Wir
haben vor einiger Zeit zur Schweinegrippe-Impfung Stellung genommen (1). Der
Druck auf die Ärzte, gegen die Schweinegrippe („Neue Grippe”) zu impfen und auf
die Bevölkerung, sich impfen zu lassen, ist durch offizielle Stellen, z.B.
STIKO, Robert Koch-Institut (RKI) und zuletzt auch noch durch einen
persönlichen Brief unseres neuen Gesundheitsministers, erhöht worden.
Für
diese Empfehlungen gibt es aber nach wie vor keine harten Daten. Die Erkrankung
ist bisher deutlich harmloser verlaufen als viele Experten vorausgesagt haben.
In Australien ist die Wintersaison der Grippe schon zu Ende, und es sind
überraschend wenige Patienten im Zusammenhang mit dem Influenzavirus H1N1
gestorben (2). Erste Zahlen aus England (3) und den USA (4) bestätigen diesen
Trend und unsere Einschätzung, dass die Letalität bei Schweinegrippe deutlich
hinter der bei saisonaler Grippe zurückbleibt.
Dem
RKI sind bisher (Stichtag 15.12.2009) 203 713 Fälle von Neuer Influenza
A/H1N1 gemeldet worden, darunter 119 Todesfälle (5). Es sind überwiegend (ca.
80%) Patienten mit schweren Grunderkrankungen gestorben, und meist war die
Todesursache nicht die H1N1-Virus-Infektion (5). In einer aktuellen Studie aus
England wurde das Risiko, an der Erkrankung zu sterben, auf 2,7/Mio. Einwohner
(2,2-3,2/Mio.) geschätzt (3).
Nach
Impfung mit Pandemrix® wurden dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bis
zum 10.12.2009 insgesamt 429 UAW als schwerwiegend gemeldet (6). 85 Geimpfte hatten
starke Impfreaktionen mit Kreislaufkollaps und Synkope. 115 UAW wurden als
anaphylaktische/anaphylaktoide Reaktionen beurteilt (vgl. auch 7), davon 47 als
schwer (Typ II und III). Dem PEI sind kumulativ vom 26.10.2009 bis zum
10.12.2009 38 Todesfälle im zeitlichen Zusammenhang mit Pandemrix®
gemeldet worden (6). Im Mittel starben diese Geimpften nach fünf Tagen
(zwischen wenigen Stunden und 21 Tagen). Die Frage nach dem kausalen
Zusammenhang ist natürlich nie ganz zu klären. Ärztinnen und Ärzte sollten aber
auf jeden Fall UAW in Zusammenhang mit der Schweinegrippe-Impfung an die
zuständigen Gesundheitsämter oder die AkdÄ oder das PEI melden.
In
drei Beiträgen im N. Engl. J. Med. vom 17.12.2009, die von den jeweiligen
Impfstoff-Herstellern unterstützt wurden, wird über die Induktion einer
„protektiven Immunantwort” nach Verabreichung unterschiedlicher monovalenter
H1N1-Impfstoffe berichtet (8-10). Tatsächlich wird jedoch nur der Anstieg
neutralisierender Antikörper durch die Impfung und nicht die klinische
Wirksamkeit dieser Impfstoffe mitgeteilt. Entscheidend für die Wirksamkeit
eines Impfstoffs ist aber nicht die Induktion von Antikörpern allein, sondern
die Verhinderung von Erkrankung und Tod. In welchem Umfang und in welchem
größeren Kontext diese verschiedenen Impfstoffe nützlich sein könnten, wird in
den Studien nicht angesprochen. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang eine
andere aktuelle Publikation, in der kritisch hinterfragt wird, ob solche
Impfaktionen mit relativ schmalen immunologischen Antworten überhaupt sinnvoll
sind (11). Hier wird dargelegt, dass bei einer Influenza-Infektion eine viel
breitere Immunantwort als durch die bisher verwendeten Influenza-Impfstoffe
induziert wird, wodurch die Patienten bei neu auftretenden Grippeviren
möglicherweise besser geschützt sind.
Es
ist fahrlässig, die zur Zeit sehr komplexe epidemiologische Situation, deren
Entwicklung auch nicht abzusehen ist, so einseitig und vereinfacht
darzustellen, wie es z.B. in einem der letzten Hefte des Deutschen Ärzteblatts
mit der Überschrift „Neue Grippe: Einmalige Impfung - großer Nutzen” geschehen
ist (12). Eins ist jetzt schon klar: der große Nutzen ist für die
Pharmaindustrie bereits eingetreten, unklar ist, ob er auch für die Geimpften
eintreten wird. Zur Zeit gehen die gemeldeten Infektionen an Schweinegrippe
stark zurück. Ob es zu weiteren Infektionswellen kommen wird, ist Spekulation.
Da zur Zeit die Infektionen an Influenza A/H1N1
stark zurückgehen, wird von offizieller Seite offenbar eine Doppelstrategie
gefahren. Einerseits wird vor einer möglichen zweiten Welle gewarnt und die Bevölkerung
erneut aufgerufen, sich impfen zu lassen. Andererseits bemüht sich das Bundesgesundheitsministerium,
Schweinegrippe-Impfdosen weltweit zu verkaufen. Derzeit gäbe es Gespräche mit
zehn Staaten über eine Impfstofflieferung. Moldawien, Mazedonien, der Kosovo,
Albanien, die Mongolei und die Ukraine hätten Impfstoff im Rahmen von
Entwicklungshilfe angefragt, allerdings sind sie offensichtlich nicht bereit,
den geforderten Preis von ca. 7 €/Impfdosis zu bezahlen (13).
Fazit: Die Infektionssituation und die bisher vorgelegten Daten zur Impfung
gegen die Schweinegrippe ergeben nach unserer Einschätzung mehr noch als vor
wenigen Monaten ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis, so dass wir die
Impfung weiterhin nicht generell empfehlen. Die Kosten für die Impfaktion sind
jedenfalls viel zu hoch.
Literatur
-
AMB 2009, 43, 67.

- Bishop, J.F., et al.: N. Engl. J. Med. 2009,
361, 2591.

- Donaldson, L.J., et al.: BMJ 2009, 339, b5213.

- Presanis, A.M., et al.: PloS Med. 2009, 6, e1000207.

- http://influenza.rki.de/

- http://www.pei.de/cln_092/nn_1721690/DE/infos/fachkreise/impf-fach/schweineinfluenza/bewertung-uaw-meldungen/verdachtsfallbericht-6-nebenwirkungen.html#doc1756440bodyText2 (Zugriff am 5.1.2010).

- http://www.akdae.de/20/10/2009-084.html

- Greenberg, M.E., et al.: N. Engl. J. Med.
2009, 361,
2405.

- Zhu, F.-C., et al.: N. Engl. J. Med. 2009, 361, 2414.

- Clark, T.W., et al.: N. Engl. J. Med. 2009, 361, 2424.

- Bodewes, R., et al.: Lancet Infect. Dis. 2009, 9, 784.

- http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=suche&p=Neue+Grippe+einmalige+impfung&id=67142

- http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/schweinegrippe/h1n1-impfstoff-keiner-will-die-kosten-tragen_aid_466812.html (Zugriff am 5.1.2010).

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