Zusammenfassung: Von
den Impfstoffkandidaten gegen SARS-CoV-2, die sich bereits in der
Phase III der klinischen Prüfung befinden, sind 60% den
genetischen Vakzinen zuzurechnen (nukleinsäurebasierte und
virale Vektorimpfstoffe). Bei zwei dieser Kandidaten (einem mRNA- und
einem viralen Vektorimpfstoff) werden derzeit (Stand 20.10.2020) von
der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA)
im Rahmen eines „rolling review“-Verfahrens bereits erste
(nicht klinische) Daten geprüft. Unter dem Zeitdruck der
Pandemie wurden die laufenden klinischen Phasen I und II zur
Prüfung der Sicherheit durch Zusammenschieben und Zusammenlegen
deutlich verkürzt („Teleskopierung“). Durch die
Verkürzung üblicher Beobachtungszeiträume erhöht
sich das Risiko, dass Nebenwirkungen während der klinischen
Prüfung unerkannt bleiben. Somit tangieren die beschleunigten
Testphasen auch die gesundheitspolitische Verantwortung bei der
staatlichen Vorsorge. Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass
derzeit fast alle Impfstoffe an jüngeren Erwachsenen und nicht
an älteren Menschen mit deutlich höherem Risiko für
schwere Verläufe getestet werden. Auch wird ein sehr wichtiger
Wirksamkeitsendpunkt der Impfstoffe, die „sterile Immunität“,
in den laufenden Studien kaum berücksichtigt. Würde durch
eine Impfung eine anhaltende sterile Immunität erreicht –
die ideale Wirkung einer Impfung – könnten
Infektionsketten unterbrochen werden. Die bisher publizierten
Ergebnisse der laufenden Impfstudien lassen das aber kaum erwarten.
Hintergrund:
Im Januar 2020 wurde das Genom des SARS-CoV-2 erstmals sequenziert
(1). Seither steigt die Zahl der bei der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) gemeldeten Impfstoffe kontinuierlich an. Am 2.10.2020 umfasste
die Meldeliste weltweit 192 Kandidaten (2), von denen sich am
19.10.2020 insgesamt 44 in klinischer Testung befanden. Davon waren
20 Impfstoffe den genetischen Impfstoffen zuzurechnen (s. Abb. 1
und 2). Sie lassen sich schneller herstellen und in großen
Mengen produzieren, jedoch sind die klinischen Erfahrungen mit dieser
Technologie noch sehr begrenzt. Genetische Impfstoffe lassen sich in
zwei Kategorien einteilen: nukleinsäurebasierte Impfstoffe und
virale Vektorimpfstoffe.
Nukleinsäurebasierte
Impfstoffe:
Sie beruhen auf der Transduktion von Nukleinsäuren (DNA oder
RNA) in die Zellen des Wirtsorganismus. Durch Eingriffe in die
Proteinbiosynthese der Zellen entsteht im geimpften Organismus ein
virales Protein, das als Antigen und somit als Antikörpergenerator
fungiert. RNA-Impfstoffe bringen hierfür in der Regel die in
Lipid-Nanopartikel verpackte und dadurch vor dem enzymatischen Abbau
geschützte mRNA (messenger RNA), die ein virales Antigen
kodiert, in die Zielzellen ein. Die mRNA ist ein einsträngiges
Transkript eines entsprechenden Abschnitts des viralen Genoms, hier
von SARS-CoV-2. Sie wird in den Zielzellen außerhalb des
Zellkerns an den Ribosomen abgelesen (Translation), sodass diese im
Rahmen der Proteinbiosynthese das Erreger-Antigen herstellen. Da die
Integrationsmechanismen der mRNA den Zellkern nicht tangieren, wird
das Genom der Zielzelle nicht verändert.
Bei DNA-Impfstoffen wird
die Information für die Synthese des Erreger-Antigens in Form
genetisch veränderter Plasmide (ringförmige DNA-Moleküle)
eingebracht. Im Rahmen der Integrationsmechanismen, die im Gegensatz
zu den RNA-Impfstoffen auch den Zellkern einschließen, kommt es
in der Zelle zur Transkription des Proteinbauplans in mRNA mit
anschließender Translation an den Ribosomen und Herstellung des
viralen Antigens im Rahmen der Proteinbiosynthese.
Virale
Vektorimpfstoffe:
Diese sind eine erweiterte Form der genetischen Impfstoffe. Sie
beruhen auf der genetischen Manipulation eines Vektor-, also
Trägervirus, das im Regelfall nicht das Erregervirus ist, gegen
das eine Immunisierung stattfinden soll. Dem Vektorvirus wird die
genetische Information in Form von DNA oder RNA eingesetzt, die ein
bestimmtes virales Antigen kodiert. Für diese Art von
Impfstoffen werden sowohl DNA- als auch RNA-Viren als Vektoren
verwendet. Durch Infektion mit DNA-Vektorviren (hierfür werden
zum Beispiel Adenoviren verwendet) wird das gewünschte virale
Antigen in den geimpften Organismus gebracht und dort exprimiert.
Beispiele für diese Technologie sind Impfstoffe gegen
Dengue-Fieber und Ebola. Über diese Strategie haben wir bereits
berichtet (3). Sowohl bei den nukleinsäurebasierten als auch bei
viralen Vektorimpfstoffen wird häufig die Bildung des
Spikeproteins von SARS-CoV-2 als Antigen angestrebt.
Die genetischen
Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 werden derzeit als besonders
erfolgversprechend angesehen (4). Weltweit wurden – noch vor
seiner Zulassung – bereits 2,4 Mrd. Dosen des viralen
Vektorimpfstoffs AZD1222 eingekauft, davon etwa 400 Mio. Dosen
von EU-Staaten, darunter auch Deutschland und Österreich (5).
Dieser Impfstoff der Firma Vaccitech ist von AstraZeneca in
Zusammenarbeit mit der Universität Oxford entwickelt worden
(Oxford-Impfstoff). Er basiert auf einem modifizierten
Schimpansen-Adenovirus (DNA-Virus) der Impfstoffplattform ChAdOx1 von
Vaccitech. Darüber hinaus haben EU-Staaten auch etwa 100 Mio.
Dosen des nukleinsäurebasierten mRNA-Impfstoffs BNT162b2 des
Mainzer Unternehmens BioNTech in Kooperation mit Pfizer bestellt (5).
BNT162b2
enthält Nukleosid-modifizierte und in Lipid-Nanopartikel
verpackte mRNA, die für das gesamte Spike-Protein kodiert.
Beide Impfstoffe befinden
sich seit Anfang Oktober in einem „rolling
review“,
also in einem laufenden Zulassungsprozess (6, 7). „Rolling“
bedeutet hier, dass die Begutachtung der Daten durch die EMA bereits
während der klinischen Testphasen begonnen hat. Die beiden
Hersteller streben die Zulassung ihrer Vakzine laut Pressemeldungen
für Ende 2020 an (8, 9).
Im September 2020 wandten
sich 140 nationale Akademien der Wissenschaften in einer gemeinsamen
Pressemitteilung an die Öffentlichkeit. Sie kritisierten die
millionenfachen Vorbestellungen der nicht zugelassenen Impfstoffe
durch verschiedene Staaten als „Impfstoffnationalismus“.
Der Zugang zu Impfstoffen durch Länder und Einzelpersonen habe
sich nicht nach der Zahlungsfähigkeit, sondern nach dem Bedarf
zu richten. Außerdem wurde vor beschleunigten Verfahren bei der
Impfstoffsicherheit gewarnt und transparente, gründliche,
internationale Bewertung von Wirksamkeit und Sicherheit in den
klinischen Phasen der Prüfung angemahnt (35, vgl. auch 10).
Die Beschleunigung der
Prüfphasen zur Impfstoffsicherheit:
Im Durchschnitt dauert das Testverfahren eines Impfstoffs
(Phasen I-III) 8-10 Jahre bevor er zugelassen wird
(detaillierte Darstellung bei 36). Ziel des langen Verfahrens ist die
Evaluierung der Sicherheit des Impfstoffs.
Das Vertrauen in die Sicherheit von Impfstoffen ist von sehr großer
Bedeutung, einerseits, weil damit Gesunde geimpft werden und
andererseits, weil in vielen Industrienationen eine irrationale
Skepsis gegenüber Impfungen besteht. Der bisher weltweit am
schnellsten zugelassene Impfstoff, der nach der Zulassung nicht vom
Markt genommen werden musste, beanspruchte 4 Jahre. Es handelte
sich um einen Impfstoff gegen Mumps (11).
Für die
beschleunigte Zulassung eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 folgten die
Zulassungsbehörden weltweit einem Modell, das der Öffentlichkeit
im April 2020 u.a. von Bill Gates vorgestellt wurde. Es hat zum Ziel,
binnen weniger als 18 Monaten nach der Erstsequenzierung des
Genoms von SARS-CoV-2 einen Impfstoff zu entwickeln (12). Dieses
Modell wurde bildhaft als „Teleskopierung“
der klinischen Testphasen bezeichnet (15). Dabei werden einzelne
Prüfphasen und Testaufgaben zusammengeschoben. Beispielsweise
erfolgten bei den oben genannten Kandidaten AZD1222 und BNT162b2 die
Zulassungen für die klinische Prüfung bereits, bevor die
präklinischen Versuche an Primaten endgültig ausgewertet
waren. Außerdem wurden die klinischen Phasen I und II zu
einer Phase I/II
zusammengefasst und zeitlich verkürzt, was auch der
Kandidatenliste der WHO zu entnehmen ist (2).
Die Beschleunigung der
Prüfung eines Impfstoffs verkürzt zwangsläufig die
Beobachtungszeiträume.
Dies birgt Risiken in sich, da insbesondere in der klinischen
Phase III, die aus guten Gründen oft Jahre dauert, seltene
und verzögert auftretende Impfnebenwirkungen (Reaktogenität)
klinisch relevant werden können. Die Teleskopierung birgt auch
Risiken zur Einschätzung der klinischen Wirksamkeit der Impfung.
Hier ist zwischen Immunogenität
und klinischer
Wirksamkeit
zu unterscheiden. Der Nachweis der Immunogenität erfolgt
serologisch durch den Nachweis neutralisierender Antikörper und
T-Zell-vermittelter Immunität in Phase II. Der Nachweis der
klinischen Wirksamkeit erfolgt in Phase III. Als wirksam kann
ein Impfstoff nur dann eingestuft werden, wenn er menschliche
Probanden beim natürlichen
Kontakt mit dem Erreger vor der Infektion schützt. Der
experimentelle
Kontakt ist, insbesondere im Rahmen der beschleunigten Phasen zur
Prüfung der Impfstoffsicherheit ebenfalls denkbar,
medizinethisch aber umstritten.
Alternativ zum Kontakt
mit dem Erreger besteht die Möglichkeit, die serologischen
Befunde zur Immunogenität mit den serologischen Daten bereits
zugelassener, wirksamer Impfstoffe zu vergleichen und auf dieser
Basis die Wirksamkeit des neuen Impfstoffs einzuschätzen. Dies
ist aber beim SARS-CoV-2 nur unter Vorbehalten möglich, da es in
der Humanmedizin noch keinen zugelassenen Impfstoff gegen einen
Erreger aus der Familie der Coronaviridae
gibt. Bislang wurde in der Humanmedizin noch kein
nukleinsäurebasierter Impfstoff gegen eine Infektionskrankheit
zugelassen (weder ein RNA- noch ein DNA-Impfstoff), und virale
Vektorimpfstoffe werden noch nicht lange bei Menschen angewendet.
Eine weitere Möglichkeit,
die Wirksamkeit eines Impfstoffs abzuschätzen, besteht darin,
Kohorten aus geimpften und nicht geimpften Probanden zu verfolgen,
und nach einer angemessenen Zeitspanne zu evaluieren, ob sich die
Infektionsraten signifikant unterscheiden. Solche Kohortenstudien
brauchen jedoch Zeit und sollten zumindest eine winterliche
Erkrankungswelle mit einbeziehen. Dieses Verfahren ist also mit dem
angestrebten Zeithorizont für die Entwicklung einer wirksamen
und verträglichen Impfung gegen SARS-CoV-2 nicht vereinbar. Von
besonderer Bedeutung für die Eindämmung der Pandemie ist
auch, ob ein Impfstoff zur „sterilen Immunität“
führt, also Geimpfte nicht nur vor der Erkrankung schützt,
sondern auch verhindert, dass das Virus weitergeben werden kann
(13, 14).
Der renommierte Genetiker
und Virologe William Haseltine äußerte sich in einem
Aufsatz im Scientific
American
zu den gegenwärtigen Strategien (15): „Die Teleskopierung
von Testabfolgen und Genehmigungen setzt uns alle einem unnötigen
Risiko im Zusammenhang mit der Impfung aus. (…) Schon eine
ernste Nebenwirkung pro 1.000 Impfungen bedeutet bei 100 Mio.
Menschen für 100.000 einen Schaden, obwohl sie zuvor gesund
waren“. Die potenziellen Impfnebenwirkungen müssen gegen
den Nutzen (Wirksamkeit und sterile Immunität) eines Impfstoffs
– insbesondere hinsichtlich harter Endpunkte wie Tod oder
bleibende Behinderungen – abgewogen werden. Wenn man von einer
Letalität bei COVID-19 von im Median ca. 0,05% bei < 70-Jährigen
weltweit ausgeht (16), wird es sehr schwer, in dieser Gruppe
überhaupt einen Nutzen eines Impfstoffs nachzuweisen. Daher
müssten die Impfstoffe eigentlich vorwiegend in der Gruppe der
> 70-Jährigen getestet werden, was aber zurzeit nicht
geschieht. Es ist auch zu befürchten, dass Impfstoffe für
Ältere gar nicht zugelassen werden, weil sie bei ihnen nicht
geprüft wurden. Ein weiterer wichtiger Nutzen wäre die
Unterbrechung der Infektionskette, also die Erzeugung einer sterilen
Immunität.
Aktuell erkennbare
Probleme bei genetischen Impfstoffen gegen SARS-CoV-2:
AZD1222-Impfstoff:
Die vorläufige Auswertung der beschleunigten klinischen
Phase I/II des viralen Vektorimpfstoffs AZD1222 von
AstraZeneca/Vaccitech (randomisiert und einfachblind) zeigte bei 543
damit geimpften Probanden eine signifikante Häufung von
Impfnebenwirkungen im Vergleich zu 534 Probanden, die mit einem
zugelassenen Meningokokken-Impfstoff geimpft wurden (p < 0,05).
Bei 70% der Probanden – mit oder ohne prophylaktische Einnahme
von Paracetamol (P) – trat Fatigue auf, außerdem
Kopfschmerzen bei 68% (61% mit P), systemische Muskelschmerzen bei
60% (48% mit P), Schüttelfrost bei 56% (27% mit P), erhöhte
Temperatur bis 38°C bei 51% (36% mit P), Fieber > 38°C
bei 18% (16% mit P) und allgemeines Krankheitsgefühl bei 61%
(48% mit P). Von den 543 mit AZD1222 geimpften Probanden wurden
10% (n = 54) in ein vierwöchiges serologisches
Monitoring eingebunden (Aufgabe aus Phase I), wobei sich bei 46%
eine temporäre Neutropenie zeigte (17).
Während der
Phase III wurde ein mit AZD1222 geimpfter Proband wegen einer
transversen Myelitis (entzündliche
demyelinisierende Erkrankung des Rückenmarks)
im
Krankenhaus behandelt (18). Diese Erkrankung mit
Lähmungserscheinungen kann bei viralen Infektionen, als
Autoimmunreaktion, bei Multipler Sklerose (MS), aber auch als
Immunreaktion nach einer Impfung auftreten (19). Inzwischen wurde
bekannt, dass eine weitere Versuchsperson bereits im frühen
Stadium der Phase III (Juli 2020) die Symptome einer transversen
Myelitis entwickelt hatte, was von AstraZeneca/Vaccitech auf eine
MS-Erkrankung zurückgeführt wird. Laut einem in Nature
publizierten Report seien Anfragen zu diesem Vorfall aus der
zunehmend besorgten wissenschaftlichen Gemeinschaft von den
Unternehmen unbeantwortet geblieben (20). Hier fehlt es an der
Transparenz, die unabdingbar ist für das Vertrauen der
Bevölkerung in die Sicherheit von Impfstoffen (vgl. 21).
Nachdem Symptome einer transversen Myelitis zum zweiten Mal
auftraten, wurde die Studie für 6 Tage unterbrochen und
danach in Großbritannien, Südafrika und Brasilien
fortgesetzt, ebenso nach einer etwas längeren Unterbrechung in
den USA (21).
Im Tierversuch mit
Rhesusaffen zeigte der AZD1222-Impfstoff nur eine eingeschränkte
Wirksamkeit, und es wurde keine sterile Immunität (s.o)
erreicht. Alle Tiere infizierten sich bei der Exposition mit
SARS-CoV-2 („Challenge“), und replizierfähiges Virus
konnte von der Nasenschleimhaut gewonnen werden. Auch war die
Viruslast bei den geimpften Affen nicht geringer als bei den
ungeimpften Kontrollen (22). William Haseltine (s.o.) schreibt, dass
die Titer der erreichten neutralisierenden Antikörper sehr
niedrig waren (23). Üblicherweise können die durch eine
Impfung induzierten neutralisierenden Antikörper bei
> 1.000-facher Verdünnung des Serums noch nachgewiesen
werden und nicht wie in dieser Studie nur bei 4- bis 40-facher.
Der einzige, jedoch
schwache klinische Hinweis auf eine gewisse Wirksamkeit dieses
Impfstoffs kommt aus der Beobachtung, dass bei 3 der 6 geimpften
Affen im Vergleich zu den anderen 3 und den ungeimpften die
Atemfrequenz nicht so stark anstieg. Möglicherweise wurde also
die Hälfte der geimpften Tiere etwas weniger krank.
Am Tag 7 nach dem
„Challenge“ wurden die Affen obduziert. Bei 2 von 3
ungeimpften gab es Zeichen einer interstitiellen Pneumonie. Bei den
geimpften Affen wurde dies nicht gefunden, möglicherweise ein
weiterer schwacher Hinweis für Wirksamkeit des
AZD1222-Impfstoffs (22). Auch wurde durch die Impfung der Schweregrad
der Erkrankung nach der Virusexposition nicht verstärkt. Aber
wie von anderen Impfstoffen bekannt, bedeutet dies nicht, dass eine
solche Aggravierung beim Menschen nicht doch eintreten kann (23).
Insgesamt ist die Wirksamkeit des Oxford-Impfstoffs im Tierexperiment
bisher jedoch nicht vielversprechend. Ob die Vorbestellung durch
Bundesgesundheitsminister Spahn für mehrere Millionen €
eine gute Entscheidung war, bleibt abzuwarten.
BNT162b2-Impfstoff:
Zum mRNA-Impfstoff BNT162b2 von BioNTech/Pfizer wurde bislang eine
Auswertung von 45 Probanden aus der beschleunigten klinischen
Phase I/II mit drei Dosierungen (10 μg, 30 μg,
100 μg) veröffentlicht. Die höchste Dosierung wurde
wegen der Häufung schwerer Nebenwirkungen nach der ersten
Impfung nicht weiter eingesetzt. Die favorisierte mittlere Stufe
(30 μg) verursachte nach der obligatorischen zweiten Impfung
Reaktogenität: Bei 75% der Probanden trat Fieber > 38°C
auf, bei 85% Fatigue, bei 65% Schüttelfrost, bei 60% systemische
Muskelschmerzen, bei 25% Gliederschmerzen und bei allen Probanden
Kopfschmerzen. Nach der ersten Impfung wurde bei 45% (5 von 11) eine
Abnahme der Lymphozyten im Blut festgestellt (davon bei einer Person
hochgradig). Gemittelt über alle Nebenwirkungen berichteten in
der Plazebogruppe nur 11,1% (1 von 9) über Nebenwirkungen (24).
Falsche Endpunkte,
falsche Zielgruppe:
In einem lesenswerten aktuellen Beitrag von Peter Doshi im BMJ (13)
werden weitere wichtige Kritikpunkte an den Studien mit den derzeit
in Phase III befindlichen SARS-CoV-2-Impfstoffen genannt. Dazu
gehört, dass offenbar nur in wenigen Studien auf das Erreichen
einer sterilen Immunität getestet wird (vgl. 13, 14).
Dies wäre jedoch essenziell: Bei einer Infektion, die bei 2.000
jungen Menschen in weniger als einem Fall zum Tode führt, wird
nicht nur ein sehr sicherer Impfstoff benötigt, sondern auch
einer, der die Infektionskette unterbrechen kann. Doshi kritisiert
auch, dass alle zurzeit laufenden Impfstudien mit jungen Erwachsenen
durchgeführt werden und die Ergebnisse nicht auf Personen
übertragbar sein werden, die ein höheres Risiko für
schwere Verläufe haben – also Menschen > 70 Jahre
(13).
Diskussion:
Bei beiden aktuellen Impfstoff-Favoriten fällt eine signifikante
Häufung von Nebenwirkungen auf, die bei AZD1222 infolge von
Symptomen einer transversen Myelitis bei zwei Probanden besonderer
Beachtung bedürfen. Zu BNT162b2 liegen entsprechende
Auswertungen der fortgeschrittenen Phase II und der Phase III
noch nicht vor. Generell bestätigen die bisherigen Daten, dass
genetische Impfstoffe eine höhere Reaktogenität hervorrufen
können in Form von u.a. Schmerz, Schwellung und Rötung an
der Injektionsstelle, Fieber, Krankheitsgefühl,
Appetitlosigkeit, aber auch überschießender
Immunreaktionen. Deshalb sind bereits vor COVID-19 insbesondere
nukleinsäurebasierte Impfstoffkandidaten nie über die
präklinische Testung hinausgekommen (25, 26).
Da sich unerwünschte
Autoimmunreaktionen und seltene Nebenwirkungen auch zeitlich
verzögert zeigen können (15) und die weitere Abklärung
von Wechselwirkungen mit z.B. anderen Wirkstoffen bzw. Arzneimitteln,
anderen Impfstoffen und Grunderkrankungen im beschleunigten Verfahren
nicht mit der erforderlichen Sorgfalt bzw. wissenschaftlichen
Gründlichkeit erfolgen kann, ergeben sich aus den bisherigen
Daten zur Sicherheit der SARS-CoV-2-Impfstoffe auch weitreichende
Probleme hinsichtlich der gesundheitspolitischen Verantwortung bei
der Vorsorge.
Mittlerweile kündigt
auch das Tübinger Unternehmen CureVac für seinen
mRNA-Impfstoff CVnCoV eine Zulassung im Januar oder Februar 2021 an,
und dessen Mehrheitseigentümer, Dietmar Hopp, möchte „das
Rennen um den besten Impfstoff gewinnen“ (27). Die zuvor
genannten Bedenken gelten grundsätzlich auch für weitere
genetische Impfstoffe, zu denen noch keine klinischen Ergebnisse
vorliegen.
Hinsichtlich viraler
Vektorimpfstoffe, die wie AZD1222 auf DNA-Viren beruhen, äußern
einige Experten zusätzlich Bedenken wegen der derzeit gänzlich
nicht auszuschließenden Möglichkeit, dass DNA ins Genom
der Zielzellen eingeschleust werden könnte (28). Dasselbe
potenzielle Risiko wurde in jüngerer Vergangenheit vielfach für
DNA-Impfstoffe geäußert, da auch die hierbei eingebrachten
Plasmide über zellkernumfassende Integrationsmechanismen die
Translation in mRNA induzieren, wobei durch mögliche Aktivierung
von Onkogenen oder Deaktivierung antikarzinogener Abschnitte das
Tumorrisiko im Zielgewebe steigen könnte (sog.
Insertionsmutagenese; vgl. 29-32). Ein derartiges Risiko würde
möglicherweise erst nach Jahren klinisch auffallen, weshalb
Verkürzungen der Testphasen bei diesen Impfstoffen besonders
problematisch erscheinen. Vor der COVID-19-Pandemie gab es noch keine
klinischen Testungen von DNA-Impfstoffen an Menschen. Vier
DNA-Impfstoffe befinden sich derzeit in der klinischen Phase II
(2).
Nach unserer Auffassung
ist ein breiter wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Diskurs
über die Probleme der beschleunigten Prüfung hinsichtlich
der Impfstoffsicherheit sowie eine Harmonisierung unverzichtbarer
Studienendpunkte mit öffentlicher Anhörung kritischer
Experten notwendig (vgl. 33). Ärztinnen und Ärzte und
die Menschen, die sich impfen lassen wollen, müssen über
Wirksamkeit und Risiken genetischer Impfstoffe, die nach verkürzten
Zulassungsverfahren auf den Markt kommen, umfassend aufgeklärt
werden. Es sollten dieselben Standards gelten, wie sie auch bei
anderen Impfungen gefordert werden. Hierzu gehören die Antworten
auf folgende Fragen für die Praxis (vgl. 34):
Für welche
Zielgruppe ist der Impfstoff zugelassen bzw. welche Zielgruppe
könnte durch die Impfung profitieren und welche
wissenschaftliche Evidenz gibt es hierfür?
Mit welchen
Nebenwirkungen muss gerechnet werden?
Wie lange hält die
durch den Impfstoff induzierte Immunität an, und wann muss
gegebenenfalls erneut geimpft werden?
Wie wird der Impfstoff
nach seiner Zulassung auf seine Sicherheit überprüft?
Wer haftet bei
Impfschäden?
Für weitere
technische Details in der Entwicklung verschiedener Impfstoffe gegen
SARS-CoV-2 empfehlen wir ein gerade in Nature erschienenes Review
(37).
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