Über die Behandlung der Riesenzellarteriitis (RZA) haben wir
2010 berichtet (1). Diese Form der Vaskulitis tritt meist bei Patienten
> 50 Jahre auf (bei Frauen häufiger als bei Männern). Besonders
häufig ist die Arteria carotis externa mit ihren Ästen betroffen. Bei Befall
der A. ophthalmica ist das Sehvermögen bedroht (s. Übersicht bei 2).
Prinzipiell kann sich die RZA aber in allen Arterien manifestieren, auch im
Myokard (3). Diese Erkrankung verursacht sehr unterschiedliche Symptome (meist lokale
Schmerzen bzw. Polymyalgia rheumatica), wodurch die Diagnose nicht selten
verzögert gestellt wird, und sie ist auch eine häufige Ursache von Fieber
unklarer Genese (FUO) bei Patienten > 70 Jahre (4). An der Pathogenese
sind aktivierte dendritische Zellen, Makrophagen, T-Lymphozyten und von diesen
Zellen sezernierte Interleukine (z.B. IL-6) beteiligt (5). Die unspezifische Wirkung
von Predniso(lo)n bessert die Symptome bei früher Diagnose und sofort folgender
Therapie dramatisch, und Erblindungen können durch Predniso(lo)n meistens, aber
nicht immer, verhindert werden. Eine mit Predniso(lo)n (Dosierung bei RZA: 40-60 mg/d;
bei Symptomen der Polymyalgia rheumatica: 12,5-25 mg/d; vgl. 13)
begonnene und für 3-4 Wochen in dieser Dosierung fortgesetzte Therapie
soll danach sehr langsam reduziert werden, um Rezidive zu verhindern und um
metabolische und immunologische Nebenwirkungen (Diabetes mellitus, Infektionen)
des Glukokortikosteroids zu minimieren. Zurzeit wird eine Therapiedauer von
zwei Jahren empfohlen (1, 6). Dadurch ergeben sich jedoch erhebliche
Probleme bei den überwiegend älteren Patienten. Sie sind durch die Nebenwirkungen
(NW) der über längere Zeit höher dosierten Glukokortikosteroide mitunter vital
gefährdet, speziell durch Infektionen. Das Risiko, an einer Infektion zu
sterben, steigt signifikant an im ersten Jahr nach Stellen der Diagnose (7). Hinzu
kommt, dass bei einem beträchtlichen Anteil der Patienten Predniso(lo)n nicht
unter eine bestimmte Tagesdosis reduziert werden kann, ohne dass erneut
Symptome auftreten. Bei diesen Rezidiven werden bisher andere Immunsuppressiva „off
label“ eingesetzt, beispielsweise Methotrexat (2, 8). Schon lange wird
nach einer Behandlungsstrategie gesucht, die es ermöglicht, Glukokortikosteroide
einzusparen. Tocilizumab, ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der den Interleukin-6-Rezeptor-alpha
hemmt, hat sich bei einigen Autoimmunerkrankungen (z.B. bei Rheumatoider
Arthritis = RA sowie juvenilem und adultem Still-Syndrom) in den letzten Jahren
bewährt. Tocilizumab (RoActemra®) ist zur Behandlung der RA seit
2013 in den USA zugelassen und in Europa in Kombination mit Methotrexat für
(mittel-)schwere RA (14). Zur Behandlung der RZA wurde Tocilizumab in diesem
Jahr in den USA aufgrund einer jetzt publizierten Studie zugelassen (9, 10).
Der EMA liegt vom Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) eine
Zulassungsempfehlung für RoActemra® zur Behandlung der RZA vor (12).
In der multinationalen, von Hoffmann-La Roche
gesponserten randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten Phase-III-Studie
GiACTA (9) wurden 251 über 50-jährige Patient(inn)en mit gesicherter RZA (z.B.
histologisch, Angiographie, CT, MRT, Positronen-Emissions-Tomographie) zusätzlich
zu Prednison mit Tocilizumab s.c. behandelt. Alle Patient(inn)en mussten aktive
Symptome haben. Bei knapp 50% war die Diagnose neu, die anderen waren bereits
im Mittel seit ca. einem Jahr mit Prednison behandelt worden. Dennoch hatten
bei Einschluss in die Studie noch 40-78% der Patienten kraniale Symptome (meist
temporale Kopfschmerzen), und 30-59% hatten noch Symptome der Polymyalgia rheumatica.
Nach Randomisierung im Verhältnis 2:1:1:1 wurden folgende
Therapiegruppen gebildet:
Gruppe 1: 100 Patienten (78% Frauen) erhielten einmal/Woche
162 mg Tocilizumab s.c., und die Prednison-Dosis wurde innerhalb von 26 Wochen
auf null reduziert (48 Patienten hatten zu Beginn noch > 30 mg/d
und 52 Patienten ≤ 30 mg/d).
Gruppe 2: 50 Patienten (70% Frauen) erhielten die gleiche Dosis
Tocilizumab wie Gruppe 1, aber nur alle 14 Tage. Prednison wurde wie
in Gruppe 1 reduziert (25 Patienten hatten zu Beginn noch > 30 mg/d
und 25 Patienten ≤ 30 mg/d).
Gruppe 3: 50 Patienten (76% Frauen) erhielten statt Tocilizumab s.c.
ein Plazebo. Prednison wurde wie oben reduziert (23 Patienten hatten zu
Beginn noch > 30 mg/d und 27 Patienten
≤ 30 mg/d).
Gruppe 4: 51 Patienten (73% Frauen) erhielten statt Tocilizumab s.c.
ein Plazebo. Prednison wurde langsamer reduziert als in Gruppe 3, bis zu
52 Wochen (25 Patienten hatten zu Beginn noch > 30 mg/d
und 26 Patienten ≤ 30 mg/d).
Primärer Endpunkt war der Anteil der Patient(inn)en in den
Gruppen 1 und 2, die im Vergleich mit Gruppe 3 nach 52 Wochen
noch rezidivfrei waren. Sekundäre Endpunkte waren der Vergleich von
Gruppen 1 und 2 mit Gruppe 4 und zwischen allen Gruppen der Vergleich
der kumulativ eingenommenen Prednison-Mengen.
Ergebnisse: Primärer Endpunkt: Die Patienten
der vier Gruppen waren im Mittel 68-70 Jahre alt. Der Anteil der Patienten
in Gruppe 1 bzw. 2 (Tocilizumab-Gruppen), die nach 52 Wochen rezidivfrei
waren (sustained remission) betrug 56% bzw. 53%, im Gegensatz zu Gruppe 3
und 4 mit 14% bzw. 18% (p < 0,001 für Gruppe 1 oder 2 versus
Gruppe 3.
Sekundärer Endpunkt: Der Anteil der Patienten, die im
Studienverlauf klinisch ein Rezidiv bzw. erneutes Aufflackern (flare) der RZA
hatten, betrug 23% in Tocilizumab-Gruppe 1, 26% in Tocilizumab-Gruppe 2,
68% in der Kontrollgruppe 3 bzw. 49% in der Kontrollgruppe 4
(Prednison über 26 bzw. 52 Wochen reduziert). Die Hazard-Ratio bezüglich
der Rezidive im Vergleich mit Gruppe 3 betrug 0,23 für Tocilizumab-Gruppe 1
(99%-Konfidenzintervall = CI: 0,11-0,46) und 0,28 (CI: 0,12-0,66) für Tocilizumab-Gruppe 2.
Die
kumulativen Prednison-Dosen waren in den beiden Kontrollgruppen etwa doppelt so
hoch wie in den Tocilizumab-Gruppen. Erhebungen mit einem Fragebogen zur
Lebensqualität (SF-36, Physical component summary score) ergaben in
Gruppe 1 häufiger als in Gruppe 2 eine Besserung des Befindens, während
es sich in den Gruppen 3 und 4 verschlechterte.
Die häufigsten NW waren Infektionen. Als schwer
bewertete Infektionen traten in den vier Gruppen bei 7%, 4%, 4% bzw. 12% der
Patienten auf. 4% der Patienten in den Tocilizumab-Gruppen entwickelten eine Neutropenie
Grad 3. Dies ist ein ähnlicher Prozentsatz wie bei Patienten, die wegen RA
für maximal 4,6 Jahre mit Tocilizumab behandelt worden waren (11). Bei
drei Patienten in den Tocilizumab-Gruppen und bei einem in einer Plazebo-Gruppe
kam es zu einem starken Anstieg der Alanin-Aminotransferase. Ein mit Tocilizumab
behandelter Patient hatte eine erhebliche einseitige Sehverschlechterung, die sich
nach Erhöhung der Prednison-Dosis besserte.
Diskussion: Die Ergebnisse dieser Studie über 52 Wochen,
die bis zu einer Gesamtdauer von zwei Jahren fortgesetzt wird, erlaubt noch
keine endgültige Beurteilung der Langzeit-Bilanz zwischen erwünschten und
unerwünschten Wirkungen von Tocilizumab, denn die RZA bedarf in der Regel (möglicherweise
auch in der Kombination von Prednisolon mit Tocilizumab) einer mindestens
zweijährigen Therapie. Außerdem wurden Patient(inn)en mit Symptomen einer
Arteriitis cranialis und solchen, die zunächst nur Symptome einer Polymyalgia
rheumatica hatten, gemeinsam untersucht. Die Ergebnisse dieser Studie sprechen
allerdings dafür, dass durch Tocilizumab die Gesamtbehandlungszeit und die
Gesamtdosis von Predniso(lo)n deutlich reduziert werden können. Unter der Therapie
mit dem gegen lösliche und membrangebundene Interleukin-6-Rezeptoren
gerichteten monoklonalen Antikörper fallen Blutsenkungsgeschwindigkeit und
CRP-Werte generell ab. Deshalb können unter Behandlung mit Tocilizumab auftretende
(opportunistische) Infektionen (vgl. 15) nicht mit der diagnostisch wichtigen
CRP-Erhöhung einhergehen und deshalb von Ärzten ohne Erfahrung in der
Verordnung dieses Biologikums falsch eingeschätzt oder sogar übersehen werden.
Eine weitere bekannte, aber sehr seltene NW von Tocilizumab ist die Divertikulitis
mit Perforation. Insgesamt scheinen die NW unter Tocilizumab geringer zu sein
als unter länger dauernder Predniso(lo)n-Therapie mit > 10 mg/d, was
aber erst nach der geplanten zweijährigen Studiendauer genauer beurteilt werden
kann. Außerdem erreichten nur etwa 50% der mit Tocilizumab behandelten
Patienten eine „Prednison-freie“ Remission.
Fazit: Tocilizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper,
der gegen lösliche und membrangebundene Interleukin-6-Rezeptoren gerichtet ist.
In einer über 52 Wochen laufenden multizentrischen, randomisierten, plazebokontrollierten
Studie verbesserte die Therapie mit s.c. injiziertem Tocilizumab zusätzlich zu
Prednison bei Patienten mit Riesenzellarteriitis den klinischen Verlauf im
Vergleich mit Prednison allein. Auch konnte die kumulativ verabreichte
Prednison-Dosis halbiert werden. Unseres Erachtens ist Tocilizumab eine
wichtige Zusatztherapie bei den meist sehr alten Patienten mit Riesenzellarteriitis,
die entweder schwere Nebenwirkungen unter Prednisolon entwickeln oder bei denen
Prednisolon nicht auf < 10 mg/d reduziert werden kann, ohne dass erneut
Symptome oder Entzündungszeichen der Vaskulitis auftreten.
Literatur
- AMB 2010, 44, 28.

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- Schneider, T., et al.: Dtsch. Med. Wochenschr. 2005, 130,2708.

- Hellmann, D.B.: N. Engl. J. Med.2017, 377, 385.

- Matteson, E.L., et al.:Rheum. Dis. Clin. North Am. 2016, 42, 75.

- Schmidt, J., et al.: ArthritisRheumatol. 2016, 68, 1477.

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- Stone, J.H., et al.(GiACTA = Giant-cell Arteritis Actemra): N. Engl. J. Med. 2017, 377, 317.

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- Dejaco, C., et al.: Ann. Rheum. Dis. 2015, 74,1799.

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