Melatonin
ist ein kurz wirkendes Hormon der Zirbeldrüse, das bei Dunkelheit vermehrt
sezeniert wird und somnogene Effekte hat. Neben anderen Faktoren reguliert es
den zirkadianen Schlaf/Wach-Rhythmus. Es ist bei Einschlafstörungen als Folge
von Jetlag wirksam, besonders bei Erwachsenen, die über fünf oder mehr
Zeitzonen in östlicher Richtung fliegen (1). Melatonin wird aber auch schon
seit Jahren insbesondere in den USA als Schlafmittel verwendet, wo es als „Nutritional
supplement” rezeptfrei in „Drug stores” erhältlich ist.
Eine
Metaanalyse von 15 sehr heterogenen Studien aus dem Jahr 2006 (2) über die
Wirksamkeit von exogenem Melatonin bei sekundären Schlafstörungen und
Schlafstörungen nach Schlafentzug kam allerdings zu dem Schluss, dass Melatonin
keinen signifikanten Effekt auf die Zeit bis zum Einschlafen und nur einen sehr
marginalen Effekt auf die Durchschlafzeit bei Patienten mit sekundären
Einschlafstörungen hat. In unserer Besprechung von 2006 haben wir Melatonin
daher nur bei Einschlafstörungen im Jetlag als wahrscheinlich wirksam beurteilt
(3).
Ausgehend
von dem Befund, dass die endogenen Melatoninkonzentrationen im Serum mit
zunehmendem Alter sinken, könnte es besonders bei älteren Patienten als
„mildes” Schlafmittel geeignet sein. Allerdings ist die Melatoninkonzentration
individuell sehr verschieden, und es ist nicht belegt, dass niedrige
Melatoninspiegel generell mit Schlafstörungen einhergehen und eine pharmakologische
Dosis von > 0,3 mg/d Schlafstörungen im Alter beheben könnte (4).
Trotzdem
hat die EMEA nun ein retardiertes Melatonin-Präparat (Circadin® 2 mg)
für die kurzzeitige Monotherapie „primärer Insomnien” bei Patienten ab 55
Jahren zugelassen. Unter primärer Insomnie sind Schlafstörungen ohne erkennbare
körperliche oder psychische Ursachen zu verstehen. In einer somnographischen
Studie konnte mit diesem Retard-Präparat die Zeit bis zum Einschlafen gegenüber
Plazebo um neun Minuten verkürzt werden. Circadin® änderte nicht die
Schlafarchitektur und hatte auch keinen Einfluss auf die Dauer des REM-Schlafs.
Es wurden auch keine Veränderungen der Leistungsfähigkeit während des Tages
beobachtet (5).
Zwei
ambulant durchgeführte, randomisierte, plazebokontrollierte Studien, die beide
vom Hersteller Neurim Pharmaceuticals bezahlt wurden, liegen der europäischen Zulassung
zu Grunde. In beiden Studien wurde 2 mg Melatonin drei Wochen lang mit Plazebo
verglichen und die Schlafqualität sowie der morgendliche Wachheitsgrad mit dem
„Leeds Sleep Evaluation Scale” evaluiert, einer Analogskala mit visueller
Auswertung. In der ersten Studie (6) wurde bei 170 Patienten (mittleres Alter
68,5 Jahre) auch die Veränderung der Schlafqualität sowie der „Rebound-Effekt”
und mögliche Entzugserscheinungen nach dem Absetzen von Melatonin untersucht.
Melatonin verbesserte die Schlafqualität knapp signifikant. Der kombinierte
Endpunkt Schlafqualität und morgendlicher Wachheitsgrad verbesserte sich signifikant
bei 47% der Patienten in der Circadin®- versus 27% in der Plazebo-Gruppe.
Es wurden in dieser kurzen Beobachtungszeit wenige UAW beobachtet (s.u.) und
auch keine Entzugserscheinungen nach dem Absetzen.
In der
zweiten Studie (7) wurden 354 Patienten (mittleres Alter 65,7 Jahre) ebenfalls bezüglich
ihrer Schlafqualität, des morgendlichen Wachheitsgrades und zusätzlich auch der
„Lebensqualität” evaluiert. Die Zeit bis zum Einschlafen verkürzte sich unter
dem retardierten Melatonin in dieser Studie im Mittel um 24,3 Minuten (12,9
Minuten unter Plazebo) ohne Veränderungen der Gesamtschlafzeit. Die
Schlafqualität, der morgendliche Wachheitsgrad und die „Lebensqualität”
verbesserten sich unter Melatonin signifikant.
Mit UAW
ist bei gut einem Drittel der Patienten zu rechnen (37,0% unter Melatonin vs.
31,8% unter Plazebo). Die häufigsten sind Nasopharyngitis, Kopfschmerzen,
Rückenschmerzen und Asthenie, die sowohl in der Circadin®- als auch
in der Plazebo-Gruppe unter die Kategorie „häufig” fielen (5).
Da Melatonin
über Zytochrom P450 1A-Enzyme metabolisiert wird, können Hemmstoffe wie z.B. das
Antidepressivum Fluvoxamin die Spitzenkonzentrationen von Melatonin im Serum
bis um das 12fache erhöhen und die UAW-Rate steigern. Zigarettenrauchen kann
die Melatoninspiegel aufgrund der Induktion von CYP1A2 senken und zum
Wirkverlust von Melatonin führen (5).
Fazit: Retardiertes
Melatonin ist als Monotherapie für die kurzzeitige Behandlung der primären
Insomnie bei Patienten ab 55 Jahren zugelassen. Nach zwei von den Herstellern
durchgeführten Studien scheint es die Schlafqualität zu verbessern und die Zeit
bis zum Einschlafen zu verkürzen. Da es kurzzeitig gut verträglich scheint und möglicherweise
ein geringeres Risiko hat als andere Schlafmittel, beispielsweise ein
Benzodiazepin (8), ist es bei älteren Patienten - wenn die Indikation stimmt - einen
kurzzeitigen Therapieversuch wert, auch wenn es bisher nicht mit anderen
Schlafmitteln verglichen worden ist. 20 Tabletten kosten 25,38 EUR.
Literatur
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http://www.cochrane.org/reviews/en/ab001520.html
-
Buscemi,
N., et al.: BMJ 2006, 332, 385.
-
AMB
2006, 40, 37.
-
Zhdanova,
I.V., et al.: J. Clin. Endocrinol. Metab. 2001, 86, 4727.
-
http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/circadin/H-695-PI-de.pdf
-
Lemoine,
P., et al.: J. Sleep Res. 2007, 16, 372.
-
Wade,
A.G., et al.: Curr. Med. Res. Opin. 2007, 23, 2597.

-
Glass,
J., et al.: BMJ 2005, 331, 1169.

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