Vitamin D (VD) und seine Metaboliten sind für die intestinale
Kalzium-Resorption und den Knochenstoffwechsel wichtig (vgl. 1). Sie sind
auch an vielen Stoffwechselvorgängen, einschließlich dem Gefäß- und Immunsystem
beteiligt (vgl. 2). Außerdem erhöht VD die Muskelkraft über spezifische
VD-Rezeptoren. Ältere Menschen mit VD-Mangel neigen zu Stürzen, und eine
VD-Substitution vermindert das Sturzrisiko bei Bewohnern von Pflegeeinrichtungen
(3). Nach einer Metaanalyse aus dem Jahre 2009 (4) senken VD-Dosen zwischen
700-1000 IE/d die Sturzwahrscheinlichkeit um etwa 20%. Wir kamen daher zu
dem Schluss, dass nach Ausschluss einer Hyperkalziämie und anderer
Kontraindikationen Risikopatienten (Heimbewohner, geringe Sonnenexposition oder
geringe VD-Aufnahme mit der Nahrung) die Einnahme von 800-1000 IE VD/d
empfohlen werden kann (5). Dabei ist jedoch zu bedenken, dass Stürze – speziell
im Alter – sehr viele andere Ursachen haben können, wie z.B. Multimedikation, Schwindel,
schlechter Visus, schlechte Lichtverhältnisse, ungünstige Bodenbeschaffenheit
(Stolperfallen). Ein VD-Mangel mit Myopathie und dadurch bedingte Schwäche der
proximalen Beinmuskulatur mit höherem Sturzrisiko ist eine sehr seltene Ursache.
In der täglichen Praxis hat sich die VD-Substitution mit und
ohne Messung der 25-Hydroxy-VD-Konzentrationen (25(OH)D = Calcifediol)
mittlerweile breit und unkritisch durchgesetzt, ja ist geradezu zum Hype
geworden (vgl. 6). Auch Nicht-Risiko-Patienten wird von gutmeinenden
Experten und Naturheilkundlern das „Sonnenhormon“ empfohlen: „Täglich
Vitamin D, spätestens ab 60 Jahre“ (7). Dabei vertraut man wohl auf
die Unschädlichkeit. Dieser Eindruck täuscht vermutlich.
Die Arbeitsgruppe aus Zürich mit Autoren der zitierten Metaanalyse
von 2009 (4) hat nun eine einjährige randomisierte kontrollierte Studie (RCT)
mit nicht in Pflegeheimen lebenden, älteren Menschen und drei verschiedenen
VD-Dosierungen durchgeführt (8). Hierzu wurden über Zeitungsinserate
selbstständig lebende Menschen ≥ 70 Jahre und einem Sturz
innerhalb des vorangegangenen Jahres gesucht. Von 463 gescreenten Personen
wurden 200 eingeschlossen. Diese mussten mit oder ohne Gehhilfe mobil und in
der Lage sein, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.
Es erfolgte eine Randomisierung in drei Gruppen: Kontroll-Gruppe
mit 24.000 IE VD3 einmal pro Monat (Tagesdosis 800 IE/d,
entsprechend den aktuellen Empfehlungen; n = 67); Hochdosis-Gruppe
mit 60.000 IE VD3 einmal pro Monat (Tagesdosis 2000 IE/d;
n = 67); und Kombinations-Gruppe mit einmal im Monat 24.000 IE
VD3 plus 300 μg Calcifediol, dem 2-3mal potenteren
Metaboliten und der Transportform von VD3 (n = 66). Die
Teilnehmer wurden ein Jahr lang nachbeobachtet und dreimalig untersucht: zu
Beginn, nach 6 und 12 Monaten. Dazu kamen Blutuntersuchungen: Kalzium,
Kreatinin, 25(OH)D und Parathormon.
Primärer Studienendpunkt war die Muskelkraft in den Beinen.
Diese wurde bei den Visiten durch verblindete Physiotherapeuten mittels verschiedener
Funktionstests untersucht. Wichtig war dabei der Short Physical Performance
Battery Test (SPBB). Dieser misst die Gehgeschwindigkeit, die Fähigkeit
wiederholt aus einem Stuhl ohne Hilfe der Arme aufzustehen und die
Balancefähigkeit (9). Sekundärer Endpunkt war u.a. die Häufigkeit von Stürzen.
Ergebnisse: Das mittlere Alter der Probanden betrug
78 Jahre. 67% waren Frauen und 58% hatten initial definitionsgemäß einen
VD-Mangel, d.h. die 25(OH)D-Serumkonzentration betrug ≤ 20 ng/ml
= ≤ 50 nmol/l; vgl. 2, 10). Nach einem Jahr
Behandlung waren die 25(OH)D-Konzentrationen in der Kontroll-Gruppe um
durchschnittlich 11,7 ng/ml angestiegen, in der Hochdosis-Gruppe um
19,2 ng/ml und in der Kombinations-Gruppe um 25,8 ng/ml. Der Anteil
der Probanden, die nach einem Jahr einen 25(OH)D-Serumspiegel ≥ 30 ng/ml
hatten (sog. Vitamin-D-Suffizienz), betrug 54,7%, 80,8% und 83,3% respektive.
In allen drei Gruppen sank das Parathormon etwa gleich stark ab.
Beim primären Endpunkt, der Bewertung im SPBB, konnte kein
signifikanter Unterschied zwischen den drei Gruppen festgestellt werden. Bei
einer Testkomponente, dem 5-maligen Aufstehen aus einem Stuhl, schnitten die Teilnehmer
der Hochdosis- und Kombinations-Gruppe jedoch überraschenderweise schlechter ab,
als die Probanden der Kontroll-Gruppe. Auch bei den Stürzen zeigte sich ein
höheres Risiko in der Hochdosis- und Kombinations-Gruppe: 66,9% und 66,1% vs.
47,9% in der Kontroll-Gruppe (p = 0,048). Für eine dosisabhängige
Erhöhung des Sturzrisikos spricht auch die Tatsache, dass Probanden mit 25(OH)D-Spiegeln
in der obersten Quartile (> 44,7 ng/ml) auch das höchste
Sturzrisiko hatten (Relatives Risiko: 5,5; p < 0,001).
Die Züricher Forscher fanden also Hinweise darauf, dass hohe
VD-Supplementierung und hohe 25(OH)D-Serumspiegel das Sturzrisiko bei älteren,
nicht hospitalisierten Menschen steigern. Eine plausible pathophysiologische
Erklärung für die Beobachtungen geben die Autoren nicht. Sie verweisen aber auf
ein australisches RCT aus dem Jahre 2010 mit ähnlichem Ergebnis (11). In dieser
Studie erhielten 2.256 ältere, nicht hospitalisierte Frauen mindestens drei
Jahre lang jeweils vor den Wintermonaten 500.000 IE VD3
(entspr. 1370 IE/d) oder Plazebo. Auch in dieser Studie wurden unter hoch
dosiertem VD mehr Stürze registriert: 837 Frauen/2892 Stürze (entspr. 83,4 pro
100 Personenjahre) vs. 769 Frauen/2512 Stürze mit Plazebo (entspr. 72,7 pro 100
Personenjahre). Das berechnete relative Risiko (RR) mit VD betrug 1,15
(95%-Konfidenzintervall = CI: 1,02-1,30). Darüber hinaus erlitten die Frauen in
der VD-Gruppe auch häufiger Frakturen (171 vs. 135: RR: 1,26; CI: 1,00-1,59).
Vor diesem Hintergrund und da die VD-Substitition in der
Kontroll-Gruppe bereits den derzeitigen Empfehlungen entsprach, ist es schade,
dass in der Züricher Studie kein Plazeboarm mitgeführt wurde. Denn somit bleibt
die Frage unbeantwortet, ob VD-Supplementierung bei älteren Menschen ohne
spezifisches Risiko (wie z.B. ausgeprägter VD-Mangel, Heimbewohner, geringe
Sonnenexposition oder geringe VD-Aufnahme mit der Nahrung) im Hinblick auf
Sturzneigung und Frakturen überhaupt ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis hat.
Fazit: Der Nutzen einer regelmäßigen längeren Einnahme von
Vitamin-D-Präparaten bei älteren, nicht hospitalisierten Menschen ohne
ausgeprägten Vitamin-D-Mangel muss in Frage gestellt werden. Insbesondere eine
hohe Supplementierung (> 800-1000 IE/d) scheint das Sturz- und
Frakturrisiko zu erhöhen und hat wahrscheinlich ein ungünstiges
Nutzen-Risiko-Verhältnis (vgl. 12). Kürzlich hatten wir auch darüber
berichtet, dass Messungen von 25(OH)D bei gesunden Frauen nach der Menopause,
die sich normal ernähren und außerhalb des Hauses bewegen, überflüssig sind
(13).
Literatur
- AMB2006, 40, 14.

- AMB2010, 44, 64.

- Pfeifer, M., etal.: J. Bone Miner. Res. 2000, 15, 1113.
Errata: J. Bone Miner. Res. 2001, 16,1935 und 2001, 16, 1735.
- Bischoff-Ferrari, H.A., et al.: BMJ2009, 339, b3692.

- AMB 2009, 43, 94b.

- AMB 2013, 47, 56b.

- Kreutz, I.: Ärztezeitung 24.01.2011.

- Bischoff-Ferrari, H.A., et al.: JAMAIntern. Med.2016, 176, 175.

- Volpato, S., et al.: J.Gerontol. Med. Sci. 2011, 66, 89.

- Lee, J.H., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2008, 52,1949.

- Sanders, K.M., et al.: JAMA 2010, 303, 1815
. Erratum: JAMA 2010, 303,2357.
- Cummings, S.R., et al.: JAMA Intern.Med. 2016, 176, 171.

- AMB 2015, 49, 95.

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