Die perkutane
Koronarintervention (PCI) ist der weltweit am häufigsten
durchgeführte kardiologische Eingriff. Beim akuten
Koronarsyndrom (ACS) ist der Nutzen der PCI unumstritten, denn er
senkt Letalität und Morbidität. Anders ist die Einschätzung
der PCI bei chronisch-stabiler Verlaufsform der koronaren
Herzkrankheit (KHK). Seit Jahren ist bekannt, dass die bei Patienten
mit stabiler KHK durchgeführten PCI in einem deutlich zu hohen
Prozentsatz unangemessen oder zumindest fragwürdig sind. Es
bestehen allerdings international große Unterschiede, die mit
sehr hoher Wahrscheinlichkeit überwiegend auf Unterschiede in
den Vergütungssystemen zurückzuführen sind (1).
Nach den aktuell gültigen
Leitlinien der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC)
ist die Revaskularistion einer angiographisch nachgewiesenen stabilen
Koronarstenose nur dann indiziert, wenn eine korrelierende Ischämie
nachgewiesen ist (szintigraphisch oder mittels invasiver
intrakoronarer Druckmessung) und
zusätzlich
entweder eine die Belastbarkeit einschränkende, medikamentös
nicht behandelbare Angina pectoris (AP) vorliegt oder eine kritische
Stenoselokalisation/-verteilung (Hauptstamm, proximaler Ramus
interventricularis anterior, Zwei- oder Drei-Gefäß-Erkrankung
mit eingeschränkter Myokardfunktion; vgl. 2). Ein
eindeutiger klinischer Nutzen der PCI hinsichtlich Infarktrate und
Letalität im Vergleich zu einer optimalen medikamentösen
Therapie konnte in der (nicht verblindeten) COURAGE-Studie und in
Metaanalysen nicht nachgewiesen werden (3, 4). Deshalb bleibt
als wesentliches Argument für die PCI bei stabiler KHK die
Besserung der AP-Symptomatik.
Die gerade im Lancet
publizierte britische ORBITA-Studie verglich nun erstmals prospektiv
randomisiert und verblindet die PCI bei stabiler KHK mit einer
Scheinprozedur (5). Es wurden in fünf Zentren 230 Patienten
mit stabiler AP und mindestens einer signifikanten Läsion in
einem Koronargefäß eingeschlossen. Patienten mit
Hauptstammstenose oder Mehrgefäßerkrankung wurden
ausgeschlossen. Nach einer Optimierung der antianginösen
medikamentösen Therapie innerhalb von sechs Wochen unter
regelmäßigem Telefonkontakt erfolgte eine klinische und
funktionsdiagnostische Evaluierung (verschiedene Fragebögen,
Belastungstest, Dobutamin-Stress-Echokardiographie). Schließlich
wurden 200 Patienten zunächst einer diagnostischen
Koronarangiographie mit zusätzlicher Bestätigung der
hämodynamischen Signifikanz der Stenosen mittels intrakoronarer
Druckmessung unterzogen. Unmittelbar anschließend erfolgte
(unter Sedierung und akustischer Isolation mittels Kopfhörer)
die 1:1-Randomisierung für die PCI mit Drug Eluting Stent (DES;
n = 105) oder die Scheinprozedur (n = 95). Für
die Scheinprozedur lagen die Patienten für 15 Minuten auf
dem Kathetertisch; danach wurden die Zugangskatheter entfernt.
Primärer Endpunkt war die Zunahme einer standardisierten
ergometrischen Belastungsdauer um 30 Sek. im Vergleich zum
Ausgangswert vor der Randomisierung. Die Nachbeobachtungszeit betrug
sechs Wochen; die Untersucher waren verblindet.
Ergebnisse:
Der primäre Endpunkt wurde in den beiden Gruppen nicht
signifikant unterschiedlich häufig erreicht
(95%-Konfidenzintervali: -8,9 bis 42,0; p = 0,200), wenn
auch die Belastungsdauer in der PCI-Gruppe im Mittel um 28,4 Sek.
zunahm (p = 0,001) und in der Gruppe mit Scheinprozedur nur
um 11,8 Sek. (p = 0,235). Dies ist bei einem mittleren
Ausgangswert um 500 Sek. ein nur moderater Zugewinn in beiden
Gruppen. Auch sekundäre Endpunkte (u.a. ST-Senkung und
O2-Aufnahme
unter Belastung; Fragebogen zu physischer Beeinträchtigung,
Anginafrequenz und -stabilität, Lebensqualität) waren nicht
signifikant unterschiedlich. Nur die Myokardkontraktilität in
der Stress-Echokardiographie zeigte sich in der PCI-Gruppe
statistisch (aber nicht klinisch) signifikant gebessert.
Die Aussagekraft der
Ergebnisse der ORBITA-Studie ist eingeschränkt. Die (auch aus
ethischen Gründen) kurz gehaltene Nachbeobachtungszeit von sechs
Wochen lässt eine Beurteilung kardiovaskulärer Endpunkte
und der Cross-over-Rate (initial konservativ behandelte Patienten,
die sich später doch einer Intervention unterziehen) nicht zu.
Außerdem sind Sensitivität und Spezifität der
erhobenen Endpunkte eingeschränkt – diese wirken sich
allerdings in beiden Gruppen gleichermaßen aus. Da nur
Patienten mit unkomplizierten Ein-Gefäß-Erkrankungen
eingeschlossen waren, können die Ergebnisse nicht auf komplexere
Formen der KHK übertragen werden. Dennoch – und trotz der
Skepsis vieler interventioneller Kardiologen – sind die
Ergebnisse der sehr solide konzipierten ORBITA-Studie nicht zu
ignorieren. In einem Kommentar mit dem Titel „Letzter Nagel im
Sarg der PCI bei stabiler AP?“ in derselben Lancet-Ausgabe (6)
wird sie als „Landmark“-Studie bezeichnet, die
unwidersprüchlich keinen Vorteil der PCI in dieser Indikation
zeige. Die Autoren fordern eine Revision der Leitlinien mit
Herabstufung der entsprechenden Empfehlungen und Aufwertung
konservativer Maßnahmen wie Modifikation des Lebensstils und
optimierter antianginöser Arzneimitteltherapie. Sie betonen,
dass der Stellenwert von Studien mit Scheinprozeduren (sham
procedures) bei invasiven Therapieverfahren unterschätzt sei und
verweisen auf ähnliche Ergebnisse, etwa bei der renalen
Sympathikusdenervation zur Behandlung der „resistenten“
Hypertonie (7), die nach einer Negativstudie praktisch aus dem
klinischen Alltag verschwand.
Fazit:
Die britische ORBITA-Studie untersuchte erstmals verblindet den
Effekt einer perkutanen Koronarintervention (PCI) mit
Stent-Implantation im Vergleich zu einer Scheinprozedur bei stabiler
koronarer Herzerkrankung (KHK) mit symptomatischer und nachgewiesen
hämodynamisch wirksamer Eingefäß-Stenose. Es ergab
sich in der (kurzen) Nachbeobachtungszeit von sechs Wochen kein
signifikanter Unterschied in der klinischen Symptomatik zwischen den
beiden Gruppen. Dass harte kardiovaskuläre Endpunkte wie
Letalität und Infarktrate durch eine PCI bei diesen Patienten
nicht günstig beeinflusst werden, hat sich bereits in früheren
(nicht verblindeten) Studien und Metaanalysen gezeigt. Dies trifft
jedoch nicht auf die verschiedenen Formen des Akuten Koronarsyndroms
zu. Auch bei sehr kritischen Stenosegraden und/oder -lokalisationen
und bei unter geringer Belastung auftretender stabiler AP wird die
PCI sicher einen Stellenwert behalten. Nach ORBITA muss aber die PCI
bei stabiler KHK noch kritischer beurteilt werden als bisher.
Modifikationen des Lebensstils und individuell optimierte
medikamentöse Therapie sollten in jedem Fall der primäre
Behandlungsansatz sein.
Literatur
- Flachskampf,
F.A., et al.: J. Am. Coll.
Cardiol. 2012,
59,
1561.. Erratum: J. Am. Coll.
Cardiol. 2012, 59,
2307.
- Kolh,
P., et al.: Eur. J. Cardiothorac. Surg. 2014, 46,
517.
- AMB
2014,
48,
17.

- AMB
2007, 41,
39.

- Al-Lamee,
R., et al. (ORBITA = Objective
Randomised
Blinded
Investigation
with optimal medical Therapy
of angioplasty in stable Angina):
Lancet 2018, 391,
31.
Erratum:
Lancet 2018, 391,
30.
- Brown,
D.L., und Redberg, R.F.: Lancet 2017, 391,
3.
- AMB 2014, 48, 16.

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