Menschen mit familiärer heterozygoter
Hypercholesterinämie (FH, Prävalenz: eine von 500 Personen) haben ein extrem
hohes Risiko für Arteriosklerose, speziell für koronare Herzkrankheit (KHK),
Männer noch höher als Frauen. Statine senken das LDL-Cholesterin bei diesen
Patienten im gleichen Ausmaß wie bei solchen mit polygenetisch verursachter
Hypercholesterinämie und reduzieren das koronare Risiko deutlich. Aus ethischen
Gründen gibt es deshalb keine prospektiven, randomisierten, plazebokontrollierten
Therapie-Studien mit Statinen bei FH.
J. Versmissen et al. organisierten ab 1989 eine
Studie, an der sich 27 Lipid-Kliniken in den Niederlanden beteiligten (1). 1990
kam dort als erstes Statin Simvastatin auf den Markt, und bereits in diesem
Jahr wurde mit einer Statintherapie bei 413 Patienten mit FH begonnen (Gruppe
A). Bis 2002 wurden weitere 1 294 Patienten mit FH rekrutiert (Gruppe B),
bei denen im Mittel mit einer Verzögerung von 4,3 Jahren gegenüber Gruppe A die
Statintherapie begonnen wurde. Im Vergleich mit den heute empfohlenen
Statindosen bei FH waren die im Rahmen dieser Studie gegebenen mittleren Dosen
(33 mg/d Simvastatin oder 49 mg/d Atorvastatin) nicht sehr hoch. Die
Ausgangswerte von LDL-C (im Mittel um 7,5 mmol/l) wurden durch Simvastatin im Durchschnitt
um 44%, durch Atorvastatin um 49% gesenkt. Zur Zeit des Einschlusses in die Kohortenstudie
hatten alle Patienten noch keine manifeste KHK. Kombinierter Endpunkt war die
systematisch erfasste Inzidenz von KHK (Myokardinfarkt, Angina pectoris,
perkutane koronare Interventionen oder Bypass-Chirurgie). Verglichen wurde
somit prospektiv die KHK-Inzidenz bei einer relativ früh begonnenen mit einer
verzögert begonnenen Statintherapie.
Obwohl die ab 1990 behandelten Patienten (Gruppe A)
im Mittel 3,5 Jahre älter waren als die der Gruppe B und etwas höhere
Serum-LDL-C und niedrigere HDL-C-Konzentrationen hatten, war die im Verlauf von
durchschnittlich 8,5 Jahren beobachtete Inzidenz von KHK um 76% reduziert (Hazard
ratio = HR: 0,24, 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,18-0,30; p < 0,001).
Absolut war die KHK-Inzidenz 11/1000 Personenjahre in Gruppe A bzw. 119/1000 in
Gruppe B. Bei Eintritt des ersten koronaren Ereignisses waren die Patienten der
Gruppe B im Mittel jünger (48,6 Jahre) als die der Gruppe A (50,9 Jahre). Im
Vergleich mit einer Personengruppe vergleichbaren Alters aus einer prospektiven
Studie in Rotterdam ohne genetische Fettstoffwechselstörung war das KHK-Risiko
der früh behandelten FH-Gruppe A nur noch geringfügig erhöht (HR: 1,44; CI: 0,8-2,6;
p = 0,23).
Da die Patienten bei Einschluss in die Studie im
Mittel etwas älter als 40 Jahre waren, schließen die Autoren, dass man Kinder und
Jugendliche mit diagnostizierter FH nicht unbedingt sofort mit Statinen behandeln
muss, wenn eine deutlich später begonnene Therapie noch so gut wie hier in Gruppe
A wirkt. Zwar entwickelten sich auch bei Kindern mit dieser Erkrankung schon atheromatöse
Plaques in den Gefäßen. Sie seien aber unter Therapie reversibel. Auch seien
die hier im Mittel verabreichten Dosen der Statine nicht so hoch wie heute in
Leitlinien empfohlen und hätten trotzdem einen sehr guten therapeutischen
Effekt gehabt.
Dem widersprechen partiell A. Neil und S.H. Humphries
aus England in einem Kommentar (2). Sie empfehlen, entsprechend der Richtlinien
der American Academy of Pediatrics (3), eine Therapie etwa ab dem 15.
Lebensjahr. Für Patienten mit sehr hohem KHK-Risiko (Familienanamnese) und für
die Sekundärprävention (d.h. bei schon vorhandener KHK) empfehlen sie die Gabe
von „High potency statins”, z.B. 40 mg/d Atorvastatin (Sortis®) oder
20 mg/d Rosuvastatin (Crestor®),
und generell die Senkung des LDL-C auf unter 50% des Ausgangswerts. Für
Patienten mit hohem Risiko empfehlen sie sogar die Kombination mit Ezetimib
(Ezetrol®). Für diese Empfehlung gibt es keine Evidenz (s. 4),
ebenso wenig für die Empfehlung, die Therapie immer ab dem 15. Lebensjahr zu
beginnen. Die Verwendung des Begriffs „high potency statins” ist zudem unberechtigt,
weil bisher in keiner Studie nachgewiesen werden konnte, dass Atorvastatin oder
Rosuvastatin dem viel preisgünstigeren Simvastatin hinsichtlich klinischer
Endpunkte überlegen wäre - von Ezetimib ganz zu schweigen.
Fazit: Die
Therapie von Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie mit
Statinen zur Prävention der KHK ist hoch wirksam und sollte in der Regel vor
dem 20. Lebensjahr begonnen werden. Nach der hier referierten Studie kann mit einer
Standarddosis von 40 mg/d Simvastatin die Inzidenz der KHK fast auf das Risiko
einer Durchschnittspopulation reduziert werden.
Literatur
-
Versmissen, J., et al.:
BMJ 2008, 337, a2423.

-
Neil, A., und Humphries, S.E.:
BMJ 2008, 338, a3041.

-
Daniel, S.R., und
Greer, F.R.: Pediatrics 2008, 122, 198.

-
Kastelein, J.J., et
al. (ENHANCE = Ezetimibe and simvastatiN in Hypercholesterolemia
enhANces atherosClerotic rEgression): N.Engl.J.Med. 2008, 358,
1431.
S.a. AMB 2008, 42, 31
und 2009, 43, 11. 
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