Die Landschaft der
medikamentösen Behandlung chronischer lymphatischer Leukämien (B-CLL) wird sich
ändern und die jahrzehntelange Therapie mit Chemo- und heute vor allem Chemo-/Immuntherapie
wird ergänzt, vielleicht sogar verdrängt werden durch Arzneimittel, die gezielt
die Signalübertragung über den B-Zell-Rezeptor (B-cell receptor = BCR) unterbrechen
(1, 2). Was verbirgt sich hinter dieser Prophezeiung in einem kürzlich
publizierten Editorial (2) zu einer Phase-III-Studie mit einem neuen Wirkstoff
– Ibrutinib – bei Patienten mit B-CLL, der häufigsten Form der Leukämie bei
Erwachsenen?
Die meisten
Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) der B-Zellreihe, so auch die B-CLL, exprimieren auf
ihrer Membranoberfläche den BCR. Inzwischen weiß man aufgrund zahlreicher
Ergebnisse aus experimentellen Untersuchungen, aber auch bereits aus ersten
klinischen Studien, dass die Signalübertragung über den BCR ein wichtiger Mechanismus
für Wachstum und Überleben bei unterschiedlichen Subtypen von B-Zell-Lymphomen
ist (3-5). Die Identifizierung der recht komplexen Signalwege in B-Lymphozyten
und der daran beteiligten Kinasen waren Voraussetzung für die gezielte
Entwicklung von Kinase-Inhibitoren, die über unterschiedliche Zielstrukturen
die Signalübertragung über den BCR und die beteiligten „second messengers“ hemmen.
Dadurch können Proliferation und Überleben von B-CLL-Zellen beeinflusst werden.
Ein vielversprechender medikamentöser Ansatzpunkt ist die Hemmung der Bruton
Tyrosinkinase (BTK), die für die Signalübertragung über den BCR – nach
Stimulation durch Antigene – unbedingt erforderlich ist.
Für Ibrutinib
(Imbruvica®), einen selektiven, potenten und irreversiblen Inhibitor
der BTK, liegen inzwischen Ergebnisse von Phase-I- bis Phase-III-Studien bei
Patienten mit NHL vor, insbesondere mit B-CLL. Ibrutinib wurde deshalb bereits
2013 von der Food and Drug Administration (FDA) für die Behandlung von
Mantelzelllymphomen (MCL) und der B-CLL eine sogenannte „Breakthrough Therapy
Designation“ erteilt, und es ist inzwischen für beide Indikationen zugelassen
(6, 7). Am 24. Juli 2014 hat auch der wissenschaftliche Fachausschuss
(CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) Ibrutinib eine „positive
opinion“ erteilt, d.h. eine Empfehlung für die Zulassung zur Behandlung von
Patienten mit rezidivierter oder refraktärer B-CLL oder MCL (8). Analysten
schätzen bereits heute Ibrutinib als Blockbuster ein mit einem jährlichen
Umsatz weltweit im Jahr 2019 von 4,5 Mrd. US-$ (6) – dies bedeutet
Platz 3 unter den potenziellen Blockbustern hinter Sofosbuvir (Sovaldi®;
9) und Dimethylfumarat (Tecfidera®).
In Phase-I- und
Phase-Ib/II-Studien wurden Patienten mit rezidivierten bzw. refraktären
Non-Hodgkin-Lymphomen, vor allem mit B-CLL, mit Ibrutinib in unterschiedlichen
Dosen behandelt. Bei knapp 50% der Patienten (n = 47) in der Phase-I-
(10) und bei 71% in der Phase-Ib/II-Studie (11) konnte ein objektives
Ansprechen (komplettes oder partielles Ansprechen) erzielt werden – bemerkenswerterweise
unabhängig von klinischen oder genetischen Risikofaktoren, die vor Behandlungsbeginn
nachgewiesen wurden (z.B. fortgeschrittenes Erkrankungsstadium, Zahl der
vorangegangenen Therapien, 17p 13.1 Deletion). Als Nebenwirkungen von Ibrutinib
– vorwiegend Grad I oder Grad II – wurden in diesen Studien
insbesondere Diarrhö, Fatigue und Infektionen der oberen Atemwege beschrieben.
Über kumulative hämatologische Toxizitäten, wie Anämie (6%), Thrombozyto- (6%)
oder Neutropenie (15%), wurde nur bei wenigen Patienten in der
Phase-Ib/II-Studie berichtet (11).
Kürzlich wurden die
Ergebnisse einer multizentrischen, offenen, randomisierten, kontrollierten
Studie der Phase III (RESONATE) veröffentlicht, in der die Wirksamkeit von
Ibrutinib mit Ofatumumab verglichen wurde bei 391 Patienten (medianes
Alter: 67 Jahre) mit rezidivierter oder refraktärer CLL bzw. „small
lymphocytic lymphoma“ (SLL; nur etwa 5% der behandelten Patienten; 12).
Ofatumumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der spezifisch an
CD20 auf B-Lymphozyten bindet (13). Die Studie wurde gesponsert von
Pharmacyclics und Janssen. Beauftragte von Pharmacyclics waren auch unter
anderem für das Design der klinischen Studie verantwortlich. Die mit mindestens
einer Therapiestrategie vorbehandelten und für Purin-Analoga nicht geeigneten Patienten
(z.B. Alter ≥ 70 Jahre) erhielten entweder per os Ibrutinib
(420 mg einmal täglich) bis zum Progress der Erkrankung bzw. bis zum
Auftreten von inakzeptabler Toxizität oder intravenös Ofatumumab mit einer
initialen Dosis von 300 mg (Woche 1), 2000 mg wöchentlich über 7 Wochen
und anschließend alle 4 Wochen für 16 Wochen bis zu maximal 24 Wochen.
Eingeschlossen wurden nur Patienten mit ECOG (Eastern Cooperative Oncology
Group)-Allgemeinzustand von < 2 (Patienten ohne Symptome oder
symptomatisch, aber ambulant und fähig zu leichter Arbeit), neutrophilen
Granulozyten > 750/µl und Thrombozyten ≥ 30.000/µl sowie
adäquater Leber- und Nierenfunktion. Die Patienten wurden stratifiziert nach
folgenden Kriterien: Resistenz gegenüber Purin-Analoga in Kombination mit
Rituximab und Nachweis einer chromosomalen Deletion 17p13.1. Etwa vier Monate nach
Randomisierung des letzten Patienten erfolgte eine Änderung des Protokolls: den
Patienten im Ofatumumab-Arm (OA = Kontrollarm) wurde bei Progress
ihrer Erkrankung ein „cross over“ in den Ibrutinib-Arm (IA = Interventionsarm)
erlaubt. Primärer Endpunkt der Studie war die Dauer des progressionsfreien
Überlebens (PFS), bewertet durch ein unabhängiges Review-Komitee. Sekundäre
Endpunkte waren insbesondere die Dauer des Gesamtüberlebens und die
Ansprechrate. Die Beurteilung des Ansprechens erfolgte anhand computertomographischer
Untersuchungen. Patienten im IA hatten im Median zuvor drei Therapiestrategien
erhalten, Patienten im OA zwei. Diese Therapiestrategien enthielten – häufig in
Form von kombinierter Chemo-/Immuntherapie – alkylierende Zytostatika, Purin-Analoga
sowie Anti-CD-20-Antikörper. Die mediane Dauer der Nachbeobachtung beträgt
9,4 Monate.
Ibrutinib verlängerte
das progressionsfreie Überleben signifikant (9,4 Monate vs. 8,1 Monate
im OA). Nach sechs Monaten lebten noch 88% Patienten im IA ohne Hinweis für
Krankheitsprogress und 65% im OA. Wirksamkeit bzw. Ansprechen auf Ibrutinib
waren, wie in den vorausgegangenen Studien der Phase-I/II, unabhängig von
ungünstigen klinischen Merkmalen oder molekularen Charakteristika. Auch
Patienten mit einer ungünstigen Prognose infolge 17p13.1-Deletion zeigten ein
gutes Ansprechen auf Ibrutinib. Das Gesamtüberleben wurde durch Ibrutinib ebenfalls
signifikant verlängert: nach 12 Monaten lebten noch 90% der Patienten im
IA und 81% im OA. Zu diesem Zeitpunkt erhielten bereits 57 Patienten aus dem
OA wegen Krankheitsprogress Ibrutinib. Die von unabhängigen Experten beurteilte
Ansprechrate war signifikant höher unter Ibrutinib (43% hatten eine partielle
Remission im Vergleich zu 4% unter Ofatumumab). Die bei vielen Patienten am
Anfang der Behandlung mit Ibrutinib beobachtete Lymphozytose wurde nicht als
Progress der Erkrankung interpretiert, da sie vermutlich zurückzuführen ist auf
ein vermindertes „Homing“ der CLL-Zellen in Lymphknoten, Knochenmark und in der
Milz infolge veränderter Expression von Chemokinen durch Ibrutinib (3, 12).
Insgesamt
erhielten die Patienten im IA die Therapie länger als im OA (Dauer im Median:
8,6 Monate vs. 5,3 Monate). Als häufigste nicht-hämatologische
Nebenwirkungen traten unter Ibrutinib auf: Diarrhö, Vorhofflimmern, Fatigue,
Fieber und Übelkeit. Insgesamt 57% der mit Ibrutinib und 47% der mit Ofatumumab
behandelten Patienten hatten zumindest eine unerwünschte Wirkung (≥ Grad 3
entsprechend National Cancer Institute Common Terminology Criteria for Adverse
Events = NCICTCAE). Blutungen traten als Nebenwirkungen deutlich häufiger auf unter
Ibrutinib (44%) als unter Ofatumumab (12%), wobei nur zwei Patienten im IA eine
schwerwiegende Hämorrhagie (≥ Grad 3) hatten. In einem
Leserbrief wurde 2013 auf die Hemmung der Plättchenfunktion durch Ibrutinib in vitro
hingewiesen, deren klinische Bedeutung jedoch noch weiter untersucht werden
muss (14). Bei 4% der Patienten in beiden Gruppen musste die Therapie infolge
von Nebenwirkungen unterbrochen werden.
Ohne Zweifel werden
Antagonisten des BCR die Therapieoptionen zur Behandlung der B-CLL in den
nächsten Jahren erweitern. Offene Fragen, die durch die bisher vorliegenden
Ergebnisse klinischer Studien nicht beantwortet wurden, werden diskutiert in
einem lesenswerten Editorial zur RESONATE-Studie und in einer aktuellen Übersichtsarbeit
zur Bedeutung der Signaltransduktion über den BCR bei Patienten mit B-CLL (2, 4).
Hierzu zählen vor allem:
- Bei welchen Patientensubgruppen wirkt Ibrutinib besonders gut, und können diese Patienten anhand von Biomarkern vor Therapiebeginn mit Ibrutinib identifiziert werden?
- Wie ist die Wirksamkeit von Ibrutinib als primäre Therapie der B-CLL – allein oder in Kombination mit Chemo-/Immuntherapie?
- In welcher Sequenz und Kombination mit Chemo-/Immuntherapie (z.B. vor, in Kombination mit oder nach konventioneller Chemo-/Immuntherapie) sollte Ibrutinib eingesetzt werden?
- Treten bei der aufgrund des Wirkungsmechanismus notwendigen langfristigen Einnahme von Ibrutinib spezielle Nebenwirkungen auf?
Wie bei anderen
Kinase-Inhibitoren sind auch unter der Behandlung mit Ibrutinib bereits bei
mehreren Patienten erworbene Resistenzen nachgewiesen und die dafür verantwortlichen
Mechanismen analysiert worden. So wurden bei sechs Patienten mit B-CLL
Mutationen beschrieben, die die kovalente Bindung zwischen der BTK und
Ibrutinib verhindern, und darüber hinaus Mutationen in Phospholipasen wie PLCγ2,
die eine wichtige Rolle bei der Signaltransduktion distal der BTK spielen (15, 16).
Fazit: Ibrutinib im Vergleich
mit Ofatumumab verbesserte bei Patienten mit rezidivierter oder refraktärer chronischer
Leukämie (B-CLL) in einer offenen Phase-III-Studie (RESONATE) signifikant die
Ansprechrate, das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben. Ob die positive
Resonanz, hervorgerufen durch RESONATE und andere klinische Studien zu
Inhibitoren der Signalübermittlung über BCR – wie beispielsweise Idelalisib,
einen Inhibitor der Phosphatidylinositol-3-Kinase (17) – und ob die hohen
Kosten für diese Wirkstoffe berechtigt sind, muss rasch in weiteren klinischen
Studien nach Zulassung von Ibrutinib und Idelalisib untersucht werden.
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