Über Vorab-Informationen zur ACCORD-Studie, die vom
US-amerikanischen National Institute of Health initiiert und finanziert wurde,
haben wir im April 2008 berichtet (1). Die Ergebnisse wurden jetzt ausführlich
publiziert (2). Im gleichen Heft des N. Engl. J. Med. wurden auch die
Ergebnisse der von den Autoren selbst initiierten, umfangreichen,
multizentrischen ADVANCE-Studie veröffentlicht, deren Struktur und Ziele derjenigen
von ACCORD sehr ähnlich sind (3). Es geht um die Frage, ob eine sehr strenge
Kontrolle des Blutzuckers bei Diabetes mellitus Typ 2 (DM 2) die Prognose
verbessert. Wie aus Tab. 1 ersichtlich, hatten die Patienten beider Studien
schon seit im Mittel 10 bzw. 8 Jahren einen DM 2. In ACCORD konnten sie
eingeschlossen werden, wenn sie bereits eine arteriosklerotische
kardiovaskuläre (KV) Erkrankung oder mindestens zwei Risikofaktoren hierfür
hatten. In ADVANCE genügte eine KV-Erkrankung oder ein Risikofaktor. Der
mittlere HbA1c-Wert in ACCORD bei Beginn war deutlich höher als in ADVANCE
(Tab. 1). Die Behandlungsziele in ACCORD waren ambitionierter (HbA1c < 6%
versus 7-7,9% in der Vergleichsgruppe) als in ADVANCE (HbA1c < 6,5% versus
bisheriger Standard in den beteiligten Zentren in der Vergleichgruppe). In
ACCORD konnten neben Diät und anderen Verhaltensmaßnahmen beliebige
Kombinationen von Antidiabetika eingesetzt werden, was bis zur Kombination von
oralen Antidiabetika mit bis zu vier Insulininjektionen pro Tag führen konnte.
In ADVANCE starteten alle Patienten der intensiv zu therapierenden Gruppe mit
dem Sulfonylharnstoff (SH) Gliclazid „modified release” (Diamicron Uno®,
30-120 mg/d, der Hersteller war ein Sponsor der Studie). Andere SH waren
verboten. Zusätzlich konnten Antidiabetika (einschließlich Insulin) in einer
zuvor vorgeschlagenen Reihenfolge eingesetzt werden. Die Vergleichsgruppe
durfte andere SH als Gliclazid und ansonsten die gleichen Antidiabetika wie die
Intensivgruppe erhalten. Im Rahmen eines „factorial design” testet ACCORD neben
den antihyperglykämischen auch Effekte der lipidsenkenden und antihypertensiven
Therapie (die Studie läuft diesbezüglich weiter), während ADVANCE zusätzlich
Perindopril plus Indapamid versus Plazebo testet.
Ergebnisse:
Zu beachten ist die längere Laufzeit von ADVANCE (5 Jahre) verglichen mit
ACCORD zum Zeitpunkt des Abbruchs des Glukose-senkenden Aspekts der Studie (3,4
Jahre). Das kommt im Unterschied der Ereignisraten in den beiden Studien zum
Ausdruck. Die tatsächlich ereichten mittleren HbA1c-Werte in den Studien waren
ähnlich (Tab. 1), wobei die HbA1c-Senkung im Intensiv-Arm von ACCORD wegen
höherer Ausgangswerte größer war als in ADVANCE.
Wie berichtet (1), starben im Intensiv-Arm von ACCORD
mehr Patienten als im Vergleichsarm, auch an KV-Ursachen, während nicht-tödliche
Herzinfarkte signifikant seltener auftraten. Schwere Hypoglykämien waren bei Intensivtherapie
signifikant häufiger als bei Kontrollen.
In ADVANCE starben etwas weniger (nicht signifikant) Patienten
an KV- und Nicht-KV-Ursachen unter Intensivtherapie verglichen mit der
Vergleichsgruppe. Nicht-tödliche Herzinfarkte waren in beiden Gruppen kaum
verschieden. Schwere Hypoglykämien waren in der Intensivgruppe etwas häufiger
als in der Vergleichsgruppe, aber in beiden Gruppen - trotz längerer
Studienlaufzeit von ADVANCE - seltener als in der Intensivgruppe von ACCORD (s.
Tab. 1). Insgesamt wurden in der Intensivgruppe makro- und mikrovaskuläre
Ereignisse um ca. 10% gesenkt, hauptsächlich durch eine 21%ige Senkung der Prävalenz
einer diabetischen Nephropathie (signifikant nur für neu auftretende Mikroalbuminurie).
Da in der Intensivgruppe am Ende der systolische Blutdruck um 1,6% niedriger
war als bei den Kontrollen, gehen nach Ansicht der Autoren drei von den 10%-Vorteilspunkten
auf Rechnung der antihypertensiven Therapie.
Die Autoren der ACCORD-Studie sind nicht in der Lage,
die Ursachen der höheren Letalität in der intensiv blutzuckersenkend therapierten
Gruppe zu erklären. Ein Zusammenhang mit den viel häufiger als in ADVANCE
benutzten Thiazolidindionen (Glitazonen) ließ sich angeblich nicht nachweisen. Die
deutliche Gewichtszunahme in ACCORD-Intensiv im Vergleich mit der
konventionellen Gruppe und mit ADVANCE (Tab. 1) spricht für einen Effekt der Thiazolidindione.
Nächtliche unbemerkte Hypoglykämien könnten eine Teilursache der höheren Sterblichkeit
sein. Das N. Engl. J. Med. lässt die beiden Studien in zwei Editorials
ausführlich kommentieren (4, 5). Einem der Kommentare (4) haben wir für unsere
Tabelle Daten entnommen. Die Autoren und Kommentatoren empfehlen eine
individualisierte blutzuckersenkende Therapie. Wir sind der Meinung, dass
verantwortungsbewusste Ärzte auch bisher schon individualisierend und nicht mit
dem Holzhammer therapiert haben.
Die Sterblichkeit und die Inzidenz von
KV-Komplikationen waren in den vier Armen der beiden Studien niedriger als
erwartet. Das könnte den Schluss zulassen, dass die weniger intensiv
behandelten Vergleichs- oder Kontroll-Gruppen erfolgreich behandelt wurden.
ACCORD-Intensiv spricht deutlich gegen das Ziel einer sehr intensiven
Blutzuckersenkung, zumindest bei älteren Patienten mit seit vielen Jahren
bestehendem DM2 und erhöhtem KV-Risiko. Hier scheint ein HbA1c-Wert um 7% ein
vernünftiges Ziel zu sein. Bei einem jüngeren Typ-2-Diabetiker ohne
wesentliches KV-Risiko spricht nichts dagegen, ihn zu motivieren, durch
Gewichtsabnahme, mehr körperliche Aktivität und eventuell Metformin einen
HbA1c-Wert im Normbereich zu erreichen.
Die Ergebnisse der beiden Studien sollten keinesfalls
dazu führen, die Behandlung der Hyperglykämie bei DM2 völlig zu
vernachlässigen, auch wenn sich die antihypertensive und Lipid-senkende
Behandlung hinsichtlich Verhinderung makrovaskulärer Komplikationen mehr
auszahlt. Eine gute Blutzuckereinstellung reduziert mikrovaskuläre
Komplikationen deutlicher als makrovaskuläre (6). Der jetzt mehrfach
ausgesprochenen Empfehlung, es bei der Beseitigung von Dehydratationszeichen
und anderen auf die Hyperglykämie zurückzuführenden Beschwerden der Patienten
zu belassen, möchten wir widersprechen. Das ist allenfalls bei sehr alten
Patienten eine Option.
Fazit: In
der ACCORD- und der ADVANCE-Studie wurde bei älteren DM2-Patienten mit
deutlichem KV-Risiko eine Therapie-Gruppe mit intensiver Blutzucker- und
HbA1c-Senkung mit einer konventionell therapierten Kontroll-Gruppe verglichen.
Die ACCORD-Studie wurde nach im Mittel 3,5 Jahren im Intensiv-Arm wegen
Übersterblichkeit abgebrochen. In ADVANCE mit nicht so rigoroser HbA1c-Senkung
in der Intensiv-Gruppe ergab sich ein schwach signifikanter Vorteil
hinsichtlich Letalität und neu auftretender Mikroalbuminurie im Vergleich mit
der Kontroll-Gruppe. Bei DM-2-Patienten mit den beschriebenen Charakteristika
ist es folglich nicht empfehlenswert, einen sehr niedrigen oder gar normalen
HbA1c-Wert anzustreben. Dies gelingt auch nur selten, ohne schwere
Hypoglykämien zu riskieren.
Literatur
-
AMB 2008, 42, 27.

-
ACCORD = Action
to Control CardiOvascular Risk in Diabetes
study: N. Engl. J. Med. 2008, 358, 2545.

-
ADVANCE Collaborative
Group = The Action in Diabetes and Vascular disease:
PreterAx and DiamicroN modified release Controlled Evaluation: N.
Engl. J. Med. 2008, 358, 2560.

-
Dluhy, R.G., und McMahon, G.T.:
N. Engl. J. Med. 2008, 358, 2630.

-
Cefalu, W.T.: N. Engl. J. Med.
2008, 358, 2633.

-
Stratton, I.M., et al. (UKPDS 35 = UK Prospective Diabetes
Study 35): BMJ 2000, 321, 405
;
s.a. AMB 2000, 34, 95a. 
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