Zusammenfassung: Trotz der eingeschränkten Datenlage
kann Patienten mit einem metastasierten Adenokarzinom des Magens oder
gastroösophagealen Übergangs zusätzlich zu einer Chemotherapie mit einem
Fluoropyrimidin und Cisplatin die Therapie mit Trastuzumab angeboten werden,
wenn der Tumor HER2 stark exprimiert (IHC2+/FISH+ oder IHC3+) und keine
Kontraindikationen bestehen. In weiteren Studien muss geklärt werden, welche
Patienten von der Therapie mit Trastuzumab profitieren, wann sie beendet werden
kann und ob eine Verlängerung der Chemotherapie bzw. ein neuer Wirkstoff (z.B.
Taxane) nützlich ist.
Trastuzumab (Herceptin®) ist ein
humanisierter monoklonaler IgG1-Antikörper gegen den epidermalen
Wachstumsfaktor-Rezeptor 2 (Human Epithelial growth factor Receptor
2 = HER2). Durch Bindung an den Rezeptor hemmt Trastuzumab die
Zellproliferation (1). Bei Patientinnen mit HER2-positiven Mammakarzinomen hat
Trastuzumab in Kombination mit Chemotherapie in frühen und fortgeschrittenen
Stadien eine signifikante Verlängerung des erkrankungs- bzw. rezidivfreien
Überlebens gezeigt (2).
Eine HER2-Überexpression, die sich sowohl mittels
Immunhistochemie (IHC) als auch mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung
(FISH) nachweisen lässt, findet sich auch bei anderen Neoplasien. Beim
Magenkarzinom sind ca. 22% der Tumoren HER2-positiv (IHC3+ und/oder FISH+),
eine ähnliche Rate wie beim Brustkrebs (3).
Im Januar 2010 hat die European Medicines Agency (EMA)
die Indikation von Trastuzumab in Kombination mit Capecitabin oder
5-Fluorouracil (5-FU) und Cisplatin auf die Erstlinientherapie von metastasierten,
HER2-positiven Adenokarzinomen des Magens oder des gastroösophagealen Übergangs
erweitert. Grundlage der Zulassungserweiterung ist die ToGA-Studie, deren
Ergebnisse bisher nur als Abstract veröffentlicht sind (4). Die Studiendaten
finden sich jedoch im Bericht der EMA (3). Demnach wurden in der randomisierten,
prospektiven, offenen Phase-III-Studie 584 Patienten mit fortgeschrittenem, HER2-positivem
Magenkarzinom behandelt, und zwar entweder mit 5-FU (800 mg/m2/d
i.v. über 5 Tage) oder Capecitabin (1000 mg/m2 p.o. zweimal
täglich über 14 Tage) plus jeweils Cisplatin (80 mg/m2 i.v.) alle
drei Wochen für sechs Zyklen oder zusätzlich zu der Chemotherapie mit Trastuzumab
(initial 8 mg/kg KG i.v., dann 6 mg/kg KG alle drei Wochen bis
zum Progress der Erkrankung bzw. bis zum Auftreten unakzeptabler unerwünschter
Arzneimittelwirkungen). Primärer Endpunkt war das
Gesamtüberleben, sekundäre Endpunkte u.a. das progressionsfreie Überleben, die
Zeit bis zur Progression, die Ansprechrate und die Dauer des Ansprechens.
In einer zweiten, bei Beginn der Studie
nicht geplanten Zwischenanalyse nach einer medianen Beobachtungsdauer von ca. 1,5
Jahren (17,1 Monate im Kontroll- und 18,6 Monate im Interventionsarm) wurde
gezeigt, dass sich bei zusätzlicher Gabe von Trastuzumab gegenüber der
alleinigen chemotherapeutischen Behandlung das Gesamtüberleben signifikant
verbessert (verstorbene Patienten 167/294 = 57%, vs. 182/290 = 63%;
absolute Risikoreduktion 6%; Number needed to treat: 17) und die mediane
Überlebenszeit verlängert (Hazard Ratio = HR: 0,74; 95%-Konfidenzintervall
= CI: 0,60–0,91; p = 0,0046; Gesamtüberleben: 13,8 Monate vs.
11,1 Monate; 3). Ein statistisch signifikanter Nutzen der Therapie ergab sich
auch bei den sekundären Endpunkten. Daraufhin wurde die Studie vorzeitig
beendet.
Post-hoc durchgeführte Subgruppenanalysen
ergaben Hinweise darauf, dass der Nutzen einer Behandlung mit Trastuzumab
möglicherweise auf bestimmte Patientengruppen beschränkt ist. In der Gruppe von
Patienten mit Tumoren, die HER2 stark exprimieren (IHC3+ oder IHC2+/FISH+)
wurde eine Verlängerung des medianen Überlebens von 11,8 Monaten auf 16 Monate gezeigt
(HR: 0,65; CI: 0,51-0,83). Kein sicherer Nutzen zeigte sich dagegen z.B.
für Patienten, deren Tumor HER2 nur gering exprimiert (IHC0/FISH+ und
IHC1+/FISH+) und für Patienten mit lokal fortgeschrittenem Karzinom, die
deshalb von der Indikation ausgeschlossen wurden.
Die Toxizität beider Therapiearme war etwa gleich.
Allerdings wurde bei Patienten, die mit Trastuzumab behandelt wurden, signifikant
häufiger eine Abnahme der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF)
dokumentiert als bei Patienten ohne Behandlung mit Trastuzumab (Abnahme ≥ 10%
bis zu einem Wert von < 50%: 11/237 Patienten = 4,6% vs. 2/167
Patienten = 1,1%). Von diesen Patienten entwickelte jedoch nur einer ein
symptomatisches Herzversagen, dagegen zwei in der Kontroll-Gruppe. Außerdem
traten in der Trastuzumab-Gruppe u.a. folgende unerwünschte Arzneimittelwirkungen
häufiger auf: Diarrhö, Stomatitis, Anämie, Thrombozytopenie und Infektionen. In
Hinblick auf die „Lebensqualität” ergab sich für Trastuzumab kein Vorteil.
Bei der Interpretation der insgesamt positiv
erscheinenden Ergebnisse zur Wirksamkeit von Trastuzumab ist Skepsis angebracht,
denn bei randomisierten, kontrollierten Studien, die aufgrund günstiger
Ergebnisse vorzeitig beendet werden, können sich die Ergebnisse zum Zeitpunkt
der Zwischenanalyse auch zufälligerweise so positiv darstellen. Studien werden
in einer solchen Situation mit höherer Wahrscheinlichkeit abgebrochen als bei
schlechten Ergebnissen. Die Ergebnisse zur Wirksamkeit könnten also überschätzt
sein (5, 6).
Auch die Ergebnisse der post-hoc durchgeführten
Subgruppenanalysen müssen als unsicher gelten, solange sie nicht in weiteren
Studien bestätigt worden sind (7). In einigen Subgruppen waren nur wenige
Patienten, z.B. mit lokal fortgeschrittener Krankheit nur 20 Patienten. Trotz der
unsicheren Datenlage hat die EMA diese Analysen als Grundlage genommen, um die
Indikation für Untergruppen von Patienten festzulegen.
Die Arzneimittelkosten einer Therapie mit Trastuzumab
betragen für die Initialdosis ca. 3251 € und für die folgenden Dosen ca. 2438 €
(Berechnung für eine 70 kg schwere Person, auf Packungsgrößen bezogen; 8). Dazu
kommen u.a. die Kosten für das HER2-Screening der Tumoren und die kardiologischen
Untersuchungen.
Literatur
-
Roche Pharma AG.
Fachinformation Herceptin® 150 mg. Stand Januar 2010.
-
AMB 2006, 40,
41.

-
EMA 2010, Europäischer Bewertungsbericht Herceptin®. (Zuletzt geprüft am
5.6.2010).

-
Van
Cutsem, E., et al. (ToGA
= Trastuzumab for HER2 positive
metastatic GAstric cancer): J. Clin. Oncol. 2009, 27,18 s. (Zuletzt
geprüft am 5.6.2010).

-
Trotta, F.,
et al.: Ann. Oncol.
2008, 19, 1347.

-
Schulz, K.F., und Grimes, D.A.: Lancet 2005, 365, 1657.
>
-
Rothwell,
P.M.: Lancet 2005, 365, 176.

-
AkdÄ, Neue
Arzneimittel 2010, im Druck. (Zuletzt
geprüft am 7.6.2010).

|