Zusammenfassung: Der übermäßige
Gebrauch von Antibiotika in der Medizin und in der Massentierhaltung hat
besonders bei Gram-negativen Bakterien zu komplexen Resistenzen geführt, die
sich rasch verbreiten. Hierbei spielt der Austausch mobiler,
Resistenzinformationen tragender Gene von Bakterium zu Bakterium (horizontaler
Austausch) eine entscheidende Rolle. Diese spezielle Form der
Resistenzentwicklung findet in unserer Umwelt zunehmend dort statt, wo
Bakterien aus medizinischen Einrichtungen und aus der Massentierhaltung
zusammentreffen, z.B. in Kläranlagen und Gewässern. Insbesondere die
ESBL (Extended-spectrum beta-lactamases)- und die Carbapenem-Resistenzen sind auf diesem Weg
entstanden. Infektionen mit diesen Erregern nehmen zu und sind
zum Teil schwer zu behandeln. Immer wieder neue (und teurere) Antibiotika zu
entwickeln, wird diese Probleme letztlich nicht verringern. Es muss auch
Einfluss auf die ökologische Gesamtsituation genommen werden.
Bakterielle Resistenzen gegenüber Antibiotika haben
bei Patienten mit schweren Infektionen zu einem Anstieg der Letalität geführt
(1). Solche Infektionen wurden vom „World Economic Forum (WEF)” als eines der
größten Gesundheitsrisiken der Zukunft eingestuft (2, 3). Resistenzen sind
das Ergebnis komplexer biologischer Vorgänge mit vielen äußeren Einflüssen. So
können Resistenzen durch De-novo-Mutationen unter dem Selektionsdruck von
Antibiotika entstehen, andererseits können Bakterien mobile Gene (Mobilome,
u.a. Plasmide) untereinander austauschen und damit Resistenzen gegen
Antibiotika weitergeben. Solche Resistenzgene sind im Laufe der Zeit in
Bakterien unserer Umwelt entstanden.
Das Reservoir Antibiotika-resistenter Gram-negativer
Keime in unserer Umwelt entsteht teils spontan, viel häufiger aber durch
Kontamination aus der landwirtschaftlichen Tierhaltung und durch den Eintrag
von humanen Fäkalien und Abwässern aus Krankenhäusern. Die resistenten Erreger
stammen also ganz überwiegend aus dem Darm von Mensch und Tier, wobei die
Gefahr dramatisch steigt, dass Bakterien infolge der Antibiotikatherapie bei
Mensch und Tier resistent werden. Auf diese Weise werden Wasser, Nahrungsmittel
und Umwelt mit Erregern, aber auch mit Antibiotika kontaminiert. Dies ist für
die multi-resistenten Gram-negativen Bakterien auch ein wichtiger Weg der
Ausbreitung. Deshalb sind Kontrolle und Eindämmung der Ausbreitungswege
klinisch von Bedeutung. Multiresistente Enterobacteriaceae und Pseudomonas
aeruginosa haben in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen und die bisher
erfolgreiche Therapie von Erkrankungen durch diese Keime stark beeinträchtigt
(4). Die Entwicklung neuer Antibiotika ist zwar dringend nötig, aber dieser Weg
allein – d.h. ohne auch Einfluss auf die ökologische Gesamtsituation zu nehmen
- erscheint unzureichend, um die Situation zu verbessern.
Die Einführung halbsynthetischer Penicilline (z.B.
Ampicillin, Carbenicillin) in den 1960ern und die Kombination von Penicillinen
mit Beta-Laktamase-Inhibitoren (z.B. Amoxicillin plus Clavulansäure)
verbesserte die Therapie von Infektionen mit Enterobacteriaceae. Allerdings
entwickelten sich in den folgenden zehn Jahren zunehmend Plasmid-kodierte
resistente Beta-Laktamasen, weshalb vermehrt Aminoglykoside (z.B. Gentamicin,
Amikacin) und Drittgeneration-Cefalosporine (z.B. Cefotaxim, Ceftazidim) sowie
Chinolone (z.B. Ciprofloxacin) eingesetzt wurden. Aber auch gegen diese
Medikamente entwickelten die Bakterien Resistenzen. In den späten 1970ern
traten vermehrt Plasmid-kodierte Resistenzen gegen Aminoglykoside auf. Das
Aufkommen von Resistenzen gegen mehrere Beta-Laktamasen (Extended-spectrum
beta-lactamases = ESBL) am Anfang dieses Jahrtausends war eine alarmierende
Entwicklung (4). Die ESBL-Bakterienstämme werden in der Regel horizontal, d.h.
von Bakterium zu Bakterium, verbreitet. Einige sind aus Mutationen der bereits
bekannten Beta-Laktamase-Resistenzen entstanden, andere Resistenzen, besonders
die gegen Cefotaxim (CTX-M), wurden durch Umweltbakterien (Kluyvera spp.)
übertragen (5).
Seit 2004 haben Infektionen mit ESBL- bzw.
CTX-M-Bakterien deutlich zugenommen (4, 6): ESBL-Bakterien in Europa von
< 10% in den Jahren 2004-2006 auf 11,6% bei Escherichia coli und
auf 17,6% bei Klebsiella ssp. im Jahr 2008 (7). Innerhalb der
CTX-M-Bakterien wurden vier wichtige genetische Gruppen (Gruppen
1, 2, 8 und 9) identifiziert, wobei die Resistenz von verschiedenen Kluyvera
spp. übertragen wurde (5). Die genetischen Gruppen können bestimmten
geographischen Regionen zugeordnet werden. So ist z.B. CTX-M-14 (aus der
Genogruppe 9) in China weit verbreitet (7). CTX-M-15 (aus der
Genogruppe 1) ist der häufigste Vertreter und hat endemische Ausmaße in
Asien, Südeuropa und Südamerika erreicht (8, 9).
Bei der Ausbreitung dieser resistenten Erreger
scheinen fäkale Kontaminationen eine wichtige Rolle zu spielen. Das könnte die
schnellere Verbreitung in Ländern mit schlechter Hygiene (z.B. Indien und
China) erklären. Wie häufig die Menschen dort diese Erreger bereits tragen, ist
nicht gut untersucht, aber erste Daten ergaben bei Indern 22% und bei älteren
Chinesen 7% (10, 11).
Die
Ausbreitung der oben genannten resistenten Bakterien hatte zur Folge, dass
zunehmend Reserveantibiotika aus der Gruppe der Carbapeneme (z.B. Imipenem,
Meropenem) eingesetzt wurden. Dies wiederum führte zu einem Anstieg
Carbapenem-resistenter Erreger (meist bei Klebsiellen ssp.), besonders
in Griechenland, Indien und China. Eines dieser Resistenzgene aus Indien wurde
NDM-1 (New Delhi metallo-beta-lactamase-1) genannt und gelangte mit dem
Medizintourismus nach Europa, wo es durch Abwässer verbreitet wurde
(12, 13). Eine andere Carbapenem-Resistenz (KPC-2) hat sich in den USA,
Israel und Südamerika ausgebreitet (4). Inzwischen geschieht dies aber bereits
weltweit. Dabei spielt der Austausch von Plasmiden durch Konjugation
Gram-negativer Bakterien eine große Rolle. Er wird stark gefördert durch
Stressfaktoren, wie z.B. Antibiotika oder Schadstoffe in der bakteriellen
Umwelt. Auf diese Weise können Antibiotika-Resistenzen nicht nur innerhalb
einer Bakterienspezies, sondern auch von einer Spezies an eine andere
weitergegeben werden.
Mit
jedem Gebrauch von Antibiotika, sei es beim Menschen oder beim Tier, gelangen
diese und ihre Abbauprodukte über Abwasser in unsere Umwelt und zum Teil auch
wieder in die Nahrungsketten von Mensch und Tier. Zudem treffen durch den
Menschen manipulierte Bakterien mit den in der Umwelt heimischen Bakterien
zusammen, die zum Teil selbst antibiotisch wirkende Substanzen produzieren. Dabei
entstehen ideale selektierende ökologische Verhältnisse zu Austausch und
Neubildung von Resistenzen (14). Antibiotika-Resistenzgene und
Resistenzgen-tragende Bakterien können auf mehreren Wegen in den Menschen
gelangen:
- über landwirtschaftliche Produkte von Feldern, die mit Fäkalien gedüngt und/oder mit Abwasser in Kontakt waren (4),
- durch Verzehr von Nutztieren (5), die Antibiotika erhalten haben,
- durch Verzehr von Fischen (8, 15), die diese Bakterien und Gene über Abwasser aufgenommen haben,
- über Trinkwasser, das aus kontaminiertem Grundwasser gewonnen wurde, und
- durch kontaminiertes Küstenwasser, das in zunehmendem Maße zur Aquakultur benutzt wird (vgl. Tab. 1).
Fische
sind bisher kaum auf den Gehalt von Antibiotika untersucht worden, aber Tetrazyklin
wurde gefunden (Tab. 1; 15). Es ist zu erwarten, dass weitere
Antibiotika nachgewiesen werden, vor allem in Gewässern. Eine Anreicherung von
Antibiotika am Ende der Nahrungskette (wie z.B. beim Thunfisch) ist zu
erwarten.
Bisher
wurde den Auswirkungen von Antibiotika in unseren Abwässern kaum Beachtung
geschenkt (16). Viele Antibiotika sind nicht leicht abbaubar, andere - z.B.
manche synthetische – können über einen längeren Zeitraum in hohen
Konzentrationen in der Umwelt nachgewiesen werden (17). In einem Fluss in
Indien, der auch die Abwässer von Antibiotikafabriken aufnimmt, wurden
2-5 mg/l Ciprofloxacin gefunden (18). Aber auch andere Antibiotika wurden
in Flüssen entdeckt, z.B. Ofloxacin oder Trimethoprim. Auch im Schlamm bereits
behandelter Abwässer konnten in Deutschland Plasmide mit Beta-Laktam- und
Aminoglykosid-Resistenz-Informationen nachgewiesen werden (19). Dieser Schlamm
wird als Endprodukt der Abwasserreinigung wieder auf die Felder gebracht und
darin enthaltene resistente Bakterien können über die Feldfrüchte in die
Nahrungskette gelangen. Durch die herkömmliche Abwasseraufarbeitung werden
resistente Erreger und auch Resistenzgene nicht eliminiert.
In
Großbritannien wurden in den Jahren 2006-2011 jährlich 350-400 Tonnen
Antibiotika in der Tierzucht und -haltung verbraucht (23). Es wird geschätzt,
dass davon jährlich 70 Mio. Tonnen über Abwässer wieder auf die Felder gelangen
(20). Resistente Erreger werden immer wieder aus den Fäkalien von Nutztieren
isoliert, wie z.B. CTX-M-2 von Kälbern in Japan (21), ESBL bei Hühnchen und
Schweinen in Spanien (22). Auch bei Wildtieren konnten verschiedene resistente
Erreger nachgewiesen werden, und besonders Vögel könnten zu einer weiten
Verbreitung beitragen (vgl. Tab. 2; 23).
Möglichkeiten,
die Entstehung und Verbreitung resistenter Bakterien bzw. von Resistenzgenen zu
vermindern, gibt es an mehreren Stellen: im Bereich der Medizin, der
Veterinärmedizin, der Landwirtschaft und der Abwasserentsorgung
(s. Tab. 3). In Industrieländern wird die Aufmerksamkeit darauf
gelenkt, Antibiotika zurückhaltender bzw. indikationsgerechter zu verschreiben.
Diese Maßnahmen haben teilweise zu einem Rückgang der
Antibiotikaverschreibungen geführt (24). Dennoch gibt es weiterhin einen
inadäquat hohen Verbrauch an Antibiotika in der Humanmedizin (25). Dies liegt
zum Teil daran, dass solche Verschreibungen von Patienten eingefordert werden
(26), aber auch daran, dass durch Werbung für neue Antibiotika Druck auf Ärzte
und Patienten ausgeübt wird (27, 28). In einigen Ländern kommt hinzu, dass
einige Antibiotika frei verkäuflich sind, und somit keinerlei medizinische
Kontrolle besteht. Der leichte Zugang über das Internet hat den Verbrauch
weiter gesteigert (für Details s. 23).
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