Die Hemmung der Thrombozytenaggregation ist ein zentraler
pharmakologischer Ansatzpunkt bei der Vorsorge und Behandlung
arteriosklerotischer Herz- und Gefäßkrankheiten. ASS ist die Basismedikation,
darüber hinaus werden in besonderen Situationen Heparine, GPIIb/IIIa-Rezeptor-Blocker
und die ADP-Rezeptor-Blocker Clopidogrel (C) oder Prasugrel eingesetzt. Für
alle ist eine gute klinische Wirksamkeit nachgewiesen (1-5). Gibt es da noch
Lücken für Innovationen?
Clopidogrel ist ein Prodrug. Es muss zunächst
intrahepatisch enzymatisch (Zytochrome) in die wirksame Form überführt werden.
Dieser Stoffwechselschritt ist durch Interaktionen mit Arzneimitteln (z.B.
Protonenpumpen-Hemmmer; 6) und genetische Polymorphismen beeinflussbar. Daher
ist die Wirksamkeit von Clopidogrel nicht immer konstant und zuverlässig. Außerdem
ist die ADP-Rezeptor-Blockade für die gesamte Lebenszeit der Thrombozyten
irreversibel. Prasugrel wirkt etwas schneller und intensiver, blockt aber
ebenfalls den ADP-Rezeptor der Thrombozyten irreversibel. Die Wirksamkeit ist von
genetischen Polymorphismen unabhängig. Die lang dauernde Gerinnungshemmung stört
aber die Planung notwendiger Operationen und steigert das Blutungsrisiko bei so
vorbehandelten Patienten. Pharmakologische Fortschritte in der Hemmung der
Thrombozytenaggregation sind also wünschenswert.
Jetzt wurde im N. Engl. J. Med. und im Lancet die
PLATO-Studie (7-10) vorgestellt, eine Mammut-Untersuchung, in der Ticagrelor (T),
ein neuartiger Hemmer der Thrombozytenaggregation, klinisch untersucht wurde.
In Voruntersuchungen war er rascher, kürzer und intensiver wirksam als C. Er
wird in vivo nicht metabolisiert, interferiert also auch nicht mit dem
Zytochromsystem wie C und Prasugrel. Sponsor der Studie war der Hersteller
AstraZeneca.
Methodik:
In die multizentrische (862 Zentren in 43 Ländern!), doppeltblinde,
randomisierte Studie wurden 18 624 Patienten mit Akutem Koronarsyndrom (ACS)
mit oder ohne ST-Hebung eingeschlossen (7). Behandelt wurde mit 180 mg T als
Loading dose, danach zweimal 90 mg/d bzw. mit 300-600 mg C als Loading dose und
danach 75 mg/d 12 Monate lang. Im Lancet (9) wird eine Untergruppe von 13 408
Patienten beschrieben, bei der eine interventionelle Therapie geplant war.
Ergebnisse:
Die Ergebnisse beider Veröffentlichungen (7, 9) sind in Tab. 1 dargestellt und
werden gemeinsam diskutiert. Prinzipiell unterscheiden sie sich nicht. Sollte diese
doppelte Veröffentlichung etwa dazu dienen, stärker auf die neue Substanz aufmerksam
zu machen?
Insgesamt trat der kombinierte primäre Endpunkt
(kardiovaskuläre Letalität, Myokardinfarkt oder Schlaganfall) und Myokardinfarkt
allein unter T signifikant seltener auf als unter C; zudem war nicht nur die
kardiovaskuläre, sondern auch die Gesamtletalität niedriger. T führte nicht häufiger
zu massiven Blutungen als C. Leichte Blutungen waren allerdings häufiger. 50%
aller Patienten erhielten Protonenpumpen-Hemmer, die die Wirksamkeit von C
einschränkt haben könnten. Atemnot ist eine für Thrombozytenaggregationshemmer
ungewöhnliche UAW. Sie trat bei T signifikant häufiger auf als bei C (13,8% vs.
7,8%; p = 0,001). Im Langzeit-EKG wurden in der ersten Behandlungswoche auch
ventrikuläre Pausen > 3 sec (ohne begleitende Synkopen) signifikant
häufiger registriert (5,8% vs. 3,6%).
Diskussion:
Auch in der TRITON-Studie (4) fand sich unter Behandlung mit Prasugrel eine
bessere antithrombotische Wirksamkeit als unter C, allerdings waren auch die
massiven Blutungen häufiger. Es ergab sich daher, im Unterschied zur
PLATO-Studie, keine geringere Gesamtletalität. Der Unterschied zwischen Prasugrel
und T könnte auf die kürzere Wirkdauer von T zurückzuführen sein. Vor allem die
Blutungen im Zusammenhang mit dringlichen Bypass-Operationen waren nämlich
unter T seltener, möglicherweise, weil die Gerinnungshemmung kürzer dauert. Bessere
antithrombotische Wirksamkeit und dennoch seltener bedrohliche Blutungen könnten
ein Fortschritt sein. Das Editorial von G.W. Stone (10) zur Veröffentlichung im
Lancet (9) endet mit dem Satz „Ticagrelor ist ein Meilenstein, der die
Versorgung von Patienten mit Akutem Koronarsyndrom neu definieren sollte.”
Vielleicht ist der so allgemein formulierte Optimismus überzogen. Zumindest
aber gibt es eine zusätzliche differenzialtherapeutische Alternative für solche
Patienten, die hinsichtlich atherothrombotischer Rezidive oder Blutungen besonders
gefährdet sind oder bei denen mit einer Operation gerechnet werden muss.
Außer den Blutungen sind aber auch andere Risiken der
neuen Therapie zu bedenken: 1. T muss zweimal täglich eingenommen werden.
Das gefährdet die Adhärenz. 2. Die UAW Atemnot ist noch nicht endgültig
einzuordnen. 3. In der PLATO-Studie nahm etwa die Hälfte der Patienten
Protonenpumpen-Hemmer ein, die die Wirkung von C abgeschwächt haben könnten (11).
Die Wirksamkeit von T könnte also überschätzt sein. 4. Die Kosten von T
sind noch nicht bekannt.
Fazit:
Ticagrelor ist ein neuartiger Hemmer der Thrombozytenaggregation mit - im
Vergleich zu Clopidogrel - rascherem Wirkungseintritt und kürzerer und
intensiverer Wirkung ohne Zunahme bedrohlicher Blutungen. Die klinische
Bedeutung (Nutzen, Risiken, Kosten-Nutzen-Verhältnis) der noch nicht
zugelassenen Substanz (vorgeschlagener Handelsname Brilinta®) ist zur
Zeit nicht ausreichend zu beurteilen.
Literatur
-
Baigent, C., et al. (ISIS-2
= Second International Study of Infarct Survival): BMJ
1998, 316, 1337.

-
CAPRIE (Clopidogrel
versus Aspirin in Patients at Risk of Ischemic Events):
Lancet 1996, 348, 1329
. AMB 1997, 31, 13a.

-
Yusuf, S., et al. (CURE
Clopidogrel in Unstable angina to prevent Recurrent Events
trial): N. Engl. J. Med. 2001, 345, 494
. AMB
2001, 35, 83. 
-
Wiviott, S.D., et al. (TRITON-TIMI 38 = TRial to assess Improvement
in Therapeutic Outcomes by optimizing platelet InhibitioN
with prasugrel - Thrombolysis In Myocardial Infarction
38): N. Engl. J. Med. 2007, 357, 2001
. AMB
2008, 42, 05. 
-
AMB 1999, 33,
33.

-
AMB 2009, 43, 26.

-
Wallentin, L., et al.:
(PLATO = PLATelet inhibition and patient Outcomes): N. Engl. J.
Med. 2009, 361, 1045.

-
Schömig, A.: N. Engl. J. Med.
2009, 361, 1108.

-
Cannon, C.P., et al.
(PLATO = PLATelet inhibition and patient Outcomes): Lancet 2010, 375,
283.

-
Stone, G.W.: Lancet
2010, 375, 263.

-
AMB 2009, 43, 73.

|