Zusammenfassung: In der FOURIER-Studie
reduzierte der monoklonale Antikörper Evolocumab, ein Hemmer der Proproteinkonvertase
Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9), während einer im Median 26-monatigen
Behandlung kardiovaskulärer Hochrisikopatienten in der Sekundärprophylaxe den
kombinierten Endpunkt (Herzinfarkt, Schlaganfall, Koronarinterventionen)
absolut um 1,5%, relativ um 15% (in der europäischen Studienpopulation nur um 9%).
Die Letalität wurde nicht beeinflusst. Die vorausgesagte Halbierung des
kardiovaskulären Risikos durch extreme Senkung des LDL-Cholesterins tritt also
zumindest innerhalb der ersten zwei Jahre nicht ein. Wegen unzureichender
Sicherheitsdaten kann das Verhältnis von Nutzen zu Risiken in der
Langzeitbehandlung noch nicht bewertet werden. Daher sind die PCSK9-Hemmer nach
unserer Einschätzung zwar eine interessante neue Therapieform, aber verglichen
mit ihrem Nutzen ungerechtfertigt teuer. Eine Indikation sehen wir zurzeit nur
bei extrem hohem Risiko, z.B. bei homozygoter familiärer Hypercholesterinämie.
Zeitgleich mit der Präsentation auf dem diesjährigen
Kongress des American College of Cardiology in Washington wurden im N. Engl. J.
Med. die Ergebnisse der FOURIER-Studie veröffentlicht (1). Diese Studie liefert
erstmals die lang geforderten klinischen Ergebnisse einer Behandlung mit einem
PCSK9-Hemmer (Evolocumab, Repatha®, Amgen). Wir haben 2015 über die
Erstzulassung dieser neuartigen Cholesterinsenker berichtet und wegen einer
unklaren Nutzen-Risiko-Relation sowie fraglicher Kosteneffizienz
(Jahrestherapiekosten ca. 8.000 €) zur Zurückhaltung bei der Verordnung
geraten (2). Ungeachtet dessen läuft das Marketing für diese Wirkstoffe seit
über zwei Jahren auf vollen Touren. Hersteller und Key Opinion Leaders sagen
sogar eine „Halbierung des Herz-Kreislauf-Risikos“ voraus und orakeln vom Ende
der Statine (3).
Dieser Optimismus erhält nun durch die Daten aus
FOURIER einen deutlichen Dämpfer. Die von Amgen initiierte und finanzierte Großstudie
hat an 1.242 Zentren in 49 Ländern insgesamt 27.564 Patienten
eingeschlossen. Die Patienten (75% Männer) waren im Mittel 62,5 Jahre alt.
Alle hatten eine manifeste atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung (81%
Myokardinkarkt, 19% ischämischer Schlaganfall, 13% symptomatische pAVK) sowie
mindestens einen Major-Risikofaktor (Diabetes, Rauchen u.a.) oder mindestens
zwei Minor-Risikofaktoren (Koronarintervention, erhöhtes CRP, metabolisches
Syndrom u.a.). Es handelt sich also um Hochrisikopatienten in der
Sekundärprophylaxe.
Um in die Studie eingeschlossen zu werden, musste das
LDL-Cholesterin dieser Patienten trotz „optimierter lipidsenkender Therapie“
≥ 70 mg/dl und/oder das Nicht-HDL-Cholesterin ≥ 100 mg/dl
betragen. Vor Studienbeginn erhielten daher 69% der Patienten eine hochdosierte
Behandlung mit einem Statin (definiert als ≥ 40 mg/d
Atorvastatin oder ein Äquivalent, z.B. ≥ 20 mg/d Rosuvastatin
oder ≥ 80 mg/d Simvastatin mit oder ohne Ezetimib). Eine
moderate Dosis eines Statins hatten 30%, und 5,3% nahmen Ezetimib. Das mittlere
LDL-Cholesterin betrug zu Studienbeginn 92 mg/dl (SD: 80-109 mg/dl).
Insgesamt gab es in der FOURIER-Studie 25 Ausschlusskriterien
(u.a. fortgeschrittene Herz-, Nieren- oder Leberinsuffizienz, schlecht
kontrollierte Hypertonie, Funktionsstörungen der Schilddrüse u.a.). Leider
wird, entgegen den CONSORT-Richtlinien (vgl. 4), nicht angegeben, wie das
Verhältnis zwischen gescreenten und randomisierten Patienten war. Das ist
wichtig, um einen möglichen Selektionsbias zu erkennen.
Methodik: Intervention:
Die Patienten erhielten zusätzlich zu ihrer Standard-Behandlung, also auch zu
ihren gewohnten Lipidsenkern entweder Evolocumab oder Plazebo. Sie konnten wählen,
ob sie die Prüfsubstanzen einmal monatlich (420 mg) oder einmal alle 2 Wochen(140 mg)
subkutan erhielten. Die Behandlung erfolgte formal doppelblind. Es ist jedoch
unklar, wie die Verblindung aufrechterhalten wurde, denn die Anwendung des
Verums ist an einer deutlichen Senkung des LDL-Cholesterins zu erkennen.
Studienendpunkt: Als primärer Endpunkt wurde eine Fünffach-Kombination aus
kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall, Krankenhausbehandlung wegen
instabiler Angina pectoris oder Koronarintervention gewählt und als
Sicherheitsendpunkte unerwünschte klinische und laborchemische Ereignisse mit
besonderem Augenmerk auf einen neu aufgetretenen Diabetes mellitus. Wegen des
Verdachts, dass PCSK9-Hemmer bzw. eine zu starke Senkung des LDL-Cholesterins
zu bedeutsamen neurokognitiven Beeinträchtigungen führen, wurde bei einer
Subgruppe die Hirnleistung evaluiert. Diese Untersuchung erfolgte aus uns nicht
bekannten Gründen nicht im Rahmen der FOURIER-Studie, sondern als eigene Studie
mit dem Akronym EBBINGHAUS (5).
Ergebnisse: Die Studie sollte laut Protokoll nach
Erreichen von 1.630 sekundären Endpunkten (kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt,
Schlaganfall) schließen. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug somit 26 Monate.
In der Publikation werden – was etwas irritiert – auch immer wieder die Drei-Jahres-Daten
von insgesamt 1.375 Patienten angegeben, bei denen diese Nachbeobachtungsdauer
erreicht wurde. 12,5% der randomisierten Patienten beendeten die Studie
vorzeitig, meist wegen unerwünschter Wirkungen bzw. auf eigenen Wunsch, ohne
Unterschied in den beiden Gruppen.
Bei 9,8% der Patienten wurde während der Studie die
lipidsenkende Basistherapie verändert, meist wurde die Dosis des Statins reduziert.
Während das LDL-Cholesterin in der Plazebo-Gruppe um etwa 90 mg/dl
konstant blieb, fiel es in der Evolocumab-Gruppe unmittelbar nach
Therapiebeginn und anhaltend auf ca. 30 mg/dl ab. Die LDL-Senkung betrug
im Vergleich zu Plazebo 59% (95%-Konfidenzintervall = CI: 58-60; p < 0,001).
In der Evolocumab-Gruppe kam es im Vergleich zu den Ausgangswerten auch zu
einer Senkung des Nicht-HDL-Cholesterins um 52%, von Apolipoprotein B um 49%
und von LP(a) um 26,9%. Im Plazebo-Arm gab es keine Änderungen dieser Parameter.
Die klinischen Ergebnisse (Intention-to-treat-Analysen;
s. Tab. 1) zeigen eine statistisch signifikante Reduktion beim
kombinierten primären Endpunkt (Relative Risikoreduktion = RRR: -15%). Die
Number needed to treat (NNT) beträgt 66. Der Nutzen von Evolocumab ergibt sich
dabei durch eine Reduktion von Myokardinfarkten (-1,2%), Schlaganfällen (-0,4%)
und Koronarinterventionen (-1,5%). Ein Effekt auf die Letalität ist nicht nachweisbar.
Nach den Kaplan-Meier-Kurven nimmt der Unterschied zwischen den beiden Gruppen
im Studienverlauf leicht, aber stetig zu, was die Autoren zu der möglichen,
aber noch zu beweisenden Annahme veranlasst hat, dass in der Zukunft auch eine signifikante
Senkung der Letalität eintreten wird. Nach drei Jahren betrug der absolute
Unterschied zwischen den beiden Gruppen 2% (12,6% vs. 14,6%; n = 1.375).
Der Effekt von Evolocumab war in nahezu allen Subgruppen
nachweisbar: Alter < oder ≥ 65 Jahre, Geschlecht, Art der
atherosklerotischen Erkrankung, begleitende Statin-Dosis, Applikationsintervall
von Evolocumab. Die Risikoreduktion war tendenziell bei einem niedrigen
Ausgangs-LDL (< 80 mg/dl) etwas größer als bei einem höheren (> 109 mg/dl):
Hazard ratio (HR) 0,80 vs. 0,89. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Nutzen
von Evolocumab in der europäischen Studienpopulation (n = 17.335) am
geringsten und nur grenzwertig signifikant war (HR: 0,91; CI: 0,83-1,00; p-Wert nicht angegeben). Den mit Abstand
größten Nutzen hatten die nordamerikanischen Patienten (Absolute
Risikoreduktion = ARR: 5,1%; HR: 0,77; CI: 0,66-0,90). Außerdem fällt auf, dass
in der kleinen Subgruppe der Patienten, die Ezetimib einnahmen (n = 1.440),
kein Nutzen von Evolocumab nachweisbar war (HR: 0,98; CI: 0,74-1,31). Diese
interessanten Daten werden weder von den Autoren noch vom Kommentator der
Publikation (7) thematisiert.
Hinsichtlich der Verträglichkeit wurden während der
Nachbeobachtungszeit keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen
gefunden. In beiden Armen wurden bei 77,4% unerwünschte Ereignisse (UAE)
gemeldet und davon 24,7% als schwerwiegend klassifiziert. Signifikante
Unterschiede zwischen Verum und Plazebo waren nur bei den Reaktionen an der
Injektionsstelle (2,1% vs. 1,6%) nachweisbar. Allergien traten etwa gleich
häufig auf (bei 3,1% vs. 2,9%); 43 Patienten (0,3%) entwickelten
Antikörper gegen Evolocumab.
Ein neuer Diabetes (16.676 Nicht-Diabetiker zu
Studienbeginn) wurde bei 8,1% bzw. 7,7% diagnostiziert (HR: 1,05; CI:
0,94-1,17). Muskuläre UAE wurden bei 5,0% bzw. 4,8% gemeldet, eine
Rhabdomyolyse bei 0,1% (in beiden Studienarmen). Die Häufigkeit der gemeldeten
neurokognitiven UAE betrug 1,6% bzw. 1,5%. Wie bereits erwähnt, erfolgte ein
spezielles Screening auf neurokognitive Veränderungen im Rahmen der EBBINGHAUS-Studie.
Die Ergebnisse wurden ebenfalls auf dem Kongress des American College of
Cardiology von R. Giugliano vorgestellt und liegen bislang nur als
Pressemeldung vor (6). Demnach wurden 1.974 Patienten aus der FOURIER-Population
mit neuropsychologischen Tests zu Studienbeginn und erneut nach 24, 48 und 96
Wochen sowie am Studienende auf ihre Hirnleistung getestet. Es gab keinen
Unterschied zwischen Plazebo und Evolocumab (Abnahme beim „Spatial Working
Memory Index“: -0,29 vs. -0,21 Punkte; p für Nichtunterlegenheit
< 0,0001). Auch bei weiteren Tests der Hirnleistung seien keine
Nachteile von Evolocumab erkennbar gewesen und auch nicht bei Patienten mit sehr
starker Senkung des LDL-Cholesterins (< 25 mg/dl).
Die optimistische Beurteilung der Studie in einem begleitenden
Editorial (7) ist nicht sehr überzeugend. Der Kommentator lobt die Studie als
“landmark trial”, die nun formal die Evidenz liefert, dass PCSK9-Hemmer einen
bedeutsamen Zusatznutzen bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten haben. Dies
werde sich auch bald in den Behandlungsleitlinien abbilden und die Ärzte
angewiesen werden („directing“), diese neue und teure Wirkstoffklasse
anzuwenden. Das Sicherheitsprofil von PCSK9-Hemmern sei gut, wobei noch die
Ergebnisse von separaten Substudien abzuwarten seien. Weniger optimistisch reagierte
die Börse: Als die Ergebnisse der FOURIER-Studie bekannt wurden, gab der Kurs
von AMGEN erst einmal um knapp 10% nach.
Insgesamt wirkt die Publikation übereilt und wirft viele
neue Fragen auf. Es besteht die Möglichkeit für Selektionsbias und Verzerrungen
durch Entblindung. Die unterschiedlichen Ergebnisse in der europäischen und nordamerikanischen
Population könnten durch einen unbeachteten Störfaktor verursacht sein.
Außerdem bleiben die Risiken einer Dauerbehandlung mit Evolocumab weiterhin
unklar, sodass eine abschließende Beurteilung von Nutzen und Risiko weiterhin
nicht möglich ist. Der Nutzen scheint jedoch deutlich geringer zu sein als von
Vielen erhofft und vorausgesagt. Die Ergebnisse sollten aus unserer Sicht
Einfluss auf die ökonomische Bewertung der PCSK9-Hemmer haben: Bei 8.000 €
Jahrestherapiekosten kostet ein verhinderter Schlaganfall oder Herzinfarkt
(NNT 66/2,2 Jahre) ca. 1,2 Mio. €. Das ist deutlich zu
viel, oder anders ausgedrückt: Der monoklonale Antikörper ist seinen hohen
Preis nicht wert.
Literatur
- Sabatine,M.S., et al. (FOURIER = Further cardiovascular OUtcomes Research withPCSK9 Inhibition in subjects with Elevated Risk): N. Engl. J. Med. 2017,March 17. DOI: 10.1056/NEJMoa1615664.
- AMB 2015, 49,74.

- Deutsches Ärzteblatt 16.3.2015:

- AMB 2001, 35,46.

- EBBINGHAUS = Evaluating PCSK9 binding antiBodyInfluence oN coGnitive HeAlth in high cardiovascUlarrisk Subjects:
- http://www.acc.org/...

- Dullaart, R.P.F.: N.Engl. J. Med. 2017, March 17. DOI: 10.1056/NEJMe1703138.
|