Wahrscheinlich werden in den USA noch in diesem Jahr zwei
oder drei neue Biopharmazeutika, sog. PCSK9-Antikörper, zur subkutanen Behandlung
von familiären Hyperlipidämien zugelassen. Auch bei der europäischen
Arzneimittel-Agentur (EMA) befinden sich zwei dieser von der Zeitschrift Nature
als „Cholesterol-Buster“ bezeichneten Arzneimittel (Alirocumab, Evolocumab) im
Zulassungsverfahren (1, 2). Die Werbetrommeln für diese neue Wirkstoffgruppe
werden schon überall gerührt und übertönen sogar den Wirbel um die neuen oralen
Antikoagulanzien (NOAK).
Bei den PCSK9 (proprotein convertase subtilisin/kexin type
9)-Inhibitoren handelt es sich um monoklonale Antikörper, die in den Metabolismus
des LDL-Rezeptors eingreifen und das LDL-Cholesterin – auch unter
Behandlung mit einem Statin – um etwa 50% weiter senken können. Auch das
Lipoprotein a [Lp(a)] wird um 10-15% gesenkt (3). Daten zur klinischen
Bedeutung dieser ausgeprägten Senkung des LDL, also zu einer möglichen Reduktion
kardiovaskulärer Ereignisse oder zur Langzeitsicherheit, liegen noch nicht vor.
Die entsprechenden großen Studien laufen bis 2018 (z.B. ODYSSEY-Outcome-Studie
mit 18.000 Patienten oder Fourier-Studie mit 22.000 Patienten). Bis
diese publiziert sind, werden wir wohl in den nächsten Monaten und Jahren immer
wieder mit Annahmen und vorläufigen Daten aus statistisch nicht ausreichend
gepowerten kleineren Studien konfrontiert (4).
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die neuen Wirkstoffe
zunächst für eine Nische zugelassen werden, beispielsweise zur
Sekundärprävention bei familiärer Hyperlipoproteinämie, wenn durch die Standardtherapie
die LDL-Zielwerte nicht erreicht werden. Es ist aber auch anzunehmen, dass unter
dem Eindruck von Vorab-Meldungen über positive Wirkungen auf den Surrogatparameter
LDL schon rasch die Indikationen ausgeweitet werden. Somit ist zu befürchten,
dass bald jedem mit einem Statin unzureichend zu behandelnden Patienten in der
Sekundärprophylaxe und jedem mit „Statin-Unverträglichkeit“ ein solcher „Cholesterol-Buster“
empfohlen wird. Schon jetzt fordern einzelne, wahrscheinlich gut honorierte
Experten in Industriesymposien das LDL „as low as possible“ zu senken (5).
Hauptbedenken bei diesem neuen Behandlungskonzept sind, dass
die Leistungsfähigkeit des Gehirns möglicherweise negativ beeinflusst wird und psychische
Störungen auftreten könnten, denn Cholesterin spielt eine wichtige Rolle im
Hirnstoffwechsel. Es laufen daher Studien, die diesen Aspekt bei starker LDL-Senkung
untersuchen (z.B. 6).
Interessant ist aus unserer Sicht die gerade zu beobachtende
Strategie bei der Markteinführung. Dieser liegt vermutlich ein Masterplan
zugrunde, der seit Jahren feststeht. Wir werden eine zunehmende Flut von
Publikationen zu den PCSK9-Hemmern erleben, da die pharmazeutischen Unternehmer
die Phase-III-Studien in beispielloser Weise zerstückelt haben. So laufen allein
14 Studien mit Alirocumab im sog. ODYSSEY-Programm (Sanofi) und 20 Studien
mit Evolocumab im sog. PROFICIO-Programm (Amgen). Die Studien befassen sich mit
leicht unterschiedlichen Indikationen und Patientenpopulationen. Sie werden
überwiegend hochrangig publiziert und heizen die Diskussion um die PCSK9-Hemmer
an.
Bei der wissenschaftlichen Diskussion wird nichts dem Zufall
überlassen. Die im N. Engl. J. Med. publizierte DESCARTES-Studie mit Evolocumab
wurde beispielsweise unter starker Mitwirkung eines medizinischen Schreibbüros
verfasst (7). Die Firma „Complete Healthcare Communications“ bietet nicht nur
einen umfangreichen „editorial support“ an, sondern auch komplette
„Publikationsstrategien“ und „Kommunikationspläne“ (8). Dabei dürfte es sich um
zeitlich genau abgestimmte Produktplatzierungen in den Fach- und Laienmedien,
auf Kongressen und regionalen Veranstaltungen handeln. Am Ende soll die
Aufnahme der PCSK9-Hemmer in die Leitlinien von Fachgesellschaften stehen und
damit zu einer quasi allgemeingültigen Empfehlung für Ärzte werden.
Es ist wohl nur vordergründig das Ziel der PCSK9-Kampagne,
möglichst viele Patienten vor Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bewahren. Ginge
es darum, dann würde man klinische Endpunkte abwarten. Tatsächlich geht es um
eine schnelle und breite Marktpräsenz mit hohen Umsätzen. Die Handelsnamen und
die Preise der neuen Arzneimittel sind noch nicht klar. In den USA geht man von
8.000-12.000 $ pro Jahr und Patient aus (9). Die Börsen erwarten, dass die
„Cholesterol-Buster“ auch rasch zu Blockbustern werden, also einen Jahresumsatz
weltweit von > 1 Mrd. US-$ erreichen.
Fazit: Eigentlich sollten die PCSK9-Antikörper nicht
zugelassen werden bis klinische Endpunktdaten vorliegen. Bislang ist ja nur
nachgewiesen, dass sie effektiv Laborwerte verändern. Alles Weitere sind
Erwartungen, die noch geklärt werden müssen. Solange Langzeitbeobachtungen zu
klinischen Wirkungen und zu Nebenwirkungen nicht vorliegen, kann nach unserer
Einschätzung die Hemmung von PCSK9 nicht als sicheres Therapiekonzept gelten.
Literatur
- http://www.ema.europa.eu/...

- Gibney,E.: Nature 2015, 517, 10.

- Ridker,P.M.: Lancet 2014, 384, 607.

- Mayor,S.: BMJ 2015,350, h1508.

- Eber, B.: http://www.kardiologie-innsbruck.at/images/downloads/ Hauptprogramm_Kardio-Angio_2015.pdf

- EBBINGHAUS = Evaluating PCSK9 Binding antiBodyInfluence oN coGnitive HeAlth in HighcardiovascUlar risk Subjects.
- Blom, D.J., et al.(DESCARTES = DurableEffect of PCSK9 antibody CompARed wiTh placEboStudy):N. Engl. J. Med. 2014, 370, 1809.

- Website “CompleteHealthcare Communications”:
(Zugriffam 27.3.2015).
- http://www.fiercepharma.com/...

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