Die US Food and Drug Administration (FDA)
hat Ende 2006 und Anfang 2007, zuletzt am 9. März 2007, Warnhinweise für Ärzte
veröffentlicht, in denen auf zum Teil lebensbedrohliche unerwünschte Ereignisse
unter Behandlung von Patienten mit renaler Anämie oder Tumoranämie mit
Erythropoese-stimulierenden Wirkstoffen (Erythropoesis-stimulating agents = ESA)
hingewiesen wurde (1). Grundlage dieser Warnhinweise sind vor allen Dingen die
beiden im November 2006 veröffentlichten multizentrischen, randomisierten,
offenen klinischen Studien bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz
(CREATE, 2; CHOIR; 3), aber auch noch unveröffentlichte klinische Studien bei
Patienten mit Tumoranämie.
Die Studien bei Patienten mit chronischer
Niereninsuffizienz und renaler Anämie hatten gezeigt, dass die Normalisierung
des Hb-Werts im Vergleich mit einem niedrigeren Ziel-Hb-Wert nicht das Auftreten
kardiovaskulärer Ereignisse reduziert und deshalb derzeit ein Ziel-Hb-Wert
zwischen 10,5 und 11,5 g/dl unter Therapie mit ESA empfohlen werden sollte.
Aktuelle Auswertungen der CHOIR-Studie ergaben (1), dass der primäre Endpunkt
der Studie (Tod, kardiovaskuläre Ereignisse) signifikant häufiger von Patienten
in der Gruppe 1 (Ziel-Hb-Wert 13,5 g/dl) als in der Gruppe 2 (Ziel-Hb-Wert 11,3
g/dl) erreicht wurde (Hazard Ratio: 1,3; 95%-Konfidenzintervall = CI:
1,03-1,77). Wir haben auf die erhöhte Gefährdung intensiver behandelter
Patienten hingewiesen (2, 3).
Auch in mehreren Studien zur Behandlung der
Tumoranämie fand sich bei Patienten, die mit ESA behandelt wurden, eine höhere
Letalität als in der Kontroll-Gruppe. Wir haben bereits 2004 ausführlich auf
randomisierte klinische Studien hingewiesen, in denen ESA mit Plazebo parallel
zur Bestrahlung bei Patienten mit Kopf- und Halstumoren bzw. parallel zur
Chemotherapie bei Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom verglichen
wurden und unter ESA eine Verkürzung des progressfreien bzw. Gesamtüberlebens
beobachtet wurde (4). Vor dem Hintergrund der inzwischen bekannten spezifischen
Wirkungen von ESA auf antiapoptotische Mechanismen sowie Wachstum und
Angiogenese von Tumoren sowie der kardiovaskulären unerwünschten
Arzneimittelwirkungen (z.B. gehäuftes Auftreten tiefer Beinvenenthrombosen) haben
wir ausdrücklich vor einem unkritischen Einsatz von ESA zur Behandlung der
Tumoranämie gewarnt (4). In einer noch unveröffentlichten, anlässlich des Jahrestreffens
der American Association for Cancer Research (AACR) in Los Angeles im April
2007 vorgestellten randomisierten, doppeltblinden, plazebokontrollierten
Phase-III-Studie wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von Darbepoetin alfa
(Aranesp®) bei Patienten mit Tumorerkrankungen, die keine Chemo-
oder Strahlentherapie erhielten, untersucht. Darbepoetin alfa wurde alle vier
Wochen in der Dosierung von 6,75 µg/kg Körpergewicht verabreicht. Insgesamt 985
Patienten wurden in den Behandlungs- bzw. Kontrollarm randomisiert und 16
Wochen lang mit Darbepoetin alfa oder Plazebo behandelt. Primärer Endpunkt
dieser Studie war die Transfusionshäufigkeit in den Wochen 5-17 nach
Randomisierung, sekundäre Endpunkte u.a. Veränderungen in den Hb-Werten und
Sicherheit von Darbepoetin alfa. Die Patienten litten an unterschiedlichen
Tumorerkrankungen, häufig nicht-kleinzelligem Bronchial-, Mamma- oder
Prostatakarzinom. Der Ausgangs-Hb-Wert lag bei 9,5 g/dl. Diese Studie ergab
keinen signifikanten Vorteil von Darbepoetin alfa hinsichtlich des primären
Endpunkts, zeigte jedoch einen signifikanten Anstieg der Letalität unter der
Behandlung mit Darbepoetin alfa (Hazard Ratio: 1,25; CI: 1,04-1,51). Die
Ergebnisse dieser Studie sprechen für ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis
von Darbepoetin alfa bei Patienten mit Tumoranämie, die keine Chemo- oder
Strahlentherapie erhalten (1). Die FDA wird die vollständigen Ergebnisse dieser
wichtigen Studie analysieren, sobald sie vom pharmazeutischen Hersteller
(AMGEN) zur Verfügung gestellt wurden.
In einer multizentrischen, randomisierten,
offenen klinischen Studie bei Patienten, die sich einem orthopädischen Eingriff
unterziehen mussten, traten unter Behandlung mit Epoetin alfa signifikant
häufiger unerwünschte Ereignisse (Häufigkeit tiefer Beinvenenthrombosen 4,7%)
als in der Kontroll-Gruppe (2,1%) auf, in der bei klinischem Bedarf
Erythrozytenkonzentrate transfundiert wurden. Auch die vorläufigen Ergebnisse
dieser Studie werden in den Warnhinweisen der FDA erwähnt und anhand der
kompletten Studienergebnisse weiter analysiert (1).
Aufgrund dieser ernsten Sicherheitsrisiken
der ESA wurden von der FDA die Fach- und Gebrauchsinformationen der in den USA
zugelassenen ESA (Epoetin alfa bzw. Darbepoetin alfa) geändert und gleichzeitig
Empfehlungen für die Patientenaufklärung bei geplanter Gabe von ESA
ausgesprochen. In den Fachinformationen wird auf die schwerwiegenden
kardiovaskulären Komplikationen (arterielle und venöse Thromboembolien)
hingewiesen und die niedrigste Dosis der ESA empfohlen, die erforderlich ist,
um die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten zu vermeiden. Ziel-Hb-Werte
> 12,0 g/dl sollten generell vermieden werden. Weiterhin wird explizit auf
die Risiken von Hb-Werten ≥ 12,0 g/dl bei Tumorpatienten hingewiesen, z.B.
Verkürzung des progressfreien Überlebens bei Patienten mit fortgeschrittenen
Kopf- und Halstumoren unter Strahlentherapie, Verkürzung des Gesamtüberlebens
bei Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom unter Chemotherapie und
Erhöhung der Letalität bei Patienten ohne Chemo- oder Strahlentherapie.
Der weltweite Umsatz von ESA wird derzeit
auf 10 Milliarden US-Dollar geschätzt (5). Der Umsatz der in Deutschland
zugelassenen ESA (Darbepoetin alfa, Epoetin alfa = Eprex®, Erypo®,
Epoetin beta = NeoRecormon®) betrug im Jahr 2005 ca. 369 Mio. EUR,
wobei deutlichen Umsatzsteigerungen von Darbepoetin alfa Umsatzrückgänge von
Epoetin alfa bzw. Epoetin beta gegenüberstanden (6). Verantwortlich für diesen
weiterhin insgesamt steigenden Umsatz der ESA sind in erster Linie aggressive
Vermarktungsstrategien der pharmazeutischen Hersteller für ihre ESA, die auch
vor medizinischen Desinformationen und Beeinflussung von Patienten-Selbsthilfegruppen
nicht zurückschrecken. Vor diesem Hintergrund ist bemerkenswert, dass der US-amerikanische
Kongress in einem Brief vom 20. März 2007 die pharmazeutischen Hersteller der
ESA in den USA (AMGEN, Johnson & Johnson) aufgefordert hat, alle Werbung
für rezeptpflichtige Arzneimittel bei Verbrauchern (DTCA) einzustellen und
Ärzten keine Anreize zur Verschreibung der ESA mehr zur Verfügung zu stellen (5).
Auf die Risiken für Patienten, die aus unseriöser Werbung und fehlendem Hinweis
auf die schwerwiegenden Sicherheitsrisiken resultieren, wurde ausdrücklich
hingewiesen.
Fazit: Die im Rahmen klinischer Studien
bei Patienten mit Niereninsuffizienz und renaler Anämie bzw. mit Tumoranämie
aufgetretenen unerwünschten Ereignisse (kardiovaskuläre Komplikationen, erhöhte
Letalität bei Tumorpatienten) bestätigen die bereits in früheren Studien erhobenen
Ergebnisse und mahnen erneut zur Vorsicht bei der Verordnung von ESA. Die
Empfehlungen der FDA für die Verordnung der ESA müssen deshalb unbedingt
beachtet und die Patienten hinsichtlich möglicher Risiken sorgfältig aufgeklärt
werden. Der auch in Deutschland weiterhin praktizierte Einsatz von ESA
außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete (Off-label use) sollte
unterbleiben.
Literatur
-
www.fda.gov/cder/drug/InfoSheets/HCP/RHE2007HCP.htm
-
Drüeke,
T.B., et al. (CREATE
= Cardiovascular Risk reduction by Early Anemia Treatment
with Epoetin beta): N. Engl. J. Med. 2006, 355, 2071
; s.a. AMB 2007, 41, 13b.
-
Singh,
A.K., et al. (CHOIR
= Correction of Hemoglobin and Outcomes In Renal
insufficiency): N. Engl. J. Med. 2006, 355, 2085
; s.a. AMB
2007, 41, 13b.
-
AMB 2004, 38,
7.
-
Mitka, M.: JAMA
2007, 297, 1868.
-
Schwabe, U., und
Paffrath, D.: Arzneiverordnungs-Report 2006. Springer, Berlin, Heidelberg, New
York.
|