Unter dem Motto: “Drugs don’t work in
patients who don’t take them“ (Ausspruch von C. Everett Koop, M.D.) erschien 2005
eine Übersichtsarbeit im N. Engl. J. Med., die sich ausführlich beschäftigte
mit Methoden zur Messung sowie Verbesserung der Adhärenz in der
Arzneimitteltherapie und mit Faktoren, die eine unzureichende Adhärenz
voraussagen (1). Die Autoren dieser Übersichtsarbeit betonten in ihren
Schlussfolgerungen, dass eine ungenügende Adhärenz häufig ist und nicht nur zu
ungünstigeren Krankheitsverläufen, Krankenhaus-Notaufnahmen und Todesfällen führen
kann (vgl. 2), sondern auch die Kosten im Gesundheitssystem erheblich
steigert (allein in Deutschland in Höhe mehrerer Mrd. €; vgl. 3, 4).
Inzwischen hat dieses Thema verstärkte Aufmerksamkeit gefunden, insbesondere im
Zusammenhang mit der medikamentösen Behandlung chronischer Erkrankungen, und zahlreiche
Publikationen, Metaanalysen von Beobachtungsstudien sowie systematische
Literaturrecherchen befassen sich mit der Adhärenz in der Arzneimitteltherapie
(2-8). Während man unter dem früher verwendeten Begriff „Compliance“ die
Bereitschaft der Patienten versteht, den medizinischen Anweisungen zu folgen
(„Folgsamkeit“, „Therapietreue“), berücksichtigt der Begriff Adhärenz (vgl. 9)
– in Publikationen oft fälschlicherweise als Synonym für „Compliance“ benutzt –
zusätzlich die Bereitschaft des Leistungserbringers (meistens des Arztes),
medizinische Anweisungen und Strategien auf die Möglichkeiten und Wünsche des
Patienten abzustimmen (8, 10). Dementsprechend wird das Nicht-Einhalten
bzw. unvollständige Einhalten von zunächst mit dem Leistungserbringer
abgestimmten Absprachen als „Non-Adherence“ bezeichnet (= Nicht-Adhärenz; etwa 50% in entwickelten Ländern; 8). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat fünf Dimensionen von Faktoren
genannt, die die Adhärenz beeinflussen (10): Indikation (z.B. Depression),
Therapie (z.B. Nebenwirkungen), Patienten (z.B. ihre Kenntnisse, Glauben,
Einstellungen und Erwartungen), Sozioökonomie (z.B. schlechtes Bildungsniveau,
fehlende soziale Unterstützung) und Gesundheitssystem (z.B.
Arzt-Patient-Beziehung).
Dementsprechend sind auch die Gründe für
eine Nicht-Adhärenz in der Arzneimitteltherapie vielfältig. Dabei ist grundsätzlich
zwischen einer unbeabsichtigten und einer absichtlichen Veränderung der Therapie
zu unterscheiden. Unbeabsichtigte Veränderungen („unintentional non-adherence“)
können durch besondere äußere Umstände bedingt sein, beispielsweise ein
ungewöhnlicher Tagesablauf oder die Arzneimittel sind aufgebraucht und neue können
nicht beschafft werden, weil der Hausarzt im Urlaub ist. Auch kognitive oder
psychische Störungen führen nicht selten zu Veränderungen der Therapie.
Schließlich können auch körperliche Behinderungen die Adhärenz vermindern, wie
Sehstörungen oder der Verlust von Fingerfertigkeiten, verbunden mit zu
komplexen Einnahmevorschriften (= praktische Barrieren). Davon abzugrenzen ist
das absichtliche Weglassen oder Verändern der verordneten Medikation („intentional
non-adherence“). Hierbei spielen eine unzureichende Aufklärung über
Therapieziele oder die Gefahren einer Medikamentenpause eine bedeutende Rolle.
Auch zu viele Tabletten oder eine persönlich als unangenehme empfundene Galenik
können dazu führen, dass die verordneten Medikamente nicht eingenommen werden.
Nebenwirkungen oder die Angst vor Nebenwirkungen sind ebenfalls ein sehr häufiges
Problem, das Patienten veranlasst, die Therapie zu ändern. Manchmal mangelt es
auch am Verständnis für die Notwendigkeit der Therapie und somit an der Motivation
(= psychologische bzw. psychische Barrieren).
Wegen der vielfältigen Ursachen für eine
unzureichende Adhärenz in der Arzneimitteltherapie gibt es auch
unterschiedliche Strategien, sie zu verbessern. Deren gemeinsames Ziel ist es,
praktische und psychologische Barrieren zu erkennen und abzubauen (1, 3, 8, 10).
Wir machen im Folgenden zehn Vorschläge, die auf eine Verbesserung der Adhärenz
abzielen.
- Möglichst einfache Einnahmevorschriften. Das Verordnungsschema sollte übersichtlich und gut leserlich mit Angabe von Wirkstoff und Einnahmezeitpunkt notiert sein (z.B. einheitlicher Medikationsplan).
- Verwendung von Kombinationspräparaten. Wenn möglich und medizinisch individuell sinnvoll, sollten Wirkstoffe in einer Tablette kombiniert sein („Polypill-Konzept“; vgl. Kombinationstabletten bei Behandlung der Hepatitis-C- bzw. HIV-Infektion;11, 12), um Einnahmefehler zu vermindern und die Akzeptanz zu erhöhen.
- Praktikable und angemessene Galenik: Aus der eigenen Kindheit weiß man, dass große und bittere Tabletten oder Säfte nur sehr ungern eingenommen werden. Die Verordnung von halben und viertel Tabletten sollte bei Patienten mit körperlichen oder psychischen Defiziten vermieden werden (Galenik beachten!). Lassen Sie sich zeigen, welche Medikamente eingenommen werden („brown bag review“; vgl. 13).
- Medikamentenboxen mit Tages- oder Wochenrationen. Werden viele Tabletten verordnet, erleichtern diese Boxen die Einnahme und vermindern Fehler. Angehörige oder Pflegende können bei der Befüllung der Boxen behilflich sein und auch die Einnahme abschätzen.
- 5. „Adhärenz-Partner“ einbeziehen: Angehörige oder Betreuer können in die Therapiegespräche einbezogen werden und eine Mitverantwortung für die korrekte Medikamenteneinnahme übernehmen.
- 6. Erinnerungshilfen. Einfache Zettel, z.B. am Badezimmerspiegel oder an der Innenseite der Haustür, oder neuerdings auch elektronische Hilfsmittel (Erinnerungs-SMS, Klingeltöne vom Mobiltelefon oder der Medikamentenbox, Einnahme-Apps) können hilfreich sein.
- 7. Schulungen. Besprechen Sie mit Patienten immer wieder die Therapieziele, die Wirkungsweise der Arzneimittel, dem Vorgehen, wenn die Einnahme vergessen wurde, und die möglichen Konsequenzen, wenn verordnete Medikamente selbst abgesetzt werden.
- Individuelle Zuwendung und Betreuung. Fragen Sie nicht nur nach der Wirksamkeit, sondern immer auch nach möglichen Nebenwirkungen oder Problemen bei der Einnahme der Arzneimittel.
- „Empowerment“. Beziehen Sie die Patienten möglichst in die Überwachung der Therapieziele mit ein, beispielsweise durch Selbstmessungen (INR, Blutdruck, Lungenfunktion, Schmerzskala etc.) oder Führen eines „Patiententagebuchs“.
- Multidisziplinarität. Apotheker oder Pflegende sollten inhaltlich (einheitliches Beratungskonzept) und praktisch (Einnahmekontrolle, Lieferung, Meldung von Nebenwirkungen) eingebunden werden.
Unsere Vorschläge haben allenfalls den
Evidenzgrad C, denn es gibt leider nur wenige randomisierte kontrollierte Studien,
die den Nutzen solcher Maßnahmen überprüft haben (1, 5, 8). Das liegt
auch daran, dass es sehr schwierig ist, die Adhärenz in der
Arzneimitteltherapie zu messen. Direkte Methoden, wie die Messung von
Medikamenten-Spiegel oder -Metaboliten im Blut oder Urin, sind derzeit noch
aufwändig und teuer. Messungen des Therapieeffekts (INR, HbA1c, FEV1
u.a.) sind hilfreich, aber hinsichtlich der Überprüfung der Adhärenz
unspezifisch. Indirekte Methoden, wie das Zählen der Pillen oder die Kontrolle
der zeitgerechten Rezepteinlösung („pharmacy refill records“) sind fehleranfällig und im Alltag oft schwer
umzusetzen. Es gibt auch einige Fragebögen zur Adhärenz in der
Arzneimitteltherapie, wie z.B. MARS („Medication Aherence Report Scale“) oder
MAQ („Medication Adherence Questionnaire“), mit deren Hilfe „Problempatienten“
erkannt werden können (14). Deren Aussagekraft ist jedoch noch unklar.
Die Verbesserung der Adhärenz in der
Arzneimitteltherapie ist eine wichtige therapeutische Aufgabe, speziell im ambulanten
Bereich bzw. der Primärmedizin. Eine gute Adhärenz kann auch über die
pharmakologische Wirksamkeit eines Arzneimittels hinaus einen positiven Effekt
haben. Das zeigt die Tatsache, dass Patienten, die in klinischen Studien ihre Arzneimittel
getreu dem Protokoll einnehmen, häufig einen Nutzen haben – selbst dann, wenn
es sich bei den eingenommenen Tabletten um Plazebos handelt („healthy adherer
effect“; 2, 15).
Literatur
- Osterberg,L., und Blaschke, T.: N. Engl. J. Med. 2005, 353, 487.
- Simpson, S.H., et al.: BMJ 2006, 333, 15.
- Braun,B., und Marstedt, G.: Gesundheitsmonitor 2011 (Zugriff 18.5.2014).

- Roebuck,M.C., et al.: Health Aff. (Millwood) 2011, 30, 91.
- van Dulmen, S., et al.: BMC Health Serv. Res. 2007, 7,55.
- Gehi,A.K., et al. (Heart and Soul Study): Arch. Int.Med. 2007, 167, 1798.
- Clifford,S., et al.: J. Psychosom.Res. 2008, 64, 41.
- Gorenoi, V., etal.: (Zugriff: 18.5.2014).

- AMB 2007, 41, 63.

- WHO: (Zugriff18.5.2014).

- AMB 2014, 48, 25.

- AMB 2012, 46, 60.

- Larrat, E.P., et al.:Am. Pharm. 1990, NS30, 18.
- Lavsa, S.M., et al.:J. Am. Pharm. Assoc. 2011, 51, 90.
- Chewning, B.: BMJ 2006, 333,18.
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