosten pro Behandlungstag (die
anfängliche Titrierungsphase bei Vareniclin und Bupropion nicht mit
eingerechnet) liegen damit bei etwa 3,60 EUR für Champix® (zweimal 1
mg/d), bei 2,63 EUR für Zyban® 150 mg (zweimal 150 mg/d) und bei
2,56 EUR für (Nikofrenon® 30; einmal ein Pflaster/d). Bei den
Preisunterschieden ist es nicht verwunderlich, dass sich in den USA intensive
Fernsehwerbung für Vareniclin direkt an den Verbraucher wendet, z.B.: „If you
want to quit smoking - there is hope” oder „If it takes more than will
power...”
Fazit: Vareniclin
ist eine weitere Alternative der medikamentösen Hilfe zur Raucherentwöhnung. In
seiner Effizienz ist es Bupropion etwa ebenbürtig, möglicherweise etwas
überlegen. Zum seriösen Vergleich der Häufigkeit von UAW (bei Bupropion sehr
bedenklich) reichen die vorliegenden Daten nicht aus. Bisher gibt es keine
Studie, in der Vareniclin direkt mit der preiswerteren und in verschiedenen
Studien etwa ebenso wirksamen Nikotinersatz-Therapie verglichen wird. Die
vorliegenden Daten lassen vermuten, dass im klinischen Alltag bestenfalls
Raucher mit stark ausgeprägter und schwer beeinflussbarer Entzugssymptomatik
von einer Behandlung mit Vareniclin profitieren könnten. Aber dafür müssen sie
viel bezahlen.
Literatur
-
AMB 2003, 37, 7.
-
Lehmke, J.: Vivantes Humboldt
Klinikum Berlin, persönliche Mitteilung.
-
Silagy, C., et al.: Cochrane
Library 2002, Issue 4.
-
AMB 2000, 34, 25.
-
AMB 2005, 39, 70a.
-
Gonzales, D., et al.:
JAMA 2006, 296, 47.
-
Jorenby, D.E., et al.:
JAMA 2006, 296, 56.
-
Tonstad, S., et al.: JAMA
2006, 296, 64.
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