Die europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) hat am
20. Mai 2016 ihre neuen Leitlinien zur Herzinsuffizienz veröffentlicht (1). Darin
wird erstmals auch der neu zugelassene
Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI) LCZ696 (Valsartan/Sacubitril in
Entresto®) erwähnt. Der Vorsitzende der Leitlinienkommission Piotr
Ponikowski berichtet auf der ESC-Website, dass die schnelle Aufnahme des
Wirkstoffs in den Behandlungsalgorithmus bei Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer
Funktion viel Diskussion hervorgerufen hat (2). Eine kritische Beurteilung ist
wichtig, denn zu LCZ696 liegt erst eine Phase-III-Studie vor (3, 4), und
in dieser Phase der Arzneimittelerprobung sind die Risiken oft nur lückenhaft
bekannt.
Die Empfehlung der ESC lautet, dass LCZ696 einen ACE-Hemmer
ersetzen kann, wenn Patienten die Ein- und Ausschlusskriterien der
PARADIGM-HF-Studie erfüllen (4; s. Tab. 1.). Auch wird deutlich
formuliert, dass mehr klinische Daten vorliegen müssen, bevor das Präparat für
eine breitere Anwendung empfohlen werden kann. Es bestehen Sicherheitsbedenken,
insbesondere hinsichtlich symptomatischer Hypotension, Angioödem sowie
vermehrten zerebralen und retinalen Ablagerungen von Beta-Amyloid bei Langzeitanwendung
(1). Neprolysin, das durch LCZ696 gehemmt wird, spielt – in Tiermodellen nachgewiesen
– eine wichtige Rolle im Abbau von Amyloid im Gehirn, das in Form von Plaques
mit der Entwicklung der Alzheimer-Demenz in Verbindung gebracht wird. Die U.S.
Food and Drug Administration (FDA) hat deshalb vom Hersteller eine
multizentrische, randomisierte, kontrollierte doppelblinde Studie gefordert, in
der Valsartan/Sacubitril mit Valsartan verglichen wird im Hinblick auf
neurokognitive Veränderungen (14). Die ersten Ergebnisse sind aber erst im Jahr
2022 zu erwarten.
Entgegen einer vernünftigen wissenschaftlichen Einschätzung
läuft das Marketing und Lobbying des Herstellers Novartis auf Hochtouren. Auf
den einschlägigen Kongressen ist LCZ696 Top-Thema. „Sind ACE-Hemmer Schnee von
gestern?“ lautet beispielsweise ein Vortrag auf dem diesjährigen
österreichischen Kardiologenkongress (5), und es wird eine Primärbehandlung mit
einem ARNI bei jeglicher Form der Herzinsuffizienz diskutiert, am besten in
sehr frühen Krankheitsstadien und niedriger NYHA-Klasse.
Diese beim gegenwärtigen Kenntnistand unseriösen Einschätzungen
sind reines Marketing. Das Leitmotiv lautet: „Der entscheidende Durchbruch bei
Herzinsuffizienz“ (6) und immer wieder die Prophezeiung „es ist anzunehmen,
dass Sacubitril/Valsartan in der Praxis bei vielen HFREF-Patienten
(Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion) den traditionellen
Eckpfeiler der Herzinsuffizienztherapie, die ACE-Hemmer, ersetzen wird“ (7). Novartis
hat auch eine „Qualitätsakademie für Herzinsuffizienz“ gegründet. An mehreren
Orten informieren Experten über die Ursachen und die moderne Therapie der
Herzinsuffizienz und treten mit ausgewählten Verschreibern „in den Dialog“ (8).
Ziel der Experten dürfte es im besten Fall sein, die Versorgung der Patienten
mit Herzinsuffizienz zu verbessern. Ziel des pharmazeutischen Unternehmers ist
ganz sicher, bei den Verschreibern das Gefühl zu stärken, dass LCZ696 der neue
Standard ist und dass alle Patienten mit Herzinsuffizienz das Novartis-Produkt
bekommen sollten – je früher desto besser.
Hierzu wird das Präparat, das in Österreich derzeit (Anfang
Juni 2016) noch nicht von der Krankenversicherung bezahlt wird, vom Hersteller
großzügig an Ärzte und Kliniken verschenkt. Zitat eines Pharmareferenten: „Solange
die Kosten nicht übernommen werden, kann Novartis mit Ärztemustern aushelfen“.
Es ist nicht bekannt, wie viele Patienten in Österreich bislang in den Genuss
dieser Werbeaktion gekommen sind. Bedenkenswert ist jedoch das für Patienten
riskante und unverständliche Szenario, wenn die
Heilmittelevaluierungskommission beim österreichischen Hauptverband, die über
die Kostenübernahme von LCZ696 entscheidet, sich in absehbarer Zeit nicht auf
eine Kostenübernahme verständigen kann und Novartis den Fluss an Ärztemustern möglicherweise
stoppt.
Bei der österreichischen Sozialversicherung hat man Angst,
die „Entresto-Schleuse“ zu öffnen. Derzeit werden Tagestherapiekosten von ca.
4,50-5,00 € verhandelt. Zum Vergleich: die durchschnittlichen Kosten der
DDD von generischem Enalapril betragen 10 Cent, von generischem Valsartan 18 Cent.
Würden alle herzinsuffizienten Österreicher mit reduzierter Pumpfunktion und
ohne Kontraindikation auf LCZ696 umgestellt, würde die Sozialversicherung bei
einer geschätzten Zahl von 35.000 Betroffenen mit jährlichen Zusatzkosten von
> 50 Mio. € belastet.
Die Mehrbelastung der gesetzlichen Krankenversicherung in
Deutschland wird deutlich höher sein. Hier geht Novartis gerade völlig neue
Wege des Marketings, und zwar Hand in Hand mit einzelnen Krankenkassen. In
einem gemeinsamen Schreiben der DAK-Gesundheit Produktmanagement Arzneimittel Hamburg
und Novartis Pharma an niedergelassene Ärzte (9) loben die beiden Partner die
Vorzüge des neuen Mittels und geben die Preise nach der Rabattvereinbarung kund
(56 Tabletten kosten 205,96 €, d.h. Tagestherapiekosten von 6,80 €).
Uns ist kein Beispiel bekannt, in dem ein pharmazeutischer Unternehmer sich
gemeinsam mit einer Krankenkasse bei Ärzten für ein neues Arzneimittel stark
macht.
In den USA verkündete die Marketingabteilung von Novartis im
vergangenen Jahr sogar, dass man ein ganz neues Finanzierungsmodell für
Arzneimittel anstrebe. Bei der sog. „Geld-zurück-Garantie“ wurde einzelnen
Krankenkassen über die Medien angeboten, dass sie LCZ696 vom Hersteller primär
zu einem günstigen Preis erhalten und nur dann einen „Nachschlag“ zahlen
sollten, wenn Novartis nachweisen kann, dass das Medikament effektiv ist und
Krankenhausaufenthalte verhindert (10).
Alles in Allem ist erkennbar, dass Novartis einen enormen
Druck auf die solidarisch finanzierte Krankenversicherung und die Ärzte aufgebaut
hat, um das neue Arzneimittel schnell am Markt zu etablieren. Schließlich
arbeiten auch andere Hersteller an einem „ARNI“, und schnell vergeht die Zeit
bis ein Konkurrenzpräparat kommt und das Monopol verloren geht.
Als weiterer Beschleuniger des Marketings dient auch die
Wissenschaft. Derzeit laufen nach Firmenangaben über 40 Studien mit
LCZ696. Unter dem Akronym „FortiHFy“ sollen Daten zur Wirksamkeit und
Sicherheit von LCZ696 in verschiedenen Situationen und unter Alltagsbedingungen
(„real world evidence“) generiert werden (11). Es ist zu befürchten, dass sich
hierunter auch wieder viele wissenschaftlich völlig wertlose
Anwendungsbeobachtungen (vgl. 12) befinden, die nur den Zweck haben,
möglichst viele Patienten mit LCZ696 zu behandeln („seeding trials“;
vgl. 13).
Ärzte und Patienten sollten sich nicht von dem Hype
anstecken lassen. LCZ696 ist nicht mehr und nicht weniger als eine interessante
Neuerung, die es wert ist, weiter beforscht zu werden. Wer letztlich von LCZ696
profitiert und bei wem die Nutzen-Risiko-Relation günstig oder ungünstig ist,
werden erst die Zukunft und weitere Studien zeigen. Bis dahin sollte man Vernunft
walten lassen und zurückhaltend sein, egal was uns die Experten mal wieder
versprechen.
Literatur
- 2016 ESC Guidelines forthe diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. Eur. Heart J. 2016.

- https://www.escardio.org/The-ESC/Press-Office/ Press-releases/ Last-5-years/ esc-guidelines-on-acute-and-chronic-heart-failure-launched-today

- AMB 2014, 48, 75
. AMB 2016, 50, 33. 
- McMurray, J.J.V., et al.(PARADIGM-HF = Prospective comparison of ARNI with ACE-Ito Determine Impact on Global Mortalityand morbidityin Heart Failure): N. Engl. J. Med.2014, 371, 993.
- „Entresto – der Therapiedurchbruchfür die chronische Herzinsuffizienz“ Satellitensymposium No. 8 auf derJahrestagung der österreichischen Gesellschaft für Kardiologie 2016 in Salzburg(3.6.2016).
- Novartis. Werbung im Journal fürKardiologie 2016, 5-6, 145.
- Mörtl, D. Herzinsuffizienz.Österreichische Ärztezeitung 2016, 8, 20.

- http://www.echokurs.at/Vortraege/ Sonstige/QualitaetsakademieHerzinsuffizienz.pdf

- Schreiben der DAK Gesundheit ProduktmanagementArzneimittel vom Mai 2016. Briefe liegen uns vor.
- https://www.medinside.ch/ de/post/novartis-bringt-das-geld-zurueck-medikament

- https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/ news/artikel/2016/05/19/wie-gut-ist-die-herzinsuffizienz -wunderwaffe-entresto-unter- alltagsbedingungen

- AMB 2000, 34, 01
. AMB 2002, 36, 43. 
- AMB 2009, 43, 30.

- Feldmann, A.M., et al.: JAMA 2016, 315,25.

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