Zusammenfassung: Während unter
Ethinylestradiol (EE)-haltigen oralen Kontrazeptiva (OK) mit den
Gestagenen Desogestrel, Gestoden und Drospirenon das Risiko venöser
Thromboembolien im Vergleich mit Levonorgestrel-haltigen OK höher zu sein
scheint, ergab eine dänische nationale Register-Studie ein annähernd gleich
gesteigertes Risiko um den Faktor 1,5-2 hinsichtlich ischämischer
Schlaganfälle und Myokardinfarkte, unabhängig vom Gestagen in der „Pille”.
Reine Gestagen-Kontrazeptiva sind nicht mit solch erhöhten Risiken assoziiert.
Das absolute Risiko für Schlaganfälle, Myokardinfarkte und VTE ist bei Frauen
über 40 Jahren generell deutlich höher als bei jüngeren Frauen und wird
durch OK weiter gesteigert. Frauen über 40 Jahre und solche mit Hypertonie
sollten deshalb keine EE-haltigen OK einnehmen.
Wir haben zuletzt vor drei Jahren über die
Assoziation zwischen der Einnahme oraler Kontrazeptiva (OK) und der Inzidenz
venöser Thromboembolien (VTE) berichtet (1). Dass venöse, aber auch arterielle
thrombotische Ereignisse bei Frauen während der Einnahme von OK häufiger als
spontan auftreten, ist bereits seit den 1960er Jahren bekannt. Damals
enthielten die „Pillen” viel höhere Dosen Ethinylestradiol (EE) als heute. EE
ist sicher die wichtigste prothrombotische Komponente der OK. Es fördert durch den
Einfluss auf die Leber die plasmatische Gerinnung, aber auch die Fibrinolyse.
In den letzten 15 Jahren galt die Aufmerksamkeit
vermehrt der Rolle der Gestagene in den OK. Sie modifizieren wahrscheinlich die
prothrombotischen Effekte von EE. In unserem Artikel von 2009 (1) wurde auch
eine umfangreiche „National cohort study” aus Kopenhagen, Dänemark, besprochen.
Von 1995 bis 2005 wurden in dieser Studie durch Zusammenführung verschiedener
nationaler Register VTE während etwa 10,4 Millionen „Frauenjahren” (FJ) erfasst,
davon 3,3 Millionen FJ unter Einnahme von OK (2). Updates dieser Register
wurden kürzlich im BMJ publiziert (3, 4). Die aktuellen Daten bezüglich
Relativer Risiken (RR = 1,0 = Inzidenz ohne Einnahme von
OK), adjustiert nach Alter, Kalenderjahr und Bildungsgrad, sind der Tab. 1
zu entnehmen.
Kürzlich erschien von derselben dänischen
Arbeitsgruppe im N. Engl. J. Med. eine methodisch ähnliche Studie, in der die
Inzidenz arterieller Ereignisse - ischämischer Schlaganfälle und
Myokardinfarkte - bei Frauen mit und ohne Einnahme von OK unter Berücksichtigung
der EE-Dosis und der verschiedenen Gestagene in den OK verglichen wurde (5). In
dieser Studie wurden insgesamt etwas mehr als 14 Millionen Frauenjahre
ausgewertet. Etwa 9 Millionen FJ entfielen auf Frauen, die keine OK eingenommen
hatten, die anderen auf Frauen mit OK unterschiedlichen Gehalts an EE und mit
verschiedenen Gestagenen oder auch Nur-Gestagen-OK. In der Zeit von 1995 bis
2009 ereigneten sich bei diesen Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren insgesamt
3311 ischämische Schlaganfälle (21,4/100.000 FJ) und 1725 Myokardinfarkte
(10,1/100.000 FJ). Die Inzidenz beider Ereignisse stieg altersabhängig etwa
um den Faktor 10 von der jüngsten (15-19 Jahre) bis zur ältesten (45-49 Jahre)
Altersgruppe an. Dies muss bei der Gesamtbewertung unbedingt beachtet werden.
Die OK, die von den meisten Frauen eingenommen wurden,
enthielten 30-40 µg EE/d. Über eine Million FJ entfielen aber auch auf
Frauen, die OK mit nur 20 µg EE/d eingenommen hatten. Die wichtigsten
Daten ergeben sich jedoch aus der Gruppe mit 30-40 µg EE/d. In einer
großen Tabelle dieser neuen dänischen Veröffentlichung werden die Rohdaten
zur Inzidenz der Ereignisse in Abhängigkeit von der EE-Dosis und vom Typ der Gestagene
mitgeteilt. Für die Adjustierung nach Alter, Kalenderjahr, Bildungsgrad und
Risikofaktoren werden nur die Relativen Risiken (RR) dargestellt. In unserer
Tab. 1 geben wir daher nach den Inzidenzraten bei Frauen ohne OK nur diese
RR wieder.
Schlaganfall: Bei Frauen ohne OK-Einnahme war die Inzidenz 24,2/100.000 FJ. Bei
Frauen mit OK, die 30-40 µg EE/d enthielten, war das RR mit dem
Gestagen Levonorgestrel (LNG) 1,65. LNG gilt bisher als das Gestagen mit dem
geringsten prothrombotischen Effekt. Nur OK mit Norethisteron und Desogestrel
sind mit einem etwas höheren RR assoziiert, während Norgestimat, Gestoden,
Drospirenon und Cyproteronazetat etwa gleich mit LNG sind.
OK mit 20 µg EE/d plus Desogestrel oder
Gestoden als Gestagen haben etwa das gleiche RR wie 30-40 µg EE/d
plus LNG, während OK 20 µg EE/d plus Drospirenon mit einem geringeren
RR für Schlaganfall assoziiert sind.
Alle OK, die nur Gestagene enthalten, sowie die mit
LNG beschichtete Intrauterin-Schleife Mirena® sind im Vergleich mit
Nicht-Anwenderinnen mit keinem erhöhten Schlaganfall-Risiko assoziiert. Das
EE-haltige kontrazeptive Pflaster Evra® und der ebenfalls EE-haltige
intravaginale Nuva®-Ring sind mit einem höheren Schlaganfall-Risiko
als alle OK mit 30-40 µg EE/d assoziiert!
Myokardinfarkt: Bei Frauen ohne OK-Einnahme war die Inzidenz 13,2/100.000 FJ. Bei
einem EE-Gehalt der OK von 30-40 µg/d plus LNG fand sich das RR auf 2,02
erhöht. Für alle anderen Gestagene in dieser Östrogengruppe bis auf
Norethisteron (RR: 2,28) war das RR ähnlich wie für LNG oder niedriger. Ähnlich
wie beim Schlaganfall war keines der reinen Gestagen-Kontrazeptiva mit einem
erhöhten Myokardinfarkt-Risiko assoziiert. Für Evra® (kein
Myokardinfarkt registriert) und den Nuva®-Ring (RR nicht signifikant
erhöht) war die Zahl der Anwenderinnen gering.
Es ist auffällig, dass in den beiden dänischen
Studien die Inzidenz ischämischer Schlaganfälle und VTE nur gering
unterschiedlich ist (24,2 versus 37/100.000 FJ), während die Inzidenz von
Myokardinfarkten in dieser Altersgruppe mit 13,2 versus 37/100.000 FJ deutlich
geringer ist (3, 4, 5). In unserem Beitrag von 2009 haben wir bereits
darauf aufmerksam gemacht, dass die berichteten oder angenommenen Inzidenzraten
von VTE bei Frauen im OK-Alter, die keine Hormone einnehmen, extrem
unterschiedlich sind (1). In der einzigen bisher veröffentlichten prospektiven,
wenn auch von einer Pharmafirma geförderten Studie, in der die Frauen genau auf
VTE untersucht wurden, war die Inzidenz ohne Anwendung von Hormonen bei ca.
44/100.000 FJ. Alle OK mit dem gleichen EE-Gehalt und verschiedenen Gestagenen
waren mit einer ähnlichen Steigerung des VTE-Risikos assoziiert, etwa um den
Faktor 2 (6). Der Inzidenz von 44 VTE/100.000 FJ kommt das
Basisrisiko in der dänischen Studie (37/100.000 FJ) recht nahe. In vielen
anderen Studien liegt das Risiko jedoch deutlich niedriger. Vermutlich ist der
Grund hierfür, dass Venenthrombosen, die sich nur im Unterschenkel ereigneten, unterschiedlich
berücksichtigt worden sind. In der jetzigen VTE-Studie von Lidegaard et al. (3)
galten 72-83% der Thrombosen als gesichert (Behandlung mit Cumarinen). Bei den
diagnostisch so gesicherten VTE war das RR auch für OK mit LNG als Gestagen
deutlich höher als ohne diese Sicherung (RR: 3,21 vs. 2,37), was aber auch
auf andere OK zutrifft.
Anders als bei VTE hatten die mit erhöhtem Risiko
behafteten Gestagene Desogestrel, Gestoden, Drospirenon und Cyproteron auf das
Schlaganfall- und Herzinfarkt-Risiko keinen anderen Effekt als das „gute” LNG.
Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Entstehungsmechanismen von VTE und
arteriellen thrombotischen Ereignissen unterschiedlich sind. Da die Inzidenz
von VTE (3, 4) und noch mehr die von arteriellen thrombotischen
Ereignissen (5) so deutlich altersabhängig ist, sind alle retrospektiven Studien
über die Assoziation solcher Ereignisse mit der Anwendung von OK mit Vorsicht
zu bewerten. So gründliche Adjustierungen wie in den neuen Studien von Lidegaard
et al. (3-5) sind bisher nur in wenigen Studien durchgeführt worden und selbst
in dieser Studie war eine Adjustierung nach Körpergewicht und Raucherstatus
nicht möglich. Übergewicht und Rauchen erhöhen das Thromboserisiko.
Diese Studie wird in einem Editorial von Diana B.
Petitti aus den USA kommentiert (7). Sie fasst ihr Urteil zu den OK so
zusammen: Not risk-free but safe enough.
Angesichts der erheblichen Steigerung des Risikos für
Schlaganfälle mit dem Alter (3,4/100.000 FJ bei Teenagern versus 64/100.000 FJ
bei 45-49-Jährigen) sollten Frauen über 40 Jahre nur in Ausnahmefällen
EE-haltige OK einnehmen. Petitti erinnert auch zu Recht daran, dass Frauen mit arterieller
Hypertonie keine OK verordnet werden sollten und dass bei deutlicher
Blutdrucksteigerung nach Beginn der OK-Einnahme das OK abzusetzen ist. Frauen,
die lediglich einer Kontrazeption bedürfen, sollten OK mit 20-30 µg/d EE
plus LNG verschrieben werden.
Glossar
EE = Ethinylestradiol;
FJ = Frauenjahre; LNG = Levonorgestrel; OK = orale
Kontrazeptiva; VTE = venöse Thromboembolien
Literatur
- AMB 2009, 43,87.

- Lidegaard, Ø., et al.:BMJ 2009, 339, b2890.

- Lidegaard, Ø., et al.:BMJ 2011, 343, d6423.

- Lidegaard, Ø., et al.:BMJ 2012, 344, e2990.

- Lidegaard, Ø., et al.:N. Engl. J. Med. 2012, 366, 2257.

- Dinger, J.C., et al.:Contraception 2007, 75, 344.

- Petitti, D.B.: N.Engl. J. Med. 2012, 366, 2316.

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